Schweitzer Fachinformationen
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Luft. Frische Luft. Sie ist überall. Immer bereit, geatmet zu werden. Von jedem. Luft kostet nichts. Selbst die Ärmsten der Armen, die Hungernden in Afrika und die Zerlumpten in den Slums, haben Luft. Sie, die Körperlose, ist weder schön noch hässlich, weder hart noch weich, weder laut noch leise, weder schrill noch wohltönend. Was also finden Menschen an frischer Luft? Schon als Kind, wenn die Mutter ihn hinausgeschickt hat, damit sie mit ihren Männern herummachen konnte, mochte Fausto die frische Luft nicht. Stundenlang stand er neben der Teppichklopfstange im betonierten Hof und starrte hinauf zu den Fenstern ihrer Wohnung. Erst viel später hat er verstanden, dass die Mutter das Herummachen auch nicht so gernhatte, sie sonst aber noch viel mehr frische Luft geatmet hätten, dauernd nämlich. Und dann in der Schule: Als der Lehrer die Kinder bei jedem Wetter in den Pausenhof geschickt hat, weil er dachte, sie würden dort Fußball spielen und herumlaufen. Die meisten sind aber nicht herumgelaufen, sondern gestanden, rund um ihn herum, sind näher gekommen, haben ihn gestoßen, geschubst, gehauen, getreten, Hurensohn genannt. Schon damals hatte Fausto einen regelrechten Frischlufthass. Das hat er Max alles erzählt. Sogar das mit den Jausenbroten. Die waren was Besonderes. Mit Mayonnaise. Damit hat Fausto die großen Buben im Hof geschmiert. Fausto war oft hungrig. Max war auch hungrig als Kind. Darüber spricht er nicht. Geht niemanden was an.
Max besteht darauf: spazieren gehen. Fausto lamentiert, ruft endlich die Kellnerin. Sie schlurft heran, kassiert zwei Cappuccio und das Glas Sekt, das die Dame getrunken hat. Max sieht Fausto von der Seite an, er ist nüchtern. Sie traben über den Waltherplatz. Wenig los zur Vorsaison, ältere Leute, wahrscheinlich von einer Kaffeebusfahrt. Max filtert Brocken aus den Tönen, Wiener Akzent, wie ihm scheint. Vielleicht auch Kärntner oder Steirer, sicher keine Tiroler. Die Fremdenführerin doziert über Walther von der Vogelweide. Hundertmal im Vorbeigehen aufgeschnappt. Alle Teile zusammengefügt, könnte Max die ganze Biografie des Sängers herunterleiern, so fad wie die der fülligen Dame mit grünem Knirps.
Sie schlendern durch Seitengassen zum Auto. Nigelnagelneuer Alfa Romeo in Dunkelrot. Auffällig und nicht geländegängig, aber elegant. Sie fahren hinaus aus der Stadt, Max schweigt, Fausto schaut aus dem Fenster. Max lenkt den Alfa nach Süden, hinein in die Hügel, ins Grüne, Menschenleere. Nein, oder? Wirklich wandern? Fausto sieht ihn mit herabgezogenen Mundwinkeln an.
Von der SS 38 abfahren, weiter nach St. Michael. Das gelb-weiße Gleif-Kircherl mit seinen zwei rot behüteten Türmchen schaut heraus aus dem Buschig-Waldigen, dort oben auf der Höh, wo sonst die Trutzburgen stehen. Ein Fingerzeig Gottes, gelobt sei Jesus Christus. Max hält an, sie gehen einen Weg entlang. Links und rechts Weingärten. An den Enden der langen Reihen recken duftende Rosen ihre rosa, gelben, roten, weißen Blütenblätter himmelwärts. Nirgends weiße Gespinste, die Blätter und Knospen überziehen, ihnen die Lebenskraft aussaugen und den Bauern den Wein versauen. Schon hängen saure Trauben an den Stöcken. Fausto brummt, dass er sich die neuen Schuhe kaputt machen wird, es hat geregnet, der Weg ist rutschig, Max lacht. Wenigstens ist es nicht steil. Max erzählt vom Informanten. Erklärt die Route. Anfang August, genaues Datum später. Der Wagen kommt von Süden, sie werden ihn bei der Abfahrt Innsbruck-Süd aufhalten. Waffenausgabe um fünf Uhr morgens. Tatzeit: abends, kurz vor Sonnenuntergang.
Der Transporter wird ab dem Brenner verfolgt werden. Laut dem Informanten sind Hunderte Millionen drin. Alles Valuten, Schilling, D-Mark, Pfund Sterling.
Faustos Miene verrät Ungeduld. Ja, das haben sie oft besprochen, Fausto ist gereizt, will zurück zu der Dame. Das gefällt Max nicht. Er ist es, der den Kopf hinhält, wenn es hart auf hart kommt. Sie gehen zurück zum Auto. Es ist windstill. Keine Wolke am Himmel.
Max reißt die Autotür auf, fährt auf verschlungenen Wegen zurück in die Stadt. Beim Bahnhof lässt er Fausto aussteigen. Weiter nach Brixen, die kurvenreiche Straße hinauf ins Dorf. Noch einmal brütet er über dem Zeitplan. Waffen. Wann wo übernehmen? Schwere Bewaffnung. Auf jeden Fall, MP, Handgranaten, Pistole. Wie viel Munition? Mindestens acht Magazine für die MP und einiges für die Pistole. Griffbereit im Fußraum. Da darf nichts herumfliegen, das muss gut verstaut sein. MP im Fußraum, Pistole am Körper. Abends beginnt es leicht zu regnen. Wo kommen die Wolken plötzlich her? Max läuft zum Fluss. Hinter ihm die Carabinieri. Es ist kein Fluss, sondern ein Strom, so breit wie der Amazonas. Max springt hinein, samt Hemd und Hose. Er schwimmt und schwimmt, aber die Wellen werden immer höher. Endlich wirft ihm einer die Leine zu. Max hängt sie an das Halsband, lässt sich ans Ufer ziehen, das Halsband schnürt ihm die Luft ab.
Gleich am Vormittag geht er zu Notburga. Sie sitzt in der Stube und wirft kleine Bröckel vom Vinschger-Paarl in den Milchkaffee. Max setzt sich zu ihr. Erzählt ihr von Fausto, dem Hitzkopf. Von dem Traum sagt er nichts. Nicht einmal Notburga darf das wissen, dass er ein Halsband getragen hat und an die Leine genommen wurde wie ein Hund.
"Sie werden dich erwischen", brummt Notburga. "Dich und deine ganze Saubande." Sie löffelt den Vinschgerlgatsch. Steht auf, geht zum Herrgottswinkel, kniet nieder zwischen dem heiligen Martin und der heiligen Katharina. Sie faltet die Hände. Lieber Jesus, mach den Max endlich vernünftig. Das übliche Ritual. Aufstehen, seufzen - zurück zum Tisch.
Max sagt, dass er ihr mit dem Geld ein schönes Kleid kaufen wird. Dann muss Notburga nicht mehr mit den abgetragenen Kleiderschürzen herumlaufen. Sie streicht über das festgezurrte graue Haar, eine borstige Strähne hat sich aus dem Knoten gelöst, liegt schief neben der großen Nase, wird wieder ins Gezurrte gezwungen, in den Knoten hineingestopft, mit einer Haarnadel aus braunem Horn an Ort und Stelle gebracht.
"Was brauch ich die Kleider vom Modeschöpfer?", fragt sie. "Glaubst du, dass ich dem Herrgott droben im Himmel dann besser gefalle?" Nein, dem nicht.
Notburga fasst Max am Handgelenk. Er starrt auf die gichtkrummen Finger. Wo sind die Muskeln, die diesen Fingern die Kraft geben? Wie ein Schraubstock umklammern sie sein grobes Gelenk.
"Macht es nicht am Freitag", sagt sie.
"Warum nicht?"
"Wird nicht klappen. Ich spür es in den Knochen. Am Ende werden sie euch schnappen."
Franco sitzt im Kaffeehaus. Er gibt das Geld gern vorher aus. Neben ihm eine Teure. Sie schlürfen Campari-Soda. Max mag die Huren nicht. Ein Mann macht die Frauen glücklich, er muss nicht bezahlen, dass sie mit ihm schlafen. Er muss sie auch nicht flachlegen. Sie legen sich selbst flach.
Die Teure trägt ein Kostüm in Beige. Aus dem engen kurzen Rock wachsen lange, schlanke Beine, zarte Waden. Sie ist jung, höchstens zwanzig. Das Kostüm ist von Max Mara oder Armani. Die Billigen tragen auch Armani. Steht in bunt leuchtender Schrift auf der Brust eines Schlabber-T-Shirts. Die Billigen sind alle krank, die Teuren fast alle. Max sagt, dass er mit Franco reden muss. Die Teure verschwindet.
Franco ist jung, er lässt sich was sagen. Deshalb hat Max ihn ausgesucht. Die Alten, die die vierzig in Freiheit erreicht haben, denken, sie seien schlauer als er. Aber keiner hat seine Erfahrung, keiner bewahrt den Überblick. Sie hören hundert Millionen und ihr Hirn wird zu Matsch, braunweißem Notburga-Vinschgerl-Kaffee-Matsch. Besprechung. Alles noch einmal durchgehen. Abfahrt vom Dorf um zehn Uhr vormittags. Geländewagen, geräumig, mit Allrad. Waffen im Fußraum. Nicht schießen, wenn es nicht notwendig ist.
Um zehn stehen sie vor der Tür, rauchend, angespannt. Sie fahren in ein Waldstück. Max gibt die MPs und die Pistolen aus. Munition in die Taschen. Franco, Fausto und der mit den kurzen Steroid-Beton-Armen und der breiten Nase stecken in engen Jeans und hellen Hemden. Darüber Gilets mit Taschen für die Patronen. Nur Max ist im Flecktarn. Wie es sich gehört. Wir sind im Krieg.
Sie fahren los. Über ihnen ein bleigrauer Himmel, schwere Wolken. Die vergangenen Tage war es unbeständig - zu kühl für die Jahreszeit. Es ist Anfang August, noch nicht Ferragosto. Da erst wechselt das Wetter, stimmt sich auf den Herbst ein. Max sieht nach oben. Am Brenner beginnt es zu nieseln. Die Autos vor ihnen schoppen sich zusammen, sie fahren siebzig, dann sechzig, dann gar nicht mehr. Max schaltet den Scheibenwischer ein. Ist der Brenner eine Wetterscheide? Scheint drüben die Sonne?
Der Brenner ist eine Wetterscheide. Drüben schüttet es. Schwere Geschütze prasseln gegen die Windschutzscheibe. Auf der Europabrücke staut es sich. Anderntags sind welche mit einem Gummiseil in die Tiefe gesprungen. Heute nicht. Franco steht weiter...
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