Schweitzer Fachinformationen
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Alles hat seine Ordnung - wenn es nicht gerade unser Küchentisch ist, denn da deponiert Tom gerne das komplette Inventar seines Kinderzimmers, und Emma erledigt hier, mitten im Gewusel, ihre Hausaufgaben am liebsten. Dafür kann man sich bei uns auf die zeitliche Ordnung im Tagesablauf absolut verlassen (sehr zu meinem Bedauern): Sonntagmorgens wacht zuerst Tom auf, unmittelbar danach zwangsläufig ich, eine Weile später Emma und kurz vor Sonnenuntergang (gefühlt): Werner. Wer behauptet eigentlich, dass Ordnung in jeder Hinsicht wünschenswert ist? Ich wäre morgens wenigstens hin und wieder gerne mal an dritter und am liebsten an vierter Stelle statt wie üblich an zweiter. Bei den Hühnern verstehe ich ja noch den Sinn der gesitteten Reihenfolge, wer wann am frühen Morgen das Schlafzimmer verlässt. Jedes Mal schreitet zuerst Henni die Hühnerleiter hinunter, danach Isabella, im Anschluss Momo (und so was soll der »Anführer« seiner Damen sein!) und zuallerletzt Layla, die als Einzige immer noch mehrere Anläufe braucht, bevor sie behutsam die mit Ästen verstärkten Sprossen nimmt. Immerhin stürzt sie sich nicht mehr suizidgefährdet hinunter. Der Vorteil dieses geordneten Ablaufs: kein Gedränge am Ausgang wie bei der Love Parade, keine rasanten Überholmanöver auf der Hühnerleiter, keine Abstürze mit Einsatz des Hühner-Notarztwagens. Aber von alldem kann bei uns Federlosen ja nicht die Rede sein, wenn wir uns träge im Bett wälzen. Auf unsere nutzlose Aufsteh-Reihenfolge in unmenschlicher Frühe könnte ich gut und gerne verzichten. Werner ist da anderer Meinung. Wen wundert's. Aber, da Tom mich sowieso weckt, muss ich mich wenigstens nicht darüber ärgern, die Hühner bei Tagesanbruch aus dem Stall lassen zu müssen. Leider ist dieses Übel nur eine Frage der Zeit. Sonnenauf- und -untergang haben ja auch ihren Rhythmus, und mir graut davor, wenn die Sonne vor Tom aufsteht!
Aber jetzt stehe ich mit Tom erst mal am Hühnerstall und atme die klare Herbstluft ein. Es ist der zweite Sonntagmorgen, an dem wir Hühnerbesitzer sind. Eine festgelegte Routine, wer die Hühner wann versorgt, haben wir nicht, denn bei uns verläuft kein Tag wie der andere. Meist bin ich es, die die Hühner morgens vor Schule, Kindergarten und Arbeit rauslässt. In der Regel versorgt Emma die Tiere mittags nach der Schule und bringt sie abends »ins Bett«. Nachmittags schaut Tom oft gemeinsam mit Emma oder mir bei unserem Kleinvieh vorbei, und wenn die Kinder nachmittags unterwegs sind, übernehme ich ihren Part. Der Wind trägt vereinzelt ein Muhen und Klappern aus Nachbars Kuhstall herüber, der dreihundert Meter von uns entfernt steht. Ein Tratsch über den Gartenzaun wie im Wohngebiet ist nur möglich, wenn der Bauer bis zu uns herüberstiefelt. Im Sommer stecken seine Kühe gerne mal ihre Nasen durch die Haselnusshecke und schielen auf unsere Teller, wenn wir draußen essen - eingehüllt von diesem aromatischen Duft, den ich so liebe: Kuhdung. Werner moniert zwar regelmäßig »Es stinkt!«, aber ich korrigiere beständig: »Wer hat schon eine so gesunde Landluft, Schatz?« Und dann essen wir einvernehmlich weiter.
Über unseren Plastikstall und unsere gerade mal vier Hühner würde jeder eingefleischte Landwirt wahrscheinlich mitleidig schmunzeln. Ich dagegen freue mich gerade darüber, wie schnell unsere Hühnerschar sich an die Plastikleiter gewöhnt hat. Und an uns. Tom hält eine Hand voller Weizenkörner hin, und Henni und Isabella picken bereits gemeinsam. Layla nähert sich vorsichtig von der Seite und überlegt erst noch eine Runde, ob sie es ebenso wagen sollte. Das kennen wir nun schon von ihr, immer am Zögern und Zweifeln. Schließlich fressen tatsächlich alle Damen aus Toms Hand. Er kichert. »Das tut gar nicht weh, Mama! Es kitzelt!« Momo schleicht unschlüssig um Tom herum. Immerhin zieht er die Füße im taunassen Gras nicht mehr bis an den »Bauchnabel«. Ein weiterer Fortschritt auf der Maransseite, stelle ich zufrieden fest. Momo würde auch gerne naschen, aber dazu fehlt ihm (noch?) eine Portion Mut. Wie soll der bloß mal unsere Hennen beschützen? Aber vielleicht kommt das ja noch, wenn seine männlichen Hormone in die Gänge kommen - er kräht ja noch nicht mal (dabei ist er immerhin acht Monate alt). Layla steckt ihren Schnabel in den Wassernapf, hält den Kopf hoch und lässt das Wasser gluckernd die Kehle hinunterrinnen. »Die gluckst ja richtig! Pass auf, gleich rülpst sie noch!« Tom lacht sich schlapp. Keine Ahnung, warum kleine Jungs Geräusche, die vorne und hinten rauskommen, so amüsant finden. Die anderen Hühner trinken jedenfalls sittlich, ohne einen Ton von sich zu geben. Und sie spritzen einen netterweise auch nicht nass wie Layla, die im Anschluss ihren Kopf schüttelt und das restliche Wasser auf die Umgebung verteilt.
»Haben die Flöhe?«, fragt Tom, weil alle Hühner beginnen, sich zu putzen. Mit dem Schnabel ziehen sie jede Feder einzeln vom Anfang bis zum Ende durch. »Ich hoffe nicht!«, rein zufällig kratze ich mich hinter dem Ohr. »Hühner waschen sich mit dem Schnabel. So werden sie Dreck und Parasiten los. Sie ordnen die Federäste und verteilen die wasserabweisende Fettschicht, damit das Gefieder schön fluffig bleibt und die Hühner besser fliegen können.« Und Letzteres tun unsere neuen Mitbewohner nun auch, denn sie haben Emma entdeckt, die wach geworden ist und verschlafen in unsere Richtung schlurft. Alle Hennen stürzen lauthals quasselnd auf sie zu. Es sieht zum Piepen aus: Sie strecken den Hals weit nach vorne, rennen, geben mit den Flügeln Gas und heben ein Stückchen ab, rennen, fliegen, rennen, fliegen und bremsen kurz vor Emmas Füßen abrupt ab. Jugendlicher Übermut. Unsere Hühner sind ja noch nicht erwachsen. Das sieht man am Kamm. Er ist noch nicht so groß und rot wie bei einer legereifen Henne. Momo trottet, scheinbar überfordert von so viel Frauen-Power, gemäßigt hinterher. Dafür sieht Emma nach dieser stürmischen Begrüßung jetzt richtig wach aus - Müdigkeit verflogen - und beugt sich munter zu ihren Hühnern runter. Henni steht direkt vor ihr, schaut sie schräg mit einem Auge an und schnattert regelrecht. Man könnte meinen, wir hätten eine Gans oder Ente gekauft. Tom hält sich die Ohren zu: »Henni ist ja lauter als ich!« Das stimmt meist leider nicht, aber sie ist auf jeden Fall die mitteilungsfreudigste unserer Hennen. »Und Layla singt!«, findet Tom, denn sie produziert in ihrer Aufregung seltsame hohe, lang gezogene Töne, unterbrochen von einer Serie abgehackter Silben. Und natürlich bekommen die Hühner das, worauf sie spekuliert haben. Der Grund der Aufruhr: Leckerbissen! Emma hält den Hühnern Löwenzahn hin, den sich alle - außer Momo - gierig bei ihr abzupfen. Nicht, dass Momo uns vor lauter Angst noch verhungert!
Ich traue meinen Augen kaum. Werner kommt aus dem Haus. Im Schlafanzug. Es ist noch nicht mal Mittag. In der Hand hält er die Kompostschüssel. »Delikatessen für die Hühner!«, verkündet er stolz. »Recycling von unseren Essensresten. Genial, oder?« - »Lass mal sehen, was du hast«, sage ich bloß. Avocados sind zum Beispiel tabu. Aber die sind gar nicht dabei. Dafür Unmengen Paprikakerne. »Was sollen die Hühner denn mit diesem Müll?«, frage ich entrüstet. Werner ignoriert meine Empörung und schmeißt den Hühnern die Paprikakerne einfach vor die Nase. Eins zu null für Werner. Alle Kerne weg. Wer hätte das erwartet? Dabei ist es ja an sich kein Wunder. Paprikakerne sehen aus wie Körner. Und Hühner lieben sie. Genauso wie anscheinend Fliegen, denn Isabella hat einen dicken Brummer entdeckt und hüpft wie ein überdimensionierter Flummi geschickt in die Luft, um ihn zu erwischen. Ulkig. Tom fängt natürlich sofort an, es Isabella nachzumachen. Er springt auf und ab und erhascht imaginäre Fliegen.
»Guck mal, was du machst!«, schimpft Emma. Tom hält inne und sieht, was geschehen ist. Die Hühner haben das Weite gesucht und verstecken sich unter ihrem gelben Stall. Die Farbe verätzt mir die Netzhaut inzwischen gar nicht mehr. Man gewöhnt sich an alles. An hektisches Gehüpfe sind unsere Tiere jedoch noch nicht gewöhnt. »Ups«, sagt Tom. Ich muss was klarstellen. »Hühner sind Fluchttiere. Wenn sie sich erschrecken, bringen sie sich schnell in Sicherheit. Ihr solltet euch langsam bewegen, sie kennen uns ja noch gar nicht richtig.« Ich bin überrascht. Sonst sind oft zehn Ermahnungen nötig, bis ich mir endlich Gehör verschafft habe. Aber Tom sieht ja, wie ängstlich die Hühner unterm Stall hervorschauen. Er geht in die Hocke und versucht ganz ruhig, seine neuen Kumpels mit Futter wieder anzulocken. Es dauert etwas länger als sonst, aber die Hühner fassen zum Glück Vertrauen und wagen sich wieder heran. Als Tom aufsteht, um ihnen auch noch Regenwürmer zur Entschädigung zu suchen, macht er vorsichtige, bedächtige Bewegungen. »Toll«, lobe ich ihn.
Nach dem Mittagessen gehen wir drei noch mal zu den Hühnern. Heute gab es Brokkoli als Beilage. Schauen wir mal, ob ihnen die übrig gebliebenen Strünke schmecken. Es ist ein sonniger Herbsttag. Die Bäume unseres kleinen Waldes leuchten in den verschiedensten Farben um die Wette, und es ist beinahe sommerlich warm. Emma öffnet die Pforte zu der umzäunten Wiese, auf der unser Hühnerstall samt raubtiersicherem Auslauf steht. Aber niemand von uns kann irgendein Huhn entdecken. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt. Kein Huhn scharrt und pickt irgendwo herum. Emma fängt besorgt an zu suchen. Mich durchzuckt es frostig bis in die Zehenspitzen. Hoppla, so war das ja gar nicht vorgesehen! Die Hühner sollten ins Herz der Kinder! Schließlich war es ursprünglich Emmas Wunsch, noch ein...
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