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»Na, warst erfolgreich?«, schallte es aus der Küche. Kogler wuchtete seine Ausbeute auf die Theke. »Schau selbst nach«, schnaufte er und setzte sich vorsichtig auf einen der Barhocker. Er misstraute den alten, wackeligen Stühlen. Oder seinem Gewicht - wie man es nahm. Denn inzwischen wog Kogler schon stolze 110 Kilo. Neuer Rekord. Leider.
Der Sepp eilte an die Bar und rieb sich die Hände. Hastig zog er den Reißverschluss der Reisetasche auf. Er warf einen Blick hinein und hob seine Augenbrauen.
»Wow! Sind das etwa .?«, fragte er und steckte seinen Kopf in die Tasche. Wie ein Trüffelschwein beschnupperte er die Pilze.
Kogler fuhr sich lächelnd durch seinen Vollbart. Jaja, da schaute er, der Sepp. Damit hatte sein ältester und bester Freund sicher nicht gerechnet. Im Leben nicht.
»Natürlich, so wie bestellt.«
»Wahnsinn! Wie viel ist das?«
»Zwei Kilo, so wie's das Gesetz erlaubt.«
»Ja sicher! Du alter Scherzbold!« Der Sepp hob die Tasche prüfend hoch. »Das sind doch mindestens sieben, wenn nicht mehr.«
Kogler zündete sich eine Zigarette an und zwinkerte ihm zu. »Na, wenn du das sagst, dann hab ich mich wohl ein wenig verschätzt.« Er nahm einen tiefen Zug und begutachtete seinen Fund. Ja, jetzt war die beste Zeit, um Herbsttrompeten zu sammeln. Nicht umsonst nannte man sie im Volksmund auch Totentrompeten. Weil sie den November einläuteten. Den Totenmonat. Zu dieser Zeit schossen sie regelrecht aus dem Boden. So sagte man zumindest. Nachdenklich drehte Kogler seine Zigarette zwischen den Fingern hin und her. Bald war es so weit: das erste Allerheiligen und Allerseelen, an dem er die Hanna, seine Frau, besuchen würde. Die hatte ihn nämlich vor rund einem halben Jahr verlassen. War an einen besseren Ort gegangen. Aber gut, im Himmel hatte sie wenigstens keine Schmerzen mehr, die Hanna. Da war sich Kogler sicher.
»Diese ganze Pilz- und Schwammerlverordnung ist sowieso kompletter Blödsinn.« Der Sepp schüttelte den Kopf. So heftig, dass sein schütteres blondes Haar aufwirbelte. »Ich mein, was soll das? Sammeln nur von Mitte Juni bis Ende September, zwischen 7:00 und 18:00 Uhr, maximal zwei Kilo am Tag.«
Kogler verließ in seinen Gedanken die Hanna und den Friedhof. War wohl auch besser so. »Du musst wieder anfangen, im Hier und Jetzt zu leben«, sagte ihm die Yvonne immer. Das war seine Tochter. Die machte sich noch immer Sorgen um ihn. Ein wirklich gutes Kind. War im letzten Jahr immer zu ihm gestanden. Ohne Wenn und Aber. Die Sache mit dem Einbruch und der Frühpension hatte sie ihm nie vorgeworfen. Kein einziges Mal. Ganz im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn. Der war nämlich hauptberuflich Besserwisser, nebenberuflich Arzt. Kogler seufzte leise und wandte sich wieder dem Sepp zu: »Na ja, ein paar Sorten darfst jetzt schon sammeln: Birkenpilze oder eben Herbsttrompeten.«
»Jaja, schon klar. Aber was soll ich bitte mit Birkenpilzen? Die haben kaum Eigengeschmack, die kannst maximal als Mischpilze benutzen.« Der Sepp runzelte seine Stirn und schob sich seine Brille zurecht.
Kogler nickte zustimmend. Wenn der Sepp das sagte, dann stimmte das sicher, denn wenn der etwas wirklich konnte, dann war es kochen. Nicht umsonst war sein Gasthaus, der Kogelnig Wirt, stets gut besucht. Vor allem die Einheimischen schätzten seine raffinierte, bodenständige Küche. Nur Touristen schauten selten herein. Das lag in erster Linie an der etwas abgeschiedenen Lage. Direkt im Zentrum Veldens oder am See hätte der Sepp sich wahrscheinlich vor Gästen kaum retten können.
»Die Pilze verschimmeln im Wald, weil die Behörden uns mit ihren Vorschriften knebeln. Dafür kannst in den Supermärkten Eierschwammerl aus der Slowakei und Litauen zu astronomischen Preisen kaufen«, schimpfte der Sepp munter weiter, während er einige Herbsttrompeten näher begutachtete. Bedächtig ließ er die schwarzgrauen labbrigen Pilze von der einen in die andere Hand wandern, bevor er sie wieder vorsichtig zu den anderen legte.
»Brauchst die Tasche heut noch zurück?«
Kogler winkte ab.
»Willst was trinken, Karl? Ein Gläschen vom Weißen?«
»Nein, gib mir einfach ein großes Mineralwasser mit Zitrone.« Kogler drückte seine Zigarette aus. »Und einen starken Kaffee, hab die Nacht kaum ein Auge zugetan und lauter Blödsinn geträumt.« Er beobachtete seinen Freund. Auch der Sepp sah müde aus. Nun gut, der hatte es im Moment auch nicht ganz leicht. Seine Tochter, die Maria, war nämlich schwanger. Gut, so was passiert. Keine Frage. Nur dummerweise gab es keinen Vater, denn die Maria war in der Zeugungsnacht stockbetrunken gewesen. September. Wörthersee Reloaded. Golf GTI Nachtreffen. 5.000 Besucher. All die Autonarren hatten ein weiteres Mal so richtig Gummi gegeben. Nur der Hans-Peter, der hatte offensichtlich keinen dabeigehabt. So hatte er nämlich geheißen, der junge Deutsche, mit dem sich die Maria am See vergnügt hatte. Das war's aber auch schon. An mehr konnte sie sich bis heute nicht erinnern.
»Wie geht's der Maria eigentlich?«, fragte Kogler den Sepp.
Der verzog seinen Mund und seufzte laut. »Der war heut wieder schlecht. Hat sich den ganzen Tag übergeben. Hab ihr gesagt, sie soll vormittags zu Haus bleiben. Sollt jetzt aber bald kommen.« Der Sepp warf einen Blick auf seine Armbanduhr, schenkte sich ein Glas Wein ein und nahm einen kräftigen Schluck. »Weißt, Karl, ich versteh das Mädl einfach nicht. Warum versucht sie nicht wenigstens, diesen Hans-Peter ausfindig zu machen? Ich mein, sie könnt doch zumindest was in die GTI-Gruppe auf Facebook posten, da wird ja wohl irgendwer diesen Hans-Peter kennen.«
Facebook, ja, das kannte Kogler inzwischen auch. Hatte ihm seine Tochter an seinem letzten Geburtstag erklärt. Da hatte sie ihm auch ein neues Handy geschenkt. Mit Internet. »Damit du auch mal in der Neuzeit ankommst, Papa«, hatte die Yvonne gesagt.
»Was soll sie denn hineinposten? Dass sie einen Hans-Peter sucht, weil sie nach einer versoffenen Nacht schwanger von ihm ist?«
»Nein, red keinen Blödsinn!«, gab sein Freund zurück. »Das muss man natürlich geschickter angehen. Keine Ahnung . dass sie ein Geschenk für ihn hat . so irgendwie. Neugier wecken halt .«
Kogler lachte laut auf. »Dass sie ein Geschenk für ihn hat .« Er schüttelte den Kopf. »Ja, das trifft's wirklich gut: ein Geschenk .«
Der Sepp kniff seine Augen zusammen und schaute Kogler beleidigt an. »Jaja, mach dich nur lustig«, schmollte er und leerte sein Weinglas in einem Zug. »Wie auch immer«, fuhr er dann fort, »es ist, wie's ist. Schaun wir jetzt lieber mal, was wir aus deinen Herbsttrompeten zaubern können.« Der Sepp riss ein paar Zettel von seinem Kellnerblock und fischte einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche. Das konnte dauern. Wenn er sich Gerichte oder Speisepläne ausdachte, war der Sepp in einer anderen Welt.
Kogler nahm einen großen Schluck von seinem Mineralwasser und lehnte sich entspannt zurück. Ja, beim Pilze- und Schwammerlsuchen machte ihm so schnell keiner was vor. Er wusste einfach, wo er suchen musste. So wie heute im Reifnitzer Wald. Viel wichtiger war aber: Man musste auch wissen, wie. Und das würde Kogler dem Sepp nicht auf die Nase binden. Sicher nicht. Es war nicht so, dass er ein Problem damit gehabt hätte, seine altbewährten Geheimnisse zu teilen. Nein, keineswegs. Kogler hatte schlicht und einfach keine Lust, dass der Sepp sich wieder über ihn lustig machte. »Nichts als Aberglaube«, würde er sagen. »Dass du, als erwachsener Mensch, noch an so einen Blödsinn glaubst.« Kogler trommelte ein paarmal mit den Fingern auf seine Glatze. Sollten die anderen nur reden, er wusste, dass in volkstümlichen Bräuchen und Überlieferungen immer ein wahrer Kern steckte. Hatte ihm die Oma beigebracht. Bei der war er nämlich aufgewachsen. Auf ihrem Bauernhof im Lavanttal. Dass Kogler sein Haus trotz seines Hangs zum Aberglauben mit einem ausgewachsenen schwarzen Kater, dem Blacky, teilte, tat dabei nichts zur Sache. Denn bei Menschen und Tieren ist die Farbe egal. Auch das hatte die Oma ihm erklärt. War eben eine ganz besondere Frau gewesen. Die Oma.
Eigentlich war das mit dem Pilzesammeln ganz einfach, wenn man ein paar Grundregeln befolgte: Man musste krächzen, wenn man den Wald betrat. Wie ein Käuzchen. Warum, wusste Kogler zugegebenermaßen selbst nicht so genau. Wahrscheinlich, um die guten Waldgeister zu wecken. Der zweite Schritt zum Erfolg: den ersten Pilz stets stehen lassen. Demut zeigen. Mit dem nächsten, den man fand, wischte man sich seine Augen aus. So richtig, bis sie zu tränen begannen. Das schärft den Blick. Eigentlich logisch. Außerdem: Wie hieß es so schön? Hilft's nicht, schadet's nicht. So einfach war das. Sollte der schlaue, aufgeklärte Sepp doch einmal versuchen, solche Mengen an Herbsttrompeten zu finden. Aussichtlos. Da wünschte er ihm viel Erfolg.
»Branko!«, brüllte der Sepp plötzlich und riss Kogler damit aus seinen Gedanken. »Kann er kurz kommen, der Branko?!«
Wer zum...
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