Zu diesem Buch - meine Geschichte
PACO UND DIE ANGST
2010 war kein gutes Jahr. Mein Hund Paco wollte jeden Tag weniger die Wohnung verlassen. Wenn ich ihn schließlich ins Auto bekommen hatte, fuhren wir weit aus der Stadt heraus - und er hatte trotzdem Angst, weil sich zwei Radfahrer laut unterhielten. Pacos Geräuschangst war so stark, dass ihn jede Stimme ängstigte. Was haben mich Menschen genervt, die auch dort unterwegs waren, wo wir Gassi gehen wollten! Eine Weile habe ich mir eingeredet, dass es mit der Zeit besser würde - leider wurde es das nicht.
Ich bekam vermehrt den Rat, dass ich Pacos Angst unbedingt ignorieren sollte. Ich sollte ihn nicht belohnen, nicht ansehen, nicht mit ihm sprechen, ihn nicht berühren, wenn er Angst hatte. Aber einfach nichts tun und darauf warten, dass er sich daran gewöhnt? Das war hart und brach mir das Herz. Es fiel mir schwer, einfach nichts zu tun. Also versuchte ich, mehr über Geräuschangst und Hundetraining zu lernen. Ich besuchte meine ersten Seminare mit Paco, las pro Woche mindestens zwei Hundebücher und ging mit Paco zu einer Hundetrainerin. Doch viel veränderte sich nicht. Paco hatte weiterhin Angst und wollte entweder ins Auto oder nach Hause. Ich bekam den Eindruck, dass wir immer zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Warum knallt es immer da, wo wir sind? Warum vertraut mir Paco so wenig? Warum orientiert er sich nicht an mir? All diese Fragen stellte ich mir und fühlte mich oft wie eine Vollidiotin.
DIE VERÄNDERUNG
Doch 2011 sollte sich einiges verändern. Im Frühjahr 2011 besuchte ich ein Seminar bei Maria Hense. Ich war mir zu dem Zeitpunkt schon sicher, dass es keine gute Idee ist, Angst zu ignorieren. Also versuchte ich, Paco in den jeweiligen Situationen zu unterstützen. Aber das Clickertraining half nicht, weil er auch davor Angst hatte. Der Clicker war zu laut, und die alten Holzdielen in meiner Altbauwohnung sorgten zusätzlich für einen furchterregenden Hall. Deshalb stieg ich schnell auf ein Markerwort um. Maria Hense bestärkte mich darin, so weiterzumachen und nicht aufzugeben.
Ein paar Monate später war mein erstes Seminarwochenende mit Dr. Ute Blaschke-Berthold. Es war ein zweitägiges Seminar zum Training und zur Motivation für spezielle Hunde, mit einem Vortrag zum Thema Körpersprache. Dabei gingen mir sprichwörtlich viele Lichter auf. Alles schien plötzlich so logisch und klar zu sein: Eine Emotion wie Angst verstärke ich nicht, wenn ich in diesem Moment bei meinem Hund eine positive Emotion auslöse. Also konnte ich alles nutzen, was Paco ängstigt, damit es ihm besser geht. Die Co-Trainerin Anne Rosengrün, die heute neben ihrer Hundeschule und ihrem Gassiservice Dogwalker ausbildet, bestätigte mir, dass mein positives Markersignal, also mein Markerwort, perfekt wären, um Paco in Angstsituationen zu helfen. Das positive Markersignal wurde in so vielen Momenten mit einer Belohnung verknüpft und gab ihm Sicherheit, sodass wir es auch zur Gegenkonditionierung der Angst nutzen konnten. Es war nur wichtig, dass ich es genau so in entspannten und sicheren Situationen anwendete. Ich probierte es, konnte aber an diesem Wochenende nicht feststellen, dass es Paco half. Ich machte trotzdem weiter. Bei jedem plötzlichen oder lauten Geräusch sagte ich sofort mein Markerwort und bot Paco etwas Schönes an. Wenn er kein Futter wollte, lobte ich ihn nur mit meiner Stimme. Und nach nur zwei Wochen änderte sich etwas. Paco wurde ansprechbarer, wenn er Angst hatte, und auf einige Geräusche reagierte er plötzlich nicht mehr panisch. Wenn mir in der Wohnung etwas auf den Boden fiel, stand er da und schaute mich mit wachen Augen an. Er wollte gern ein Leckerli. Ich konnte es kaum fassen: Manche Geräusche waren jetzt ein Auslöser für freudige Erwartung auf Futter?
Da wusste ich, dass ein positives Markersignal sehr viel mehr ist und nicht nur im Tricktraining eingesetzt werden sollte. Ich begriff schnell, dass klassisches Clickertraining zu wenig ist. Deshalb begann ich auch, mit meinen zwei Katzen mit positiven Markersignalen zu trainieren. Ich baute mit ihnen einen Fingertouch auf, damit ich sie zu mir rufen konnte. Innerhalb kürzester Zeit lernten sie, auf das Signal "Touch" meinen Finger mit ihrer Nase zu berühren. Außerdem probierte ich, ob meine Katzen lernen konnten, Tabletten zu essen. Denn auch wenn diese in Leberwurst versteckt sind, hassen Katzen die Gabe von Tabletten. Nach drei Tagen fraßen meine beiden Katzen Tabletten und fanden es lustig. Das war verrückt.
»Der einzige Ort im gesamten Universum, den du verändern kannst, ist dein Geist.«
Aldous Huxley
MARKERSIGNALE - EINE LEBENSEINSTELLUNG
Ich schreibe dieses Buch, um dir einen Einblick in den Alltag und das Training mit Markersignalen zu geben. Für mich ist der Umgang mit meinen Hunden keine Show, die ich nur für ein paar Minuten im Training zeige, sondern eine Lebenseinstellung. Ich möchte, dass es meinen Hunden gut geht. Ich möchte, dass sie mir vertrauen. Ich möchte, dass sie gut in meiner Welt zurechtkommen - und dabei trotzdem Hund sein dürfen. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist manchmal ein Spagat. Dafür gebe ich jeden Tag so viel, wie ich kann, damit für uns alles klappt. Schließlich lebe ich nicht für meine Hunde, sondern für mich selbst. Meine Hunde haben in meinem Leben aber einen sehr großen Platz, den ich ihnen so bequem wie möglich gestalten möchte.
Ein dominanter Hund? Nein, Hund und Mensch, die gemeinsam Spaß haben.
Durch den Einsatz positiver Markersignale durfte ich lernen, was es wirklich bedeutet, sich auf das gute Verhalten von Hunden zu konzentrieren. Es hat meine Wahrnehmung verändert. Zwischen unseren Gedanken und unseren Gefühlen besteht eine direkte Verbindung. Denke ich als Mensch daran, wie schrecklich meine Hunde sich heute wieder in der Hundebegegnung benommen haben, geht es mir schlecht. Ich bin dann wieder genauso traurig, wütend, frustriert oder verzweifelt wie in dieser Hundebegegnung. Das funktioniert umgekehrt ebenso: Bin ich ängstlich, wütend oder frustriert, fallen mir sofort die unschönen Hundebegegnungen, die schlechte Leinenführigkeit und der flüchtende Hund ein. Für angenehme Gefühle und gute Ereignisse gilt das ebenfalls. Belohne deshalb deinen Hund für positives Verhalten.
Je öfter du das in deinem Alltag und Training mit deinem Hund umsetzt, umso mehr gutes Verhalten wird dein Hund zeigen. Es erscheint wie Zauberei, ist aber keine. Wenn du davon ausgehst, dass dein Hund einen anderen Hund grundsätzlich anbellt und sich wie verrückt aufführt, wirst du nur darauf warten. Deine Annahme wird somit bestätigt, schließlich hast du unbewusst nur darauf gewartet. Gehst du aber davon aus, dass du deinem Hund helfen kannst und dass er sein Bestes geben wird, wirst du wahrscheinlich genau einen Moment erwischen, in dem dein Hund ein gutes Verhalten zeigt - und du wirst ihm helfen. Damit gibst du deinem Hund die Chance, eine neue Strategie zu erlernen, wenn er keinen Kontakt zum anderen Hund möchte.
Freundliches Verhalten auszutauschen, stärkt die Bindung. Deinen Hund zu belohnen, ist so ein freundliches Verhalten.
Mit Ascii, unserem zweiten Hund, habe ich gelernt, dass das möglich ist. Ascii ist ein Belgischer-Schäferhund-Mix und hat gelernt, dass er sich Menschen vom Leib halten kann, wenn er ihren Arm packt. Außerdem rannte er gern auf andere Hunde zu, versuchte, sie zu Boden zu drücken, und verletzte sie schlimmstenfalls. Dann kam er zu uns. Eigentlich sollte er nur zur Pflege bleiben, fand aber schließlich bei uns sein Zuhause. Heute ist Ascii ein anderer Hund. Er kann mit uns an Hunden vorbeigehen, die er nicht mag. Er kann mit Hunden Kontakt aufnehmen, an denen er Interesse hat - und das, ohne sie umzurennen. Er lässt sich gern von Menschen streicheln und ist der Erste, der neben unserem Besuch auf der Couch liegt. Falls er einen Menschen nicht mag, geht er auf Distanz oder kommt direkt zu uns.
Wir haben ihn nicht geheilt. Die Strategie, aggressiv zu reagieren, bleibt immer eine Option. Sie hat sich für Ascii über mehrere Jahre bewährt, und ein Gehirn löscht nichts einfach so. Wir konnten ihm aber eine neue Strategie zeigen, die für ihn auch erfolgreich funktioniert. Zusätzlich konnten wir Asciis emotionale Bewertung fremder Menschen und Hunde verändern.
GRENZEN DES MARKERTRAININGS
Ich würde gern sagen, dass das Training mit Markersignalen keine Grenzen hat, aber das kann ich nicht. Wenn ich mit Menschen spreche, die gern in unser persönliches Kompakttraining in Potsdam kommen möchten, erkläre ich es ihnen so: Du kannst alles mit deinem Hund erreichen. Wenn dein Hund aber gesundheitliche Probleme hat, wird das Training euch nur ein Stück weiterbringen. Das gilt aber für jede Trainingsmethode.
Die nächste Hürde sind wir Menschen selbst. Manchmal erscheint uns etwas überaus wichtig, und wir wollen es unbedingt. Wir sind aber nicht bereit, unsere Energie und Zeit wirklich zu investieren. Natürlich besteht unser Leben nicht nur aus Hundehaltung. Allerdings braucht es manchmal kein Training, sondern eine Entscheidung. Ich habe mich vor circa zwei Jahren entschieden, dass ich mit Paco nicht mehr am Alleinbleiben trainiere und stattdessen eine Hundesitterin besorge. Paco fällt es schwer, allein zu sein, und immer, wenn er wieder eine Phase hatte, in der es ihm gesundheitlich schlecht ging, konnte er gar nicht mehr allein bleiben. Ich habe mich deshalb für eine Hundesitterin entschieden, die auf ihn aufpasst, wenn niemand da ist. Das ist momentan die beste Lösung für uns....