Schweitzer Fachinformationen
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Es waren zu viele Kurven, und auch zu viele Steigungen und Gefällstrecken, nicht sehr lang, aber steil.
Und da war auch und vor allem das Problem mit den fünfzig Francs, das er, koste es, was es wolle, lösen musste, bevor er in Concarneau eintraf.
Nur: Jules Guérec kam nicht dazu nachzudenken, sich wenigstens fünf Minuten lang auf ein und dieselbe Sache zu konzentrieren. Eine Flut von Überlegungen lenkte ihn ständig ab, während er sich verkrampft und aufs äußerste angespannt gegen seinen Sitz stemmte, die Hände auf dem Lenkrad, den Blick starr nach vorn gerichtet.
Es war das erste Mal, dass er abends fuhr, bei Dunkelheit, und die aufgeblendeten Scheinwerfer des eigenen Autos beängstigten ihn. Schon deshalb, weil sie die Landschaft, die Dinge um ihn herum und sogar die Menschen bis zur Unkenntlichkeit verwandelten. So hatten sie in der letzten Wegbiegung ein Fuhrwerk mit zwei massigen Gäulen samt dem Bauern, der mit der Peitsche in der Hand nebenherging, in ihr fahles Licht getaucht, und dieser alltägliche Anblick hatte plötzlich nahezu dämonische Züge angenommen.
Das Fernlicht seiner Scheinwerfer machte ihm auch deshalb Angst, weil er es ausschalten oder wenigstens abblenden musste, sobald ihm ein anderes Auto begegnete, und er fürchtete, er könnte den Knopf ganz herumdrehen und einen Augenblick lang völliger Finsternis ausgesetzt sein.
Dabei raste zwischen Concarneau und Quimper ein grässlicher Linienbus hin und her, der mindestens ein Auto pro Woche zuschanden fuhr, und Guérec zählte die Minuten, während er sich fragte, ob er die kurvenreiche Strecke schon hinter sich haben würde, ehe er ihm in die Quere kam.
Wie sollte er unter diesen Umständen an die fünfzig Francs denken? Er würde sagen . Er könnte sagen, er habe Freunde auf ein Glas eingeladen, aber seine Schwestern wussten genau, dass man keine fünfzig Francs vertrank, auch nicht zu fünft oder sechst .
Obendrein hatte er vergessen, die schwarze Wolle zu kaufen, um die Françoise ihn gebeten hatte .
Er meinte jeden Augenblick das Getöse des Autobusses zu hören. Er beugte den Kopf vor, als könnte er in dieser Haltung besser sehen, aber in Wirklichkeit nützte das nichts. Was würde passieren, wenn der Motor auf einer Steigung oder an einer abschüssigen Stelle plötzlich aussetzte?
All das war seine eigene Schuld. Er wusste es, und er war nicht gerade stolz darauf. Hatte er sich nicht noch fast eineinhalb Stunden lang in den Straßen herumgetrieben?
Er hatte seine beste Jacke aus blauem Tuch angezogen und sich beim Friseur so gründlich rasieren lassen, dass ihm beim Weggehen noch Reste von Seifenpulver hinter den Ohren hafteten. Er hatte seine Mütze mit dem schwarzen Seidenband aufgesetzt, die Mütze eines Fischereibesitzers.
In Quimper hatte er an der Versammlung seines Verbands teilgenommen, bei der er die Thunfischer von Concarneau vertreten hatte. Sie waren dieses Mal früh dran. Es war erst November, und die Thunfischsaison würde erst Monate später beginnen. Doch es hatte zu viel Verdruss mit den Konservenherstellern gegeben, sodass sie ihre Vorkehrungen trafen und sich Klarheit über die Bedingungen verschafften, die sie stellen wollten, bevor sie die Boote ausrüsteten.
Um drei Uhr war die Versammlung zu Ende gewesen. Jules Guérec hätte vor Einbruch der Dunkelheit nach Concarneau zurückfahren können, aber er wusste genau, dass dies beinahe unmöglich war. Jedes Mal, wenn er nach Quimper kam, war es das gleiche Drama. Ihm war klar, in welche Straße er, koste es, was es wolle, seine Schritte lenken würde, in eine Straße, in der zu jeder beliebigen Tageszeit zwei oder drei Frauen aus Paris flanierten und sich nach den Männern umdrehten.
Auch diesmal hatte es sich wie immer abgespielt! Nie war er mit dem zufrieden, was ihm begegnete. Zehnmal lief er durch die Straße, unschlüssig, ob er sich woanders umsehen sollte, und letzten Endes besann er sich doch darauf, die erste Frau, die er entdeckt hatte, unbeholfen anzusprechen.
Deshalb würde er also eine Erklärung für die fehlenden fünfzig Francs brauchen, wenn seine Schwestern am Abend mit ihm abrechneten!
Zu allem Überfluss begann es zu regnen, und der Autobus tauchte in einer Kurve auf. Er kam an ihm vorbei, ohne ihn zu rammen, aber danach war er noch fahriger, und er hätte es nicht noch einmal machen mögen. Er fuhr durch Rosporden, bog rechts ab, fürchtete sich im Voraus vor der langen Gefällstrecke nach Concarneau hinunter und empfand das Bedürfnis, auf Holz zu klopfen.
Was dann folgte . Ja, wie passierte es eigentlich? Er dachte immer noch an die fünfzig Francs. Er würde behaupten, er habe seinen Mitgliedsbeitrag für den Verband der Fischereibesitzer bezahlt .
Das Auto glitt zur Stadt hinunter, in der die Straßenlaternen wie Lichterketten strahlten. Kurz bevor er zum Quai de l'Aiguillon gelangte, bog er nach links ab, denn er wohnte auf der anderen Seite der Hafenbecken, im Quartier du Bois, und er musste um den Hafen herumfahren.
Flüchtig nahm er die in der Dunkelheit aufragende weiße Anhäufung der Thunfischboote wahr, die Bug an Bug vor Anker lagen, und, gegen den Himmel hin, das Spinnennetz aus Rahen, Wanten und Toppleinen.
Die Straßen waren menschenleer und glänzten nass. Sie waren von kleinen Häusern gesäumt, in denen hier und da ein Fenster erleuchtet war. Pfützen spritzten unter den Rädern auf, und auf der Windschutzscheibe setzten sich Sterne aus Schlamm fest.
Rechts von ihm bewegte sich plötzlich etwas, und, seinem Instinkt folgend, beschleunigte Guérec unwillkürlich. Im Halbdunkel zeichneten sich einen Augenblick lang die Umrisse eines Kindes ab, das Licht der Scheinwerfer erfasste für den Bruchteil einer Sekunde ein Gesicht, und da passierte es auch schon, er prallte gegen etwas Weiches, ihm drehte sich dabei der Magen um, während der Wagen weiterrollte, sich hob, immer noch rollte, und Guérec, vielleicht im Glauben, er bremse, noch mehr beschleunigte.
Es war kein Schrei zu hören gewesen: nichts als dieser Aufprall, dieses Etwas, das umfiel, nur ein Knirschen des Autos, als es darüberfuhr, und Guérec wagte weder sich umzudrehen, noch sich zu rühren; es schnürte ihm die Brust zusammen, seine Knie begannen zu zittern.
Der Junge - denn es war mit Sicherheit ein Junge gewesen, und noch dazu einer, der sich auf dem Heimweg von der Schule befand, seine Tasche unterm Arm trug - war wie ein Hase auf die Straße hinausgeschnellt.
Ob er liegengeblieben war, sich nicht mehr von der Stelle rühren konnte? Guérec wollte nur weg von hier. Er hatte Angst. Ihm war klar, dass er umkehren müsste, aber er konnte es nicht, schon deshalb nicht, weil die Straße für einen ungeübten Fahrer zu schmal war.
Er gelangte in die finsterste Gegend, weit hinter der Biegung, dorthin, wo er gerade ein Boot auf der Werft liegen hatte, und er kam endlich zum Stehen. Dann tastete er sich in eine Seitenstraße hinein, um sein Glück mit dem Rückwärtsgang zu versuchen und den Wagen zu wenden.
Es half alles nichts! Es musste sein . Er würde sagen . Er wusste nicht, was er sagen würde, aber er musste zurückfahren .
Er vergaß, den ersten Gang einzulegen, und wunderte sich, warum der Motor so aufheulte. Er sah die Straße wieder vor sich, bemerkte von weitem, dass die Lichter zahlreicher geworden waren, und im nächsten Moment hatte er die Stelle auch schon erreicht. Fast alle Türen waren jetzt offen, sie sahen aus wie leuchtende Rechtecke. Die Leute, die zu zweit oder zu dritt vor den Eingängen standen, schauten alle in dieselbe Richtung. Vor einem Haus, das sich durch nichts von den anderen unterschied, drängten sich mindestens zehn aufgeregte Menschen, aber es lag nichts mehr auf der Fahrbahn.
Guérec ahnte, ja, er spürte förmlich, dass man den Jungen in das kleine, weißgetünchte Haus hineingetragen hatte; drinnen hörte er eine Frau kreischen, doch er hielt nicht an, sondern fuhr weiter, als ob er nichts gemerkt hätte, gelangte erneut zum Quai de l'Aiguillon und erklomm die Steigung in Richtung Quimper .
Immer wieder wollte er umkehren und der Sache nachgehen, aber dazu war es jetzt zu spät, und er versuchte zu überlegen.
Beim ersten Mal hatte ihn niemand gesehen, weil niemand auf der Straße war, und beim zweiten Mal hatte man wohl nicht auf ihn geachtet, weil ein jeder an den Unfall dachte. Er durfte nicht zu früh nach Hause kommen. Noch besser war es, wenn er sich irgendwo blicken ließ, also fuhr er bis Rosporden und hielt vorm Café de la Gare.
Einige Bauern tranken Schnaps, und er trank auch einen, gleich neben dem Ofen, wobei er vorgab, sich die Hände aufzuwärmen.
»So eine verdammte Straße, mit diesen ganzen Kurven .«, brummelte er vor sich hin, ohne die Leute anzusehen.
»Kommen Sie von Quimper?«
»Ja .«
Das genügte. Ihm fiel sogar das Wort »Alibi« ein, dessen Gebrauch ihm nicht geläufig war, und er empfand eine gewisse Genugtuung darüber. Hingegen hatte er beinahe Angst davor, wieder in sein Auto einzusteigen, Angst vor einer falschen Bewegung, vor einer neuen Katastrophe. Er besaß seinen Führerschein erst seit acht Tagen, und bisher hatte immer eine seiner Schwestern neben ihm gesessen. Auch wenn sie nicht fahren konnten, so flößte ihm ihre Anwesenheit doch Zuversicht ein.
Als er wieder durch die grässliche Straße kam, standen nur noch zwei oder drei Türen offen; dafür lehnten nun zwei Fahrräder an dem bewussten Haus, die Fahrräder von Polizisten oder Gendarmen. Er fuhr langsam, um bloß nicht aufzufallen, erreichte schließlich...
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