Schweitzer Fachinformationen
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Es begann in der fünften Klasse mit einer Postkarte. Ich war gerade vom Fußballtraining nach Hause gekommen, und da lag sie auf dem Schreibtisch in meinem Zimmer, direkt auf meiner zerlesenen Ausgabe von Jessica Darling.
Seth, acht Tage. Die Postkarte kam aus Pasadena - helle Lichter, große Stadt. Seltsam.
Ich zeigte sie meinen Eltern. »Was ist das?«, fragte ich sie.
Sie wussten es nicht. Damals, vor Jahren, hatten sie viel zu tun. Meine Mutter arbeitete für eine jüdische Non-profit-Organisation, und mein Vater war im Vertrieb einer Firma tätig, die ein neues Wasserfiltersystem auf den Markt gebracht hatte. Fünf Jahre später würde die Firma bankrottgehen, und mein Vater wechselte in die Pharmaindustrie, bevor er einige Jahre später in Rente ging. Meine Eltern hatten immer ein eher bescheidenes Leben geführt, und die Höhen und Tiefen ihrer finanziellen Lage schienen sie nicht so sehr zu tangieren wie die meisten anderen Leute. Jedenfalls merkte ich nicht viel davon. Wir kamen gut zurecht. Erst viel später wurde mir klar, dass meine Eltern eine ganze Reihe von bewussten Entscheidungen getroffen hatten, um innerhalb ihres finanziellen Rahmens in einer Stadt leben zu können, in der der äußere Schein wichtig ist. Wir hatten das kleinste Haus in der besten Straße, was er mir ermöglichte, eine große staatliche Schule zu besuchen. Meiner Mutter war es nur wichtig, einen anständig großen Garten zu haben - ihre Rosen sind legendär, und im Süden Kaliforniens blühen sie, eine Sorte nach der anderen, von März bis Oktober.
»Wer ist Seth?«, fragte mein Vater. Er stand am Herd und briet Zwiebeln. Mein Vater teilte sich immer schon die Küchen- und Putzarbeit mit meiner Mutter. Als meine Großeltern, seine Eltern, in die USA eingewandert waren, hatte mein Opa ein koscheres Deli eröffnet. Dabei wurde jeder - auch mein Vater - gebraucht. Er musste alles über die Arbeit hinter der Theke und am Herd lernen.
Ich dachte über seine Frage nach. Seth. Ich wusste, wer er war. Zumindest einen Seth kannte ich. Er besuchte wie ich die Brentwood School, war eine Klasse über mir. Er spielte auch Fußball, und oft waren wir zur gleichen Zeit zum Training auf dem Spielfeld. Manchmal, nach dem Unterricht, wenn ein blaues Gatorade übrig war, gab er es mir. Ich mochte blaues Gatorade gar nicht - die Erfahrung hatte mich gelehrt, diesen Energydrink zu meiden, weil er den Mund in einem unschönen Blauton verfärbte -, aber ich mochte es, wenn Seth mir eine Flasche gab.
»Ein Typ beim Fußball.«
Mein Vater drehte sich um, zeigte mit dem Löffel auf mich. »Fang genau dort an.«
Am nächsten Tag, nach dem Training, gab es kein blaues Gatorade. Ich machte den ersten Schritt.
»Hey, Seth.«
Er war groß, hatte blaue Augen und mehr Sommersprossen als ein Marienkäfer Punkte. Und rote Haare hatte er auch.
»Hi.«
»Hast du mir die geschickt?« Ich hielt ihm die Pasadena-Postkarte hin.
Er lachte. »Nein«, sagte er. »Das ist witzig.«
»Warum?«
Er sah aufrichtig perplex aus. »Ich weiß nicht. Es ist eine Postkarte.«
Ich kann nicht mehr sagen, wie wir es nach diesem vollkommen verhagelten Gedankenaustausch schafften, dass er mein erster Freund wurde, aber genau das geschah. Er fragte mich, ob ich mit ihm ein Eis essen wolle, und dann gingen wir genau eine Woche und einen Tag miteinander. Die Trennung war einvernehmlich. Als Freunde kamen wir wesentlich besser miteinander zurecht.
Und so geschah das jedes Mal. Manchmal war es eine Postkarte, manchmal auch einfach ein Blatt Papier, einmal fand ich einen der Zettel in einem Glückskeks. Manchmal kam die Nachricht nach dem Kennenlernen, manchmal davor oder wie bei Hugo fünf Wochen danach. Aber es stand immer das Gleiche drauf: die exakte Zeitspanne, die wir miteinander verbringen würden.
Zumindest bis zu diesem Abend. Die erste Nachricht ohne Hinweis auf ein Ende.
»Wie ist die Margarita?«, fragt mich Jake. »Ich bin mehr der Wodkatyp.«
Wodka. Interessant. »Gut«, sage ich zu ihm. Ich lege den Kopf schief. »Und ein bisschen scharf.«
Jake lacht. »Testest du mich? Kendra hat mir gesagt, das machst du gern.«
»Nein«, sage ich. »Hast du den Eindruck, dass ich das tue?«
Er schaut mich an. »Ein bisschen vielleicht.« Er räuspert sich. Greift sich an die Kehle, als wollte er eine unsichtbare Krawatte zurechtrücken. »Ist aber nicht schlimm.«
Meine Kollegin Kendra hat uns zusammengebracht. Oder besser gesagt Ex-Kollegin. Ich arbeite für eine berühmte Filmproduzentin, deren Namen kaum jemand kennt, die aber eine Menge guter Filme gemacht hat. Sie heißt Irina. Kendra war früher für sie das, was ich jetzt bin.
»Ich finde, du solltest meinen Freund Jake kennenlernen. Er ist fünfunddreißig, seit Kurzem Single - ist aber drüber weg - und arbeitet im Entertainment«, hat mir Kendra im Grove beim Lunch gesagt. Dieses Outdoor-Einkaufszentrum in Los Angeles sieht zwölf Monate des Jahres wie eine überdimensionale Glückwunschkarte aus. An Weihnachten fährt Santa Claus mit dem Zug herum, an Ostern übernimmt ein gigantischer Hase, und das ganze Jahr hindurch gibt es einen Gilmore-Girls-Pavillon. Lichterketten blinken dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr, und ein Brunnen spielt Sinatra-Songs in Dauerschleife. Was als Witz angefangen hat - »Hast du Lust auf ein Lunch im Grove?« -, wurde bei Kendra und mir schnell zur Tradition. Wir lieben beide den Käsekuchen in der Cheesecake Factory.
»Schauspieler?«, fragte ich.
»Führungskraft beim Fernsehen.«
»Langweilig.«
»Eine sichere Bank«, sagte Kendra und steckte sich eine Pommes in den Mund. »Außerdem sieht er gut aus.«
»Das heißt, er ist unattraktiv.«
»Nein, das heißt es nicht. Gut auszusehen kann bedeuten, dass er heiß ist.«
»Es kann bedeuten, dass er süß ist; so weit würde ich gehen. Dass er heiß ist, bedeutet es definitiv nicht.«
Ein Versuch war es trotzdem wert, fand ich.
»Na gut«, sagte ich also. »Okay. Mach was aus.«
Es liegt nicht daran, dass ich nicht heiraten oder etwas Ernstes mit jemandem anfangen will, es ist nur einfach nicht mein Job, aktiv zu werden. Bisher hat immer eine gewisse Kraft mein Leben verändert - nennt es das Universum, Schicksal oder Zufall. Mein Leben unterscheidet sich jedenfalls von allen anderen. Für mich gelten besondere Regeln.
Jake nimmt auch eine Margarita, und man stellt uns Tortilla-Chips und Guacamole auf den Tisch. Dazu ordern wir die »Krabben«-Küchlein, die aus Palmherzen gemacht werden, einmal Fajitas mit Pilzen; und eine Reis-Bowl mit einer überwältigenden Menge Koriander mitsamt den Stängeln.
»Meinst du, wir sollten auch noch eine Grapefruit-Ceviche nehmen?«, fragt Jake.
»Lieber nicht«, sage ich. »Das ist nicht so mein Ding.«
Als Marcus, der Kellner, weg ist, holt Jake ein Notizbuch aus seiner Tasche.
»Sorry«, sagt er. »Ich habe diese komische Angewohnheit, mir jedes Mal aufzuschreiben, wenn ich jemanden sehe, der Doc Martens trägt.«
»Du machst Witze.«
Jake schüttelt den Kopf, immer noch über das Notizbuch gebeugt. »Nein, ehrlich. Es hat auf dem College als Witz angefangen und ging dann einfach weiter.«
»Ganz egal, welche Doc Martens?«
Jake blickt zu mir hoch und schaut mich ernst an. »Nein. Es müssen die schwarzen Boots sein.«
Ich pruste. Eine Mischung aus Limettensaft und Tequila fliegt in hohem Bogen aus meinem Mund und landet auf seinem Gesicht. Ich sehe die Tropfen fliegen - Moleküle in Zeitlupe.
Erschrocken schlage ich eine Hand vor den Mund. »Es tut mir so leid.«
Er wischt sich mit dem Zeigefinger etwas unter dem Auge weg. »Das habe ich verdient. Ist ja durchaus ein sehr seltsames Hobby.«
Ich reiche ihm eine Serviette vom Tisch. »Seltsam gefällt mir«, sage ich.
Er nimmt die Serviette entgegen und tupft sich damit das Gesicht ab. »Oh, Gott sei Dank. Weil es nach einer Stunde ziemlich unbequem wird, sich zu verstellen.«
»Du bist lustig«, sage ich. »Und ich habe wirklich Spaß.«
Jack zerknüllt seine Serviette, klappt dann sein Notizbuch zu und steckt es in seine Tasche zurück. »Super«, sagt er. »Geht mir auch so.«
Im Laufe des Dinners stellt sich heraus, dass wir Shakespeare gut finden, Granny Smith mögen, aber keine Fuji, und dass wir beide Nachteulen sind.
»Frühaufsteher werden definitiv überschätzt«, sagt Jake. »In der Arbeitswelt. Im Fitnessstudio. Auf Wochenmärkten. Selbst Wanderer in L.A. schauen dich schief an, wenn du erst nach neun auf der Matte stehst.«
Ich hebe mein Glas. »Prost!«
»Es sollte wirklich Abendbauernmärkte für Leute wie uns geben, bei denen derjenige die besten Deals macht, der als Letzter kommt.«
»Die Idee gefällt mir.«
»Das freut mich.« Er lächelt. »Und, was hast du für einen Job?«
Jake hat bereits die zweite Margarita vor sich stehen, seine Wangen sind leicht gerötet. Das ist süß. Ich habe schon lange keinen Mann mehr getroffen, der so schnell angetrunken ist.
Mein Job hat von allem ein bisschen was. Er ist chaotisch, manchmal mörderisch, lustig, nervenaufreibend und vor allem ist er flexibel. Genau so würde ich auch meine Chefin beschreiben.
»Irina ist ein bisschen verrückt«, sage ich. »Aber ich mag sie. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, ich verstehe, was...
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