Schweitzer Fachinformationen
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Spätsommer 1944
Wir sind auch eine Armee.
Auf meine Gartenhacke gestützt halte ich inne und betrachte die anderen Frauen, die mit mir den Boden bearbeiten. Wir tragen alle die gleiche Kleidung - Latzhosen und Sonnenhüte -, alle in Uniform, genau wie unsere Männer und Söhne auf der anderen Seite des Atlantiks.
Wir kämpfen für dieselbe Sache, nur auf andere Weise.
Ein leichter Sommerwind weht die Lake Avenue in Grand Haven, Michigan, entlang und streicht leise raschelnd durch Reihen von Tomaten, Karotten, Salat, Rüben und Erbsen. Ich begutachte das winzige Gemüsebeet zu meinen Füßen in dem kleinen Victory-Garten unserer Nachbarschaft und bewundere die schlichte Schönheit der roten Adern in den leuchtend grünen Mangoldblättern und das sprießende Kraut der Kohlrabis. Zufrieden lächle ich über ihre Fülle und meinen eigenen Einfallsreichtum. Ich hatte diese Gemüsesorten für unseren Victory-Garten vorgeschlagen, da sie leicht anzubauende Grundnahrungsmittel sind.
»Das Unkraut jätet sich nicht von allein.«
Als ich hochschaue, steht Betty Wiggins vor mir.
Wenn man Winston Churchill eine graue Perücke aufsetzen würde, denke ich, dann bekäme man Betty Wiggins, die selbsternannte Kommandantin unseres Victory-Gartens.
»Ich habe nur nachgedacht«, sage ich.
»Nachdenken können Sie zu Hause«, versetzt sie mir mit missbilligender Miene.
Ich nehme meine Hacke und entferne ein Büschel Unkraut. »Ja, Betty.«
Sie starrt mich an, dann mustert sie den Latz meiner Hose. »Hübsche Rose«, sagt sie, und ihre Miene wird noch missbilligender. »Halten wir uns heute vielleicht für Vivien Leigh?«
»Nein, Ma'am«, antworte ich. »Wollte mich damit nur aufheitern.«
»Heitern Sie sich zu Hause auf«, brummt sie finster. Ihr Blick bleibt an der Brosche in Form von Hyazinthen hängen, die ich mir an den Träger meiner Latzhose gesteckt habe, und wandert dann langsam zu den Margeritenohrringen aus Bakelit an meinen Ohrläppchen.
In der Hoffnung, Betty würde vielleicht verstehen, dass ich mich mit Dingen umgeben muss, die mir ein Gefühl von Sicherheit, Wärme und Freude geben, sehe ich sie an, aber sie geht mit einem »Hmpf!« davon.
Ich höre ein unterdrücktes Lachen, und als ich zu meiner Freundin Shirley hinübersehe, imitiert sie Bettys gewaltigen Hintern und ihren schwerfälligen Gang. Die Frauen um sie herum kichern.
»Halten wir uns heute vielleicht für Vivien Leigh?«, äfft Shirley Bettys Bariton nach. »Das wäre sie wohl gern.«
»Hör auf«, sage ich.
»Ist doch wahr, Iris«, fährt Shirley mit shakespearehaftem Theaterflüstern fort. »Da sind ja die Pferdehintern in Vom Winde verweht noch hübscher als der von Betty.«
»Sie hat ja recht«, erwidere ich. »Ich bin heute nicht richtig bei der Sache.«
Unvermittelt nehme ich die Rose, die ich heute Morgen in meinem Garten gepflückt und in die Latztasche meiner Hose gesteckt habe, und werfe sie in hohem Bogen fort. Shirley macht einen Satz, dabei zertrampelt sie ein Tomatenpflänzchen und fängt die Rose im Flug auf.
»Lass das«, sagt sie. »Hör nicht auf sie.«
Sie schnuppert kurz an der pfirsichfarbenen Blüte, bevor sie sie mir wieder in meine Tasche steckt.
»Gut gefangen«, bemerke ich.
»Weißt du noch?«, fragt Shirley mit einem Augenzwinkern.
Sonnenlicht funkelt zwischen den Blättern und Zweigen der dicken Eichen und zarten Zuckerahornbäume hindurch, die die kleine Parzelle säumen. Dieses Grundstück hat uns einst als Baseballfeld gedient. Ich stehe ungefähr dort, wo früher die dritte Base war, der Ort, an dem ich meinen Mann Jonathan zum ersten Mal gesehen habe. Er hatte einen himmelhohen Flugball direkt vor der behelfsmäßigen Tribüne gefangen und ihn dann zu mir geworfen.
»Es war nicht die Sonne, die mich geblendet hat«, hatte er mit einem Augenzwinkern gesagt, »sondern deine Schön heit.«
Ich hielt ihn für einen Aufschneider, aber Shirley gab ihm meine Nummer. Ich war über die Sommerferien vom College an der Michigan State nach Hause gekommen, und er war noch auf der Highschool. Das Letzte, was ich brauchte, war ein fester Freund, geschweige denn einer, der jünger war als ich. Aber ich kann mich immer noch an sein Gesicht im Sonnenlicht erinnern, an seine gebräunte Haut und den leichten Flaum auf seinen Wangen, die die Farbe von Sommerpfirsichen hatten.
Zarte weiße Pusteblumensamen tanzen in der Luft wie winzige Wolken, und als meine Augen ihre Flugbahn zurückverfolgen, entdecke ich meine Tochter Mary, die eine Handvoll Stiele hält und die Schirmchen in die Luft pustet.
Einen kurzen Moment lang ist mein Verstand so klar wie der Himmel. Es gibt keinen Krieg, nur Sommer und ein kleines spielendes Mädchen.
»Du weißt mehr über Pflanzen als irgendjemand hier«, reißt Shirley mich aus meinen Gedanken. »Du solltest hier das Sagen haben, nicht Betty. Du bist diejenige, die uns dazu gebracht hat, all dieses Grünzeug anzubauen.«
»Blumen«, erwidere ich. »Nicht Pflanzen. Meine Spezialität sind eigentlich Blumen.«
»Ach, sei nicht so pedantisch, Iris. Du bist die einzige Frau, die ich kenne, die auf dem College war. Du solltest was aus diesem Blumen-Diplom machen.«
»Botanik. Genau genommen Pflanzenbiologie mit Spezialisierung auf botanische Gärten und Pflanzschulen«, sage ich. Dann verstumme ich schuldbewusst. »Ich werde zu Hause gebraucht«, wechsle ich den Kurs. »Ich muss hier sein.«
Shirley hört auf zu harken und sieht mich mit flammenden Augen an. Kurz blickt sie sich um, vergewissert sich, dass die Luft rein ist, dann flüstert sie: »Lass den Quatsch, Iris. Ich weiß, du denkst, dass du das sagen und tun solltest, aber wir alle wissen es besser.« Sie schaut mich lange an. »Der Krieg wird bald vorbei sein. Diese Kriegsgärten werden auch verschwinden. Was wirst du mit dem Rest deines Lebens anstellen? Benutz deinen Verstand. Dafür hat Gott ihn dir gegeben.« Sie grinst. »Ich meine, dein eigener Garten sieht aus wie ein Labor.« Dann stutzt sie kurz und lacht. »Du trägst nicht nur eine deiner eigenen Blumen in deiner Latzhose, du bist sogar nach einer Blume benannt! Es liegt dir einfach im Blut.«
Ich lächle. Shirley hat recht. Ich bin von Blumen besessen, so lange ich zurückdenken kann. Meine Großmutter Myrtle war eine begnadete Gärtnerin, ebenso wie meine Mom Violet. Ich hatte auch meine eigene Tochter nach einer Blume benennen wollen, um dieses Erbe aufrechtzuerhalten, aber das wäre den meisten Leuten regelrecht verrückt vorgekommen. Wir hatten jahrelang neben Grandma gewohnt, in zwei benachbarten Cottages mit aneinandergrenzenden Gärten, Häuser, für deren Abzahlung sich mein Großvater und mein Vater früh ins Grab geschuftet haben. Jetzt sind sie alle fort, und ich vermiete das Haus meiner Grandma an eine Familie, deren Sohn bei der Küstenwache war.
Aber mein Garten ist voll von ihrem Vermächtnis. Beinahe jede mehrjährige Pflanze, die ich besitze, stammt aus der Züchtung meiner Mom und meiner Grandma. Meine Grandma hat mir in ihrem kleinen Stück Himmel in Highland Park mit Blick auf den Michigansee das Gärtnern beigebracht. Einen Großteil meiner Kindheit verbrachte ich mit Mom und Grandma in ihren Cottagegärten, überragt von Taglilien und Goldmelisse. Wenn es zu heiß wurde, legte ich mich mitten zwischen Grandmas Waldhortensien auf die kühle Erde, den Rücken an ihren alten schwarzen Mischlingshund Midnight gelehnt, und wir lauschten den Bienen und Kolibris, die über uns summten. Wenn ich tief und fest schlief, packte mich meine Grandma am Bein und tat so, als wäre ich Unkraut, das sie ausrupfte. »Deswegen muss man Unkraut jäten«, sagte sie dann immer lachend und zog an meinem Knöchel, bis ich kicherte. »Das sprießt überall.«
Jedes Mal, wenn meine Mom und ich durch ihren Garten gingen, sagte sie dasselbe zu mir, während sie goss und jätete, welke Blüten abzupfte und Blumen für Sträuße schnitt. »Die Welt ist voll von zu viel Hässlichkeit - Tod, Krieg, Armut, Menschen, die einfach nur gemein zueinander sind. Aber diese Blumen erinnern uns daran, dass überall um uns herum Schönheit ist, wenn wir uns nur die Zeit nehmen, sie zu pflegen und zu schätzen.«
Grandma Myrtle zeigte oft mit ihrer Gartenschere in ihrem Garten herum und meinte: »Schau dich nur um, Iris. Die Margeriten erinnern dich daran, fröhlich zu sein. Die Hortensien inspirieren uns, farbenfroh zu sein. Der Flieder drängt uns, tief einzuatmen. Die Narzissen halten uns den Spiegel vor. Die Stockmalven zeigen uns, wie man in dieser Welt aufrecht für sich einsteht. Und die Rosen - oh, die Rosen! Sie beweisen, dass Schönheit allgegenwärtig ist, sogar zwischen Dornen.«
Der Duft der Rose in meiner Tasche steigt mir in die Nase, und ich nehme sie heraus und betrachte sie.
Meine wunderschöne Jonathan-Rose.
In den letzten Jahren konnte ich häufig nicht schlafen, darum hatte ich - um meine Gedanken zu beschäftigen - mit Rosen und Taglilien experimentiert, verschiedene Sorten gekreuzt und fremdbestäubt, um neue Farben oder üppigeres Blattwerk zu bekommen. Ich hatte etwas über eine Friedensrose gelesen, die in Amerika eingeführt werden sollte - um zu feiern, dass die Nazis gerade aus Frankreich abzogen -, und ich wollte meine eigene Version kreieren, um die Heimkehr meines Mannes zu feiern. Sie war eine wunderschöne Mischung aus weißen, rosafarbenen, gelben und roten Rosen, was zu einem perfekten Pfirsichton geführt hatte.
Ich erinnere mich an Jon als jungen Mann, vor...
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