Schweitzer Fachinformationen
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Geetanjali Shree zählt zu den bedeutendsten Stimmen der zeitgenössischen Hindi-Literatur. Geboren 1957, wuchs sie als Tochter eines Beamten des Indian Administrative Service an dessen wechselnden Dienstsitzen in Nordindien auf. Mit Hindi als Muttersprache und einer englischsprachigen Schul- und Hochschulbildung ist sie in beiden Sprachen vollkommen zu Hause. Sie studierte neuere indische Geschichte und schrieb auf Englisch wissenschaftliche Arbeiten über die Rolle von Intellektuellen und Literaten im Kontext der indischen Unabhängigkeitsbewegung des 20. Jahrhunderts.
Als Medium für ihre erzählerischen Texte wählte sie aber die Muttersprache mit ihren reichen expressiven Möglichkeiten. Seit 1991 hat Geetanjali Shree vier Romane und drei Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. In ihrem Erstlingsroman >Mai< porträtiert sie drei Generationen einer gutsituierten Familie in den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese Zeitspanne umfasst Kindheit und Jugend der Ich-Erzählerin Sunaina und ihres Bruders Subodh. Im Zentrum steht >Mai<, die Mutter der Erzählerin, die allen anderen aufopferungsvoll dient.
Obwohl sich die Handlung großenteils innerhalb des Hauses abspielt und die Erzählerin ihren Blick vorwiegend auf die familiäre Privatsphäre richtet, entsteht zugleich ein detailreiches Bild der indischen Gesellschaft mit ihren beharrenden und dynamischen Tendenzen. Während die Generation der Großeltern noch ungebrochen den alten Traditionen verbunden ist, sind die Enkel längst in der Moderne angekommen und stehen mitten in einer frühen Phase der Globalisierung. Aus diesem Spannungsfeld ergeben sich viele im Roman dargestellte Konflikte.
Die 2000 erschienene englische Übersetzung machte >Mai< auch außerhalb der Hindi-sprachigen Region Indiens bekannt und verhalf dem Roman zu landesweiter und internationaler Aufmerksamkeit.
Zur zentralen Thematik des Romans gehören die Rollenmuster und Beziehungsgeflechte innerhalb einer normalen, für indische Verhältnisse keineswegs großen Drei-Generationen-Familie. Die innerfamiliären Beziehungen stellen sich für den westlichen Leser zweifellos sehr merkwürdig dar. Während die Figur des autoritären Großvaters als patriarchalisches Familienoberhaupt auch aus der europäischen Tradition bekannt ist, staunt man über den Mangel an Beziehung zwischen den Eheleuten. Die Großeltern leben in verschiedenen Teilen des Hauses und sehen sich fast nie. Auch die Eltern reden wenig miteinander und haben kein gemeinsames Zimmer. Die Mutter teilt sich vielmehr ein Zimmer mit den beiden Kindern. Während es zwischen den Großeltern überhaupt keine direkte Kommunikation gibt, sind bei den Eltern immerhin Ansätze partnerschaftlichen Verhaltens zu erkennen.
Mai, die Mutter, muss sich über weite Strecken des Buches mit der undankbarsten Rolle innerhalb der Familie arrangieren. Sie bleibt jahrzehntelang die Bahu, die Braut, bzw. junge Ehefrau, von der völlige Unterordnung unter die Forderungen ihrer Schwiegereltern und ihres Mannes erwartet wird. Sogar der briefliche Kontakt mit ihrer Herkunftsfamilie ist unerwünscht oder sogar verboten. Auf ihr lastet die ganze Verantwortung für Haushalt und Küche, wofür sie aber keine Anerkennung bekommt, sondern die bissigen Kommentare ihrer Schwiegermutter ertragen muss. Diese vergöttert ihren Sohn und kann sich nie damit abfinden, dass es in dessen Leben noch eine andere Frau gibt. Erst nach dem Tod der Großeltern verbessert sich Mais Stellung im Haus und erweitert sich ihr Aktionsradius.
Das Leben im Haus und im Land stagniert jedoch nicht. Die Enkel genießen größere Freiheiten als frühere Generationen. Sie werden auf englischsprachigen Schulen ausgebildet - die daraus resultierende Zweisprachigkeit, bis hin zur Sprachverwirrung, ist auch ein Thema des Buchs - und verlassen das Elternhaus zum Studium in einer fremden Stadt bzw. in England. Sie haben das Recht, von den Eltern vorgeschlagene Ehepartner abzulehnen und nehmen sich, auch wenn der Vater das höchst ungern sieht, die Freiheit, sich zu verlieben und ihre zeitweiligen Partner bzw. Partnerinnen ins Haus mitzubringen.
Die Enkel leiden schon als Kinder unter den starren Regeln ihres Elternhauses, sie fühlen sich darin dem Ersticken nahe und drängen immer stärker von zu Hause fort, in ein selbstbestimmtes Leben. Und sie sind besessen von der Idee, auch ihre Mutter aus diesem >Gefängnis< herauszuholen. Bis an die Schwelle des Erwachsenenalters bleibt das Geschwisterpaar ein Herz und eine Seele, dann kommt es allmählich zu einer Aufspaltung des >Wir< in zwei >Ichs<, die sich ihrer charakterlichen und geschlechtsspezifischen Unterschiede zunehmend bewusst werden.
Das Haus entspricht den Bedürfnissen und dem Lebensstil einer traditionellen Familie: Es hat einen äußeren, öffentlichen Bereich, den man durch das Grundstückstor von der Straßenseite her erreicht. Dort hat der Großvater sein Wohnzimmer, in dem er Gäste empfängt, dort überblickt er von der äußeren Veranda, wer das Grundstück betritt und verlässt. Der größere Teil des Hauses ist das davon strikt getrennte >Innen<, eine Reihe von Schlaf- und Wohnräumen, die sich zur inneren Veranda und weiter zum Innenhof öffnen. Wirtschafts- und Nebenräume umfassen den Innenhof von zwei weiteren Seiten, und auf der Rückseite wird er von einer hohen Mauer abgeschlossen. Die Abschirmung des inneren Bereichs geht so weit, dass sogar der Hausdiener, wenn er Speisen oder Getränke für den Großvater und dessen Gäste in den äußeren Bereich zu bringen hat, außen ums Haus herum geht und an der rückwärtigen Tür zum Innenhof seine Bestellung abgibt. Dort nimmt er das Bestellte später in Empfang und bringt es auf demselben Umweg ins Wohnzimmer des Großvaters.
Die Dachterrasse ist Freiraum und Rückzugsort der Enkel. Sie bietet ihnen freien Blick nach allen Seiten und erlaubt es, durch Oberlichter in einige Räume zu spähen, ohne selbst gesehen zu werden. Auch das Haus wandelt sich, den Bedürfnissen und dem Geschmack der Zeit entsprechend. Nach dem Tod der Großeltern werden Umbauten und Modernisierungen vorgenommen. Aus Großvaters traditionell indisch eingerichtetem Zimmer, in dem man sich auf niedrigen gepolsterten Sitzen niederließ, wird ein >Living Room< westlichen Stils mit Sofa, Sesseln und Stühlen.
Der zusammenfassende Begriff für die abgeschlossene Lebensweise der Frauen lautet Parda (wörtlich: >Vorhang<). Leben in Parda bedeutet, das Haus nicht, oder wenn unvermeidlich, dann nur in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds zu verlassen, sich Besuchern nicht zu zeigen, oder zumindest den größten Teil des Gesichts mit einem Kopftuch, bzw. dem Ende des Saris zu verhüllen.
Während die Großeltern diesen Lebensstil uneingeschränkt bejahen und auch von ihrer Schwiegertochter einfordern, ist ihr Sohn schon weniger streng. Er nimmt seine Frau gelegentlich außer Haus in seinen Club mit. Die von westlicher Schulbildung geprägten Enkel rebellieren gegen den Parda und unternehmen große Anstrengungen, ihre Mutter aus dieser räumlichen und mentalen Beschränkung herauszulösen. Mai selbst setzt solchen Bemühungen jedoch erheblichen passiven Widerstand entgegen.
>Mai< ist aber keineswegs die grob konturierte Gegenüberstellung zweier Lebensmodelle, eines traditionsverhafteten, Frauen unterdrückenden und somit schlechten, bzw. eines modernen mit der Zielsetzung individueller Selbstverwirklichung und daher guten. Die Dinge liegen doch viel komplizierter. Zum einen werden selbst die Traditionsbewahrer in der Familie ihren eigenen Ansprüchen und religiös fundierten Morallehren nicht gerecht. Sowohl der Großvater als auch der Vater sind aus der familiären Enge ausgebrochen und hatten oder haben außereheliche Beziehungen, und auch Mai bleibt ihr Leben lang einer geheimen Jugendliebe im Herzen treu. Dies alles wird im Roman nur angedeutet. Es zeigt sich aber auch, dass die von allen ausgenützte, >unterdrückte< Mai keineswegs das schwächliche Wesen ist, das ihre Kinder in ihr sehen. Allmählich wird deutlich, dass Mai ein großes Potenzial an Kraft, Kreativität und geistiger Unabhängigkeit unbeschadet über Jahrzehnte in Parda bewahrt hat. Andererseits wird zunehmend fraglich, ob das Lebensmodell der Enkel, das unbedingte Streben nach Freiheit und individueller Selbstverwirklichung unter Verzicht auf familiäre Bindung als erstrebenswertes Vorbild dienen kann.
Zur Kultur des Hauses gehören die ausführlich beschriebenen kulinarischen Genüsse der indischen Küche wie auch der Verzicht auf diese Genüsse in selbstauferlegten religiös begründeten Fastenzeiten - meist fastet die Frau zum Wohl ihrer Familie - und das opulente Brechen dieses Fastens zum Abschluss der vielen Feste des Hindu-Kalenders.
>Mai< bietet keine kontinuierliche Darstellung der Familiengeschichte oder der Kindheit und Jugend Sunainas im Sinne eines Entwicklungsromans. Häufige Zeitsprünge zwischen Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter, Rückblicke in Episoden aus Mais Jugend und aus den Glanzzeiten des Großvaters lange vor dem Ende der britischen Kolonialherrschaft gehören zu Geetanjali Shrees Stil. Es geht ihrer Erzählerin Sunaina in erster Linie darum, sich selbst über die vielschichtige Beziehung zu ihrer Mutter, der wichtigsten Person in ihrem Leben, Rechenschaft abzulegen. Die zeitliche...
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