Schweitzer Fachinformationen
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Ich rannte, bis ich Stackville erreichte, atmete japsend eine Menge faulig stinkende Luft ein, was von dem Holz herrührte, das bei der Papierherstellung zu Brei verkocht wurde. Ich hielt mir die Hand vor Mund und Nase, um den Brechreiz in Schach zu halten, lief und lief, bis ich schließlich Will erblickte.
Er kniete am Stacheldrahtzaun um Stedmans Schrottplatz. Die Erleichterung, ihn gefunden zu haben, wich kurz dem Verdruss über mein Kleid, das unter den Achseln an mir klebte, und meine kunstvollen Haarwellen, die kaum noch zu erkennen waren: insgesamt eine feuchte Katastrophe. Aus der Traum vom frischen, perfekten Aussehen für den Trip mit Babs und das geheime Vorstellungsgespräch.
Doch mein Ärger machte so schnell, wie er gekommen war, erneuter Panik Platz.
Will sah okay aus, äußerlich. Ich beobachtete, wie er an der üblichen Schrottplatzkollektion aus Reifen, Autoteilen und zerbeulten Eisschränken - ausrangiert, als Hausfrauen Kühlschränke und Gefriertruhen bekamen - vorbei auf das leere Ende einer Kette starrte, die an der Anhängerkupplung eines alten tränenförmigen Wohnwagens befestigt war, dessen offene Tür an einer Angel baumelte. Während er laut mit dem leeren Kettenende redete, wirkte Will so angeschlagen wie die Wohnwagentür.
Vom Schrottplatz aus war Groverton Pulp & Paper zwar nicht zu sehen, aber durch den Gestank und die endlosen weißen Rauchwolken aus den Schloten allgegenwärtig. Obwohl es hier im Viertel mit den schmalen, dicht zusammenstehenden Häusern ruhig war, schien mir die Atmosphäre an diesem Morgen ziemlich angespannt, zumindest redete ich mir das ein; im Diner hatte ich ein Gespräch über einen möglichen Streik mitgehört. Ein Hoffnungsschauer durchfuhr mich bei der Vorstellung, dass dadurch oder überhaupt durch irgendetwas ein bisschen Abwechslung nach Groverton kommen könnte.
Die einzige Anwohnerin in Sicht war eine alte Frau, die auf der vorderen Veranda ihres gepflegten Holzhauses saß, gegenüber dem Schrottplatz. Sie schälte vornübergebeugt Äpfel, den knöchellangen Rock zwischen die Knie gespannt, um die langen Apfelschalenkringel aufzufangen. Ihre Hände bewegten sich wie von selbst, und sie sah auch nicht hin, sondern zu uns hinüber, amüsiert über den Anblick von Kindern, die nicht hier in ihr Viertel gehörten.
Will intonierte mit lauter, unerschütterlicher Stimme, so wie Pastor Stebbins in Großmutters Kirche: »Heute Abend also werden Sergeant Striker und sein Trusty zum ersten Mal im Fernsehen gesendet! Glaubst du, sie fangen einen Räuber oder einen Kidnapper? Ich glaube . einen Kidnapper. Es ist schon lange her, dass die Urenkelin des alten Goldgräbers gegen Lösegeld freigelassen wurde. Also, Trusty .«
Will bestand darauf, den namenlosen Hund vom Schrottplatz Trusty zu nennen, weil er ein Husky war, genau wie Trusty von Sergeant Striker im wilden Alaska. Er schüttelte die Marvel-Schachtel, und Milch tropfte auf den Boden.
»Ich wünschte, du könntest die Sendung mit mir sehen, aber Dad mag keine Hunde«, sagte er, als wäre das unser größtes Problem zu Hause. »Aber weißt du was? Seit heute Morgen fehlen mir nur noch drei Schachteldeckel! Bald hab ich sie alle zusammen und schicke sie ein und kriege die Besitzurkunde für mein eigenes Stück Land in Alaska, und dann gehen wir beide hin und gucken es uns an -«
»Will!« Ich ging zu ihm hin und legte ihm sanft die Hand auf den Arm. Bis jetzt waren wir beide noch nicht weiter aus Groverton rausgekommen als bis nach Dayton. »Lass dem Hund einfach die Cornflakes da -«
Er riss seinen Arm los, rief noch lauter: »Wusstest du, dass Alaska eine Blume hat, obwohl es kein Staat ist? Das Vergissmeinnicht. Schon seit 1917! Wusstest du .«
Er sah immer noch viel zu bleich aus, und sein Geplauder mit dem nichtexistierenden Hund machte mir Angst. Ich umfasste seine Schultern und drehte ihn zu mir herum. »Hör auf damit! Ich finde, wir sollten wieder nach Hause gehen und Dr. Emory doch anrufen, damit er dich untersucht -«
Will funkelte mich wütend an, den vertrauten Vorwurf in den blauen Augen: Du nimmst alles zu ernst! »Mir geht's gut.«
»Will, ich bin sicher, der Hund wird die Cornflakes fressen, wenn wir ihm einfach die Schachtel hinstellen. Lass uns nach Hause gehen und Dr. Emory anrufen -«
Er schüttelte meine Hände ab. »Nein. Ich füttere Trusty. Und dann gehe ich zur Schule.«
»Was? Sonst ist dir keine Ausrede zu dumm, um nicht in die Schule zu müssen.«
»Ich mag Dr. Emory nicht. Ich hab einfach Wachstumsschmerzen, wie Grandma sagt.«
Aha, endlich fiel bei mir der Groschen. Wenn Will krank zu Hause blieb und ich wegen meines »Sonderprojekts« nach der Schule nicht heimkam, würde Daddy Großmutter anrufen, die den Fernseher als »eines von Porters Luxusgeschenken für Rita« bezeichnete, genau wie das Haus und den Kühlschrank und die Gefriertruhe und die Möbel und das Auto und alles andere, das Daddy unserer Mutter 1946 gekauft hatte, bevor sie krank wurde, bevor sie wegging, bevor er sich verlor und dann seine Arbeit.
Ich betrachtete Will genau.
»Also gut, dann komm«, sagte ich. »Wir sind noch früh genug dran, damit ich, ähm, zur Schulbibliothek gehen kann.«
»Geh du schon vor. Ich gehe erst, wenn Trusty herausgekommen ist.«
»Vielleicht weiß die alte Dame von gegenüber, was mit Trusty passiert ist.«
»Sie heißt MayJune«, sagte Will. »Sie wohnt in Tangy Town.« Tangy Town war eine kleine Ansammlung dicht beieinander stehender Häuser und Geschäfte auf der anderen Seite des Flusses, stromabwärts und im Windkanal der Papierfabrik - in den Augen der Einwohner von Groverton eine noch weniger attraktive Adresse als Stackville. Dort wohnte niemand, der nicht bettelarm oder schwarz war (allerdings nannte damals, 1953, jeder die Schwarzen nur Neger). Die Kinder aus Tangy Town, die alle den sauren Gestank der Fabrik in den Kleidern trugen, gingen in unsere Schule und brachen sie meist in der siebten oder achten Klasse ab.
Mama war auch dort aufgewachsen. Aber wir hatten das Viertel nie besucht und auch nichts von Mamas Leben dort erfahren. Wir wussten nur, dass sie, wie Daddy, ein Einzelkind war, dass ihre Eltern schon tot waren, als sie heirateten, und dass Grandma fand, sie hätte mehr Glück gehabt als ein vierblättriges Kleeblatt, als sie Daddy kennenlernte und seine Frau wurde.
»Manchmal passt MayJune auf ihre Enkel dort auf«, sagte Will.
Will machte sich auf zu dem Loch im Stacheldrahtzaun, und mir wurde klar, dass er sich durchzwängen und Trusty auf dem Schrottplatz suchen wollte. Und wenn Trusty wirklich irgendwo ist, dachte ich, angerannt kommt und Will angreift? Und wenn Mr Stedman mit seiner Flinte rauskommt? Ich packte Will am Arm. Er versuchte, sich loszureißen, doch ich schlang die Arme um ihn. »Will, es ist jetzt bestimmt schon Viertel vor acht. Wenn du zur Schule gehen willst -«
»Lass mich los! Ich muss Trusty finden!«, schrie er. Und dann, ganz plötzlich, hörte er auf zu schreien und sich zu wehren und wurde so schlaff in meinen Armen, dass ich dachte, er wäre wieder in Ohnmacht gefallen. Doch dann sah ich den Hund aus dem Wohnwagen humpeln, ein Trusty, der sicher nichts gemein hatte mit dem Hund, den die Fans von Sergeant Striker sich vorstellten.
Dieser Trusty ging langsam mit gesenktem Kopf zu dem Loch im Zaun. Sein rechtes Ohr war halb eingerissen, die Wunde blutverkrustet. Sein Rücken war voller Striemen; ich erkannte die Spuren einer Gürtelschnalle. Von seinem Nacken hing ein Stück Kette, doch das Halsband dazu sah ich nicht, es war in dem verfilzten, räudigen Fell verschwunden.
Will fiel vor dem Loch im Zaun auf die Knie, streckte den Arm durch, tätschelte den Hund und sagte: »Trusty, mach dir keine Sorgen. Wir gehen nach Alaska, dahin zurück, wo du hingehörst. Ich werde meine fünf Quadratzentimeter kriegen, und dann mehr und mehr, und du und ich, wir werden dort leben.« Der Hund drückte seine Schnauze in Wills Hand.
Ich packte Will bei den Schultern. Obwohl ich wusste, dass der Hund ihn nicht verstehen konnte, war ich stellvertretend wütend für Trusty. Ich schrie: »Will, hör sofort auf!« Er machte Versprechungen, die er nicht halten konnte.
Will ignorierte mich. Er nahm die durchgeweichte Schachtel, schob sie durch den Zaun, drehte sie um und schüttete den verbrannten Toast und die Cornflakes auf den Boden. Trusty verschlang einen Teil davon schon im Fallen, dann schnappte er sich die Schachtel und fraß auch die.
Als der Hund fertig war, sah er mich an. Ich starrte in seine wässrigen, eisblauen Augen. Groverton in Ohio war ein Ort für Beagle, deutsche Schäferhunde und Promenadenmischungen, nicht für einen Husky, der wie ein Wolf aussah.
Der Hund tat mir so leid, dass ich den Arm nach ihm ausstreckte. Ich wollte das Halsband aufmachen, das Fell darunter glätten, doch beim ersten Zucken meiner Hand ging er auf mich zu, und Speichel spritzte aus dem zähnefletschenden Maul. Als ich mit hämmerndem Herzen zurückstolperte, machte er das Maul wie zum Bellen auf, doch kein Ton kam heraus. Er war stumm.
Ich schrie Will an, er solle weggehen vom Zaun, streckte den Arm nach ihm aus, doch bevor ich ihn erreichte, spürte ich eine Hand auf meinem Rücken.
»Herzchen, wenn der Hund wirklich da durchkommen und dich beißen wollte oder aus irgendeinem anderen Grund da rauswollte, würde er sich durchs Loch zwängen, auch wenn ihm das noch so wehtäte. Mr Stedman schlägt den armen Hund, weil er aufgehört hat zu bellen«, sagte...
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