PROLOG
. Sackgasse! Ohne meine Eintrittskarte für den Sudan bin ich einfach aufgeschmissen. Die Botschaft verweigert mir hartnäckig den Visumsstempel. Ich hänge fest in Amman, der Hauptsstadt Jordaniens. Mittlerweile schon über einen Monat, seit dem 6. Oktober 2001.
Das Hotelzimmer ist eine Zumutung. Es ist dreckig, heruntergekommen und düster. Doch es ist das billigste, was ich bekommen konnte. Das Bett: flohverseucht. Die nächtlichen Raubzüge dieser Parasiten hinterlassen Spuren. Morgens wache ich mit Stichen auf, der Körper über und über mit heftig juckenden Quaddeln überzogen. Ich kann es nicht lassen, diese aufzukratzen. Es ist zum Verzweifeln.
Bin daher heilfroh, wenn ich das Visum habe und Amman endlich den Rücken kehren kann.
Tja, nach fast drei Monaten und über viertausend Radkilometern quer durch Europa sitze ich scheinbar fest. Ich komme mir langsam vor wie in einem verdammten Gefängnis aus dem es kein Entkommen gibt. Ich sitze in der Patsche und mein Geld wird immer weniger. Die Reiseplanung ist gehörig durcheinandergeraten.
Endstation sollte eigentlich Kapstadt sein. Nicht Amman. Mein größtes Abenteuer wollte ich in der einsamen Wüste des Sudan und nicht in einem Flieger nach Äthiopien erleben. Denn diese Kröte müsste ich im Notfall wohl oder übel schlucken.
Warum bin ich so scharf darauf, dieses riesige Wüstenreich zu bereisen? Der Sudan ist das geheimnisvollste und touristisch unerschlossenste Land auf meiner Route, die mich von Deutschland bis ans Kap von Afrika bringen soll. Ich will es um keinen Preis auslassen. Habe die meiste Vorbereitungszeit dafür gebraucht. Viele Dinge habe ich von anderen Radreisenden über dieses Land gehört. Vieles gelesen oder in Fernsehreportagen gesehen. Durchweg Positives, was das Reisen dort anbelangt. Auch wenn spektakuläre Urlaubshöhepunkte, so wie sie in Katalogen angepriesen werden, hier fehlen: Der Sudan muss ein Erlebnis wert sein. Denn gerade dieses Fehlen prospektreifer Reiseziele schreckt die meisten Touristen ab. Außerdem braucht man hier Zeit, Zeit, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, Zeit, um die gewaltige Wüste zu begreifen. Das Land ist extrem dünn besiedelt. Straßen gibt es kaum. Ein Vorankommen ist oft nur in zu Bussen umgebauten Lorrys möglich. Strapazen sind da vorprogrammiert und dieser großen Herausforderung will ich mich stellen. Zeit braucht man auch, um die für ihre große Gastfreundlichkeit bekannten Menschen und deren Kultur kennen zu lernen. Radlerkollegen, die mehrere Tage allein in der Wüste unterwegs waren, kamen aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Mit glänzenden Augen erzählte mir der Schweizer Urs, der auch im Sudan unterwegs war, dass es das schönste Erlebnis seiner Reise war, drei Tage in der Einsamkeit der Wüste unterwegs gewesen zu sein. Ich muss dieses Visum also unbedingt haben. Ich liebe die Einsamkeit und die Weiten der Wüste. Ich will es hautnah erleben und meine Grenzen testen.
Es fing alles mit einem hoffnungsvollen Besuch der Botschaft der Republik Sudan an. Das war am 8. Oktober 2001. Voller Hoffnung ging ich zum Busbahnhof. Schon lag die erste schwere Hürde vor mir. Hier herrschte das reine Chaos. Endlose Reihen mit Minibussen. Die Menschen rannten hektisch zwischen ihnen herum. Ein buntes Durcheinander. Wie zur Hölle sollte ich mich hier zurechtfinden?
Zum Glück spreche ich arabisch. Nach ewigem Suchen und Durchfragen geriet ich schließlich an den richtigen Bus und stieg glücklich ein.
"Du musst am siebten Straßenkreisel aussteigen und dich durchfragen!", rief mir ein freundlicher Jordanier zu.
Nach rund dreißig Minuten war die Botschaft erreicht, ein kleines, schönes Gebäude im besseren Viertel, dem Botschaftsviertel. Alles drum herum grünte und blühte. Sehr idyllisch. Im Warteraum hingen anregende Fotos aus dem Sudan, die mich schon mal auf dieses Land einstimmten. Die vergilbten Fotos schienen schon älter zu sein. Die Farben leicht verblasst. Eines der Bilder zeigte eine Nubafrau im Südsudan, die gerade Baumwolle erntet. Auf dem anderen Foto sah man eine arabische Frau in typisch nordsudanesischer Wüstenlandschaft. Ich bekam eine Gänsehaut.
Die zwei sudanesischen Männer am Schalter sahen sehr Vertrauen erweckend aus und überreichten mir ein Formular, das ich sofort ausfüllte. So gab ich ihnen auch einen Zeitungsartikel aus Beirut, der über meine Tour berichtet. Gleich hinterher ein Empfehlungsschreiben eines sudanesischen Freundes aus Deutschland. "Okay, no problem", sagte Mohamed, der Jüngere und Freundlichere der beiden. "Du musst nur noch deinen Pass übersetzen lassen!"
Gut, ich fuhr also zurück in die Stadt und erledigte dies. Bearbeitungszeit: eine Stunde. Dann wieder der lange Weg zur Botschaft, wo man mir mitteilte, dass die Abfertigung meiner Visumsangelegenheit fünfzehn bis fünfundzwanzig Tage dauern kann. Es müsse erst ein Fax in den Sudan geschickt werden. Erst nachdem das Hauptquartier grünes Licht gegeben hätte, könne ich mein Visum bekommen. Das darf doch nicht wahr sein. Ich wies nochmal auf das Empfehlungsschreiben meines sudanesischen Freundes hin, der mich zu sich nach Khartum eingeladen hat.
"Na gut", sagte Mohamed. Ich solle ihn oder seine Eltern anrufen. Seine Mutter möge doch bitte zur Militärpolizei gehen und meinen Namen nennen. Dann gibt es das Visum sofort. Pech war nur, dass ich Wail nicht erreichte und seine Mutter im Sudan mich nicht verstand, als ich sie anrief. Sie brabbelte ständig nur unverständliches Zeug ins Telefon. Ich wurde immer ungeduldiger.
Am nächsten Tag stand ich schon um sieben Uhr auf und fuhr zur Botschaft, wo ich direkt den Konsul verlangte. Nach einer Stunde Warten wurde ich zu ihm vorgelassen. Sein Büro war wirklich riesig und sehr modern eingerichtet. Der Konsul selbst sah Vertrauen erweckend aus, ein großer, stämmiger Mann, doch sehr schweigsam. Ich belaberte ihn so lange auf Englisch und Arabisch, bis er mir einen Deutsch sprechenden Diplomaten, Mr. Zaroug, holte. Dieser sehr gut gekleidete Mann war sechs Jahre in Bonn und hat sechs Jahre in Wien Jura studiert. Er schaute sich meine Unterlagen an und hörte geduldig meiner Story zu.
Wir führten einen netten Smalltalk. Er beschrieb mir sogar einige Strecken im Sudan, welche per Rad zu befahren sind. Nur ganz beiläufig fragte er mich, ob ich in den Südsudan will. Eine verdächtige Frage. Er schien mir nicht ganz zu trauen. Ich glaubte, ihn zu durchschauen, hoffte aber, mich zu irren. Ich verneinte. Der islamische Norden des Sudan ist seit 1956 mit dem Süden verfeindet, da dieser sich vom Norden abspalten will. Beide liefern sich einen erbitterten Krieg mit vielen Toten. Dazu kommen die Hungerkatastrophen im Süden. Was hätte ich dort zu suchen?
Dann jedoch versprach er, dass er alle Hebel in Bewegung setzen will, damit ich mein Visum bekomme. Als erstes rief er die Mutter von Wail im Sudan an und redete mit ihr. Sie sagte ihm, ich solle bei ihr anrufen, wenn ich in Khartum bin. Sie würde mich dann abholen. Allerdings wollte sie nicht zur Militärpolizei gehen, um mich anzumelden. Dies solle ihr Sohn machen. Mr. Zaroug bat mich, ein Empfehlungsschreiben von der deutschen Botschaft einzuholen, was die Sache erheblich erleichtern würde. Also fuhr ich mit einem Taxi zur deutschen Botschaft und beantragte das Papier.
Am nächsten Tag holte ich dann den Wisch ab und überbrachte ihn dem sudanesischen Diplomaten. Der kündigte an, das Schreiben sofort nach Khartum faxen zu wollen. Außerdem werde er persönlich das Hauptquartier anrufen. Das Visum könne ich, wenn alles gut geht, am nächsten oder übernächsten Tag haben. "Inscha'allah!" Warten wir's ab.
Tja, so sieht ein Behördentag also aus, wenn man ein Sudanvisum will. Ich bin völlig entnervt. Die ständigen Fahrten in überfüllten Bussen bei der Hitze und immer den Verdacht im Nacken, dass sie einem das Visum nicht wirklich geben wollen.
Das Letzte, was ich von dem Diplomaten der sudanesischen Botschaft hörte, war Folgendes: Er hat mir am Telefon gesagt, dass er mit seinem Kollegen in Khartum telefoniert hat. Dieser hat ihm die Erlaubnis gegeben, mir ein Visum auszustellen. Jedoch kann ich es erst am Samstag abholen. Kein Problem. Auf die paar Tage kommt es auch nicht mehr an. Das lief ja wie am Schnürchen. Beziehungen muss man haben.
Dann die Ernüchterung. Ich Kamel, da habe ich mich mal wieder zu früh gefreut. Es war wohl bloß ein Traum, am Samstag den Stempel in den Pass zu bekommen. Der Diplomat ist einfach nicht mehr zu greifen. Ich versuche vergeblich, ihn zu erreichen. Wenn ich anrufe, werde ich in lange Warteschleifen mit entsetzlicher Musik gesetzt, um mir dann anhören zu dürfen, dass er nicht da ist. Er lässt sich einfach verleugnen und irgendwann wird auch den Botschaftsleuten mein nerviges Nachfragen zu bunt.
"Mr. Zaroug ist krank und liegt im Krankenhaus."
"Kann ich dann wenigstens den Konsul sprechen, bitte?"
"Tut uns leid, aber der Konsul ist auch im Krankenhaus und besucht den Herrn Zaroug!"
No chance. Die wollen einfach nicht mehr und stellen sich stur. Aber aus welchem Grund? Ich sollte es am nächsten Tag nochmal versuchen und muss wohl oder übel meine Zeit mit Tee trinken überbrücken. Langsam wird es langweilig in Amman. Tag für Tag werde ich am Telefon hingehalten und auf den nächsten Tag vertröstet. Inscha'allah, bukra! - So Gott will, morgen. Ich drehe mich im Kreis.
Dann die niederschmetternde Nachricht aus der sudanesischen Botschaft. Neununddreißig Tage hoffnungsvollen Wartens enden mit der definitiven Ablehnung meines Visumsantrages. Ich bin am Boden zerstört.
"Und darf ich bitte...