Schweitzer Fachinformationen
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Ich saß an der Theke der Brasserie, neben mir Jeff, der unaufhörlich schwafelte. Er habe einen grünen Daumen, hatte er gesagt, und mir seine Hilfe bei der Anlage des Gartens angeboten. Seit drei Tagen wohnte er nun bei mir in meinem neuen Häuschen in Wasserbillig. Ob er krankfeierte oder Urlaub genommen hatte, wusste ich nicht. Es war mir auch egal. Er war so etwas wie ein Freund. Jedenfalls kannten wir uns seit Jahren, und wenn das Geschäft brummte, half er mir bei meinen Ermittlungen, übernahm die ein oder andere Beschattung oder Recherche im Internet oder in Archiven - Dinge, die ihn nicht in Gefahr bringen konnten.
Trotzdem, auch Freunde können anstrengen, und ich bereute schon, seine Hilfe angenommen zu haben. Ein Landschaftsbauer wäre auch nicht viel teurer gewesen. Der Spargeltarzan fraß und soff mir die Haare vom Kopf, abends verlangte er nach Unterhaltung, wollte einen trinken gehen. Die Zeche durfte ich zahlen. Jeff war chronisch blank. Er war ein Meister im Geldausgeben. Obwohl er kein Instrument beherrschte, hatte er sich eine Gitarre gekauft, eine Gretsch Stills White Falcon. Dreitausend Euro! Eine Investition, wie er meinte, ein Sammlerstück, das ganz bestimmt im Wert steige. So wie manch einer eben auf Oldtimer mache. Es war schon Mitternacht, und langsam leerte sich das Lokal. Ich bestellte zwei Hennessy.
»Was ich ja wirklich nicht verstehe, Castor, da spielt Martin Barre über vierzig Jahre bei Jethro Tull, der Sound seiner Gitarre gehört zu der Band genauso wie die Querflöte, und dann? Dann lässt Ian Anderson ihn einfach außen vor bei der neuen Thick as a Brick. Verstehst du das?«
»Nein«, antwortete ich einsilbig und merkte, dass der Cognac mir nicht gut tat. Seit Wochen meldete sich mein Magen zu Wort, dieses unangenehme Gefühl in der Magengrube, das der unkundige Kranke gerne mit einem starken Hungergefühl verwechselt. Nahrungszufuhr beruhigte den Magen tatsächlich, wahrscheinlich, weil die Säure endlich einen anderen Stoff als die Magenwand zersetzen konnte.
»Also, ich meine, Ian Anderson ist genial. Stimmt doch? Aber wie er mit seinen Musikern umgeht, finde ich ätzend. Er wechselt sie aus wie Glühbirnen. Denk nur mal an Clive Bunker. Oder Jeffrey Hammond-Hammond. Findest du das richtig?«
»Nein.«
»Also ich auch nicht, Castor. Der Neil ist da anders. Auch nicht einfach, aber guck mal, wie der die Jungs von Crazy Horse immer wieder einbezieht. Das ist Größe, sage ich dir. Das finde ich menschlich echt gut. Prost!«
»Prost.«
»Treue ist wichtig. Gemeinsam durch dick und dünn gehen .«
»Könntest du bitte mal aufhören zu sabbeln, Jeff?«, unterbrach ich ihn.
Jeff reagierte schockiert. Er wurde knallrot und starrte mich mit offenem Mund an. Dann trank er sein Glas leer, stand auf, warf einen Zwanziger auf die Theke und verließ grußlos die Kneipe.
Ich schüttelte nur den Kopf.
»Ist Ihr Freund beleidigt?«, fragte mich der Barkeeper.
»Er hat seine Tage. Geben Sie mir noch einen Bordeaux und gleich die Rechnung.«
Wie angefressen Jeff war, sollte ich spätestens nach Rückkehr in meine neue Bleibe herausfinden. Was mich geritten hatte, ein Häuschen an der Sauer, kurz vor der Mündung zur Mosel, zu kaufen und Berlin den Rücken zu kehren, erschloss sich mir an diesem milden Sommerabend am heiligen Sonntag nicht. Zudem knabberte ich an der finanziellen Doppelbelastung, da ich meine Büroräume an der Spree erst gekündigt hatte, als das Haus mehr oder weniger bezugsfertig war. Einen Vorteil hatte die unfreiwillige Dependance meiner Detektei. Meine Sekretärin Nathalie musste nicht von heute auf morgen die Zelte an der Spree abbrechen, arbeitete dank moderner Kommunikationstechnologie aus der Ferne für mich und konnte immer noch die Option Kündigung ziehen. Wenn es ihr half, war ich bereit, ihr zu kündigen, damit sie mögliche Lohnersatzleistungen ohne Nachteile beziehen konnte. Sie war clever. Und hübsch. Sehr hübsch. Einen neuen Arbeitgeber würde sie sofort finden. Es sei denn, er hatte eine eifersüchtige Ehefrau.
Meinen Wagen hatte ich in der Näher der Porta Nigra geparkt. Ein kleiner Spaziergang sollte mir guttun. Außerdem hatte ich im Radio gehört, dass die Polizei am Wochenende vermehrt Alkoholkontrollen durchführen wollte, in einer Weingegend ein unverschämtes, aber einträgliches Unterfangen. Sollte ich ein Taxi nehmen? Ob Jeff eines aufgetrieben hatte? Unter der Römerbrücke würde er bestimmt nicht schlafen. Ich zündete eine Zigarette an und spürte gleichzeitig wieder diesen unangenehmen Druck in der Magengegend. Ich rieb meinen Bauch, in der Hoffnung, dass die Wärme den Magen beruhigen würde.
»Ey«, hörte ich auf einmal einen Mann rufen. »Ey . du . warte . mal .« Es war das geschriene Lallen eines Betrunkenen.
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich drehte mich um und sah einen Anfang Dreißigjährigen, der auf mich zu torkelte.
»Hey . warte . bleib mal stehen . Mann.«
Ich blieb stehen. Kein Penner. Abgesehen von seiner unerträglichen Fahne und den leicht zerzausten Haaren, wirkte er sehr gepflegt. Sehr schöne, dunkelbraune Lederschuhe im Budapester Stil, schwarzer, modischer Anzug, weißes Hemd. Erst als er direkt vor mir stand, konnte ich erkennen, dass sein Hemd unschöne Spuren von Erbrochenem aufwies.
»Äh . Taxi .«
»Ich bin kein Taxi, Kumpel, sorry.«
Er senkte den Kopf und lachte. »Hat mich . rausgeschmissen. So'n Arschloch .« Er fing an zu würgen. Der Kerl war voll wie eine Strandhaubitze. Vermutlich hatte er ins Taxi gekotzt, woraufhin ihn der Fahrer unsanft aus dem Wagen geschmissen hatte. »Fahr . fahr . mich nach Haus . okay . ich zahle .«
Ich war genervt. »Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Mach dich vom Acker. Auch Trinken will gelernt sein.« Ich drehte mich um, wollte weitergehen.
Aber er ließ nicht locker, hielt mich am Arm fest, brachte nur noch ein weiteres »Ey« raus, bevor sich sein Magen zum wiederholten Mal in einem Schwall entleerte und meine Schuhe in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das reichte. Mit der freien Hand verpasste ich ihm eine Backpfeife. Er strauchelte, stürzte auf das harte Pflaster am Hauptmarkt und blieb liegen. Der Kerl gab mir den Rest. Auch wenn ich keinerlei Schuldgefühle ihm gegenüber verspürte, wollte ich doch sicher gehen, dass er nicht an seiner widerspenstigen Restnahrung erstickte, und brachte ihn in eine stabile Seitenlage. Er blutete leicht am Hinterkopf. Selbst schuld. Ich ging weiter, irgendeiner würde ihn schon aufgabeln.
Etwa zwanzig Minuten später plagte mich das schlechte Gewissen. Ich saß auf einer Bank am Zurlaubener Ufer und ließ meine Blicke über die ruhige Mosel schweifen. Das schwarze Wasser war beruhigend. Ich bildete mir ein, dass sich mein Alkoholspiegel nach einer guten Stunde so weit reguliert hatte, dass ich wieder ins Auto steigen könnte. Ich kramte in der Hosentasche nach meinem Handy und rief den Notruf an.
»Auf dem Hauptmarkt liegt ein Mann, der ärztliche Versorgung benötigt. Ein Besoffener, der dort wahrscheinlich eingeschlafen ist.«
»Vielen Dank für den Hinweis«, antwortete eine höfliche Stimme am anderen Ende. »Wir schicken einen Krankenwagen. Könnten Sie mir bitte noch Ihren Namen nennen?«
»Der tut nichts zur Sache. Also, wie gesagt, am Hauptmarkt. Dort liegt ein Mann auf dem Boden. Schönen Abend.« Dann legte ich auf.
Werbung in meinem Metier war wichtig, negative Schlagzeilen dagegen so unnötig wie ein Kropf. Ich sah schon die Meldung im Lokalteil: Betrunkener Detektiv schlägt anderen Trunkenbold zu Boden. Nicht mit mir! Meine Rufnummer wurde unterdrückt, die Leitstelle der Feuerwehr würde meinen Anruf nicht zurückverfolgen können. Die Begegnung mit dem speienden Kotzbrocken sollte eine ephemere Randnotiz einer unbefriedigenden Nacht bleiben und sich nicht in meinem Langzeitgedächtnis festsetzen.
Sollte.
Jeff zog doch tatsächlich die Konsequenzen. Zwar hatte er mangels Alternativen wie in den Tagen zuvor auf dem Sofa im Wohnzimmer meines Hauses geschlafen, doch noch in der Nacht seine Reisetasche gepackt. Die Sonne, deren Strahlen sich fröhlich durch das Dachfenster in mein Schlafgemach mogelten, hatte mich früh wachgeküsst. Nicht den Anschein eines verkaterten Schädels, und so freute ich mich auf die erste Zigarette am Morgen, die ich genüsslich am offenen Fenster rauchte. Pinkeln und Kaffee aufsetzen. Ein sich seit Jahrzehnten wiederholendes Ritual, egal an welchem Ort ich mich aufhielt. Kippe, Klo, Kaffee, meine heilige Dreifaltigkeit der täglichen Ks. Das Röcheln der Kaffeemaschine weckte Jeff...
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