Der Jagdbogen wirkte wie Spielzeug in seinen Pranken. Er sah aus, als hätte ihn ein Bildhauer aus Bronze modelliert. Sein muskelbepackter Oberkörper war nackt. Er trug Leggings und Mokassins. Der Köcher mit einem Bündel von Pfeilen hing an seiner rechten Hüfte, gehalten von einem schwarzen Ledergürtel mit einer Messingschließe der US Cavalry.
Die schwarzrote Kriegsbemalung ließ sein Gesicht noch finsterer erscheinen, als es ohnehin schon war. Er trug die jettschwarzen Haare zurückgebunden und am Hinterkopf zu einem Zopf geflochten, der ihm über die linke Schulter bis nach vorn auf die Brust hing.
Einen Moment lang hatte es den Anschein, als würde er überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Dabei war der dritte Pfeil längst wie von selbst in seine Rechte geglitten. Seine Handbewegungen waren schnell und routiniert - und zugleich wie abgekoppelt vom Rest des Körpers, der stoische Ruhe ausstrahlte.
»Lass es sein«, warnte Lassiter ihn und ließ ihn in die Mündung des Remington blicken.
Der hünenhafte Indianer zeigte kaum Reaktion. Nichts an seiner Haltung veränderte sich. Nur seine Mundwinkel bewegten sich fast unmerklich abwärts und formten ein verächtliches Grinsen. Beinahe bedächtig legte er das Ende des Pfeils auf die Sehne und führte den Schaft über seine linke Hand, die den Bogen hielt.
Lassiter sah, dass die metallene Pfeilspitze präzise in die Visierlinie seines Sechsschüssers wies. Geradezu gelassen begann der Indianer die Bogensehne zu spannen. Lassiter glaubte es nicht. Der Kerl war entschlossen, ihm den Pfeil in den Kopf zu jagen.
Dass er sich vorher eine 45er-Kugel einfangen würde, schien ihn nicht im Mindesten zu interessieren. Dabei hatte er bis zu diesem Zeitpunkt nicht den Eindruck erweckt, lebensmüde zu sein. Und von gestern konnte er auch nicht sein. Lassiter schätzte ihn auf höchstens auf Mitte zwanzig; deshalb musste er wissen, dass es Feuerwaffen gab.
Der Indianer zog die Bogensehne weiter zu sich heran. Noch eine Handspannenlänge, und er würde den Pfeil losschnellen lassen.
Lassiter schüttelte tadelnd den Kopf, ließ den Revolverlauf nur ein winziges Stück sinken und zog durch.
In das Krachen des Remington mischte sich der Schrei seines Gegners, als ihn die Wucht des Einschusses herumschleuderte. Der Pfeil zischte schräg nach oben in den Himmel. Der Indianer schrie vor Wut und Schmerzen, doch er verstummte schon, als er von seinem Bezwinger wegstolperte.
Im nächsten Augenblick tauchte er ins Unterholz des Waldes und verschwand. Noch für Sekunden war das Knacken und Prasseln der Zweige zu hören. Die Lautlosigkeit des Fliehenden war dahin.
Lassiter ließ die Waffe sinken. Er hatte es noch nie fertiggebracht, einem Menschen in den Rücken zu schießen, und daran würde auch dieser heimtückische Überfall nichts ändern. Er fragte sich, was in dem Angreifer vorgegangen war. Hielt der Kerl sich womöglich für unverwundbar?
Achselzuckend lud der Mann der Brigade Sieben den Remington nach und ließ ihn ins Holster gleiten. Er hatte den Indianer in den rechten Oberarm oder in die Schulter getroffen. Vielleicht war es auch nur ein etwas tieferer Streifschuss.
Hufgeräusche wurden laut und entfernten sich rasch. Immerhin war der Kerl also in der Lage, zu reiten.
Erst jetzt kam Lassiter dazu, nach seinem Hals zu tasten. Schmerzen spürte er nicht, doch als er die Hand herunternahm, war Blut an seinen Fingerkuppen. Er hatte höllisches Glück gehabt. Die Pfeilspitze hatte ihm offenbar nur einen flachen Schnitt in die Haut gezogen.
Lassiter wandte sich in die ursprüngliche Richtung.
Die Villa, derentwegen er hier war, stand einsam und allein in der Weite der Landschaft. Von dem Hügel, auf dem er seinen Beobachtungsposten bezogen hatte, war das palastartige weiße Gebäude nur eine halbe Meile entfernt.
Das Präriehuhn, das ihm das Leben gerettet hatte, war nicht mehr zu sehen.
***
»Sie sind Kreole?«, fragte die Hausherrin. »Sie stammen aus New Orleans?«
Die Fenster des Salons waren weit geöffnet. Eine kräftige Sommerbrise bauschte die langen weißen Vorhänge wie Schiffssegel. Die Luftbewegung, die durch den luxuriös eingerichteten Raum strich, brachte ein wenig Erleichterung von der Hitze des frühen Nachmittags.
»Ursprünglich aus Haiti«, antwortete der Besucher. »Aber ich lebe in New Orleans so lange ich denken kann.«
»Also seit Ihrer Kindheit? Dann haben Ihre Eltern Sie mitgebracht, nicht wahr?«
»Sie sagen es, Madame.« Er sprach die Anrede französisch aus.
Sie fuhr sich mit dem Mundstück der Zigarettenspitze über die vollen Lippen. Anschließend entblößte sie ihre makellosen, perlweißen Zahnreihen, ehe sie auf das kostbare Ebenholz der Spitze biss und ihre Lippen darüber schloss.
Die Hausherrin hatte schulterlanges brünettes Haar, eindrucksvoll ergänzt von ihren melancholisch wirkenden hellbraunen Augen. Sie trug ein Sommerkleid mit einem feinen blauroten Blumenmuster. Dicht an dicht gereihte weiße Knöpfe reichten in einer senkrechten Linie vom Kragen bis zum Saum. In Ermangelung eines Dekolletees hatte sie die oberen zehn Knöpfe geöffnet. Dadurch waren ihre prall gerundeten Brüste mehr als zur Hälfte entblößt.
Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen. Das Kleid bedeckte ihre Beine fast bis hinunter zu den maßgefertigten hellbraunen Stiefeletten. So war nur ein kleines Stück ihrer Waden zu erkennen.
Sie nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette, blies den Rauch mit gespitztem Mund zur Mahagoni getäfelten Decke des Salons und fragte: »Wie war Ihr Name noch mal?«
Sie saßen sich in Sesseln aus weichem Wildleder gegenüber, zwischen ihnen ein Couchtisch. Zwei kristallene Whiskygläser standen darauf. Die großen, durchscheinenden Eisbrocken darin knisterten immer noch leicht, obwohl der Butler die Drinks schon vor zwei Minuten serviert hatte.
»Ich bin Lebrun Thibodeaux«, sagte der Kreole und ließ es so klingen, als ob er berühmt war und jeder seinen Namen kennen musste.
»Und der Grund Ihres Besuchs?«
Er lachte verhalten und tat, als hätte ihre Frage überhört. Gemächlich zupfte er eine noch eingewickelte Zigarre aus der Brusttasche seines weißen Anzugjacketts. »Wissen Sie, Madame, je länger ich Ihr Gast sein darf, desto mehr werde ich mich an Ihre geradezu liebreizende Eigenart gewöhnen.«
Seit der Mann mit seiner Kutsche vorgefahren war, wusste sie, dass sie es mit einem Halsabschneider erster Güte zu tun hatte. Und nun, da sie ihn im Salon ihrer Villa empfangen hatte, versuchte er, sie zu verspotteten - vermutlich, weil sie eine Frau war. So oder so ließ sie sich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Thibodeaux gefährlich war.
Sie führten ein Scheingefecht mit Worten, belauerten sich und versuchten, sich gegenseitig hereinzulegen. Noch tasteten sie sich mehr oder weniger vorsichtig aneinander heran.
Äußerlich war der Kreole nicht einmal unansehnlich. Seine hellbraune Hautfarbe und die dunkelbraunen Augen bildeten einen Kontrast, der zumindest Aufmerksamkeit erweckte. Sein bartloses Gesicht wies die leichten Rundungen eines wohlgenährten Mannes auf, der sich nur selten körperlich anstrengen musste.
In vielleicht zehn Jahren würde er aufgehen wie ein Hefeteig. Noch war er schlank, und sein durchaus noch kantig zu nennendes Gesicht wurde von naturgewelltem schwarzem Haar gekrönt wie von einer Pelzhaube.
Bei aller Eleganz seines Auftretens konnte er nicht verbergen, dass er noch bis vor wenigen Jahren selbst ein Kämpfer gewesen sein musste. Selbst bei so unbedeutenden Handbewegungen wie dem Öffnen des Zigarrenpapiers offenbarte sich auf verhaltene Weise die raubtierhafte Kraft, die nach wie vor in ihm schlummerte.
Inzwischen aber war er zu einem Rang aufgestiegen, in dem die beiden Leibwächter einfach dazugehörten. Sie waren ein Statussymbol. Durch sie strahlte er bei seinem Auftreten Macht aus.
Sie hatten beiderseits der Tür Aufstellung genommen, elegant in Weiß gekleidet wie ihr Chef, und sie hatten sich nicht dazu überreden lassen, in einem der komfortablen Ledersessel Platz zu nehmen.
Noch wusste die Hausherrin den Kreolen nur ansatzweise einzuschätzen. Doch daran, dass er nicht nur ein harter Bursche, sondern auch ein krummer Hund war, zweifelte sie schon jetzt nicht mehr - auch wenn er bislang nicht damit herausgerückt war, was er mit seinem Besuch eigentlich bezweckte. Wie der typische Kunde ihres Hauses und der käuflichen Ladys sah er jedenfalls nicht aus.
Sie stimmte in sein Lachen ein, fuhr sich erneut mit dem Ebenholzmundstück über die Lippen und gurrte: »Was Sie nicht sagen. Sie haben eine Eigenart an mir erkannt? Darf man erfahren, um was für eine Marotte es sich handelt?«
Er schälte die Zigarre aus dem buntbedruckten Papier. Während er dabei interessiert seine manikürten Finger betrachtete, erwiderte er: »Aber gern.« Er hob den Kopf und sah sie an. »Sie stellen jede Frage zwei Mal.«
»Stört Sie das?« Ihre Miene blieb unbewegt.
»Himmel, nein!«, rief er und lachte erneut, diesmal übertrieben laut. »Ich sagte doch, ich betrachte es als eine liebreizende Eigenart. Im Zuge unserer zukünftigen Geschäftsbeziehung werde ich Ihre Gewissenhaftigkeit, die sich dahinter verbirgt, sehr zu schätzen wissen.« Er zündete seine Zigarre mit kurzen, paffenden Zügen an.
Sie horchte auf, ließ sich aber nichts anmerken. Dass er von einer Geschäftsbeziehung sprach, war ein erster Hinweis auf seine möglichen Absichten.
Nichtsdestoweniger klang ihr sein vermeintliches Lob...