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Aristoteles nannte die Kunst des Lebens »Oikonomia«. Das Wort »Ökonomie« leitet sich von zwei griechischen Wörtern ab, oikos, »Öko«, das ist der Haushalt im Sinne eines Hausstandes, und nomos, »Ordnung«, »System«, »Gesetz«, »Muster«, »Management«, »Buchhaltung«. Als Lebenskunst und Kunst des Haushaltens ist Wirtschaft auf die lebensspendenden Prozesse und Abläufe in der Natur und der Gesellschaft ausgerichtet. Sie beruht auf der Anerkennung und Respektierung der ökologischen Grenzen der Natur und der Rechte aller Menschen. Lebendiges Wirtschaften trägt die Infrastruktur des Lebens für Natur und menschliche Gesellschaft.
Aristoteles unterschied »Oikonomia«, die natürliche Art und Weise des Wirtschaftens, von der »Chrematistik«, der Kunst des Geldmachens und der Kapitalanhäufung, die auf der unbegrenzten Aneignung von Ressourcen der Natur und des Reichtums beruht, der von Bauern, Arbeitern und Frauen geschaffen wurde. Für Aristoteles ist die bloße Anhäufung von Geld eine unnatürliche Tätigkeit, die auch jene entmenschlicht, die sie ausüben. Zu einer echten und realen Wirtschaft, die den Lebensunterhalt der Menschen sichert, gehört der direkte Austausch zwischen Erzeuger und Verbraucher zu fairen Bedingungen als Teil einer Gemeinschaft. Wenn der Handel jedoch zum Selbstzweck und zur Triebfeder von Produktionssystemen wird, führt er zu Wertabschöpfung und Ausbeutung sowohl der Erde als auch der menschlichen Gesellschaft.
Inspiriert von Aristoteles' Vorstellungen über den Tausch, entwickelte Karl Marx in Das Kapital eine Arbeitswertlehre und zeigte, wie Handel und Gewerbe den Produzenten Mehrwert entziehen. Unter Berufung auf den lateinischen Klassiker Virgil sprach Marx von auri sacra fames (Verfluchter Hunger nach Gold, Leidenschaft für das Geld um des Geldes willen).1
Wenn Chrematistik die Oikonomia verdrängt, dann herrscht Gier statt Fürsorge, und Wegnehmen und Abgreifen ersetzen die Kunst des Gebens. So wird die Natur ärmer. Die ökologische Krise ist die Armut der Natur, die entsteht, weil wir der Erde nichts zurückgeben. Die Menschen werden arm und leiden Mangel. Die Armut der Menschen, die sich in zunehmendem Hunger und Krankheiten, Obdachlosigkeit, Vertreibung und Flucht äußert, ist eine Folge des Nichtzurückgebens an die Natur und die Gesellschaft.
Die von Gier getriebene Chrematistik hat die Menschheit blind gemacht für die Ökonomien des Lebens und die Ökonomien, die die Infrastruktur des Lebens schaffen, erhalten und regenerieren.
Die Natur hat ihre eigene Ökonomie für das Wachstum und die Erneuerung des Lebens. Die Menschen haben sich über Jahrtausende hinweg durch verschiedene Versorgungswirtschaften, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet waren, ernährt. In den letzten Jahrhunderten jedoch hat der Kolonialismus die Wirtschaft auf Gier und Geldmacherei reduziert. Die Ökonomien der Natur und der Menschen wurden unsichtbar gemacht und zerstört. Die Wirtschaft wieder als Kunst des Lebens zu etablieren, ist nicht nur für die Zukunft der Menschheit, sondern für alles Leben auf der Erde unerlässlich geworden.
Die derzeit vorherrschende Wirtschaftsweise, die von und für das 1 % betrieben wird, wurde auf »Chrematistik« oder die Produktion von Geld durch eine Geldmaschine reduziert. Schlimmer noch, dieses enge Konstrukt von »Wirtschaft« als Extraktivismus (rücksichtslose Entnahme von natürlichen und menschlichen Ressourcen), Handel und Kommerzialisierung wurde zur neuen Religion erhoben. Doch sie ignoriert die lebendige Ökonomie der Natur und sie zerstört die Lebensgrundlagen der Menschen und den wahren Reichtum der Natur und der Gesellschaft.
In Evangelii Gaudium, das im November 2013 veröffentlicht wurde, schreibt Papst Franziskus:
»Manche verteidigen nach wie vor Trickle-down-Theorien,12 die davon ausgehen, dass das durch den >freien Markt< geförderte Wirtschaftswachstum unweigerlich zu mehr Gerechtigkeit und Inklusion in der Welt führen wird. [.] Diese Meinung ist Ausdruck eines simplen und naiven Vertrauens in die Güte derjenigen, die wirtschaftliche Macht ausüben, und in die sakralisierte Funktionsweise des vorherrschenden Wirtschaftssystems [.] Die Ausgeschlossenen warten immer noch [.] und es hat sich eine Globalisierung der Gleichgültigkeit entwickelt.«
Papst Franziskus spricht von einem »vergötterten Markt« und einem System, »das dazu neigt, alles zu verschlingen, was dem Wachstum der Märkte im Wege steht«.2
Das Geldmachen wurde zu dem einen menschlichen Ziel, nach dem wir alle streben müssen. Die Reichen werden immer reicher. Der Rest verliert auf der Jagd nach Geld seine Ressourcen, seinen Lebensunterhalt, sein Leben. Die mechanistische Grundhaltung in Verbindung mit der Geldmaschine saugt der Natur und der Gesellschaft jedes bisschen Leben und echten Reichtum aus. Sie kennt keine Grenzen der Gewalt gegen die Natur und die unterschiedlichen Kulturen, gegen die Rechte der Menschen und die Rechte der Natur. Der berechnende Verstand übt Gewalt gegen das Potential der Natur und der Menschen, schöpferisch zu sein, zu arbeiten und etwas zu erschaffen. Die Welt des 1 % ist eine Welt ohne Leben, die auf der Auslöschung und Vernichtung der Oikonomia, der Lebens- und Haushaltskunst, beruht.
Die ursprüngliche Bedeutung von »Wohlstand« ist Wohlbefinden und Glück, nicht Geld. Und Geld ist nicht das Finanzwesen und schon gar nicht das digitale Finanzwesen, das es Milliardären ermöglicht, aus Geld noch mehr Geld zu machen, indem sie lokale, selbstorganisierte Volkswirtschaften kolonialisieren.
Covid-19 verstärkt den Hunger nach Geld bei denjenigen, die Chrematistik praktizieren. Für die gewöhnlichen Menschen besteht die dringende Notwendigkeit, Oikonomia als die verlorene Kunst des Lebens und des Überlebens wiederzuentdecken, als die Kunst des Haushaltens und des Teilens und der Schaffung von Überfluss, damit die Grundbedürfnisse aller erfüllt werden und gleichzeitig unser gemeinsames Haus geschützt wird.
Sowohl Ökologie als auch Ökonomie haben ihre Wurzel in »Oikos«, dem griechischen Wort für Haus und Haushalt. 1866 leitete Ernst Haeckel, der führende deutsche Schüler Darwins, die neue Bezeichnung »Ökologie« ab (vom gleichen Wortstamm oikos), und bezeichnete damit die Wissenschaft von den Beziehungen der lebenden Organismen zur Außenwelt - ihrem Lebensraum, ihren Gewohnheiten, ihren Energien und so weiter. Ökonomie dagegen war die Verwaltung und Pflege des gemeinsamen Hauses, Haushalts und Staates.
Die Enzyklika von Papst Franziskus, Laudato Si: Über die Sorge für unser gemeinsames Haus (2015) befasst sich mit der Verflechtung mehrerer Krisen, mit denen wir konfrontiert sind, da unser gemeinsames Haus, die Erde, durch die überbordende Gier und den Egoismus einiger weniger verunstaltet, ausgebeutet, verschmutzt und geschädigt wurde.
Papst Franziskus verbindet, was als getrennte Probleme angesehen wird: Ungleichheit und Nicht-Nachhaltigkeit. Durch eine integrale Ökologie verbindet er den »Schrei der Armen mit dem Schrei der Erde«. Die Enzyklika untersucht »die enge Beziehung zwischen den Armen und der Zerbrechlichkeit des planetaren Gleichgewichts und die Überzeugung, dass alles in der Welt miteinander verbunden ist. Das schließt die Kritik an neuen Paradigmen und Formen der Macht ein, die sich aus der Technik ableiten, und propagiert andere Wege zum Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt. Sie betont den Wert, der jedem Geschöpf eigen ist, die menschliche Bedeutung der Ökologie, die Notwendigkeit einer offenen und ehrlichen Debatte und die schwere Verantwortung der internationalen und lokalen Politik; sie wendet sich gegen die Wegwerfkultur und befürwortet einen neuen Lebensstil« (LS 16).
Das vorherrschende Modell von »Wirtschaft«, das auf kolonialem Handel und Extraktivismus beruht, hat seine Wurzeln nicht mehr in der Ökologie, sondern existiert außerhalb derselben und erhebt sich über sie, indem sie die ökologischen Systeme und Prozesse zerstört, die das Leben in der natürlichen und menschlichen Welt ermöglichen. Die unkontrollierte Aneignung von Ressourcen führt zum Aussterben von Arten und zum Zusammenbruch von Ökosystemen und verursacht unumkehrbare Klimakatastrophen.
Ebenso wurde die Wirtschaft, die doch Teil der Gesellschaft ist, von dieser getrennt und über die Gesellschaft gestellt, jenseits jeder demokratischen Kontrolle. Ethische...
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