Schweitzer Fachinformationen
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Wie in den vorigen Kapiteln ausgeführt, wird die eigene Herangehensweise an Klassenführung, an das dortige Verhältnis zwischen Struktur und Beziehung und den sich daraus ergebenden, als sinnvoll und effektiv erachteten Strategien in beachtlichem Maß durch unsere eigenen (oft impliziten14) Vorstellungen und Grundüberzeugungen hinsichtlich Schüler*innendisziplin beeinflusst. Es erscheint daher sinnvoll, sich in der Entwicklung des eigenen Weges der beziehungsorientierten Klassenführung mit den eigenen Grundhaltungen gegenüber Disziplin, der Rolle von Schüler*innen und Lehrperson bei deren Herstellung und Aufrechterhaltung und der Rolle von Schule und Unterricht im Allgemeinen auseinanderzusetzen und diese zu reflektieren. Anhand des in Kapitel 2 ( Kap. 2) vorgestellten Modells von Johnson, Whitington und Oswald (1994) kann man sich etwa die in Tabelle 3 ( Tab. 3) skizzierten Fragen stellen und stichwortartig festhalten, wie man den genannten Aspekten derzeit gegenübersteht:
Tab. 3: Exploration der eigenen Grundhaltungen zu Klassenführung, Disziplin und dem Lehrer-Schüler-Verhältnis
Nach Beantwortung dieser Fragen kann Tabelle 1 ( Tab. 1) wieder zur Hand genommen werden und versucht werden, die eigene Position den von Johnson et al. (1994) genannten Grundorientierungen zuzuordnen und deren Einordnung zu reflektieren. In einem zweiten Schritt kann versucht werden, mögliche Stärken und Probleme der eigenen Überzeugungen zu identifizieren: Wo ist meine Haltung nützlich, wo stößt sie vielleicht an Grenzen oder kann Probleme verursachen? Inwiefern ist meine Haltung kompatibel mit dem System, in dem ich arbeite - lassen sich mögliche Reibungspunkte durch unterschiedliche Ansprüche erklären? Entsprechen meine Antworten meinem »Idealbild« von mir als Lehrperson - wo möchte ich hin? Welche Auswirkungen haben meine Überzeugungen möglicherweise auf meine Beziehung zu meinen Schüler*innen und meine Klassenführung? Wo möchte ich/kann ich etwas verändern?
Solche und ähnliche Fragen können helfen, die eigene Grundhaltung besser kennenzulernen, deren Stärken und Schwächen bewusst zu machen und den Rahmen, innerhalb dessen man sich mit seinen Bemühungen hinsichtlich Klassenführung und Beziehungsgestaltung bewegt, deutlicher zu sehen, Handlungsspielräume wahrzunehmen und Einschränkungen bewusst(er) akzeptieren zu können. Zudem wird vielleicht verständlich, warum bisher bestimmte Strategien in der Umsetzung vorherrschend waren. In jedem Fall wird die Disziplinfrage bei der Klassenführung jeder Lehrperson immer eine Rolle spielen (vgl. auch Emmer & Sabornie, 2015), sodass die Kenntnis der eigenen »Ausgangsbedingungen« gegenüber den beiden Grunddimensionen Strukturgebung und Beziehungsgestaltung unabdingbar ist. Für weitere Anregungen rund um das Thema Disziplin und Autorität in der Schule seien neben der Originalquelle von Johnson, Whitington und Oswald (1994) beispielhaft noch die Werke von Ruedi (2013) und natürlich jene von Haim Omer und Kolleg*innen (2013, 2016) zur Erkundung und Vertiefung beziehungsorientierter Konzepte von Disziplin und Autorität genannt.
Nachdem in Kapitel 2 ( Kap. 2) einige theoretische und empirische Erkenntnisse zur Bedeutung von Beziehung im Unterricht vorgestellt und deren Grunddimensionen erläutert wurden, sollen diese nunmehr praktische Anwendung finden: was macht eine Beziehung tragfähig, wie können solche Beziehungen zu Schüler*innen der Sekundarstufe aufgebaut und erhalten werden, und was tun, wenn die Beziehung einen »Knacks« erfahren hat, etwa weil in einer Konfliktsituation nicht ideal reagiert wurde?
In der Beantwortung dieser Fragen macht es zunächst Sinn, sich die Grunddimensionen der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung nach Cornelius-White (2007) wieder ins Gedächtnis zu rufen. Aufbauend auf bindungstheoretischen Erkenntnissen und der personenzentrierten Grundhaltung in Gespräch und Beratung nach Carl Rogers sind dies:
Die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in andere einzufühlen, deren Perspektive zu verstehen und nachzuvollziehen, auch wenn sie sich von der eigenen unterscheidet, und den Interaktionspartner zum Zentrum der eigenen, wohlwollenden Aufmerksamkeit zu machen, gilt unbestritten als ein Grundpfeiler beziehungsfördernden Verhaltens. Im Zusammenhang mit der Klassenführung und einer konstruktiven Lernumgebung kann das bedeuten, dass die Lehrperson den Schüler*innen Verständnis entgegenbringt, wenn etwa die Aufgabenlast als zu groß oder Lerninhalte als langweilig, nicht persönlich relevant o. ä. angesehen werden, oder andere Themen die Aufmerksamkeit überlagern (weil etwa um das verstorbene Haustier getrauert wird oder es gerade einen Streit mit der besten Freundin gegeben hat). Im Gespräch kann dieses Verständnis in Worte gefasst werden und die damit zusammenhängenden Gefühle benannt werden. Voraussetzung zu tatsächlichem Verständnis ist hier das aktive Zuhören, wie die Schüler*innen die Situation tatsächlich wahrnehmen, da für das Gegenüber ganz andere Elemente zentral sein können, als wir Lehrpersonen das vermuten (so ist vielleicht der Ärger über den platten Reifen am Fahrrad vordergründig wahrnehmbar, doch der/die Schüler*in macht sich vielleicht viel mehr Sorgen darüber, wie er/sie nun nach Hause kommen oder das kleine Geschwister rechtzeitig von der Schule abholen soll). Wenn es uns gelingt, solche Anliegen für das Gegenüber stimmig zu erfassen und die damit verbundenen Gefühle nachzuvollziehen, kann gemeinsam ein Weg nach vorne gefunden werden. Ganz bewusst wird hier nicht vom Finden »der Lösung« gesprochen (im Unterrichtssetting können wir das aus verschiedensten Gründen gar nicht ad hoc leisten), doch kann auch alleine schon das Benennen des Problems, der damit verbundenen Gefühle und die Anerkennung der »Problemwertigkeit« große Entlastung bewirken, gleichzeitig wird die Beziehungsebene dadurch gestärkt und Wertschätzung vermittelt. Im Sinne der beziehungsorientierten Klassenführung wissen wir jedoch auch um die Wichtigkeit der zweiten Grunddimension, der Strukturierung, und können diese bewusst einsetzen, um Unterricht auch in emotional belasteten Situationen möglich zu machen und vom emotionalen Erleben zur kognitiven Aktivierung zurückzukehren. Je nach Situation wird eine solche Strukturierung unterschiedlich aussehen, von der gemeinsamen Entscheidung, den fehlenden Reiz des Lernstoffs für heute anzuerkennen und dennoch weiterzumachen verbunden mit der Perspektive, in den Folgestunden gemeinsam andere Schwerpunkte zu setzen, über die gemeinsame Erarbeitung von Strategien zur Bewältigung hoher Aufgabenlast, hin zu Vereinbarungen mit einzelnen Schüler*innen, wie der Tag/die Unterrichtsstunde heute trotzdem bewältigt werden kann und welche Schritte dafür z. B. in der Pause gesetzt werden können, um die Unterrichtszeit dennoch produktiv nutzen zu können. Im Unterrichtskontext mag dies auf den ersten Blick zeitaufwändig und unrentabel erscheinen, in der Praxis dauern solche Gespräche aber oft nur wenige Minuten und lindern eine emotionale Last, die dem kognitiven Arbeiten ansonsten die gesamte Unterrichtsstunde und darüber hinaus im Weg stehen würde - ganz abgesehen von der beziehungsstärkenden Wirkung eines solchen Austauschs und weiteren anderen längerfristigen Stärken, wie etwa die Modellierung effektiver Problemlösung und wertschätzender Interaktionen durch die Lehrperson (vgl. auch Wubbels, 2011).
Bei dieser Dimension geht es darum, das Gegenüber so zu akzeptieren und anzunehmen, wie er/sie in diesem Moment ist und ihm/ihr (sowie seiner/ihrer Sichtweise der Situation etc.) Wert zuzuschreiben und dies zu signalisieren. In der Interaktion zeigt sich dies durch nicht wertendes, den Anderen respektierendes, positiv-zugewandtes verbales und nonverbales Auftreten. Was in der Theorie einfach klingt und viel intuitive Zustimmung auslöst, ist in unterrichtlichen Interaktionen dann doch oft schwer umzusetzen - bei der gefühlt 50. Störaktion eines betreffenden Schülers immer noch wertschätzend zu bleiben, wird selbst der erfahrensten und wohlwollendsten Lehrperson schwerfallen. Doch lässt sich anhand dieser Dimension die Trennung in Sach- und Personenebene, die in der beziehungsorientierten Klassenführung ebenfalls als Grundvoraussetzung für deren Gelingen gesehen wird, sehr gut...
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