Eva Ibbotson Mit Liebe und Sumpfgeräuschen
Es war ein Ort, wie man ihn bei einem plötzlichen Regenguss aufsucht oder wohin man mit überalterten Verwandten geht, denen man mit ausgestopften Schneehühnern, afrikanischen Wurfspießen und den weniger berühmten Mumien eine Freude machen kann. Das Havelock, wie es genannt wurde, war ein kleines, altmodisches Museum, das versteckt an einem der stillen grauen Plätze zwischen der London Library und St James's lag.
Es war ein Ort, von dem man alles Mögliche erwarten konnte, nur nicht eine Begegnung mit dem Schicksal.
Es war November - in dieser Londoner Gegend ein anscheinend unvergänglicher Monat - mit den bommelartigen Samenfrüchten an den Platanen und den auf das Pflaster gebreiteten Blättern. Meine Frau wollte nicht mitkommen - sie hatte eine »Verabredung« - und weil ich mir vorstellen konnte, was das für eine Verabredung war, kaufte ich mit dem inzwischen nur allzu bekannten Ziehen im Magen eine Eintrittskarte. Ich ging an der Büste von William Havelock (mit Tropenhelm) vorbei und blickte in die friedlichen Augen eines Erdferkels, das breitbeinig auf einem gemalten Veldt stand. Aus einem Glaskasten starrte mich eine Weißschwanzgnu-Familie an, ein Seelöwe reckte seine majestätische Brust auf einem Mahagonisockel. Es war sehr still.
Ich schlenderte an einem Schaukasten mit exotischen Schmetterlingen vorüber, an Modellen von Auslegerbooten aus Rinde, Würfeln aus Fingerknöcheln . Havelock hatte eindeutig alles gesammelt. Dann tauchte plötzlich aus einer Tür mit dem Schild Personal ein Mädchen auf, ein x-beiniges Ding mit wirren Haaren, bepackt mit einer Nilpferdharpune, einer Glasglocke mit einem ausgestopften Moorhuhn und einem Pappkarton.
Es war alles in allem etwas zu viel. Der Karton kam ins Rutschen und fiel, und ein dunkler, unansehnlich gefleckter Gegenstand rollte über den Fußboden. Es war ein sich nicht im besten Konservierungszustand befindender Schrumpfkopf. Ich hob ihn auf. Sie dankte mir, entschuldigte sich, lächelte. Dann setzte sie ihre Ladung erneut ab und sagte: »Gefällt es Ihnen hier? Wollen Sie, dass ich Sie ein bisschen herumführe?«
Ich muss Ja gesagt haben, denn sie führte mich herum. Ach, was sage ich? Sie überreichte mir das Museum, sie legte es mir zu Füßen. Ich hatte das Gefühl, sie hätte am liebsten jedes Exponat von den Wänden genommen und in meine offenen Hände gelegt, so besessen war sie davon, mich an den Schätzen des Museums teilhaben zu lassen.
»Es ist so schön hier, aber kaum jemand kommt. Sehen Sie, das ist eine Nacktkiemerschnecke. Sie sind sehr selten bei uns. Gefallen Ihnen die roten Tentakel? Und diese Seidenspinner stammen direkt von denen ab, die dem Kaiser Wu-Ti gehörten - der die Himmlischen Pferde züchtete, wissen Sie -, und wir haben die beste Sammlung ostindischer Muscheln auf der ganzen Welt. Ein ganz süßer Professor schickte sie uns aus Kuala Lumpur. Wussten Sie, dass manche Schneckenhäuser linkswendig und andere rechtswendig sind? Ich habe das erst erfahren, als ich hier zu arbeiten anfing.«
Ihre Hand schwebte über meinem Ärmel; ihr Herz zweifellos über meinem oder über dem jedes anderen . Ein Mädchen wie ein Füllhorn, das sogar beim Einatmen redete. Und plötzlich dachte ich, dass sie wie ein Fußballfan war, der nach dem Spiel in die Nacht hinausrennt und völlig Fremde mit seiner Begeisterung überfällt.
»Jetzt passen Sie auf!«, sagte sie. Wir waren zu einem Schaukasten mit ausgestopften Hirschen gekommen. Ein Zwölfender und eine Hirschkuh stolzierten über ziemlich welkes Heidekraut. Das Mädchen drückte auf einen Knopf, worauf ein ungewöhnlich trauriges, hupendes Geräusch durch das Museum hallte.
»Das sind die Brunftschreie des Hirsches«, sagte sie, und dabei leuchteten ihre pflaumenblauen Augen vor Stolz. »Mr Henry hat sie eingebaut, unser früherer Direktor. Er ist erst vor Kurzem in Pension gegangen. Wir haben auch Sumpfgeräusche, drüben, im nächsten Saal, bei den Dinosaurierknochen. Wollen Sie sie hören?«
Doch bei den Sumpfgeräuschen streikte ich und entschuldigte mich. Erst als ich die Wohnungstür aufsperrte und meine Magenschmerzen wieder einsetzten, fiel mir auf, dass sie während der letzten paar Stunden verschwunden waren. Aber wer war schuld daran? Ich war derjenige, der heiraten wollte, nicht Vivian. Sie hatte mich oft genug gewarnt, dass sie es nicht ertragen könne, gebunden zu sein. »Paul, wenn du eifersüchtig bist, ist es aus«, hatte sie gesagt. Also war ich nicht eifersüchtig. Ich hatte nur dieses Magendrücken. Mehr ist Eifersucht vermutlich auch gar nicht. Es ist nur ein Schmerz.
Am nächsten Tag ging ich mit meinem neuen Schlüsselbund zum Havelock, nahm den Hintereingang und schritt durch Gänge, die vollgestellt waren mit Schränken, alten Schaubildern, Häuten und Fellen, zum Büro des Direktors. Ich war überrascht, zu dieser verhältnismäßig frühen Stunde bereits eine ganze Anzahl von Leuten bei der Arbeit zu finden. Eine hinreißend gekleidete und hochschwangere Araberin sortierte Fischadlereier, ein kleiner glatzköpfiger und ziemlich alter Mann ordnete Ichthyosaurierknochen, ein junger Mann in zerrissenen Jeans nagelte ein Schubfach zusammen .
Im Büro des Direktors suchte ich zunächst einmal eine Liste der Angestellten. Ich hatte diesen Job bekommen mit der Auflage, zu rationalisieren, Kosten zu senken, zu modernisieren, und es sah so aus, als ob ich mit einer beträchtlichen Verringerung des Mitarbeiterstabs beginnen müsste. Aber mein Vorgänger schien mit der Installierung von Hirschbrunftgeräuschen sein Pulver verschossen zu haben. Ich konnte keine Personalliste finden.
Schließlich ging ich zu meinem Stellvertreter, Mr Biggers, dem Tierpräparator. Ich hatte ihn bei meinem Vorstellungsgespräch kennengelernt und hielt ihn für einen vernünftigen Mann.
»Mr Biggers, ich bin ein bisschen erstaunt über die Zahl unserer Mitarbeiter«, sagte ich. »Ich dachte, wir hätten nur vier Vollzeitangestellte.«
Mr Biggers schob den Gipsabdruck vom Kopf eines Dodo - einer ausgestorbenen Riesentaube - zur Seite, warf einen gebeizten Balg zurück in sein Fass und zog einen Hocker für mich unter dem Tisch hervor.
»Ja nun«, sagte er. »Hier arbeiten tatsächlich eine ganze Menge Leute, aber sie gehören nicht eigentlich zum Personal. Man könnte sagen, es sind Volontäre.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Es sind übrigens Freunde von Flossie.«
»Wer ist Flossie?«, fragte ich. Aber ich wusste es natürlich. Ich wollte nur Zeit schinden. Diese Situation trug deutlich erkennbar den Stempel des Fußballfans.
»Miss French, die Assistentin des Kurators. Ihr Vorname ist Florence.« Mr Biggers seufzte, und ich liebte ihn dafür. »Flossie hat diesen merkwürdigen sechsten Sinn. Wenn jemand ins Museum kommt, der traurig ist oder Probleme hat, scheint sie das zu wissen. Dann rennt sie nach vorne und führt die Leute herum.«
Ich legte die Stirn in Falten. Diese These schien mir denn doch etwas gewagt.
»Sie liebt das Museum. Man könnte sagen, ihr Enthusiasmus ist ansteckend. Die Leute hier betrachten das Museum schon als ihr Zuhause.«
»Aber das ist unmöglich! Wir haben es hier mit äußerst wertvollen Dingen zu tun. Bitte, schicken Sie Miss French umgehend in mein Büro.«
Sie kam, sah mich und zuckte zurück. »Oh! Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie der neue Direktor sind. Da lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen .«
»Es war meine erste Nacktkiemerschnecke«, sagte ich munter. »Bitte, nehmen Sie Platz, Miss French. Ich möchte mit Ihnen über Ihre Freunde sprechen, die hier arbeiten. Zum Beispiel über die arabische Dame.«
»Oh, das ist Mrs Rahman«, sagte sie strahlend vor Stolz über ihren Schützling. »Sie erwartet ein Baby und ist sehr viel allein, weil ihr Mann an einer Dissertation oder etwas Ähnlichem arbeitet. Im Krankenhaus ist man sehr wissenschaftlich mit ihr umgegangen, und danach kam sie hierher, um sich auszuweinen. Sehen Sie, sie möchte ihr Kind auf die Leboyer-Methode bekommen, und -«
»Auf was?« Vivian wollte keine Kinder, und so hatte ich diesen gesamten Bereich ausgeklammert.
»Oh, es ist sehr schön! Man bekommt das Kind im Dunkeln bei schöner Musik, und es lächelt, wenn es geboren ist. Es wird viel mit Massage gearbeitet und warmem Öl, und man legt das Kind auf den Bauch der Mutter, wenn -«
Ich bereute meine Frage etwas zu spät. »Sie kam also her, um zu weinen. Und dann?«
»Nun, ich nahm sie mit in mein Zimmer auf eine Tasse Tee, und jetzt sortiert sie die Hartington-Eier-Sammlung, die seit 1890 in Kartons herumliegt, weil niemand Zeit dafür hatte, und sie fand einige erstaunliche -«
»Aber ist sie denn qualifiziert? Weiß sie, was sie da tut?«
Flossie krauste die Stirn. »Auf dem Papier ist sie sicherlich nicht qualifiziert, aber sie hat die sanftesten Hände, die ich je gesehen habe - wie Schmetterlingsfühler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemals etwas zerbricht. Und sie ist so geduldig. Außerdem ist sie schrecklich großzügig. Sie kauft den ganzen Kaffee und den Zucker und die Kekse für die Pause - sie besteht darauf - und die Portokasse quillt förmlich über!«
Mir gefiel die Sache immer weniger. »Und was ist mit dem kleinen alten Mann?«
»Sie meinen Onkel Laszlo? Ja, ihn fand ich eines Tages hinten in einem Gang, wo er zwischen den Ichthyosaurierknochen herumstöberte. Ich denke, er hat sich verirrt. Wissen Sie, es ist traurig. Er ist pensioniert...