Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der Duft der Schatzsuche ist geblieben.
Den Schatzsucher hat das Kind später, erwachsen geworden, nicht mehr gemocht.
Aber damals, als der Duft der Schatzsuche aus einem dicken Buch mit bunten Bildern aufgestiegen war, erschien dem Kind Howard Carter als der glücklichste Mensch. Was er fand, wie er es fand, würde für immer unübertroffen bleiben.
Der Großvater hatte Bildbände zu Wissensgebieten gesammelt. Die Wissensgebiete interessierten ihn nicht, bloß die Bildbände, und so eignete er sich zufällig Wissen an, aus Vergnügen an dicken Büchern mit vielen Bildern.
Von der Weltumsegelung der Novara bis zu Darwins Galapagosaufenthalt - der Großvater war nicht wählerisch.
Allein das bilderreiche Buch über Maria Callas kaufte er wegen Maria Callas.
Das Kind verstand die Begeisterung des Großvaters für diese Frau nicht. Was er wohl an den schwarz geschminkten Augen schön fand?
Die Stimme, sagte der Großvater, die Stimme dieser Frau - unerreicht!
Der Großvater seinerseits verstand die Begeisterung des Kindes nicht.
Kleine Mädchen wollen doch nicht Schatzsucherin werden, wenn sie groß sind, sondern Prinzessin.
Das Kind aber wollte Schatzsucherin werden, und obwohl es dieses Vorhaben dem Großvater nicht glaubhaft machen konnte, brachte es ihn doch dazu, geduldig aus dem Buch über die größte und schönste Schatzsuche vorzulesen, die Sätze darin in eine für das Kind verstehbare Sprache zu übertragen und Fragen zu beantworten, wie beispielsweise:
»Was ist eine Revolution?«
Mutter und Großmutter etwas indigniert: Ob er, der Großvater es für förderlich halte, dem Kind Mumienbücher vorzulesen und die Präparierung königlicher Leichen zu erklären. Das Kind sei ohnehin viel zu blaß, weil es nie im Garten sei, immer nur im Haus mit Büchern, die Albträume erzeugen.
Das Kind protestierte. Der Großvater schloß sich dem Prostest des Kindes an, obwohl er sich von dessen Zukunft als Schatzsucherin nichts versprach.
Mumifizierungspraktiken, auch wenn sie nicht erbaulich wären, seien nicht anrüchig, sondern wissenswert.
Revolutionen! Ihre fünfjährige Tochter wolle wissen, was eine Revolution sei. Na, da wünsche sie ihrem Vater viel Vergnügen das zu erklären, jedenfalls seien Revolutionen dem Kind zuträglicher als ausgeweidete Leichen.
Die Großmutter versuchte es gütlicher mit dem Vorschlag, man könne dem Kind die Schätze näherbringen und die alte Religion, anstatt es über Mumien und Revolutionen aufzuklären.
Der Großvater aber klärte über Revolutionen auf.
Die altägyptischen Könige seien Stellvertreter der Götter auf Erden gewesen, die Lenkung des Landes sei vom König und von den Göttern zugleich gemacht worden.
Bei uns, heute, dreitausend Jahre später, sagte der Großvater, werde ein Land nicht mehr von Königen und Göttern gelenkt, sondern von einem Mann, den die erwachsenen Menschen zum Präsidenten wählen. Die Menschen suchen sich also den Mann, der das Land lenkt, selber aus.
Damals hätten sie den Obersten im Land nicht aussuchen dürfen, das war der König, und der war göttlich, und wenn er starb, wurde sein Sohn König, der auch göttlich war und so weiter.
Und als der alte Pharao Amenophis starb, sei dessen Sohn Echnaton König von Ägypten geworden.
Echnaton - Hier! Der Großvater zeigte im Buch auf einen steinernen Mann mit langem Gesicht und ernstem Blick.
Echnaton mochte die Götter seines Vaters, seines Großvaters und seines Urgroßvaters nicht, obwohl er selbst als neuer König der Stellvertreter dieser Götter auf Erden war.
Vielleicht, so meinte der Großvater, waren dem neuen König die Priester, die in den Tempeln zu diesen Göttern gebetet haben, zu mächtig und zu reich. Vielleicht waren für ihn die alten Götter zu weit weg von den Menschen, den Bauern, den Steinmetzen, Schreibern, Fischern.
Die Götterstatuen seien in den Tempeln in einem dunklen Raum aufgestellt gewesen, der Raum hieß »das Allerheiligste«. Dort hätten nur die Priester beten dürfen und der König. Die Menschen im ganzen Land mußten ihre Gebete draußen an der Tempelmauer sprechen.
Das Bilderbuch voller Tempel - große Anlagen aus Stein, labyrinthische Gänge, weite Wege bis in die dunkle heilige Kammer; ein Buch voller Goldschätze, fremder Gesichter, ebenmäßig und immer ernst; Tiere - goldene Kühe mit mächtigen Hörnern, schwarze Hunde mit spitzen goldumrandeten Augen und Ohrmuscheln, Katzen aus Alabaster.
Für den Pharao Echnaton - so der Großvater weiter - war allein die Sonne göttlich, weil es ohne Sonne kein Leben gibt. Er habe die Tempel der alten Götter zusperren lassen. Die Priester hatten keine Arbeit mehr. Und dann habe er viele Baumeister und Arbeiter beschäftigt, die ihm eine neue Königsstadt bauen sollten, mit offenen Tempeln, damit die Sonne überall hineinscheinen konnte.
Sein neuer Gott, der hinter der Sonne wohnte, hieß Aton, und er sollte für alle Menschen da sein und für alle Tiere. Zu den anderen Göttern durfte niemand mehr beten. Echnaton und seine Frau Nofretete waren nun die Stellvertreter Atons auf der Erde.
Das sei eine Revolution, wenn in einem Land auf einmal anders bestimmt wird und jemand neu anschafft, wie es weitergeht.
Tut-ench-Aton sei der einzige Sohn von Echnaton und Nofretete gewesen. Als seine Eltern starben, war er noch ein Kind und mußte nun ein großes Land regieren. Eine so schwere Aufgabe könne ein kleiner Bub nicht bewältigen, meinte der Großvater, also hätten sich die Priester eingemischt. Sie gaben dem jungen König, den Namen Tut-ench-Amun, damit nun alle Menschen wüßten, daß die alten Götter und der frühere Hauptgott Amun den Sonnengott Aton verdrängt hatten.
In Wahrheit hätten die Priester nur ihre Tempel zurückhaben wollen und ihren früheren Reichtum.
Die Königsstadt von Echnaton und Nofretete sei dann im Wüstensand verschwunden und mit ihr die Sonnentempel für den Gott Aton.
Das sei eine Gegenrevolution. Konterrevolution, ein Wort, das der Großvater leise aussprach und nachdenklich.
Bravo! - die Mutter im Vorbeihuschen.
Immer huschten diese Frauen rasch von hier nach da, waren, kaum aufgetaucht, schon wieder verschwunden, wie schwebende, uneindeutige Feen, stets ein sarkastisches Wort auf den Lippen. Bravo! Sie, die Mutter hätte es nicht besser erklären können.
Fünfjährige wüßten heutzutage, was eine Revolution ist - die Großmutter ihrerseits im Vorbeihuschen, und das Essen sei bald fertig.
Essen - ein gefürchtetes Wort, denn da hatten sich auf einmal alle gegen das Kind verschworen, sogar der Großvater.
Wovon dieses Kind lebe, von Luft und Mumienstaub? Wer wie sie, die Großmutter, in zwei Kriegen entbehrungsreich habe leben müssen und wisse, wie der Hunger sich anfühlt, der hätte kein Verständnis für dieses lustlose Stochern am Teller.
Und keine Sonne! Keine frische Luft!, wußte die Mutter anzufügen. Andere Kinder wären froh, wenn sie einen Garten zum Spielen hätten.
Eine Schatzsucherin müsse essen, fiel ihr der Großvater in den Rücken. Die Arbeit mit Schaufel und Spaten und Krampen sei schwer. Jeder Schatzsucher esse gut und viel.
Paprikahendl und Schulterscherzl, was der Großvater so liebte, eine Tortur. Kalbsbeuschel, die Hölle auf Erden!
Howard Carter habe, das wisse der Großvater genau - es stehe nämlich in dem Buch -, leidenschaftlich gern Kalbsbeuschel gegessen, seine Leibspeise, damit er wieder tüchtig schaufeln konnte. Ohne Kalbsbeuschel keine Auffindung von Tut-ench-Amuns Grabschatz!
Und ohne Sonne keine Revolution!
Der Großvater hatte heimlich große Glasmurmeln und silberne Zehnschillingstücke in der Sandkiste vergraben.
Er vermute einen Schatz ebendort.
Das Kind mochte die Sandkiste nicht - in der prallen Sonne stehen, die auf der blassen dünnen Kinderhaut biß; und das Kalbsbeuschel wurde im Mund immer mehr und mehr, ein unverwindliches Gummigebirge in einem zu kleinen Mund.
Tut-ench-Amun, so die Großmutter, habe gewiß lustlos am Teller herumgestochert, deswegen sei er so jung verstorben; selbst ein König müsse essen, sonst würde er verhungern.
Das Kind sagte, es werde auch eine Revolution machen,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.