Schweitzer Fachinformationen
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Die letzten zehntausend Jahre hat die Menschheit ökologisch gewirtschaftet. Verfahren und Kreisläufe der Natur haben zu Erneuerung, Reproduktion und Vielfalt geführt und allen Wesen ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Diese nachhaltigen Systeme sind nicht feststehend oder statisch; sie befinden sich in ständiger Entwicklung. Als Teil dieser ökologischen Systeme hat sich die biologische Landwirtschaft entwickeln können. Sie entwickelte sich sogar so gut, dass selbst diejenigen, die als erste von der industriellen Landwirtschaft profitieren konnten, feststellen mussten, dass ihre Chemikalien und Pestizide wenig zur »Verbesserung« der traditionellen ökologischen Landwirtschaft beitragen konnten.
Bereits 1889 wurde Dr. John Augustus Voelcker nach Indien entsandt, um die britische Kolonialregierung bei der Einführung der chemischen Landwirtschaft auf indischen Farmen zu beraten. Beim Studium der indischen Landwirtschaftssysteme erklärte Voelcker: »Es gibt wenig oder nichts, was verbessert werden kann. [.] Sicher ist, dass zumindest ich nie ein perfekteres Bild eines sorgfältigen Anbaus gesehen habe. Ich darf mir erlauben zu sagen, dass es viel einfacher ist, Verbesserungen in der englischen Landwirtschaft vorzuschlagen, als der indischen Landwirtschaft sinnvolle Vorschläge zu machen.«1 Mehr als zwanzig Jahre später schrieb Sir Albert Howard, der »Vater« der modernen nachhaltigen Landwirtschaft, über Indien und China: »Die landwirtschaftlichen Praktiken des Orients haben die höchste Prüfung bestanden, sie sind fast so nachhaltig wie die des Urwaldes, der Prärie oder des Ozeans.«2 Das Bemerkenswerte an diesen Aussagen ist, dass diese beiden Männer immerhin Kolonisatoren waren, die größere Profite aus und eine stärkere Kontrolle über das Land der Einheimischen anstrebten. Doch sogar sie konnten keine Mängel in den vorhandenen »perfekten« Anbaumethoden finden. Entgegen der landläufigen Meinung gab es die Hungersnöte nicht deshalb, weil die einheimische Landwirtschaft nicht im Überfluss Nahrungsmittel produziert hätte, sondern wegen der kolonialen Ausbeutung, wie die große bengalische Hungersnot von 1943 beweist.3
In den letzten fünfzig Jahren hat sich jedoch etwas verschoben. Dieses letzte halbe Jahrhundert war ein kurzlebiges Experiment mit nicht nachhaltiger, chemikalien-, wasser- und kapitalintensiver Landwirtschaft.4 Diese neue Landwirtschaft, die oft fälschlicherweise »konventionell« (also herkömmlich) genannt wird, hat die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft zerstört, die natürliche Umwelt verwüstet und weltweit zu Ernährungsunsicherheit geführt. Angesichts der Tatsache, dass seit Jahrtausenden selbsttragende Systeme existierten, stellt sich die Frage: Wie wurde diese ökologisch so verheerende Landwirtschaft zum vorherrschenden Paradigma für die Landwirtschaft auf der ganzen Welt? Um diese Frage zu klären, müssen wir uns die Denkweisen - die Wissensparadigmen - ansehen, die zu dieser neuen Landwirtschaft geführt haben.
Wie der Physiker Thomas Kuhn geschrieben hat, sind alle wissenschaftlichen Systeme von Wissensparadigmen geprägt. Dies gilt auch für die in der Landwirtschaft angewandte Wissenschaft und Technik. Technologische Werkzeuge für die Nahrungsmittelproduktion existieren nicht unabhängig von dem Wissensparadigma, dessen Teil sie sind. Und die Ausgereiftheit und Nachhaltigkeit eines landwirtschaftlichen Agrarsystems hängt von der Ausgereiftheit des Wissensparadigmas ab, das es steuert.
Traditionelle Landwirtschaft und ökologischer Landbau haben ihre Wurzeln in mehreren Wissensgebieten, die gemeinsam das entstandene Wissensparadigma der Agrarökologie bilden. Die Agrarökologie berücksichtigt die Verflechtung des Lebens und die komplexen Prozesse, die in der Natur ablaufen. Das seit Jahrhunderten bewährte agrarökologische Wissen, das sich in den jeweiligen Ökosystemen und Kulturen entwickelt hat, wird heute durch die neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft bestätigt: von der Erde als Lebewesen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Epigenetik, über die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt und neue Erkenntnisse über den ökologischen Nutzen, den biologische Vielfalt und die Ökosysteme erbringen. All dies trägt dazu bei, dass Agrarökologie als wissenschaftliches Paradigma anerkannt wird.
Während der industriellen Agrarrevolution wurden diese traditionellen Wissenssysteme durch eine militarisierte Denkweise ersetzt, die auf Gewalt gegenüber der Erde beruhte. Die in diesem System entworfenen Werkzeuge wurden in Unkenntnis des verletzlichen Lebensnetzes entwickelt und störten und zerstörten die ökologischen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion. Die industrielle Landwirtschaft ist kein Wissenssystem, das auf dem Verständnis ökologischer Prozesse innerhalb eines Agrarökosystems beruht; sie ist vielmehr eine Ansammlung von Gewaltmitteln. Diese Mittel kamen im wahrsten Sinne aus der Kriegsführung, denn sie beruhen auf Chemikalien, die ursprünglich dazu gedacht waren, Menschen zu töten.
Die Auseinandersetzung darüber, wer die Welt wirklich ernährt, ist in erster Linie eine Auseinandersetzung darüber, welches Wissensparadigma eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion gewährleistet. Ausgeklügelte, nachhaltige Denk- und Lebensmittelproduktionssysteme gab es schon immer. Schließlich hat die Menschheit nicht erst heute mit dem Essen begonnen. Wie ist es dazu gekommen, dass die Grüne Revolution und die industrielle Landwirtschaft Systeme verdrängt und zerstört haben, die die Menschheit über Jahrtausende ernährt haben? Und warum wurde das Wissen über ökologische Agrarsysteme - die Agrarökologie - durch Werkzeuge der Kriegsführung ersetzt? Und wie konnte eine überholte mechanistische Philosophie die Landwirtschaft auch dann noch dominieren, als neu aufkommende wissenschaftliche Disziplinen sich mit indigenem Wissen verbanden, um Landwirtschaft und Ernährung als ein gesamtes System zu betrachten? Und schließlich: Wie können wir in eine Zukunft gehen, die auf den ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft beruht, ohne die es keine Nahrungsmittelerzeugung geben kann?
Wenn Gifte in die Landwirtschaft eingeführt werden, um Schädlinge zu bekämpfen, oder wenn GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) mit dem Argument, die »Welternährung sicherzustellen« eingeführt werden, ist die Rechtfertigung immer »Wissenschaft«. Was wir allgemein als »Wissenschaft« bezeichnen, ist jedoch in Wirklichkeit bloß die westliche, mechanistische, reduktionistische moderne Wissenschaft, die während der Industriellen Revolution zum vorherrschenden Weltbild wurde und die sich seither als dominantes Paradigma festgesetzt hat.
Seit Mitte der 1700er-Jahre, als der Kolonialismus seinen Höhepunkt erreichte, musste das Land, das einst von Gemeinschaften in den sogenannten Allmenden gemeinsam bewirtschaftet wurde, aufgeteilt und privatisiert, nämlich »eingehegt« werden, um Industrien und Imperien aufzubauen. Dazu musste das Wissen um die Erde und ihre Arten als miteinander verbunden und sich gegenseitig fördernd durch etwas ersetzt werden, das Gewalt gegenüber dem Land rechtfertigte. Um das industrielle System in Gestalt neuer gewaltsamer Technologien und das kapitalistische System in Gestalt einer jetzt gewinnorientierten Wirtschaft einzuführen, wurde eine bestimmte Art von Wissenschaft gefördert, und die galt forthin als das einzig Wissenschaftliche. Zwei wissenschaftliche Theorien dominierten dieses neue industrielle Paradigma, und sie prägen bis heute, wie wir Nahrung, Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung praktisch angehen.
Die erste Theorie ist die newtonsch-kartesische Idee der Trennung: eine fragmentierte Welt aus festen, unveränderlichen Atomen. In dieser Weltanschauung sind, wie Newton selbst schreibt, »die festen, massereichen, undurchdringlichen, beweglichen Teilchen . so hart, dass sie sich nie abnutzen oder in Stücke brechen: keine gewöhnliche Macht, die in der Lage ist, das zu teilen, was Gott selbst in der ersten Schöpfung eins gemacht hat. . Und daher möge die Natur beständig sein«.5 Dieses Weltverständnis sieht die Natur als aus toter Materie zusammengesetzt an: ein Lego-Bausatz, in dem unveränderliche Teilchen und Stücke ohne übergreifende Konsequenzen verwendet, bewegt und ersetzt werden können. Diese mechanistische Annahme hat heute zu einem genetischen Reduktionismus und genetischen Determinismus und zur Entwicklung dessen geführt, was als das zentrale Dogma der Molekularbiologie bekannt geworden ist, nämlich der Glaube, dass genetisches Material, die DNA, als Mastermolekül dient. Dieses Dogma war so grundlegend in den wissenschaftlichen Glauben eingeschrieben, dass es »das Äquivalent zu den in Stein gemeißelten Zehn Geboten...
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