Schweitzer Fachinformationen
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Patricias Schwester ist während eines Praktikums in Schweden spurlos verschwunden. Jetzt, dreißig Jahre später, erhält sie einen anonymen Brief mit Madeleines Kette darin. Kurzentschlossen verlässt Patricia ihre Farm in Amerika und reist nach Schweden.Im kleinen Strandort angekommen, mietet sie sich in einer gemütlichen Pension ein. Bald lernt sie auch die Frauen eines Buchsalons kennen, die die begeisterte Leserin prompt in ihren Kreis aufnehmen. Bei Kaffee und Kuchen, bei Gesprächen über Literatur, Liebe und alltägliche Probleme fühlt Patricia sich rundum wohl. Doch einige Frauen scheinen mehr über ihre Schwester zu wissen, als sie zugeben - und um Frieden zu finden, ist Patricia entschlossen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Frida Skybäck erzählt charmant, mit Humor und Hoffnung von begeisterten Leserinnen, von alten Wunden und neuen Anfängen.
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Als Patricia Sloane den länglichen Briefkasten öffnet und die Tagespost herausholt, bemerkt sie den weißen Umschlag zunächst gar nicht. Sie klemmt sich den Stapel Briefe, Zeitungen und Werbebroschüren unter den Arm, klappt die kleine rote Fahne wieder herunter und geht zum Tor.
Obwohl noch Mai ist, liegt bereits eine drückende Hitze über Charlottesville. Die Wiese ist gelb und trocken und der Acker so ausgedörrt, dass sich rund um den Hof lange Risse im Erdboden gebildet haben.
Patricia legt die Hand auf den weißen Torpfosten. Ihr Arbeitstag im Sekretariat der Mackenzie Junior High war heute außergewöhnlich lang. Gleich am Morgen gab es einen Feueralarm, in der ersten Stunde, mitten im Sexualkundeunterricht der Achtklässler.
Patricia wusste sofort, dass es ein falscher Alarm war. Sie sah Dennis Rodd mit einem Feuerzeug in der Hand über den Korridor laufen. Doch aus Sicherheitsgründen mussten sie das Gebäude trotzdem räumen - und fünfhundert Jugendliche in Reih und Glied auf einem Fußballfeld versammeln zu müssen, kann man sich in etwa so vorstellen, wie eine aufgebrachte Bisonherde durch ein viel zu enges Gatter zu treiben.
Patricia massiert sich die schmerzende Schulter. Die Unterbrechung führte natürlich dazu, dass der Sexualkundeunterricht mit den Achtklässlern nicht zu Ende geführt werden konnte (genau wie alle anderen Unterrichtsstunden), worüber sich der Biologielehrer Mr. Alvarez furchtbar aufregte. Nun hätten die Schüler gerade einmal den ersten, rein informativen Teil seines Vortrags gehört, zeterte er, nicht aber den zweiten, in dem er auf die Konsequenzen eines - wie er es ausdrückte - »unverantwortlichen Umgangs mit dem Reproduktionssystem« eingehe, und er verlangte augenblicklich eine Stundenplanänderung, damit er die Unterrichtseinheit abschließen könne. Patricia hätte am liebsten erwidert, er solle mal über seinen eigenen unverantwortlichen Umgang mit Rasierwasser nachdenken. Doch dann konnte sie mit dem Mathematiklehrer der Klasse vereinbaren, dass Mr. Alvarez eine halbe Stunde von dessen Unterricht für seine Zwecke verwenden durfte.
Zu diesem Zeitpunkt war es bereits zehn Uhr, und Patricia war mit ihren morgendlichen Aufgaben weit hinterher. Eine Dreiviertelstunde später, als gerade wieder Land in Sicht war, kam Rachel Morgan mit zwei Fingern in der Nase ins Sekretariat. Sie trug Sportkleidung, und oberhalb ihrer heruntergerutschten Kniestrümpfe waren Schürfwunden zu sehen.
»Slide-Tackling«, murmelte sie.
Unglücklicherweise war Patricia gerade so tief in einen ellenlangen Bericht des Direktors über den Materialverbrauch der Arbeitsgruppen vertieft, dass sie nur »Wie bitte?« antworten konnte, woraufhin das Mädchen die Finger aus der Nase nahm und das Blut nur so über die Fußmatte mit dem Willkommensschriftzug und dem Emblem der Schule spritzte.
Auf die Schnelle sah Patricia keine andere Lösung, als sich ihr Lieblingstuch vom Hals zu reißen und es Rachel ins Gesicht zu drücken, während sie nach der Schulkrankenschwester rief. Doch wie so oft war Mrs. Fletcher gerade auf einer Fortbildung, und am Ende musste Patricia sich gewaltsam Zugang zu deren Büro verschaffen. Als sie die arme Rachel eine ganze Weile später mit zwei Tampons in den Nasenlöchern wieder fortschickte, hatte es gerade zur Mittagspause geläutet.
»Wenn du wüsstest, was ich heute für einen Tag hatte«, sagt Patricia und begrüßt Barry, den großen Labrador der Familie, der ihr am Tor entgegenkommt. Barry schüttelt fröhlich den Kopf, und Patricia muss lachen. Ohne ihn wäre sie nie allein auf dem Hof in Mill Creek wohnen geblieben. Barry ist nicht nur ihr Wachhund, er leistet ihr auch Gesellschaft, wann immer sie die Einsamkeit überkommt.
Mit wedelndem Schwanz und kleinen, munteren Sprüngen begleitet er sie auf die Veranda, wo Patricia sich auf der blaugestrichenen Hollywoodschaukel niederlässt.
Von den Feldern her weht eine Brise und sorgt für angenehme Erfrischung, während Patricia die Post durchblättert und sie zu kleinen Stapeln sortiert. Alle Rechnungen auf einen, und die Reklame des nahe gelegenen Dorfladens auf die letzte Ausgabe von Ackerbau. Schließlich hält sie nur noch einen Brief in der Hand. Der Umschlag ist klein, die Adresse fein säuberlich mit schwarzer Tinte geschrieben, und der Poststempel stammt aus dem Ausland.
Mit forschendem Blick dreht Patricia das Kuvert um. Kein Absender. Sie bekommt nur selten handgeschriebene Briefe und denkt als Erstes, dass dieser hier eigentlich bei Tom und Eunice zwei Häuser weiter hätte landen sollen. Die beiden nehmen regelmäßig Austauschschüler bei sich auf, und in den letzten zehn Jahren haben Jugendliche aus Holland, Frankreich und Deutschland bei ihnen gewohnt, um das Leben an einer echten amerikanischen High School kennenzulernen. Patricia hat noch nie verstanden, warum Familien mit dem entsprechenden Kleingeld ihre Kinder ausgerechnet nach Mill Creek schicken, aber vermutlich können Bier-Pong und Flaschendrehen in einer englischsprachigen Umgebung durchaus lehrreich sein. Der Brief jedoch ist nicht an Tom und Eunice adressiert, sondern an sie.
Patricia versucht, den weißen Umschlag zu öffnen, doch er ist sorgfältig zugeklebt, und nach der Heimfahrt durch die Hitze hat sie Durst. Sie geht ins Haus, schenkt sich aus einer Karaffe im Kühlschrank ein Glas Eistee ein und nimmt bei der Gelegenheit ein Messer mit nach draußen, um den Briefumschlag aufzuschlitzen.
Drüben an der roten Scheune steht eine Tür offen und schlägt im Wind. Das Gebäude müsste mal wieder gestrichen werden - die Farbe ist ausgeblichen und blättert schon hier und da ab -, aber Patricia hat weder Zeit noch Geld, um sich darum zu kümmern.
Müde lässt sie den Blick über die Felder schweifen. Seit ihrer Kindheit hat sich an der Umgebung des Hofes nichts verändert. Die grünen Tabakpflanzen wehen im Wind, und dahinter, inmitten der leuchtenden Weizenhalme, glänzt der Getreidesilo des Nachbarn in der Sonne.
Patricia wedelt sich mit der Zeitung Luft zu. Ihre bescheidene Landwirtschaft konnte sich noch nie mit ihrem Nachbarn Henderson messen, und in den letzten Jahren hat sie den Betrieb Schritt für Schritt eingestellt. Der Großteil des Ackerlandes, das sie von ihren Eltern geerbt hat, ist inzwischen verkauft, sämtliche Kühe und Schweine versteigert, und selbst von den wenigen Gerätschaften, die in gebrauchtem Zustand noch etwas wert waren, hat sie sich getrennt. Ein Teil von ihr hätte die Tierhaltung gern fortgeführt, aber so ein Hof lässt sich allein nicht betreiben. Nun sind nur noch ein paar Hühner und ein kleiner Gemüsegarten übrig, in dem sie Kürbisse, Tomaten und Bohnen zieht, doch die Geräusche und der Geruch von Vieh fehlen ihr sehr.
Hin und wieder fragt sich Patricia, was wohl geschehen wäre, wenn sie den Hof verlassen hätte. Es war nie ihre Absicht, hierzubleiben, doch nachdem ihre jüngere Schwester Madeleine vor mehr als dreißig Jahren spurlos verschwunden war, konnte Patricia den Hof nicht einfach aufgeben.
Ihr Blick fällt auf die hölzerne Armlehne der Hollywoodschaukel, in die ein M und ein P eingeritzt sind, und sie muss seufzen. Als Kinder waren sie wie Pech und Schwefel. Sie verbrachten jede freie Minute zusammen, und als sie älter wurden, war Madeleine Patricias engste Vertraute. Nachdem Patricia von zu Hause ausgezogen war, rief sie ihre Schwester jeden Sonntag an. Sie konnten stundenlang miteinander telefonieren, auf dem Bett liegend, die Telefonschnur um den Finger gewickelt, und sich über die Ereignisse der vergangenen Woche austauschen. Jedes Mal, wenn Patricia von einem missglückten Date oder irgendeiner peinlichen Begebenheit am College berichtete, brach Madeleine in so lautes Gelächter aus, dass ihr Vater im Nebenzimmer an die Wand klopfte.
Deshalb war Patricias Freude nicht ungetrübt, als sie von dem Praktikumsplatz erfuhr, den Madeleine in einer Freikirche in einem kleinen schwedischen Ort bekommen hatte. Sie wusste zwar, dass dies eine Chance für ihre Schwester war, etwas von der Welt zu sehen und das Heimatland ihrer Mutter kennenzulernen, aber die Trennung fiel ihr dennoch schwer. Bald würde ein ganzer Ozean zwischen ihnen liegen.
Patricia schüttelt den Kopf. Die Erinnerung an die letzten gemeinsamen Minuten mit ...
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