Pagosa Springs, Summitville, Jasper und andere Orte waren über viele Monate den Raubzügen der Bande zum Opfer gefallen. Lange hatten die Bewohner ihrem eigenen Ausbluten hilflos zugesehen, waren ausgeplündert und gequält worden. Viele Väter hatten ihre Töchter an Seth Cameron verloren, der im Verkauf der jungen Frauen ein einträgliches Geschäft gewittert hatte.
Zwei Wochen lag es zurück, dass Cameron die Stadt Treasure am Fuße der San Juan Mountains heimgesucht und die Tochter des Bürgermeisters entführt hatte. Lange hatte Matthew Porter die Entscheidung hinausgezögert, Jagd auf die Bande zu machen, denn die Erinnerung an deren Strafaktionen hatte sich unauslöschlich in seinem Gedächtnis festgesetzt. Schließlich aber hatten sein Gewissen und die Liebe zu seiner Tochter Amy über die Angst vor Vergeltung gesiegt.
Späher waren in die Berge ausgeschickt worden, um den Aufenthaltsort der Verbrecher ausfindig zu machen. Viele waren nicht zurückgekehrt und von den Außenposten Camerons getötet worden. Einer jedoch hatte die Fährte der Banditen bis zu ihrem Höhlencamp verfolgt und den entscheidenden Hinweis geliefert. Halbtot war er von seinem Erkundungsritt zurückgekehrt und hatte den Weg zu Camerons Unterschlupf beschrieben, ehe er an seinen Verletzungen, die seine Verfolger ihm beigebracht hatten, gestorben war.
»Vorrücken!«, schrie Matthew Porter und begab sich an die Spitze der Reiterschar, die abwartend vor einer Waldlichtung gehalten hatte. Noch im selben Moment wurde aus dem Hinterhalt das Feuer eröffnet. Tiegel riss seinen Hengst auf dem Absatz herum, als neben ihm zwei Männer getroffen aus ihren Sätteln stürzten.
»Ausschwärmen!«, rief er seinen Leuten zu. Über den Kopf seines Pferdes hinweg gab er zwei Schüsse in die Richtung ab, wo er das gegnerische Mündungsfeuer hatte aufflammen sehen.
Um ihn herum brach die Hölle los. Im Kugelgewitter der Banditen, die sich zu beiden Seiten der Lichtung zwischen Felsen und in den Büschen verschanzt hatten, spritzte das Erdreich auf, pfiffen Geschosse durch den Vigilantentrupp und ließen die Formation aufbrechen. Die Tiere stellten sich auf die Hinterläufe und waren von ihren Reitern nur schwer unter Kontrolle zu bringen. Eine gezielte Gegenwehr war den Häschern aus Treasure kaum noch möglich.
Während Matthew Porter über die linke Flanke vorstürmte, versuchte Russ Tiegel, Ordnung ins Chaos zu bringen. Er stellte sich vor eine Gruppe scheuender Pferde und dirigierte sie fort von dem Waldweg und zwischen die Bäume. Mehr und mehr Männer der fünfzehnköpfigen Gruppe bekamen ihre Tiere wieder unter Kontrolle. Nichtsdestotrotz hatte es bereits vier Reiter erwischt.
»Wir nehmen die Bastarde in die Zange!«, befahl Tiegel. »Porter kommt von links, wir von rechts!« Mit einem Kampfschrei trieb er seinen Hengst an. Sechs Bewaffnete folgten ihm, der Rest hatte sich Matthew Porter angeschlossen.
Reflexhaft zuckte sein Colt in die Höhe beim Anblick eines Schattens, der eine Steigung hinaufhuschte. Unter dem Donnern von Tiegels Colt brach die Gestalt zusammen und rutschte tot den Abhang hinunter. Gleichzeitig duckte er sich unter einer Salve hinweg, die den Reiter hinter ihm vom Rücken seines Pferdes riss.
»Camerons Camp ist gleich voraus!«, brüllte er und hoffte, dass seine Leute ihn in dieser kritischen Phase nicht im Stich ließen. Es war eine Sache, Männer für eine Hetzjagd zu begeistern, aber eine ganz andere, wenn sie plötzlich bemerkten, dass es nicht alles andere als ein Spaziergang war.
Mit dem Mut der Verzweiflung fielen sie dem Gegner in den Rücken. Keine fünfzig Meter von Tiegel entfernt preschte Porter mit drei Reitern vor. Innerhalb kürzester Zeit hatten die mutigen Bürger von Treasure ein Drittel ihrer Mannschaftsstärke eingebüßt, doch ihrem Kampfgeist hatte dies keinen Abbruch getan. Überschäumende Wut und der unbeugsame Willen, sich von Camerons Knechtschaft zu befreien, ließen sie ohne Rücksicht Leib und Leben riskieren. Umso erstaunter war Russ Tiegel, lediglich eine Handvoll Banditen vorzufinden. Sechs machte er auf Anhieb ausfindig, und sie verteidigten sich nach allen Seiten. Auf den Felsvorsprüngen wechselten sie ständig ihre Position, rannten zwischen den Sträuchern über das leicht ansteigende Gelände und schossen auf alles, was sich ihnen näherte.
Aber auch die Gewehre und Revolver der Vigilanten spuckten ohne Unterlass Blei. Todesschreie ertönten, Pulverrauch vernebelte die Sicht. Russ Tiegel sprang aus dem Sattel und warf sich zu Boden. Im Liegen gab er mehrere Schüsse ab, schaltete einen Schützen aus, der auf Porter angelegt hatte, und verwundete einen zweiten. Durch die Schwaden sah er seine Leute mit bloßen Fäusten in Zweikämpfe stürzen oder mit Messern auf die Banditen losgehen. Ihr ungezügelter Zorn verschaffte ihnen einen schnellen Sieg.
»Das war einfacher als gedacht«, meinte Porter später, ungeachtet der hohen Verluste. »Ich bin überrascht, dass nicht mehr von Camerons Leuten vor Ort sind.«
»Wahrscheinlich ist der Rest wieder auf Raubzug«, erwiderte Russ Tiegel. »Sollte er vorzeitig zurückkommen, haben wir keine Chance.«
Matthew Porters Gesicht war hart wie Stein. »Bis dahin wird es nichts mehr geben, das sie verteidigen könnten .« Er streckte den rechten Arm aus und wies auf eine Felsformation, die sich an die Lichtung anschloss. »Camerons Basiscamp. Jagen wir diese Brutstätte des Bösen endgültig in die Luft!«
Tiegel nickte. Der Trupp führte genügend Dynamit mit sich, um eine Kleinstadt in Schutt und Asche zu legen.
***
»Pack zusammen, was wir tragen können - und dann hauen wir ab!« Grimmig schaute Seth Cameron seine Geliebte an, die für seine Äußerung nicht mehr übrig hatte als ein spöttisches Lächeln. Und tatsächlich hätte sich der Bandenboss im Traum nicht vorstellen können, dass er einmal die Flucht ergreifen würde. Doch seine Niederlage in Jasper hatte ihn den Großteil seiner Gefolgschaft gekostet. Vor allem Sheriff Ken Parker und dieser mysteriöse Fremde, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war, hatten in einem hitzigen Gefecht einen nach dem anderen auf den Boothill geschickt. Vereinzelt gab es noch Männer in den vorgelagerten Posten des Höhlencamps, doch gegen die wütende Reiterschaft, die wie ein Unwetter heranrollte, würden sie nicht lange bestehen.
»Nehmen wir die Göre mit?«, erkundigte sich Sheila Davies. Mit ihren langen dunklen Haaren und ihrem wohlgeformten Körper war sie eine ausgesprochene Schönheit, doch ebenso war sie durchtrieben und bösartig und konnte es mit jedem Halsabschneider nördlich und südlich des Rio Grande aufnehmen.
»Was denkst du denn?«, versetzte Cameron ärgerlich. »Den größten Teil unserer Beute müssen wir zurücklassen, da will ich wenigstens mit dem Blondschopf noch ein paar Dollar machen!« In Albuquerque warteten bereits die Abnehmer, die die junge Frau in irgendein Bordell nach Mexiko schleppen würden. Für Cameron und Sheila würde es vermutlich ebenfalls das Beste sein, sich über die Grenze abzusetzen und fernab der US-Justiz unterzutauchen. Nach dem Aufruhr in Colorado würde sie alle Hebel in Bewegung setzen, um sie dingfest zu machen. Camerons Herrschaft über eingeschüchterte Bürger und träge Gesetzeshüter war endgültig vorüber.
»Dann sollten wir gut auf sie aufpassen«, entgegnete Sheila Davies, und ihr höhnisches Lächeln verstärkte sich. »Es wäre nicht das erste Weibsbild, das dir entkommen ist.«
Cameron winkte ab. »Schnee von gestern! Ich bin sicher, du wirst ein wachsames Auge auf sie haben. Schließlich kann man einem Mann wie mir nicht trauen .« Dass der Seitenhieb gesessen hatte, sah er am säuerlichen Gesichtsausdruck seiner Geliebten. Obwohl sie eine offene Beziehung führten und sie beide keine Kinder von Traurigkeit waren in Bezug auf Liebschaften mit anderen Personen, gaben sie sich gegenseitig auch immer den Anschein von Eifersucht. Das mochte eine oberflächliche Darbietung sein, doch zumindest was Seth Cameron betraf, war sie nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Ihm war durchaus bewusst, dass Sheila sich mit seinen Männern eingelassen hatte und auch sonst keine Gelegenheit ausließ, sich mit Fremden zu vergnügen. Daher wollte er ihr gegenüber nicht den Eindruck erwecken, sich an sie zu klammern, auch wenn seine amourösen Eskapaden sich in Grenzen hielten.
»Dreckskerl!« Die Dunkelhaarige wandte sich ab, um die Gefangene zu holen. Amüsiert sah Cameron ihr nach und wunderte sich noch, dass sie es bei einem lapidaren Fluch belassen hatten. Die Messernarbe über seinem linken Auge zeugte davon, dass dieses Teufelsweib auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckte. Dann horchte er alarmiert auf. Die Schießerei in der Nähe des Camps war zum Erliegen gekommen. Das konnte nur bedeuten, dass seine Vorhut tot und seine Verfolger auf dem Vormarsch waren.
Mit Munition und Nahrungsmitteln bepackt, rannte er aus der Höhle. Sheila kam ihm bereits entgegen, das blonde Ding, das sie in Albuquerque zu Geld machen wollten, hart bei den Schultern gepackt.
»Du heißt Amy, nicht wahr?«, fragte Cameron und trat dicht an die blonde Frau heran. Sie sträubte sich in Sheilas Griff, doch diese hielt sie unnachgiebig fest.
»Und wenn schon!«, blaffte Amy. »Mein Vater wird mich befreien! Und dann geht's euch dreckig!«
Cameron lachte. »Für eine Befreiungsaktion hat er sich aber eine Menge Zeit gelassen. Mach dir also keine zu großen Hoffnungen .«
Amy spuckte aus, wollte einen giftigen Kommentar vom Stapel lassen und schrie lauthals auf, als der Banditenboss ihr seine flache Hand ins Gesicht schlug. »Du kommst mit uns, ob's...