Schweitzer Fachinformationen
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Johanssons Angebot steckte am Mittwoch im Briefkasten. Nun, das erfüllte ja auch auf gewisse Weise seine Ankündigung, er werde es »bis Freitag« schicken, es war halt nur ein anderer Freitag, als ich angenommen hatte. Vielleicht war ich einfach nur kleinlich?
Egal. Nachdem er und ich daraufhin noch ein längeres Telefonat über diverse Positionen, insbesondere über deren Notwendigkeit (zum Beispiel den Austausch von meiner Ansicht nach noch vollkommen intakten Fenstern), Umfang und Preis, geführt hatten, einigten wir uns schließlich, und ich erteilte ihm den Renovierungsauftrag für mein Haus.
Am Montagmorgen der darauffolgenden Woche fuhr sein Lieferwagen vor und parkte neben Lasse, wie ich meinen alten, aber treuen VW-Bus getauft hatte. Johansson und drei weitere Gestalten entstiegen dem Firmengefährt. Als Erstes hüpfte ein sehr kleiner Mann in meinem Alter aus dem Auto, der sofort mit Kusshand eine Rolle als Hobbit in jedem x-beliebigen Fantasyfilm bekommen hätte. Mustafa wirkte wieselflink, hatte auffällig blitzende Äuglein und riesige, behaarte Hände. Aufgrund seiner Physiognomie schätzte ich ihn als Profi für Erd- und Untertagearbeiten ein.
Ihm folgte ein baumlanger, schlaksiger Kerl, der aussah wie ein Weberknecht mit Arbeitsstiefeln und wahrscheinlich mit Vorliebe für Dach- und andere Reparaturen in schwindelerregender Höhe eingesetzt wurde, weil er sicher auch ohne Leiter die glattesten Wände emporklettern und sich im Falle eines Sturzes an einem dünnen Faden abseilen konnte. Er stellte sich als Gunnar vor.
Der dritte Kollege stellte sich gar nicht vor. Von Johansson erfuhr ich, dass er Kjell hieß. Ein junger Typ, der offensichtlich nicht fürs Dachdecken eingesetzt wurde, weil jede Leitersprosse geborsten wäre, sobald er sie erklommen hätte. Er war fast so groß wie Gunnar, aber wog bestimmt das Doppelte. Kjells Steckenpferd schien Kaloriensammeln zu sein. Das würde auch erklären, warum er nicht gegrüßt hatte. Selbst das verbrennt ja Energie!
Kjell jedenfalls machte sich wortlos ans Werk und entfernte alten Lack an Fenstern und der Holzfassade. Johansson schnappte sich die anderen beiden und begann, mit ihnen mein Haus von innen in Augenschein zu nehmen. Sie unterrichteten mich kurz darauf, dass man sich vom Badezimmer aus über die Küche und dann durch die anderen vier Zimmer durcharbeiten wolle.
Am Donnerstag war der Fassadenlack komplett abgeschliffen, Küche und Bad waren ausgebaut und teilentsorgt, und im Wohnzimmer war der Fußboden herausgerissen. In allen Räumen hatte man die Tapeten abgekratzt. Der ganze Abraum befand sich vor dem Haus in zwei großen Containern, während die Dinge, die wiederverwendet werden sollten, im Holzschuppen lagerten.
Es war bis jetzt super vorangegangen, und ich freute mich schon auf den nächsten Tag, an dem, so hatte es Johansson fest und mit treuem Blick versprochen, nach dem partiellen Entkernen meines Häuschens mit den eigentlichen Renovierungsarbeiten begonnen werden sollte.
Am Freitag jedoch kam keiner mehr. Nun, das stimmte nicht ganz, der Postbote kam schon, nur die vier Handwerker-Daltons der Firma Johansson byggtjänst AB blieben verschwunden. Dafür schaute gegen Mittag ein Außendienstmitarbeiterpärchen der Zeugen Jehovas mit Heil bringenden Versprechungen vorbei. Ich konnte den beiden farblos gekleideten Frauen allerdings klarmachen, dass ich ihre Ansichten zwar ganz toll fand und prinzipiell auch Interesse hätte, das Jüngste Gericht im Himmel als einer der wenigen Auserwählten zu überstehen, aber anderen, die es nötiger hatten als ich, gern den Vortritt ließe und dafür ganz uneigennützig die etwaige Unsterblichkeit meiner Seele zu riskieren bereit sei. In diesem Sinne gab ich ihnen die Adresse von Herrn Johansson und behauptete, dieser habe großen Kummer und stehe eventuell vor einem Suizid, was ja eine Megasünde sei. Mit diesem Hinweis in der Tasche und dem Vakttornet, der schwedischen Ausgabe des Wachtturms, in der Hand verließen die beiden Frauen mein Grundstück und zogen von dannen - direkt zu Herrn Johansson, hoffte ich.
Nachdem ich mein Frühstück gegen neun Uhr auf zwei Bierkisten und am Tapeziertisch eingenommen hatte, rief ich mehrmals in Johanssons Firma an. Fehlanzeige. Ich hinterließ eine Nachricht und versuchte es auf seinem Handy. Es klingelte fünfmal, dann meldete sich auch hier der Anrufbeantworter. Ich wiederholte meine Bitte um Rückruf und Aufklärung und ging ratlos und entnervt zurück in die Küche, die inzwischen zu einem unmöblierten, bodenbelaglosen Raum mit vielen Rohren, Leitungen und vor allem viel Staub und Dreck mutiert war.
»Na prima!«, sagte ich zu mir selbst und schaltete das mit Farbflecken übersäte Handwerkerradio an, das Johansson und Konsorten mitgebracht hatten. Blechern ertönte der alte ABBA-Gassenhauer Mamma mia! - fraglos ein gut komponiertes Musikstück, doch reflektierte es in diesem Moment nicht annähernd mein inneres Bedürfnis, Handwerker mit Dachlatten zu vermöbeln oder ihnen bündelweise den Vakttornet an den Kopf zu schmeißen. Ich suchte einen anderen Sender und blieb bei American Idiot der Punkrockband Green Day hängen. Prima! Das passte erheblich besser, auch wenn Johansson Schwede war.
Ich drehte so laut, bis der Song vor Gekrächze kaum noch zu erkennen war, dann setzte ich mich zusammen mit etwas Wut und geringfügiger Resignation auf meinen Bauherrenthron aus zwei aufeinandergestapelten Bierkästen der Marke Norrlands Guld, nachdem ich mir eine Flasche herausgezogen und sie geöffnet hatte. Ich trank einige tiefe Züge, wischte mir mit dem Handrücken über den Mund und ärgerte mich. Ich Trottel hatte das Bier gestern noch in aller Eile vor Ladenschluss eigens für die Herren Handwerker besorgt und sogar an zwei Flaschen Cola für Mustafa gedacht - für den Fall, dass er streng gläubig sein sollte. Aktuell erschien es mir als durchaus akzeptable Lösung, einen Großteil der Flaschen sofort und selbst auszutrinken und den Rest wegzuschütten, damit die blöden Daltons nichts mehr davon hatten. Netter Nebeneffekt: Nach etwa einem halben bis dreiviertel Kasten wäre mir das ganze Chaos hier wahrscheinlich auch egal.
»Hallöchen! Sag mal, was geht'n hier ab, du?«, schrie auf einmal eine männliche Stimme.
Mein Herz machte einen Sprung gegen die Innenseite meiner Brust, und ich blickte auf. Ach, du dickes Ei! Wer oder, besser gesagt, was war das denn?
Das Wesen in der Tür trug ein hüftlanges und anscheinend von traditioneller Hand genähtes Hemd in stechendem Blau, das an den Schultern und allen Säumen mit gelb-roten Bordüren verziert und durch einen handbreiten, ebenfalls mit allerlei Schmuck bestickten Ledergürtel gerafft war, von dem so etwas wie eine Fellhandtasche baumelte. Bei Linda wäre das alles wahrscheinlich ziemlich ansehnlich gewesen und als kurzes und extravagantes Sommerkleid durchgegangen. Bei diesem Typen definitiv nicht. Seine Beine steckten in einer relativ unförmigen grauen Stoffhose, die wiederum in pelzverbrämten Wildlederstiefeln endete. Die Krönung des Ganzen war eine mehr als farbenfrohe Strickmütze, die vom modischen Charakter her zwar bombig zum Hemd, aber absolut nicht zur flaschenbodendicken Hornbrille und dem fisseligen Bart passte.
»Rainer!«, rief ich, als mir klar geworden war, wer mich da mit seinem Reisegepäck in der Hand heimsuchte. Er hingegen sah mich ratlos an und schien meine Worte nicht zu verstehen. Ach ja, Green Day . Ich stellte das plärrende Radio leiser.
»Rainer?«, wiederholte ich. »Du?«
»Genau, ne. Sorry, ne, echt, ne, wollte dich nicht erschrecken, Torsten, aber die Tür stand auf, ne, da hab ich gedacht, ich geh mal rein, ne. Und dann war die Mucke hier so oberstkrass laut.«
»Ich bin fast gestorben vor Schreck. Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst in Lappland?«
Ich erhob mich, ging zu ihm und umarmte ihn. Rainer roch streng, etwa wie ein schweißnasser, ketterauchender Waschbär. Nicht nur deshalb löste ich mich rasch wieder von ihm.
»Mann, Rainer, müsstest du nicht gerade in deinem Intensivsprachkurs sitzen?« Ich machte einen Schritt zurück, um ihn eingehend zu betrachten. »Und überhaupt: Wie siehst du eigentlich aus?«
Rainer lachte und nickte gleichzeitig. »Ja, nee, ich war ja auch in Lappland, ne, aber der Kurs war irgendwie so gar nicht mein Ding, da bin ich früher weg, ne. Wieder zurück mit Bahn und Bus, so ökotechnisch vertretbar eben, ne. Aber die Klamotten hier sind total original. Hab ich auf einem Samenmarkt gekauft. Cool, ne?«
»Ja, es ist irgendwie ziemlich cool, so rumzulaufen, Rainer«, sagte ich, »das würde ich mich nicht trauen. Was ist das?«
»Die traditionelle Bekleidung der Sami, ne. Ultrabequeme Schuhe, eine eins-A-Hose aus Rentierleder und eine modisch zeitlose Tunika, auch gákti genannt, ne. Die ist aus 'nem handgewalkten Wollstoff namens vadmal, Farbmäßig und bedeutungstechnisch ist das so geregelt: Blau ist der Himmel, Gelb die Sonne, Rot das Feuer und Grün die Erde, ne. Total basic und down to earth also.« Als Rainer mein verdattertes Gesicht sah, fügte er hinzu: »Man gewöhnt sich echt dran, ne, auch an die neidischen Blicke der anderen. Nee, echt, super Klamotten. Total bequem und echt integrativ. Das hat sonst keiner bei uns. Die Leute an der Uni in Frankfurt werden Augen machen, wenn mein Urlaubssemester vorbei ist, ne.«
»Davon bin ich absolut überzeugt«, pflichtete ich ihm bei. »Wahrscheinlich darfst du diese Montur dann auch noch ganz anderen Fachleuten vorführen.«
»Meinste?« Rainer setzte die...
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