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Sie hatte einen kurzen prüfenden Blick in das Restaurant geworfen, bevor sie es betrat. Herr Li saß an einem aufwendig gedeckten Tisch im Man Ho Restaurant des Marriot Hotels in Hongkong und schaute auf seine Armbanduhr. Sie wusste, dass er Verspätungen nicht akzeptierte. Ungeduldig hob er den Porzellandeckel seiner Tasse und ließ ihn geräuschvoll wieder fallen.
»Ich bin doch nicht etwa zu spät?«, hauchte sie in Herrn Lis rechtes Ohr, wobei der Ärmel ihres dunklen Hosenanzugs seine linke Schulter streifte.
»Doch!«, antwortete er kurz angebunden, konnte sich jedoch ein Lächeln nicht verkneifen. »Doch, sehr verehrte Madame Leblanc, Sie sind eigentlich immer zu spät. Nur Ihr Geld wollen Sie pünktlich haben«, sagte er mürrisch.
Jeannette setzte sich dem Chinesen gegenüber und legte die steif gefaltete Damastserviette auf den Tisch. Ihre langen, schmalen Hände strichen sorgfältig über das Tuch, während sie ihn erwartungsvoll anlächelte.
Herr Li nahm die Dinnerkarte und studierte diese intensiver als nötig.
»Was nehmen Sie?«, fragte er, ohne aufzuschauen.
»Einen eiskalten Weißwein. Und wenn möglich nicht aus China«, fügte sie verschmitzt hinzu.
»Ich kann Ihnen Wein aus China nur empfehlen, obwohl ich weiß, dass Sie ihn nicht zu schätzen wissen«, erwiderte Herr Li in die Karte vertieft, eine Hand an seiner schwarz umrandeten Lesebrille.
»Einen grauen Burgunder aus den Vogesen«, sagte sie schließlich.
Herr Li schien einige Zeit zu benötigen, bis er den gewünschten Wein auf der Karte fand, lächelte dann abermals gönnerhaft, als er den Preis sah, klappte die lederne Karte zu und faltete die Hände.
»Waren Sie schon mal im Sudan?«, fragte er unvermittelt.
»Ja, in Khartoum«, antwortete sie schnell, während ihre Hand nervös über das voluminöse Seidentuch glitt, das locker um ihren Hals gelegt war und im Blazerausschnitt steckte.
Warum hatte er sie ausgerechnet nach dem Sudan gefragt? Eine flüchtige Erregung keimte in ihr auf.
»Wir haben dort explizite Interessen, Madame Leblanc. Diese Interessen beziehen sich auf das Erdöl, das in der Grenzregion zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Landes lagert.«
Herr Li nippte an seinem grünen Tee und lugte über den Rand seiner Lesebrille.
»Sie wissen, dass das Land praktisch zweigeteilt ist. In den moslemischen Norden und in den was-auch-immer Süden. Das Erdöl liegt genau auf der Grenze.«
»Haben Sie Konzessionen für die Erdölfelder?«
»Natürlich haben wir Konzessionen«, antwortete Herr Li ungehalten. »Nur - diese Konzessionen nutzen uns nichts, wenn diese auf dem Territorium des Südsudans liegen, weil ein gewisser Herr Garang plötzlich mit den Europäern verhandelt. Garang hat einen großen Fehler begangen. Er scheint eigenmächtig und ohne Absprache mit der Regierung in Khartoum die Konzessionen zu Block B im Südsudan mit einem britischen Konsortium neu verhandelt zu haben. Dies entsprach nicht den Abmachungen, die vorsahen, dass zunächst keinerlei Konzessionen neu vergeben werden. Wir haben Anlass zur Sorge, dass unser Engagement in den Konzessionsteilen Block 1 bis 4 und 7 durch Garang untergraben wird.«
Herr Li hielt kurz inne, während sein Blick durch das Restaurant wanderte. Jeannette sah, dass sich auf seiner Stirn kleine Schweißperlen gebildet hatten und seine wächserne Haut einen matten Rotton annahm.
Dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort, wobei er das erste Mal Jeannette direkt ansah: »Wir haben kein Interesse mehr an Verhandlungen mit Herrn Garang. Im kommenden Januar soll zwischen dem Nord- und dem Südsudan das Comprehensive Peace Agreement unterzeichnet werden. Garang soll dann ein halbes Jahr später als Erster Vizepräsident des Sudan und als politischer Repräsentant des Südsudan gewählt werden. Das Comprehensive Peace Agreement ist die road map für eine spätere Teilung des Landes.«
»Wir haben ebenso kein Interesse an einer endgültigen Teilung des Landes«, fuhr er nach einer Weile fort, während sein Blick wieder durch das Restaurant streifte. »Wir meinen, dass Herr Garang den wirtschaftlichen Interessen Chinas gleichgültig gegenübersteht«, sagte er nun wieder etwas lauter, nachdem er vermutlich festgestellt hatte, dass keine Zuhörer in der Nähe waren.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie.
»Erst mal essen wir etwas, verehrte Madame Leblanc.«
Der Weißwein kam und wurde geräuschlos plaziert. Die Dinnerkarten wurden gereicht.
Jeannette ahnte, was Herr Li von ihr wollte. Sie kannte ihn gut aus vorangegangenen Operationen, bei denen sie im Auftrag des chinesischen Geheimdienstes gearbeitet hatte. Die Chinesen zahlten gut, das war das Einzige, was sie wirklich interessierte. Aber sie wusste auch um die Gefahr, zu tief in die Machenschaften der internationalen Geheimpolitik zu geraten. Die Kunst bestand darin, nur das Nötigste zu erfahren, um nicht selbst plötzlich zum Gejagten zu werden.
Jeannette zupfte wieder an ihrem Seidentuch und zog es etwas höher über den Hals.
»Ist Ihnen kalt, Verehrteste?«, fragte Herr Li, und sie hatte den Eindruck, dass er dies mit gespielter Besorgnis tat. Sie traute ihm nicht. Sie traute eigentlich niemandem.
»Die Klimaanlagen sind immer auf Südpol eingestellt«, erwiderte sie und schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln.
Was willst du von mir, dachte sie. Warum ausgerechnet der Sudan? Ihr habt so viele Agenten im Sudan. Warum ich?
Herr Li stand auf, machte mit zusammengestellten Hacken die Andeutung einer Verneigung und eilte zu einem jungen Mann im schwarzen Anzug, der an einer üppig mit Holz verkleideten Eingangstür stand. Jeannette beobachtete die beiden aus den Augenwinkeln. Der junge Mann hörte schweigend zu und schaute dabei ehrfurchtsvoll auf den taubenblauen Teppichboden. Dann ging er, ohne ein einziges Wort zu erwidern, aus dem Saal.
Als Herr Li wieder Platz nahm, bedankte sich Jeannette mit einem stummen Nicken.
Sie bestellten Austern in Weißwein.
»Die Entwicklungen im Sudan sind nicht in unserem Sinne«, begann Li die Unterhaltung von Neuem. »Die Nordsudanesen haben der vorläufigen Teilung ihres Landes zugestimmt, um das Darfurproblem zu entschärfen und von der Liste geächteter Staaten gestrichen zu werden, die die USA selbstherrlich aufgestellt haben. Herr Garang im Südsudan ist ein äußerst charismatischer Führer. Er wurde sträflich unterschätzt, als man ihn installierte. Nun treibt er die Abspaltung vom Nordsudan mit aller Raffinesse voran und glaubt, sein Vorhaben mit Erdöleinnahmen aus dem Westen finanzieren zu können. Unsere Geologen sagen, dass der überwiegende Teil der Vorkommen in der Grenzregion und im Süden vermutet wird.«
Herr Li nahm einen Schluck Weißwein und tupfte sich bedächtig die Lippen mit der Serviette ab.
»Warum inszenieren Sie nicht einen Putsch?«, fragte sie nach einer langen Pause.
»Weil das vollkommen unglaubwürdig wäre. Die ist mittlerweile viel zu eng mit Garangs Interessen verwoben.«
»Dann kaufen Sie ihn. So wie Sie halb Afrika gekauft haben.«
»Herr Garang wurde bereits vom Westen gekauft, Verehrteste, das sollten Sie wissen!«
»Herr Li, Garang wäre nicht der erste afrikanische Führer, der sich mehrmals von den unterschiedlichsten Parteien und Interessenten kaufen lassen würde. Was ist Ihr Problem?«
»Haben Sie schon einmal von der irischen Explorationsfirma Patricks Oil gehört?«, fragte Li und schlürfte gekonnt eine Auster aus ihrer Schale.
»Nein«, antwortete Jeannette matt und nestelte abermals an ihrem Seidentuch, um zu demonstrieren, dass die Temperatur im eisgekühlten Restaurant noch keine für sie angenehme Höhe erreicht hatte.
»Patricks Oil hat in einem kleinen Areal im ugandischen Albertsee erste Erdgas- und Erdölvorkommen exploriert. Die China National Petroleum Corporation hat sich ebenfalls intensiv um diesen Auftrag bemüht, aber hat uns den Auftrag nicht gegeben. Auch bei den angrenzenden Claims sind wir bisher nicht zum Zuge gekommen. Seitdem klar ist, dass Museveni bei den Wahlen im Februar 2006 noch einmal die Macht erstreiten will, tritt immer deutlicher eine oppositionelle Clique von hochrangigen Offizieren hervor, die nach einem günstigen Augenblick suchen wird, Museveni zu stürzen. Wir haben dem Führer dieser Oppositionsgruppe, Tito Badaza, ein Angebot gemacht: Er hilft uns, Garang zu beseitigen, wir unterstützen seinen Putsch gegen Präsident Museveni, und dafür werden wir an den Rechten für die Erdölausbeute beteiligt.«
»Aber Badaza und Museveni verbindet eine - Männerfreundschaft, würde man wohl sagen«, fügte sie nach einem kurzen Zögern ironisch hinzu.
»Das ist lange vorbei. Teile der ugandischen Armee sind unzufrieden mit Musevenis autokratischem Stil. Sie wollen mehr an der Macht und ihren Gewinnen beteiligt werden. Museveni denkt überhaupt nicht daran, einen Nachfolger aus der Armee oder der Partei aufzubauen. Er scheint seine Familie als einzig legitime Machtbasis anzusehen.«
»Aber warum sollte Badaza Interesse an einem Tod Garangs haben?«, fragte Jeannette.
»Badaza ist ein Fuchs, Verehrteste. Er weiß sehr genau um die Gefahr, dass Garang die ugandische West-Nile-Region, die ethnisch dem Südsudan viel mehr verbunden ist als dem selbstherrlichen -Regime, mit in seine Sezessionsbestrebungen ziehen könnte. Er glaubt, Garangs Stellvertreter viel leichter...