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Liebe. Harry verstand nicht, warum, aber er hatte nie viel davon bekommen. Zumindest nicht von seinen Eltern. Der Katze hatten sie mehr Zuneigung entgegengebracht. Er erinnerte sich, wie seine Mutter gegurrt und dem Kätzchen Leckerbissen vom Abendbrottisch gefüttert hatte. Es wurde immer gestreichelt, selbst wenn es unartig gewesen war. Harry wurde nur geschlagen. Er liebte das kleine getigerte Ding, aber er wurde immer wütend, wenn es um Aufmerksamkeit mit ihm konkurrierte. Also erwürgte er es. Er begrub den Kadaver im Garten und markierte das Grab mit einem Ziegelstein. Monate später, als er einsam war und eine Schmuseeinheit brauchte, hob er den Ziegel weg und fing zu graben an. Überrascht stellte er fest, dass nur mehr die weißen Knochen des Skeletts übrig waren. Das Fleisch der Katze war zerfallen, die Seele des Tiers in den Äther entwichen, für immer seinem Zugriff entzogen. Die Entdeckung rief in Harry die Frage wach, wie man Dinge konservierte, wie man verhinderte, dass das Fleisch, das man liebte, verrottete. In seinem Leben schien es nichts anderes als Verfall zu geben.
Es gibt mich, Harry, mich.
Trinny.
Ihre Stimme riss ihn aus seinem Halbschlaf; er setzte sich abrupt auf und war einen Moment lang verwirrt. Er rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf, um die verworrenen Fäden seines Bewusstseins in eine Art Ordnung zu bringen. Ein schwaches Licht schlüpfte durch den Vorhang und tauchte das Zimmer in die schreckliche Kälte der Wirklichkeit.
Böser Harry.
Ja, aber es gab kein Zurück, nicht nach allem, was er Trinny angetan hatte.
Es macht mir nichts aus, Harry. Ich liebe dich, genau wie damals vor vielen Jahren.
Damals vor vielen Jahren, als er ein Kind war. Es hatte immer ein Mädchen als Aushilfe im Haus gegeben, eine Nanny oder ein Au-pair-Mädchen, für die Aufgaben, die seinen Eltern zu lästig waren. Diese Mädchen waren die Einzigen gewesen, die ihn geliebt hatten. Er war überzeugt, sie hatten auch etwas wegen seiner Eltern geahnt. Sie mussten in der Stille der Nacht die Schreie gehört und sich gefragt haben, was los war. Und auch wenn sie nie etwas sagten, sahen sie morgens die blauen Flecken, wenn sie ihn in den Armen wiegten und seine Tränen trockneten. Ein klein wenig half es. Zu glauben, jemand machte sich etwas aus ihm, gab ihm das Gefühl, doch etwas wert zu sein.
Vielleicht hatte er ihnen wirklich etwas bedeutet, damals vor vielen Jahren, aber sie waren nie lange geblieben. Ein paar Monate höchstens, dann war ihnen sein Vater, der seine Hände nicht bei sich behalten konnte, zu viel geworden.
Er war widerlich, Harry. Schmutzig!
Also gingen sie. Verließen ihn. Zerfielen.
Ich bin gegangen, Harry, ja. Aber zerfallen? Nein. Nie. Du hast mich nie vergessen, und ich habe dich nie vergessen. Ich bin immer noch da, oder?
Ja, Trinny war noch da. Als Teil seiner Sammlung. Seiner wachsenden Sammlung.
Harry? Ich bin die eine. Du willst mich, nicht die anderen.
Richtig. Er wollte sie tatsächlich. Und er hatte sie gehabt. Viele Male. Das war nicht gut. Nicht richtig. Eine Schande.
Eine Schande? Harry, du irrst dich. Sex ist schön. Ich meine, die Sachen, die du letzte Nacht mit mir gemacht hast . Ich habe alles geliebt. Jede Minute. Jeden Zoll!
Trinnys Worte endeten mit einem dreckigen Lachen. Das war schlecht. Sie war zu anstrengend geworden, nicht wie er es erwartet hatte. Er musste das Problem mit ihr ein für alle Mal klären. Trinny schien seine Gedanken zu lesen, denn ihre Stimme wurde ernst, mit einem tadelnden Ton, der ihm ins Herz schnitt.
Harry, liebst du mich noch? Ich meine, so wie früher, wie damals?
Er wusste es nicht. Er biss die Zähne zusammen und bemühte sich, den Speichel zurückzuhalten, der sich in seinem Mund bildete. Aber er sollte es wissen, oder? Es war seine Aufgabe, es zu wissen. Wenn er etwas nicht wusste, wurde er ein wenig nervös, Panik setzte ein, und er atmete zu schnell, und das gefiel ihm nicht. Das gefiel ihm wirklich nicht.
Harry?
Er schluckte den Speichel, den Schleim und saugte Luft ein. Ein, aus, ein, aus, ein, aus. Letzte Nacht hatte er Trinny weggesperrt. Unten. Deshalb verstand er nicht, warum sie ihm immer noch keine Ruhe ließ. Sie war nicht das Mädchen, nach dem er suchte, denn sie war zu schmutzig. Sie wusste es. Er hatte es ihr gesagt.
Du hast es mir gesagt, ja. Du hast mich eine Nutte genannt. Und nachdem du mich eine Nutte genannt hast, hast du mich gefickt. Wie passt das zusammen?
Er konnte es nicht erklären. Es war zu kompliziert.
Kompliziert?
Ja. Kompliziert. Trinny würde es nicht verstehen können. Niemand verstand es. Niemand außer ihm wusste, was es hieß, wütend zu sein.
Ja, Harry. Ja, du bist wütend. Ganz zu schweigen davon, dass du böse und traurig bist. Du kannst nicht herumlaufen und .
Harry ertrug das Gequatsche nicht mehr, deshalb schaltete er den Radiowecker neben seinem Bett ein, und Trinnys Stimme verschwand hinter dem Jingle des Lokalsenders. Die Nachrichten zur vollen Stunde. Statt dem üblichen uninteressanten regionalen Zeug erzählte die erste Meldung eine Geschichte von Vergewaltigung und Mord. Die Polizei hatte eine Frauenleiche unten am Wembury Beach gefunden.
Er schaltete den Radiowecker schnell aus. Nicht gut. Gar nicht gut.
Carmel, Harry! Carmel ist wieder da! Igitt! Ich wette, sie sieht jetzt nicht mehr so hübsch aus.
Trinny klang aufgeregt. Hysterisch. Aber konnte es wirklich Carmel sein? Übelkeit stieg in ihm auf wie schmutziges Wasser, das aus einer verstopften Toilette überläuft. Er kämpfte gegen einen Brechreiz an.
Carmel. Du hast sie nicht bekommen, oder? Jetzt ist sie für alle Zeit verloren. Zerfallen.
Er ignorierte Trinny und fragte sich, ob die Geschichte etwas zu bedeuten hatte. Carmel zurück von den Toten. Um ihm zu sagen, dass er auf dem richtigen Weg war, aber auch, um ihn daran zu erinnern, dass sich Trinny nicht mit ihr messen konnte. Nicht die eine sein konnte.
Harry, wie meinst du das?
Er hatte sie behalten, weil er gehofft hatte, sie würde sich ändern. Am Anfang hatte es Spaß gemacht mit ihr. Sie war süß gewesen, nett, überschäumend. Aber jetzt maulte und nörgelte sie in einem fort. Und sie war unanständig. Sehr unanständig. Er hatte sie ein paar Mal geohrfeigt, aber es hatte nichts bewirkt. Das Einfachste wäre eine saubere Trennung. Es wäre das Beste für sie beide.
Harry! Du Mistkerl! Ich bin dein Mädchen. Ich. Nicht Carmel. Sie ist tot. Verwest. Mitchell hat sie getötet. Weißt du noch?
Mitchell.
Harry hörte den Namen nicht gern. Nicht nach dem, was Mitchell mit Carmel gemacht hatte.
Mitchell war dein Freund!
Mitchell war früher einmal sein Freund gewesen, das stimmte, auch wenn Harry eigentlich nicht wusste, wie ein Freund sein sollte, und er hatte Mitchell nicht direkt danach fragen wollen für den Fall, dass er alles falsch verstanden hatte. Trotzdem, Mitchell war gut zu ihm gewesen. Nett. Er hatte ihm geraten, die Tabletten nicht mehr zu nehmen.
Eine schlechte Idee, Harry. Mithilfe dieser Tabletten bist du normal geblieben, oder? Hast keine Dinge gesehen.
Trinnys Tonfall war spöttisch, aber sie hatte recht. Die Tabletten hielten ihn behaglich in seiner kleinen Welt eingesponnen. Die Tabletten brachten auch die Stimmen zum Schweigen. Wie es der Doktor gesagt hatte. Aber der kluge Doktor lächelte mit zu vielen Zähnen, hatte ein arrogantes Auftreten, ein schnittiges Auto und eine hübsche Sekretärin, die einen Rock trug, der so kurz war, dass man das obere Ende ihrer Strümpfe sah, wenn sie sich bückte. Harry mochte den Rock, auch wenn er den Mann nicht ausstehen konnte.
Wer ist jetzt hier unanständig, Harry?
Es war immer dasselbe mit Frauen. Wenn sie sich wie Püppchen kleideten und Haut hervorlugte, gingen seine Blicke auf Wanderschaft. Trotzdem, nichts dabei, er schaute nur ein bisschen, ein kurzer Blick auf etwas Verbotenes.
Es gibt Dinge, die gehen über das Schauen hinaus, Harry. Das ist das Problem.
Ein Problem, ja. Eins, für das er Mitchell verantwortlich machte. Mitchell war außer Rand und Band. Samstagnachts. Betrunkene Mädchen, die in Schwierigkeiten gerieten. Partytime. Harry ekelte sich vor sich selbst, weil er Mitchells Spiele mitspielte, andererseits wurde es ihm allmählich zur Gewohnheit, angewidert zu sein.
Aber Harry? Wieso das denn?
Mitchell ließ ihn die Mädchen berühren. Harry wollte es zuerst nicht. Später konnte er nicht mehr damit aufhören.
Und dann?
Und dann war Mitchell hergegangen und hatte Carmel getötet, was bedeutete, dass Harry keine Freunde mehr hatte.
Harry dachte an Carmel. Es hatte ihm nicht gefallen, dass sie gestorben war, überhaupt nicht gefallen. Zu sehen, wie das viele Blut das schöne Haar des Mädchens ruinierte, hatte ihn wütend gemacht. Schöne Dinge sollten nicht ruiniert werden. Sie sollten aufbewahrt werden, für immer.
Wie ich!
Nein. Ganz und gar nicht wie Trinny. Er würde Trinny nicht für immer behalten. Er musste sie loswerden, und zwar schnell. Vielleicht sogar schon heute Abend. Sie würden zusammen irgendwohin fahren, und unterwegs würde er es ihr auf möglichst freundliche Weise erklären....
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