Schweitzer Fachinformationen
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Als Phoebe erwachte, roch sie Blut.
Sie sprang auf. Ein tiefrotes Koagel, das sich in der Horizontalen gebildet hatte, entwich und klatschte auf das Parkett. Sie fluchte und kniff die Schamlippen zusammen. Hechtete ins Badezimmer, über den Rand der Wanne und richtete den scharfen Strahl der Brause zwischen ihre Beine. Das Duschwasser färbte sich hellrot. Als es klar blieb, kletterte sie hinaus und suchte nach einem Tampon. So versorgt, begutachtete sie die Spur, die sie hinterlassen hatte. Auf dem Parkett rote Zehen. Fersen. Der Teppichboden war verschont geblieben. Sie holte einen Lappen.
Vierundzwanzig Tage dauerte ihr Zyklus und überraschte sie jedes Mal.
Phoebe sah in den Spiegel. Taxierte die Größe ihrer Poren. Die Tiefe ihrer Krähenfüße und von schräg seitlich ihr Kinn. Sie seufzte und griff nach einem Cremetiegel.
Phoebe war zweiundvierzig, Kieferorthopädin und pharmakologisch bewandert. Sie verfolgte wöchentlich die Fachliteratur zum Thema »Hautalterung«. Demnach halfen drei Dinge im Kampf gegen den Verfall:
UV-Strahlung zu vermeiden.
Äußerlich angewandte Säuren.
Und Hormone wie das Östrogen.
Phoebe hatte den Kampf aufgenommen.
Sie mied die Sonne.
Presste eine Zitrone täglich.
Und vermengte den Saft mit einer Salbe, die Patientinnen mit trockener Scheide die Gleitfähigkeit derselben zurück versprach.
Sie nannte ihr Rezept »Dr. Weihrauchs Jungbrunnen«. Bespachtelte Gesicht, Hals und Dekolleté. Busen und Po. Nur nicht die Scheide.
Die interessierte derzeit niemanden. Leider.
Gecremt, geschminkt und frisiert trat Phoebe zurück. Murmelte: »Nicht schlecht für Perimenopause«, und ging in die Küche.
Sie maß einen Meter siebzig und wog vierundfünfzig Kilo. Ihre Augen waren groß, rund, blau und kurzsichtig. Hinter einer Hornbrille bis zur Unkenntlichkeit verkleinert. Mamas Erbe. Zu besonderen Anlässen trug sie Kontaktlinsen. Die eine Qual waren.
Ihre Lippen voll. Das naturblonde Haar reichte bis zur Hüfte und war noch frei von grau. Fast.
Dann war da die Nase. Papas Erbe und etwas zu groß. Dennoch hatte Phoebe der Versuchung widerstanden, sich unter das Messer zu legen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken an Lady Di, Barbra Streisand und Meryl Streep. Die Armada der Großnasigen.
Ihr Frühstück bestand aus Müsli, einer Tasse frisch gemahlenem Kaffee und einem Glas kalter Milch. Der Zeitungsmann hatte den »Tagesspiegel« auf die Fußmatte vor der Wohnungstür geschmettert. Phoebe begann mit den Todesanzeigen.
Sie bewohnte eine Altbau-Wohnung im fünften Stock eines Berliner Hinterhauses. Hundert Meter weiter nördlich stieß die Straße auf den Kurfürstendamm, und die Miete war hoch. Lediglich das Fehlen eines Aufzuges hatte die Eigentümerin davon abgehalten, Phoebe noch tiefer in die Tasche zu greifen. Die prominente Eigentümerin, bekannt aus Fernsehen und Klatschspalten. Die Küche ging offen in den stuckverzierten Flur über. Bot Ausblick auf die Dächer Berlins, Morgensonne zu jeder Jahreszeit und eine Bar.
Hier saß Phoebe, als ihr Blick auf das leere, zweite Sesselchen fiel. Bis vor einem Jahr hatte dort Peter gesessen. Ein smarter, gynäkologischer Kollege, mit dem sie außer dem Frühstück das Bett geteilt hatte. Gelegentlich jedenfalls. Wenn nicht seine Ex-Frau nach ihm rief. Ob Peter auch deren Bett noch teilte, blieb bis zum Ende beweislich unklar. Phoebes weibliche Intuition sagte »ja«.
»Mach dir keine Sorgen, dass deine biologische Uhr tickt, Liebling«, hatte Peter eines Morgens gesagt. Einen Blick auf Phoebes zerknittertes Frühstücksgesicht geworfen, »Frauen können heute ohne Weiteres bis fünfundvierzig gebären. Oder wir entnehmen dir einige Eizellen und frieren sie ein. Dann hast du noch mal zwanzig Jahre Zeit, dich für einen Erzeuger zu entscheiden.« Phoebe war zutiefst gekränkt gewesen. Fühlte sich damals meilenweit von der Menopause entfernt und gab Peter den Laufpass.
Als Nächstes hatte sie beschlossen, ihre Schlafgewohnheiten zu ändern. Wollte den morgendlichen Knitterfalten auf ihrer Stirn Paroli bieten und verzichtete auf ein Kopfkissen. Das half.
Sie blätterte um und stieß auf die Geburtsanzeigen.
Das Thema Kinder ließ sie nicht los. Nagte auch an diesem Morgen an ihrem Inneren. Sie griff zum Telefon und tippte die Nummer ihrer besten Freundin Pia. Die war eine promovierte Juristin, deren glanzvolle, akademische Karriere wegen eines zweijährigen Zwillingspärchens ruhte. Man konnte sie ohne Weiteres um sieben Uhr früh erreichen. Die Zwillinge waren schon lange auf den Beinen. »Sie schlafen nie«, erklärte Pia gelegentlich, »nicht einmal in der Nacht. Sie sind vollkommen resistent gegen jeden Ratschlag, der mir zuteil wird. Ich sehe morgens aus wie ein alter Waschlappen.« Phoebe hätte gern wie ein alter Waschlappen ausgesehen. Würden ihr nur die Zwillinge gehören.
»Pia Andarmani«, meldete sich eine atemlose Stimme. Pia hatte den Namen ihres persischen Ehemannes angenommen. Die Jungen dessen olivfarbenen Teint. Sie heulten im Hintergrund. »Pia«, sagte Phoebe, »wir müssen uns sehen.« – »Hast du Sorgen?« fragte Pia. Erwog bereits die Kandidaten, die als Babysitter für denselben Abend zur Verfügung standen, und beschloss, ihren Mann in die Pflicht zu nehmen. »Ich brauche deinen Rat«, erklärte Phoebe, »heute Abend um neun in der ›Weißen Maus‹?« Pia sagte zu.
Vor Phoebe lag ein langer Arbeitstag. Nach Hause käme sie nicht mehr. Würde direkt von der Praxis in die ›Weiße Maus‹ fahren. Sie trat vor den Kleiderschrank und packte eine Tasche mit angemessen erscheinender Abendgarderobe. Einer Jeans. Und einem Wildledertop von Escada, das weich und fleckenlos war. Phoebe hasste es, wenn etwas kratzte. Schlimmer noch, Flecken hatte. Vielleicht war sie ein wenig zwanghaft.
An der Küchenwand hing eine Schwarzwälder Uhr. Der Kuckuck rief sie zurück in die Realität. Schon acht »Kuckucks«. Sie warf den Löffel in die Müslischale, griff nach der Tasche und eilte aus der Tür.
In der Parkgarage gegenüber wartete ihr gelber SLK. Mochte die Kinderlosigkeit Entbehrungen mit sich bringen, so erlaubte sie jedenfalls gewisse Privilegien. Einen Sportwagen zum Beispiel.
Unter dem Scheibenwischer klemmte ein Zettel. Phoebe runzelte die Stirn, rief sich zur Ordnung und murmelte: »Mimikfalten vermeiden.« Denn die machten alt. Sie griff nach dem Briefchen und las: »Botschaft ihres Parkplatznachbarn (Saab Cabrio). Möchte mir erlauben, ein Gläschen Prosecco mit Ihnen zu teilen, um den zauberhaften Eindruck, den Sie täglich hinterlassen, zu vertiefen. Heute Abend, irgendeine Bar?« Phoebe schmunzelte, zerknüllte den Brief und vergaß ihn.
Sie kurvte aus dem Parkhaus und dachte an ihre Patienten.
Sie liebte ihren Beruf. Die Praxis befand sich in Steglitz. Phoebe teilte dreihundert Quadratmeter mit einer Kollegin, sieben Mitarbeiterinnen und einem Zahntechniker. So viele Frauen beanspruchten Aufmerksamkeit. Eine war immer schwanger. Phoebe nie.
Unter den Patienten waren auch Erwachsene. Berlins Establishment, das sich nach vierzig den Luxus einer perfekten Zahnstellung leistete. Frauen mittleren Alters, deren Bemühen um den Erhalt der Jugend auch den Zähnen galt. Manchmal kam ein Mann. Er war wohlhabend, anspruchsvoll und selten zum Verlieben. Entweder verheiratet oder verschroben.
»Vielleicht sind alle erwachsenen Männer, die noch zu haben sind, neurotisch«, sagte Phoebe und stieß die Praxistür auf. Fragte sich nur, was aus Frauen wie ihr würde. Akademikerinnen, die es der Karriere wegen verpasst hatten, auf den Zug zu springen.
Die Sprechstunde begann um halb neun. Phoebe blieben zehn Minuten. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Post, schlüpfte in einen blütenweißen Kittel und schrubbte sich die Hände. Trug eine duftende Handcreme und ein Tröpfchen Chanel No. 5 auf. Während der Behandlung kam sie den Patienten sehr nahe. Sie sollten sich wohl fühlen.
Dazu gehörte auch Musik. Ihre CD-Sammlung konnte sich sehen lassen. Phoebe wühlte und wählte eine historische Aufnahme. Chopins Klavierkonzert Nr. 1 mit Arthur Rubinstein. Die Wände erzitterten in e-moll. Die Putzfrau hatte zum hundertsten Mal den Lautstärkeregler verstellt. Phoebe sprang auf und drehte leise. Warf einen letzten Blick in den Spiegel, kniff sich in die Wangen und ging dem ersten Patienten entgegen.
Die Patienten mochten Phoebe. Die meisten jedenfalls. Doch sie hütete sich vor Selbstzufriedenheit. Schließlich kommt Hochmut vor dem Fall. Auch bei Ärzten.
Heute erwartete sie Herrn Eberle, der bei ihrem Anblick aufsprang und mit beiden Händen winkte. Phoebes Augen befanden sich auf Höhe seines Adamsapfels. Den Kopf in den Nacken gelegt, lächelte sie ihm zu. Ging voran ins Behandlungszimmer und bat ihn, auf dem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen. Befestigte eine Papierserviette über der haarigen Brust, wusch sich erneut die Hände und schlüpfte in die Handschuhe aus Latex.
Herr Eberle war homosexuell. Er befand sich seit einem Jahr in...
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