Schweitzer Fachinformationen
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Hans Rudolf Herren
Präsident des Millennium-Instituts, Gründer und Vorsitzender der Stiftung Biovision und Ko-Vorsitzender des IAASTD*
Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung dieses aufschlussreichen Buches könnte nicht besser sein, da sich mehrere Krisen zuspitzen, die unser Lebensmittelsystem betreffen, nicht zuletzt der Ausbruch von COVID 19, der sich schnell zu einer Pandemie mit den heute bekannten schrecklichen Folgen entwickelte und noch lange nicht vorbei ist. Die Alarmglocken läuten bereits seit mehreren Jahrzehnten, und in der Tat wurden viele Forderungen nach einer genaueren Betrachtung der Entwicklung des Lebensmittelsystems laut, die bis zu Der stumme Frühling und Grenzen des Wachstums vor über 50 Jahren zurückreichen.
Die Forderungen nach einem radikalen Wandel in der Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel anbauen, weg von den synthetischen Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung und Düngung der Pflanzen, wurden als Ideologie und Träumerei bezeichnet, die nicht in der Lage wären, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Wie wir gerade erfahren haben, ist das globalisierte Lebensmittelsystem, das vom weltweiten Handel mit einigen wenigen Rohstoffen abhängt, allerdings sehr anfällig und versagt, wenn die Versorgungsketten durch Ereignisse wie eine Pandemie oder andere Faktoren wie steigende Energiekosten und große Wetterereignisse unterbrochen werden.
Der Zustand unseres Lebensmittelsystems ist bestenfalls unzureichend. In Wirklichkeit wurde es von Gier bestimmt und dem Wissen, dass die Kontrolle über die Lebensmittel gleichbedeutend mit der Kontrolle über die Menschen ist. Dies führte einerseits dazu, die Preise für Lebensmittel so niedrig wie möglich zu halten, insbesondere für Grundnahrungsmittel wie Weizen (Brot), Mais, Zucker und Palmöl, wobei die Konzentration auf einige wenige Rohstoffe es möglich machte, die Lieferketten zu straffen und so die Preise zu drücken. Diese niedrigen Preise hielten die Landwirte in einem Abhängigkeitsverhältnis: von den Lieferanten der Betriebsmittel und den Abnehmern ihrer Produkte; das brachte sie in eine Zwickmühle. Es ist kein Wunder, dass mit der Entwicklung dieses Lebensmittelsystems die Zahl der Landwirte zurückging, oft aufgrund von Konkursen und der Unfähigkeit, die Kredite zu bedienen, was sich aus den niedrigen Produktpreisen, den hohen Inputpreisen und den ständig steigenden Bodenpreisen ergab. Das Ergebnis ist ein Bild nach dem Motto: »Wachsen oder weichen.« Dies führte zu Mega-Farmen, Mega-Massentierhaltungen, Mega-Maschinen, Mega-Umweltverschmutzung, Mega-Verlust der biologischen Vielfalt und Mega-Beiträgen zu den Klimaveränderungen auf der einen Seite und Mini-Einkommen und Minimal-Ernährung und -Gesundheit auf der anderen Seite. Es ist klar, dass ein solches System mittel- und langfristig nicht funktionieren kann, weder in wirtschaftlicher noch sozialer oder ökologischer Hinsicht. Ein dramatisches Beispiel, das sich nicht wiederholen sollte, ist die Palmölindustrie in Indonesien, aber auch in der Demokratischen Republik Kongo, wo die riesigen Torfgebiete gezielt ausgebeutet werden sollen. Wie viel Zerstörung der unberührten und unersetzlichen Natur und der biologischen Vielfalt wird noch hingenommen, nur damit ein immer größeres Einkommensgefälle entsteht, weil die Vorteile eindeutig nicht der lokalen Bevölkerung zugutekommen?
Wie im IPES*-Lebensmittelbericht »Von der Einheitlichkeit zur Vielfalt« beschrieben, sind die Schlüsselfaktoren, die eine Umgestaltung des Lebensmittelsystems in Richtung der agrarökologischen Prinzipien blockieren (wie im jüngsten HLPE-Bericht des CFS** über agrarökologische und andere innovative Ansätze zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und der Ernährung definiert), die Machtkonzentration im globalisierten Lebensmittelsystem und das damit verbundene kurzfristige Denken - das Hinarbeiten auf billige Lebensmittel, die Pfadabhängigkeit, die Exportorientierung, das Narrativ »Welternährung«, die Erfolgskriterien und das Schubladendenken. Um das Lebensmittelsystem umzugestalten, müssen wir all diese Elemente angehen. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass es entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette - von der Produktion bis zum Konsum - alternative Wirtschaftsweisen gibt, und auch der Kreislauf für Abfälle zurück zum Boden hin wird in diesem Buch aufgezeigt. Von agrarökologischen Praktiken, einschließlich der organischen Regeneration und der Permakultur, die keine chemischen Inputs und kein gentechnisch verändertes Saatgut verwenden, gibt es bewährte Lösungen, aus denen Landwirte wählen können, um gesunde Lebensmittel in einer gesunden und vielfältigen Umwelt zu produzieren. Diese Praktiken können und werden, wenn sie weltweit angewandt werden, sich bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Energieverbrauchs schlimmstenfalls neutral und höchstwahrscheinlich positiv im Hinblick auf die Emissionen auswirken, die das Klima verändern. Das Streben nach billigen Lebensmitteln, das im Fleischsektor am stärksten ausgeprägt ist, ist schließlich ein Hauptverursacher der Klimaveränderungen, und wir werden es nicht schaffen, das gesetzte Ziel von 1,5 Grad Celsius einzuhalten, wenn wir nicht auch unsere Ernährung umstellen.
Die planetarischen Grenzen und die inzwischen gut dokumentierten Überschreitungen zeigen deutlich, dass das Lebensmittelsystem ein wichtiger Faktor in den Bereichen Biosphärenintegrität (funktionale und genetische Vielfalt), Stickstoff- und Phosphorverschmutzung, Veränderung der Landsysteme (Degradation) und Süßwassernutzung (Verschmutzung) ist. Werden die Entscheidungsträger dem Aufmerksamkeit schenken? Wahrscheinlich nur, wenn die gegenwärtigen Krisen andauern und sich verschlimmern. Die große Erwartung, dass technische Lösungen unsere Rettung bringen werden, wird sich nicht erfüllen. Wie wir im letzten halben Jahrhundert erlebt haben, verlangt eine technische Lösung nach der nächsten technischen Lösung, denn das ist das Wesen technischer Lösungen: Sie bekämpfen die Symptome des Problems, anstatt bei den Ursachen anzusetzen. Im Falle des Lebensmittelsystems sei auf den oben erwähnten IPES-Lebensmittelbericht verwiesen. Bestes Beispiel für technische Lösungen sind Pestizide, Herbizide und Fungizide, die die Landwirte in einen Teufelskreis geraten lassen, aus dem sie nur ein Übergang zu agrarökologischen und biologisch-regenerativen Praktiken befreien kann. Die mit technischen Lösungen verbundene Gentechnik, einschließlich CRISPRcas,* geht in die gleiche Richtung und hat kein einziges Problem dauerhaft gelöst, wie es zum Beispiel biologischen Bekämpfungsprogrammen gelingt, die die Gaben der Natur nutzen, um Probleme zu lösen.
Dass das Saatgut ebenso wie der Boden wieder in das Eigentum der Bauern und insbesondere der Bäuerinnen übergehen soll, ist eine entscheidende Grundlage für die Transformation des Lebensmittelsystems. Schließlich haben die Bauern auf der ganzen Welt das beste ökologisch und kulturell angepasste Saatgut ausgewählt und bewahrt und sich um den Boden gekümmert, auf dem sie ihre Feldfrüchte anbauen. Die Bauern müssen die Verantwortung für ihren Betrieb und ihre Betriebsmittel übernehmen, sie müssen die Kontrolle über die Preise haben, um sicherzustellen, dass der wichtigste Berufszweig der Welt nicht auch noch der ärmste ist und an Unterernährung leidet. Die Bemühungen um die Einführung fairer Preise helfen bereits einigen Bauern, aber es kann noch mehr getan werden, indem die Milliarden an Subventionen an Landwirte vergeben werden, die ihre Betriebe auf agrarökologische Praktiken umstellen, sowie an Akteure, die in der Wertschöpfungskette weiter oben stehen und Lebensmittel produzieren, die nahrhaft und frei von chemischen Rückständen sind. Um die Verbraucher in die Pflicht zu nehmen, ist die Zeit für eine echte Kostenrechnung reif. Durch die Berücksichtigung sowohl der positiven als auch der negativen externen Effekte im Endproduktpreis würden die heutigen billigen Lebensmittel teurer werden als nachhaltig erzeugte Lebensmittel. Die Landwirte hätten außerdem einen zusätzlichen Anreiz, auf agrarökologische Praktiken umzustellen.
Mit all den Kenntnissen und der Wissenschaft, die zur Verfügung stehen, um den Wandel des Lebensmittelsystems zu vollziehen, stellt sich die Frage, welche Hebel hier am wirkungsvollsten sind? In diesem gut recherchierten Buch werden die Probleme, die im Lebensmittelsystem bestehen, mit soliden Daten und Referenzen untermauert und die Krisen, die in den letzten Jahrzehnten aufgetreten sind, sehr detailliert erläutert. Darüber hinaus, und dies ist sehr wichtig, werden Lösungen anhand von Beispielen aus der Forschung und der Umsetzung von Navdanya aufgezeigt, welche die immer wiederkehrenden Argumente der Agrarindustrie und anderer Interessengruppen der...
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