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Ob nun der Geist als willig und das Fleisch als schwach oder aber das Fleisch als willig und der Geist als schwach betrachtet wird, stets wird zwischen Körper und Geist unterschieden. Dies scheint eine der vielen Selbstverständlichkeiten unseres Sprachgebrauchs zu sein. Die Trennung zwischen beidem ist ja auch jedem unmittelbar einleuchtend, der sich geistig schon einmal aus einer langweiligen Gesellschaft entfernt hat, obwohl er körperlich anwesend blieb. Doch auch - oder gerade - wenn es unserer alltäglichen Erfahrung entspricht, stellt sich die Frage nach der Beziehung von Geist und Körper, von Leib und Seele, von Idee und Materie. Ganz besonders stellt sie sich natürlich, wenn die Rolle körperlicher und geistiger, ideeller wie materieller Prozesse bei der Entstehung der Verrücktheit untersucht werden soll.
Die Geist-Körper-Frage hat eine lange philosophisch-wissenschaftliche Tradition. Von alters her beschäftigen sich Philosophen (das waren früher einmal auch die Naturwissenschaftler) mit dem Problem, in welchem Verhältnis das Sein der Welt und die Erkenntnis von dieser Welt stehen. Als einer der wichtigsten Denker, der für die Entwicklung unseres heutigen, weitgehend naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes wichtig geworden ist, muss Descartes genannt werden. Er hat eine klare Abgrenzung zwischen dem geistigen und dem materiellen Bereich vorgenommen, die bis heute nicht nur die Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mitbestimmt, sondern auch unsere Alltagsvorstellungen über die Beziehung von Leib und Seele, von den Dingen da draußen in der Welt und unserer Sicht von ihnen.
Descartes teilt die Welt in »res cogitans« und »res extensa«, was so viel heißt wie die denkende und die ausgedehnte Sache oder das denkende und das ausgedehnte Ding7: Geist und Körper. Beides sind für ihn unabhängig voneinander existierende Substanzen, die sich durch ihre Attribute, d. h. ihre Eigenschaften, ihr Wesen, ihre Natur, ausdrücken und aus sich selbst, ohne die Voraussetzung anderer Eigenschaften, begreifbar sind. Als Attribut des Geistes sieht er das Denken bzw. seine Modi des Fühlens, Wollens, Begehrens, Vorstellens, Urteilens (des Bejahens und Verneinens); als Attribut der Körper die Ausdehnung bzw. ihre verschiedenen Erscheinungsweisen wie beispielsweise die Lage, die Gestalt, die Bewegung, die Größe.
Die Grundlage, auf der Descartes' System ruht, ist die Annahme eingeborener Begriffe (idea innatae). Mit ihrer Hilfe lässt sich die Wirklichkeit beschreiben und erklären. Da sie eingeboren sind, brauchen sie nicht hinterfragt zu werden - sie können es auch nicht. Einer dieser Begriffe ist Gott. Andere sind die logischen Grundprinzipien, die Ursache, die Ausdehnung, die Zahl, vor allem aber der Begriff der Substanz (des Dings). Es ist wichtig, diese Idee der eingeborenen Ideen in Erinnerung zu behalten, da sie bei den mit der Verrücktheit verbundenen Abläufen und Phänomenen von entscheidender Bedeutung sind (dies ist auch der Grund, warum hier Descartes so viel Raum gewidmet wird).
Von diesen Voraussetzungen, diesem Ist-Zustand, ausgehend entwirft Descartes sein Modell der menschlichen Erkenntnis. Seine Methode ist der Zweifel. Als wahr erkennt er nur an, was klar und deutlich als Wesen eines Gegenstandes einsichtig ist. Sein Zweifel gilt vor allem den Sinnen. Was sie vorspiegeln, darf nicht als wirklich akzeptiert werden. Lediglich an mir selbst kann ich als zweifelndes Subjekt nicht zweifeln, denn, um zweifeln zu können, muss ich sein. Die Selbstbezüglichkeit meines Denkens gibt mir die Gewissheit zu sein: »Cogito ergo sum«, ich denke, also bin ich.
Ganz nebenbei und unausgesprochen bedeutet dies, dass ich mich als von meinem Sein schließlich doch überzeugter Zweifler mit der res cogitans identifiziere. Mein Körper ist damit als Teil der res extensa von mir getrennt und zu einem außerhalb meiner selbst liegenden Objekt geworden.
Der Substanz des Denkens, in der durch die Selbstgewissheit des Denkenden ein fester Punkt gefunden wurde, stellt Descartes die Substanz der ausgedehnten Dinge gegenüber. Um beide Substanzen miteinander in Verbindung zu bringen und die Gesamtheit der Welt wieder herzustellen, benutzt er Gott. Der hat die Welt als Ganzes geschaffen (das ist für Descartes eine in der Idee Gottes gegebene Wahrheit), deshalb kann an der physikalischen Realität als Tatsache nicht gezweifelt werden. Gott ist vollkommen (wiederum ist dies eine für Descartes mit der Idee Gottes verbundene Selbstverständlichkeit), deshalb kann er nicht böse sein und nicht täuschen. Da er dem Menschen die Vernunft gegeben hat, kann der sich auf die Resultate seines rationalen Denkens auch verlassen. Insofern kann eine schlüssige Beziehung zwischen der gegenständlichen Wirklichkeit und den Ergebnissen rationalen Denkens hergestellt werden.8
Die Argumentation wirkt heute nicht mehr ganz so zwingend, wie sie zu Descartes Zeiten gewirkt haben mag. Besonders die Begründung dafür, dass der Mensch sich auf die Ergebnisse seines rationalen Denkens verlassen kann, nicht aber auf die seiner sinnlichen Wahrnehmung, wo doch beides von Gott gegeben wurde, lässt viele Fragen offen.
Es hat weitreichende Folgen, wenn der Rationalität ein besonderer Rang bei der Erkenntnis der Welt zugebilligt wird. Ihr Wahrheits- und Machtanspruch wurde ursprünglich wie der weltlicher Herrschaft mit ihrem Gottesgnadentum legitimiert. Auch wenn diese Begründung für die Wahrheit rationaler Erkenntnis nicht mehr verwendet wird, so ist doch der Anspruch, die Wahrheit zu erfassen, geblieben. Besonders wichtig ist dabei, dass auch die Außenperspektive der Beobachtung, wie sie Gott als Schöpfer aller Dinge zugebilligt wird, als Grundlage des vernünftigen Denkens vorausgesetzt wird. Das erkennende Subjekt ist nicht von dieser Welt: Es steht außerhalb der Dinge, aus denen die Welt zusammengesetzt ist, es ist von ihnen getrennt und schaut von draußen auf ihre Oberfläche.
Diese Subjekt-Objekt-Spaltung des Descartes'schen Erkenntnismodells geht durch die körperlich-geistige Ganzheit Mensch hindurch. Er kann und muss daher einem von ihm selbst zu unterscheidenden Objekt, genannt Körper, gegenüber und mit ihm in Interaktion treten. Es ist eine Spaltung, in der es durchaus einen Sinn ergibt, gegen die vom Körper ausgehenden Regungen und Wünsche zu kämpfen, ihn zu disziplinieren, zu unterwerfen und zu beherrschen; der Mensch braucht sich bei der täglichen Toilette nicht zu waschen, sondern nur seinen Körper. Diese Trennung zwischen Leib und Seele hat Descartes nicht erfunden; schließlich gibt und gab es die Idee der Seelenwanderung, des Wechsels der Seele von einem Körper in einen anderen, ihres Weiterlebens nach dem Tode und ähnliche Vorstellungen seit Jahrtausenden. Sie bilden die Grundlage vieler großer Weltreligionen. Auch im Christentum, dessen Gott für Descartes' Verbindung zwischen res cogitans und res extensa solch eine wichtige Rolle einnimmt, ist diese Trennung ein wichtiger Bestandteil.
Will man das kartesianische Erkenntnismodell und Weltbild zusammenfassen, so muss zunächst festgestellt werden, dass er von einer Welt ausgeht, die so ist, wie sie ist. Sie ist von Gott geschaffen, wie eine Maschine von einem Ingenieur konstruiert und zusammengebaut. Ihre Bestandteile sind einzelne Dinge, die in ihren Eigenschaften nicht aufeinander zurückzuführen sind. Diese Maschine bewegt sich zwar, ihre Mechanismen sind jedoch statisch und unveränderlich. Die Wechselbeziehungen dieser in ihrem Wesen unabhängig voneinander existierenden Objekte sind durch mechanische Gesetze bestimmt. Ursache und Wirkung sind so miteinander verknüpft, dass die Ursache die Wirkung bestimmt. Der Geist, der nach Erkenntnis strebt, steht dieser Maschine gegenüber. Seine Beobachtungen haben im Prinzip keinen Einfluss auf die beobachteten materiellen Prozesse. Den Regeln der Mechanik in der Welt draußen entsprechen die Regeln der Vernunft drinnen. Die Wahrheit kann nur durch das Befolgen dieser Regeln gefunden werden. Erkenntnis ist, wenn sie gelingt, ein Abbild der Wirklichkeit. Angestrebt wird die Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit dieser Uhrwerk-Welt.
Mit seiner Trennung von res cogitans und res extensa, von Beobachter und beobachtetem Objekt, hat Descartes einen geschickten Schachzug vollzogen. Er hat verhindert, dass irgendwann einmal die res cogitans selbst zum Gegenstand der Erkenntnis gemacht werden könnte. Wenn die Begriffe eingeboren sind und Gott dafür sorgt, dass die Beziehung zwischen ihnen und ihrer Bedeutung angemessen ist, so braucht man sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist nicht mehr zu beschäftigen. Das Problem der Selbstbezüglichkeit der Erkenntnis, der Erkenntnis, die sich selbst zu erkennen sucht und schon manchem Philosophen zu den standesgemäßen grauen Haaren verholfen hat, taucht nicht auf.
Die Trennung zwischen Subjekt und Objekt der Erkenntnis bricht zwangsläufig zusammen, wenn ein Mensch sich selbst beobachtet. Das Unteilbare (Individuum) wird geteilt, wenn nach kartesianischem Muster mit dem eigenen Körper, dem eigenen Erleben, Denken, Fühlen, Verhalten verfahren wird. Stellt man die Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Seele, zwischen Geist und Materie, Idee und Leib, so kann man die Teilung des Individuums in zwei gegeneinander abgegrenzte und unvermittelbar nebeneinander stehende Wirklichkeitsbereiche nicht als gottgegeben und selbstverständlich hinnehmen. Man braucht ein theoretisches Modell, das diese Spaltung überwindet und nicht allein...
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