Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich schließe die Augen, um mich zu konzentrieren. Mein Herz bebt vor Aufregung.
Bewusst atme ich tief durch, um alles, was mich ablenkt, auszublenden. Während sich die Gedanken auf das Wesentliche ausrichten, stiehlt sich unwillkürlich ein Lächeln in mein Gesicht.
Mit fester Stimme spreche ich laut: »Danke für die Gemeinschaft und das leckere Essen auf dem Tisch. Danke für alles, was du uns schenkst, Jesus. Amen.«
Kurz halte ich inne, nachdem ich das Gebet beendet habe. Nur einen Moment noch, um mich für das zu wappnen, was nun auf mich zukommen wird. Halt suchend taste ich nach dem inneren Frieden, der neulich in mir eingezogen ist wie ein unerwarteter Mitbewohner. Als ich die tiefe Ruhe spüre, fasse ich Mut und öffne die Augen.
Mein Blick trifft auf den meiner Mutter. Sie hat mir das Gesicht zugewandt und starrt mich mit halb geöffnetem Mund sprachlos an. Ihr Blick ist voller Irritation, Ärger und einer Menge Fragen.
Mühsam schluckt sie die Worte herunter, solange wir mit den anderen Gästen am Tisch sitzen. Heute, an meinem dreißigsten Geburtstag, vertritt Mama meine Familie allein. Zudem ist sie als türkische Hausfrau die einzige Person in der kleinen Feierrunde, die kein Deutsch spricht. Also hält sie sich zurück und versucht, Happen für Happen die Worte für sich zu behalten, die ihr auf der Zunge liegen.
Doch kaum bietet sich die Gelegenheit, winkt sie ihren jüngsten Sohn zur Seite und die Fragen brechen aus ihr heraus: »Serkan, was sollte das?! Warum betetest du zu Jesus? Du bist doch Muslim!«
Mitfühlend betrachte ich ihr aufgebrachtes Gesicht. Meine Eltern haben mir das rituelle Gebet beigebracht und fast jeden Freitag sind Papa und ich zum Beten in die Moschee gegangen. Der muslimische Glaube gehört zu unserem Familienleben genauso dazu wie die fürsorgliche Gemeinschaft, der Fußballsport und die gemeinsamen Urlaube ins Heimatland meiner Eltern.
Einen Alltag ohne Religion könnte ich mir ebenso wenig vorstellen wie einen ohne meine beiden älteren Brüder. Sie und der Islam lebten schon lange in unserem Haus, bevor ich hinzukam, und ich wuchs ganz selbstverständlich mit den Traditionen und Glaubenssätzen auf. Doch meine Brüder zogen nach ihrer Heirat aus. Und nun ist auch mein muslimisches Weltbild ausgezogen.
Langsam schüttle ich den Kopf. »Nein, Mama«, antworte ich auf Türkisch möglichst ruhig, trotz der Aufregung in mir. »Ich bin kein Muslim mehr. Ich bin jetzt Christ und Jesus ist mein Herr und mein Gott.«
Jetzt weitet der Schreck die Augen meiner Mutter. Alle Vorwürfe und Fragen sind verschwunden und pures Entsetzen erfasst sie, als sie das Ausmaß meiner Worte begreift. Dann klappt der offen stehende Mund zu und ihre Miene verschließt sich. In ihrem Blick sehe ich noch mehr Fragen, Sorgen, Anklagen. Ich weiche ihm nicht aus und nicke nun, um meine Aussage zu bekräftigen, und auch, weil ich Mama verstehe. Ich verstehe, dass sie es nicht versteht und auch nicht verstehen will.
In ihren Augen habe ich den Verstand verloren.
Nach meiner Geburtstagsfeier dauert es nicht lange, bis sich Deniz bei mir meldet. Unsere Mutter hat ihm und Kerem von dem Skandal erzählt. Papa hat sie vorerst verschont.
Deniz will sich mit mir treffen und in Ruhe darüber sprechen. Er ist weniger aufbrausend als mein ältester Bruder. Als zweiter Bruder war er mir immer ein Verbündeter, ein Vorbild und ein Freund. Wir zogen mit seinen Kumpels um die Häuser, feierten in den Klubs, hatten viel zu lachen und tauschen uns heute noch häufig bei einer Tasse Kaffee über Gott und die Welt aus.
Ob das auch der Fall sein wird, wenn es sich auf einmal um einen anderen Gott handelt?
Wenig später sitze ich Deniz in einem Imbissrestaurant gegenüber und spüre dem heruntergeschluckten Bissen nach. In meinem Magen fühlt es sich an, als würde ein heftiger Sturm toben. Die Wellen der Nervosität wühlen mich zu sehr auf, als dass ich das Bestellte genießen könnte.
»Mama macht sich Sorgen, was die Leute denken könnten, wenn sie es erfahren.« Deniz' Stimme klingt ruhig, während er den halben Wrap vor sich auf dem Teller ablegt. Doch in seinem Tonfall nehme ich die Spannung wahr, die den gesamten Raum des fast leeren Lokals erfüllt.
»Kerem meint, du hättest wohl eine Gehirnwäsche bekommen«, berichtet der sechs Jahre Ältere weiter und wischt sich mit der Serviette über den dunklen Bart. Selbst dessen Schnitt gleicht meinem. So vieles von unserem Aussehen und Charakter ähnelt einander.
»Und was denkst du?«, frage ich zwischen zwei Pommes, ohne den Blick von ihm zu wenden.
Die dunklen Augen meines Bruders mustern mich eindringlich. Diese Situation erinnert mich an die vielen Gespräche während meiner Ausbildungssuche - der Beginn meiner Karriere als »schwarzes Schaf« der Familie.
Schließlich lehnt sich mein Gegenüber vor und stützt sich mit den Unterarmen auf die Tischplatte. »Was, wenn Papa das erfährt?!« Nun verrät Deniz' Stimme die innere Aufregung. »Denk an sein Herz!«
Ich schlucke. Der zerkaute Pommesstängel scheint sich plötzlich in seine Ursprungsform zurückverwandelt zu haben und als komplette Kartoffelknolle in meinem Hals festzustecken.
Ich liebe meine Familie. Ich liebe Baba. Ich will ihn nicht enttäuschen! Wollte ich nie .
Deniz liest meinem Gesicht die Reaktion ab, auf die er gehofft hat. Während er sich wieder zurücklehnt, atmet er hörbar ein. »Serkan, weißt du was?«
Die dunkelbraunen Augen senden seinen typischen »Großer-Bruder-Blick« - fürsorglich, verantwortungsbewusst und drängend. »Du kannst Baba ja einfach sagen, dass du immer noch Muslim bist. Das wird dir dein Herr Jesus bestimmt verzeihen.«
Noch während Deniz spricht, verstummt plötzlich der Sturm in mir. Es ist wie in der Geschichte aus der Bibel, in der Jesus den Sturm stillt. Mit nur einem Ruf bringt er ihn zum Schweigen. Dasselbe vollbringt er in diesem Moment mit dem Chaos, das in mir tobt. Alles ist mit einem Mal ruhig und ich sehe wieder klar.
Ich erinnere mich an weitere biblische Szenen. Ich sehe vor mir Jesus, wie er über das Wasser geht - und Petrus, der es ihm nachmacht. Er war einer der engsten Freunde von Jesus und jener Nachfolger, der seinem Lehrer so sehr vertraute, dass er sich während des Sturms auf das noch tobende Wasser wagte, um zu ihm zu laufen. Und auch derjenige, der sich später, als sich alles zuspitzte und es um seine Treue ging, nicht zu Jesus bekannte. Dreimal stritt er ab, den verhafteten Jesus zu kennen. Dreimal krähte der Hahn. Dann packte Petrus der Schrecken über sich selbst und er weinte verzweifelt über seinen Rückzieher, den er bitterlich bereuen sollte.
Petrus, mein Bruder, denke ich. Und weiß jetzt, was ich zu tun habe.
Entschlossen schüttle ich den Kopf und suche den Blick meines leiblichen Bruders. »Das kann ich meinem Herrn nicht antun!«, bricht es aus mir heraus.
Irritiert ziehen sich Deniz' schwarze Augenbrauen zusammen. Aber ich fokussiere mich ganz auf den, der den Sturm in mir gestillt hat. »Ich werde Jesus und meinen Glauben an ihn nicht verleugnen. Das kann ich ihm nicht antun.«
Während ich rede, spüre ich Frieden und Liebe wie einen sanften Windstoß über das Wasser wehen.
Es war die richtige Entscheidung.
Doch damit ist nicht alles geklärt. Die Turbulenzen werden zunehmen. Nicht weit entfernt ziehen bereits die dunklen Wolken des nächsten Sturmes auf.
Wie bei einer nahenden Gewitterfront lädt sich die Stimmung zunehmend auf, als ich mich wenige Tage später im Haus meiner Eltern befinde.
Bis zu meinem neunundzwanzigsten Lebensjahr wohnten wir gemeinsam unter diesem Dach. Hier wurde ich immer von fürsorglicher Liebe empfangen und mit gutem Essen verwöhnt. Nach jeder der vielen durchzechten Partynächte erhaschte ich die Silhouette meines Vaters am Fenster. Erst wenn er den Hausschlüssel im Schloss hörte, konnte er endlich beruhigt schlafen gehen. Nie hatte Baba mir verboten, es in den Klubs krachen zu lassen. Nie hatte er mir zusätzlich ins Gewissen geredet, wenn ich am Folgetag von einem Kater geplagt wurde. Er wollte nur sichergehen, dass sein jüngster Sohn heil wieder nach Hause kam. Diese Fürsorge ließ stets ein angenehm warmes Gefühl in mir aufsteigen.
Doch in diesem Augenblick ist mir heiß. Ich glühe innerlich. Zwei Brandherde heizen ordentlich in meinem Inneren ein: das lebendige Feuer, das mich mit Liebe wärmt, seit ich Jesus kennengelernt habe. Und die dadurch entfachte Zündschnur, die möglicherweise in einer enormen Explosion enden wird.
Meinem Vater steht ins Gesicht geschrieben, was ich schon so oft darin habe lesen können: Mein Sorgenkind. Lange Zeit kam es mir vor, als prangte dieser Titel wie ein Brandmal auf meiner Stirn. Erst durch Jesus habe ich endlich eine neue Identität gefunden. Doch genau das hat mich in die jetzige Lage gebracht und genau das bestätigt meine Familie in dieser Zuschreibung.
Liebe, Sorge und Ernst. Sie haben sich bei Baba tief in die Stirnfalten unterhalb der ergrauten Haare eingegraben. Auch in Mamas Gesichtszügen sind sie deutlich erkennbar. Ich liebe meine Familie. Ich habe Sorge, wie es weitergehen wird.
Mein Vater sitzt mit ernster Miene auf dem Sofa und schaut mich durchdringend an. »Stimmt es?« Er macht eine kurze Pause, als hoffe er, ich würde verneinen, noch bevor er das für ihn Furchtbare aussprechen muss. »Dass du Christ bist?«
Alle Blicke liegen auf mir. Liebe, Sorge, Ernst.
Meine widerstreitenden Gefühle und Gedanken wirbeln durcheinander: Wen liebst du mehr? Wovor...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.