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Die Wirtschaftssoziologie bietet Antworten auf die drängenden Fragen unserer Gesellschaft: Sie beschreibt die Vielfalt ökonomischer Ordnungen; hält Analysen bereit für den Einfluss der Finanzmärkte; sie zeigt Wege im Umgang mit ökonomischen Krisen; sie motiviert Kritik an nicht nachhaltigen Produktionsformen; sie bietet Erklärungen für das vermeintlich Irrationale der Ökonomie; sie beschreibt den Wandel von Arbeit und Unternehmen u.a. Um diese Varianz zu analysieren, bedarf es unterschiedlicher wirtschaftssoziologischer Theorien, Konzepte und Methodologien.
Theorien der Wirtschaftssoziologie führt in die Theorienvielfalt der Wirtschaftssoziologie ein, indem die zentralen wirtschaftssoziologischen Theorien und ihre spezifische Perspektivierung des Ökonomischen ausführlich vorgestellt werden. Die Kapitel behandeln die Erklärend verstehende Wirtschaftssoziologie, die Systemtheoretische Wirtschaftssoziologie, die Poststrukturalistische Wirtschaftssoziologie, Praxistheorien, die Social Studies of Finance, die Neue Wirtschaftssoziologie und die wirtschaftssoziologische Netzwerkforschung.
Das vorliegende Buch ist aus der Überzeugung entstanden, dass die Theoretisierung über Wirtschaft unerlässlich ist für ein Verstehen der ökonomischen Praxis. Wir hoffen, dass Studierende, Wissenschaftler?innen und an Theorie und Wirtschaft interessierte Personen durch die Lektüre einen einladenden und verständlichen Zugang zu wirtschaftssoziologischen Theorien und Themen erfahren.
Prof. Konstanze Senge lehrt Wirtschafts- und Organisationssoziologie am Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Die Wirtschaftssoziologie ist als vergleichsweise junge soziologische Subdisziplin erst seit den 1980er Jahren institutionell im Fach verankert. Gleichwohl gehören Auseinandersetzungen über wirtschaftliche Phänomene zu den Gründungsszenen der Soziologie. So waren etwa Karl Marx und Friedrich Engels1, Emile Durkheim, Georg Simmel und Max Weber in ihrem wissenschaftlichen Schaffen insbesondere auch von den wirtschaftlichen Wandlungsprozessen ihrer Zeit motiviert: Marx und Engels nahmen die durch die Industrialisierung herbeigeführten Missstände und Verelendungen zum Anlass, um über Kapital, Produktionsgesetze, Arbeit und Profit zu schreiben. Durkheim fokussierte die Bedeutung der Arbeitsteilung. Simmel betrachtete die gesellschaftlichen Auswirkungen der Geldwirtschaft. Und Weber untersuchte die historischen Ursprünge und Varianten des modernen Kapitalismus. Und auch diese Gelehrten, die Gründer der Soziologie und wirtschaftssoziologisch argumentierenden Vertreter?innen der Disziplin standen auf den "Schultern von Riesen"2, indem sie Ideen, Überlegungen und Relevanzsetzungen von Ökonom?innen und Moralphilosoph?innen aufgriffen,3 deren Wirken wiederum bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht.4
Vor diesen Hintergründen stellen sich Fragen, die dieses Buch motivieren: Wenn soziologisches Denken in seinen Ursprüngen auch wirtschaftliche Phänomene zum Gegenstand hatte, wie hat sich dieses Denken über Wirtschaft dann im Laufe der letzten 100 Jahre verändert? Welche theoretischen Perspektiven der gegenwärtigen Wirtschaftssoziologie sind Weiterentwicklung früherer Überlegungen und Konzepte? Gibt es Fragen, die immer wieder neu gestellt werden? Welche theoretischen Perspektiven wurden weiterentwickelt? Was bedeutet überhaupt "Theorie" in der Wirtschaftssoziologie? Und wie sieht das Verhältnis von Theoriegenese zu den vielfältigen empirischen Forschungen in der Wirtschaftssoziologie aus?
Im Folgenden gehen wir auf diese und verwandte Fragen ein, indem wir einige Theorien bzw. theoretische Perspektiven der Wirtschaftssoziologie vorstellen, einordnen, reflektieren und als Praxisadaptionen im Selbstversuch auf einen ausgewählten empirischen Fall (die Rodung des Waldes Hambacher Forst) anwenden. Hierfür betrachten wir in den folgenden Kapiteln eingehender: die erklärend verstehende Wirtschaftssoziologie nach Weber (Kap. II), Wirtschaft in der Systemtheorie von Niklas Luhmann (Kap. III), poststrukturalistische Theoriefundamente über Wirtschaft und Kritik (Kap. IV), Praxeologische Perspektiven über wirtschaftliche Praktiken und Felder (Kap. V), die wirtschaftssoziologische Netzwerkforschung (Kap. VI), die Neue Wirtschaftssoziologie, die sich seit den 1980er Jahren formierte (Kap. VII) sowie die von der Wissenschafts- und Technikforschung geprägten Social Studies of Finance (Kap. VIII).
Wie es zu dieser Auswahl kam, was die Idee hinter dem einheitlichen Aufbau der Kapitel ist, welche Beispiele verwendet werden und wie das didaktische Angebot in der Hoffnung einer adäquaten Orientierung in dem Buch aussieht, wird zum Ende dieses ersten Kapitels erläutert. Zunächst erscheint es jedoch angebracht, mit einer Spurensuche zu beginnen, in der wesentliche wirtschaftliche Entwicklungen der jüngeren Geschichte und deren wirtschaftstheoretische bzw. wirtschaftssoziologische Analysen identifiziert und verortet werden.
Im Folgenden wird daher eine Skizze des Denkens über ökonomische Zusammenhänge mit dem Ziel angelegt, manche der Themen aufscheinen zu lassen, die für die Wirtschaftssoziologie wichtig geworden sind. Ebenso erhellend ist es gleichsam zu sehen, welche Themen, die einst für das Nachdenken über ökonomische Zusammenhänge der Wirtschaft in der Vergangenheit bedeutsam waren, in der heutigen Diskussion vernachlässigt werden. Aus diesem Grund wird sich die folgende kursorische Darstellung auf jene gedanklichen Traditionen beziehen, wie sie insbesondere in Europa nach dem Mittelalter vom 16. bis ins 19. Jahrhundert überliefert worden sind und in volkswirtschaftliche und ökonomische Theorien sowie praktische Überlegungen der jeweiligen Zeit eingeflossen sind (vgl. Kap. I.1.). Mit Ende des 19. Jahrhunderts als sich die Soziologie als Fach gründete, formulierten die Gründer der Soziologie grundlegende Vorstellungen über die Ursachen, Funktionsweise und Konsequenzen ökonomischer Prozesse. Aber erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden soziologische Großtheorien über das, was wir allgemein als "die Wirtschaft" bezeichnen, entwickelt. Die Ideen dieser soziologischen Klassiker wie Auguste Comte, Emile Durkheim, Max Weber, Georg Simmel, Schumpeter, Karl Polanyi, Talcott Parsons und Niklas Luhmann sollen daher im Anschluss an das folgende Unterkapitel mit Blick auf ihren wirtschaftssoziologischen Beitrag gewürdigt werden (vgl. Kap. I.2.). Die anschließenden Unterkapitel nehmen in einer stärker ausgerichteten wissenssoziologischen Perspektive die ökonomischen gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1970er Jahren in den Blick, um den Boom der Neuen Wirtschaftssoziologie herzuleiten und die Bedeutung der Wirtschaftssoziologie als Subdisziplin der Soziologie zu begründen (vgl. Kap. I.3. und Kap.I.4.). Unterkapitel I.5. hebt abschließend mit Blick auf die Spezifikationen wirtschaftssoziologischer Theoriebildung die besondere Funktion dieses Lehrbuches hervor. Es ist zudem als Leseführung gedacht, indem es die didaktischen Mittel vorstellt, die einheitlich in den Kapiteln zwei bis acht verwendet werden.
Welche Überlegungen, welche Fragen und ökonomische Probleme waren es nun, die das Denken von Ökonom?innen und später Wirtschaftssoziolog?innen prägten? Über Jahrhunderte hinweg setzten Vertreter?innen der großen Schulen seit dem 16. Jahrhundert - Merkantilist?innen, Physiokrat?innen, Vertreter?innen des Liberalismus sowie Vertreter?innen des Sozialismus, des Keynesianismus und Neoliberalismus - unterschiedliche Schwerpunkte: bestimmt durch religiöse Vorstellungen und das einsetzende aufklärerische Denken; geprägt durch historische Besonderheiten wie die staatliche Kontrolle des absolutistischen Staates; beeinflusst durch Unabhängigkeitsbewegungen in den Vereinigten Staaten von Amerika; motiviert durch eine sowohl mittels Handel als auch Krieg erzielte Ausbeutung von Edelmetallen und die Entstehung von Reichtum; angetrieben durch Verelendungsprozesse und Vorstellungen von Gerechtigkeit; auf der Suche nach Gleichgewichtstheorien und Entwicklungsgesetzen im Gütersektor und im monetären Bereich; sowie in dem Streben nach der Entdeckung von Markt- und Entwicklungsgesetzen der Ökonomie. Ohne Zweifel gehören zudem zu den Kernfragen volkwirtschaftlichen Denkens Überlegungen und Vorstellungen von ineinander greifenden Prozessen im Zusammenhang mit der Beobachtung einer arbeitseiligen Ökonomie (Luhmann 1998).
Während wir heute dazu neigen, gesellschaftliche Bereiche wie "die Wirtschaft", "die Politik", "das Bildungssystem" u. ä. gedanklich zu abstrahieren und ihnen eine eigenlogische Funktionsweise zuschreiben, waren die früheren Jahrhunderte in Westeuropa von der Vorstellung geprägt, "die Nation" als eine politische und ökonomische Einheit zu begreifen, deren soziale Ordnung - Recht, Politik, Ökonomie, Kultur - zwar noch im Mittelalter Ausdruck von Gottes Gnaden war, mit dem beginnenden 16. Jahrhundert zunehmend als Ausdruck des Willens des Souveräns später als Volkes Wille galt.
Als Vertreter einer solchen, dem Willen des Souveräns folgenden Vorstellung galten die Merkantilisten in den modernen Ländern in Europa (England, Frankreich, Deutschland) und in europäischen Kolonien (16. bis 18. Jahrhundert). Entsprechend galten wirtschaftliche Prozesse unter den Vertretern des Merkantilismus als Vorgänge, die den Reichtum des Fürsten bzw. die von ihm kontrollierte Staatskasse fördern sollten (Kolb 1997: 15?ff.).5 Das ökonomische Denken bezog sich auf "das Ganze", womit die Einheit des nationalen und territorialen Staates gemeint war. Geistesgeschichtlich ist der Merkantilismus der Epoche der Aufklärung zugehörig. Kennzeichnend für den Merkantilismus ist eine Kritik des mittelalterlichen Universalismus, welcher den verschiedenen Lebensbereichen eine einheitliche und gemeinsame Ordnung zuschrieb, die in der Regel religiöser Art war. Die für den Merkantilismus typische Unterordnung der Wirtschaft unter die Interessen Staates bedeutete faktisch, die Nutzung der nationalen Produktion für politische und militärische Ziele (Kolb 1997: 16). Zu den wichtigsten gelehrten Vertreter des Merkantilismus zählen in England Thomas Mun (2008), William Petty (1690) und Nicolas Barbon (2021); in Frankreich Jean Bodin (2018), der Schotte John Law (2023)6; Hugo Grotius (2017) in den Niederlanden; in Österreich zum Beispiel Heinrich von Justi (1759) (vgl. Kolb 1997: 20?ff.).7
Mit Blick auf die Zielsetzung, die Ökonomie habe politischen und militärischen Zwecken zu dienen, entwickelten sich im Merkantilismus zwei zentrale ökonomische Lehren: a) Zum einen handelt es sich um das Theorem der aktiven...
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