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Gummi, aus dem Reifen oder Schuhe hergestellt werden, ist keineswegs ein Produkt der Neuzeit. In Mittelamerika konnten die Olmeken1) schon vor den Mayas den Milchsaft des Gummibaums Hevea brasiliensis2) zu einer elastischen Masse formen. Den Milchsaft, der nach indianischen Worten cao (Baum) und ochu (Träne oder fließen) als Kautschuk3) bezeichnet wird, erhielten die Olmeken durch Anritzen der Baumrinde - eine Technik, die noch heute angewendet wird. Dieser Kautschuk besteht aus einem heterogenen Gemisch kleiner Polymerpartikel in Wasser, die nach Eintrocknen eine feste Masse ergeben. Dieses wasserundurchlässige Material wurde schon durch die Olmeken zum Imprägnieren der Kleidung und des Schuhwerks verwendet. Weiterhin konnten sie den Milchsaft durch Pflanzenenzyme und Hitze zu festen aber elastischen "Gummi"-Bällen formen, die nach der Eroberung Amerikas als Kuriosität nach Europa gelangten [1].
In der westlichen Welt wurde Kautschuk zuerst als reiner Nässeschutz z. B. zur Abdichtung von Regenkleidung verwendet. Der Tragekomfort dieser Mäntel muss eher schlecht als recht gewesen sein, im Sommer war das Material klebrig-weich, während es im Winter hart und brüchig wurde - trotzdem war deren Verwendung so allgegenwärtig, dass der Name des Herstellers im britischen Englisch noch heute als Synonym für einen leichten Regenmantel verwendet wird.4) Im großen Maßstab wurde Kautschuk erst nach der Erfindung der Vulkanisation mit Schwefel verwendet. In diesem von Hayward erstmalig beschriebenen [2] und Goodyear im Jahre 1844 verbesserten Verfahren [3] wird der Kautschuk durch Erhitzen in Gegenwart von Schwefel in ein elastisches, nicht klebriges, gummiartiges Material umgewandelt, das heute noch als Naturkautschuk (NR, im Deutschen meist Gummi, engl. "natural rubber") bezeichnet wird.
Auch wenn für Goodyear das Patent kommerziell kein Erfolg war (er starb 1860 verarmt), 5) war der Bedarf an Gummiwaren immens - als Regenschutz, für Reifen und Schläuche oder für mechanische Dämpfer. Dies schlägt sich noch heute in der angelsächsischen Sprache nieder: Im britischen Englisch bedeutet "rubber" neben Radiergummi auch Galosche (Überschuhe aus Gummi zum Schutz des eigentlichen Schuhwerks), während im Amerikanischen "rubber" meist ein Kondom bezeichnet.
In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts setzte ein regelrechter Kautschukboom ein, von dem das brasilianische Amazonasgebiet besonders stark profitierte. Das für 700 Zuhörer ausgelegte und im Stile der Renaissance erbaute Opernhaus der Stadt Manaus lässt heute noch erahnen, welche Einnahmen sich aus dem Handel mit Kautschuk ergeben haben. Um die führende Marktposition für Kautschuk zu halten, stellte der brasilianische Staat die Ausfuhr der Helvea-brasiliensis-Pflanzen unter Strafe, was allerdings den Briten Henry Wickham im Jahre 1876 nicht davon abhielt, etwa 7000 Samen (manche Quellen sprechen sogar von 70 000) [4] nach Europa zu bringen. Von diesen keimten etwa 2800 in England und knapp 2000 junge Setzlinge konnten schließlich in Südostasien (Ceylon, Malaysia, Singapur, Indien und Java) verpflanzt werden und bilden die Grundlage der noch heute dort ansässigen Kautschukindustrie [1, 5].6)
Parallel zur Verwendung vulkanisierten NR begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Suche nach einem Ersatz für Materialien tierischen Ursprungs wie z. B. Schellack oder Elfenbein. Grund hierfür war ein Aufstreben des Bürgertums mit einem erhöhten Bedarf an Luxusgütern, die bis dahin ausschließlich aus diesen Materialien gefertigt wurden. Auf der Suche nach "künstlichen" Imitaten gelang es mit der Herstellung von Zelluloid, die Eigenschaften von Schildpatt und Perlmutt nachzuahmen. Da die zur Herstellung benötigten Ausgangsstoffe (Cellulose, Salpetersäure und Campher als Weichmacher) leicht zugänglich waren und Zelluloid durch Wärme leicht verformbar ist, stand einer preiswerten, teilsynthetischen Kunststoffproduktion nichts im Wege.7) Mit Bakelit wurde ab 1910 der erste vollsynthetische Kunststoff aus Phenol und Formaldehyd produziert. Bakelit verändert trotz Wärme seine Form nicht und wird wegen seiner Widerstandsfähigkeit gegenüber mechanischen und chemischen Einwirkungen noch heute hergestellt [6].
Dem Deutschen Reich fehlte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Zugang zu natürlichen Kautschukressourcen, sodass intensiv nach einem Weg gesucht wurde, ein dem NR ebenbürtiges Material synthetisch herzustellen. Diese Forschungen basierten zuerst mehr auf Versuch und Irrtum, da zunächst angenommen wurde, Kautschuk bestehe aus einer Zusammenrottung (Agglomerat) vieler einzelner kleiner Moleküle. Die Vorstellung, dass ein sehr großes, aus vielen verknüpften Einheiten aufgebautes Riesenmolekül (Makromolekül) vorliegen könnte, widersprach der herrschenden Meinung und wurde erst durch die Arbeiten von Staudinger allgemein akzeptiert [7, 8]. Dies erleichterte zwar die systematische Suche nach Synthesestrategien, welche die Herstellung von Synthesekautschuken (Isopren-Rubber, IR) aus Erdöl oder Kohle erlaubten, doch auch diese Versuche waren lange Zeit nicht erfolgreich.
Erst die Reaktion eines Gemischs aus Butadien und Styrol in Gegenwart von Natrium führte zu einem Material, das in seinen Eigenschaften dem Naturkautschuk vergleichbar war.8) Unter der Bezeichnung Buna-S (Butadien - Natrium - Styrol) wurde das Material weiterentwickelt und bereits 1936 übertraf die Laufleistung eines Buna-S-Reifens die eines aus NR. Auch viele Kunststoffe wie Styropor, Plexiglas, Neopren, Nylon oder Teflon, deren ursprüngliche Handelsnamen meist mit dem Material gleichgesetzt werden, wurden in dieser Zeit entwickelt.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs in Europa befanden sich die USA in der misslichen Lage, von sämtlichen Gummiquellen abgeschnitten zu sein. Etwa 90 % des NR wurden im japanischen Einflussgebiet gewonnen; der IR fast ausschließlich in Europa produziert. In einem Memorandum an Präsident Roosevelt beschrieben die Mitglieder des "Rubber Committee", dass sowohl das Militär als auch die Zivilgesellschaft zusammenbrechen werde, wenn nicht möglichst kurzfristig neue Quellen an Kautschuk aufgetan werden könnten.9) Kautschuk wurde damit zu einem strategischen Material und ein nationales Forschungsprogramm zu dessen Synthese gestartet. Dieses Programm war so erfolgreich, dass nach Kriegseintritt der USA der Wegfall beider Quellen durch die Produktion des sogenannten Government Rubbers ausgeglichen werden konnte [9-11]. Auch die ersten Anwendungen von Nylon und Teflon während des Zweiten Weltkriegs waren rein militärischer Natur: Die Nylonfaser ersetze die Naturseide bei der Produktion von Fallschirmen und Teflon war das einzige Material, das widerstandsfähig genug war, um bei der Anreicherung von Uran als Beschichtung für Rohrleitungen verwendet zu werden.
Ein weiterer Meilenstein gelang Ziegler im Jahre 1953 mit der Herstellung von kristallinem Polyethylen durch Niederdrucksynthese. Während die Polymerisation von Ethylen unter Drücken von bis zu 2800 hPa (also dem 2800-fachen des Atmosphärendrucks!) zu einem amorphen Material führt, ergibt die Umsetzung des gleichen Monomers bei Normaldruck ein Polymer mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften.10) Besteht amorphes Polyethylen (PE) aus Makromolekülen mit Seitenketten, führt die Synthese bei Normaldruck zu weitgehend unverzweigtem, kristallinem Material - ein Beispiel, wie durch die Struktur der Makromoleküle die physikalischen Eigenschaften des Materials gesteuert werden können [12].
Neben dem Massenmarkt werden heute polymere Materialien häufig maßgeschneidert und in Spezialanwendungen eingesetzt. Neben Luft- und Raumfahrt, wo zum Beispiel hochtemperaturbeständige Kunststoffe verwendet werden, ist die Medizintechnik zu einem der wichtigsten Abnehmer geworden. Neben Implantaten und Medikamenten auf polymerer Basis basieren auch z. B. Babywindeln, Nahtmaterial oder auch Katheter auf Makromolekülen. Bei der Verwendung im menschlichen Körper ist eine lange Lebensdauer - wie die von Polymeren - meist erforderlich, doch führt die Beständigkeit der Materialien zu Herausforderungen in der Entsorgung. Ob diese durch eine verstärkte Einführung biologisch abbaubarer Materialien angegangen werden können, wird sich in der Zukunft herausstellen.
Dämmmaterial, Joghurtbecher, elektrische Gehäuseteile, Einweggeschirr oder Smartcards - all diese unterschiedlichen Dinge bestehen aus dem gleichen Stoff? Alles aus Plastik? Irgendwo ist solch ein Plastikteil mit dem Recyclingcode 6 und dem Kurzzeichen PS versehen. Eine kurze Internet-Recherche, was sich hinter dem Kürzel PS verbergen mag, führt beispielsweise bei Wikipedia zu ungefähr 60 verschiedenen Einträgen [13]. Hinter einem Eintrag verbirgt sich die Bezeichnung (PS) mit der Erklärung, es handelt sich um einen thermoplastischen Kunststoff. Doch was bedeutet Kunststoff? Steckt da mehr dahinter...
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