Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Nun hat jede Geburt ihre eigene Vorgeschichte. Die Vorgeschichte der Geburt Miluschas nahm ihren Anfang an einem wunderschönen Oktobersonntag des Jahres 1923. Bäume und Sträucher standen in voller Pracht des bunten Herbstlaubes. Die Wiesen leuchteten im matten Grün des letzten Grases, gesprenkelt vom blassen Violett unzähliger Herbstzeitlosen, zwar giftig, aber doch schön. Zwischendrin an vielen Stellen das Braun der abgeernteten Kartoffel- und Rübenfelder.
Die Luft war erfüllt vom Duftgemisch verglommener Kartoffelfeuer, pflückreifer Äpfel, frisch umgepflügter Ackerböden, satt blühender Astern und anderer Herbstblumen, auf denen tausende Bienen und andere Insekten summten, als wäre es die letzte Gelegenheit des Jahres, Nektar zu ernten. Selbst die Vögel sangen heute noch einmal, so als hätten sie alle für diesen Tag ein besonderes Konzert einstudiert. Die vom fast wolkenlosen Himmel strahlende Sonne verbreitete milde Wärme und gab dem Tag etwas besonders Festliches.
Ein Sonntag, wie aus dem Bilderbuch, unbeschwert und heiter.
Den beiden Menschen, die sich bereits eine Weile schweigend in der großen Stube des Lehrerhauses gegenüberstanden, war es freilich nicht ganz so leicht ums Herz. Der Tag hatte schon sein Gewicht, und die Entscheidung, die die beiden heute öffentlich vor der versammelten Gemeinde und vor dem Pastor besiegeln wollten, lag schwer auf ihren Schultern und Seelen.
Ein wenig förmlich wirkte die Frage schon, mit der der große, dunkelhaarige und schnauzbärtige Mann das Schweigen beendete: »Bist du wirklich bereit, Elsa Lohreder, mich alten Mann zu heiraten und zugleich die Mutter meiner Kinder zu werden?« Mit tiefem Ernst und doch großer Zärtlichkeit schaute Karl Beer der jungen Frau in die Augen, deren Hände er fest in den seinen hielt. »Noch kannst du zurück.«
»Nein, Karl Beer«, - die Antwort klang ähnlich förmlich -, »ich will nicht zurück und ich bin bereit, deine Frau zu werden und deinen Kindern eine gute Mutter.«
Fest erwiderte die kaum Zweiundzwanzigjährige den Blick des um gut einen Kopf größeren Mannes, der ihr Vater hätte sein können. Leise, aber bestimmt kam ihre Antwort: »Und denk nur nicht, ich heiratete dich nur deshalb, weil ich gegenüber meiner Schwester ein Versprechen einzulösen hätte. Nein, ich mag dich wirklich, und ich hab dich lieb, Karl Beer.« Die letzten Worte der jungen Frau klangen fast ein wenig trotzig.
Der Mann nahm seine Schwägerin in die Arme, drückte sie fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Es ist schon gut, mein liebes Elschen, ich weiß, dass du mich lieb hast, und du weißt, dass ich dich inzwischen genauso liebe, wie ich Emilie geliebt habe. Und ich weiß auch, dass du meinen Kindern eine gute Mutter sein wirst. Du bist es ja eigentlich schon lange. Sie sind doch schon wie deine eigenen Kinder geworden, seit du dich um sie kümmerst und sie versorgst. Und wer weiß«, der angehende Ehemann nahm Elsas Kopf zärtlich in seine großen Hände, »vielleicht schenkt Gott den dreien ja auch noch ein Geschwisterchen.«
Über Elsas hübsches Gesicht huschte eine leichte Röte und sie entzog sich seinen Händen. »Wir müssen hinaus. Draußen wartet der Wagen und in der Kirche warten Pastor Uhler und die Gemeinde.«
Hand in Hand traten die beiden Hochzeitler vor das Haus und in die strahlende Herbstsonne. Niemand war mehr auf dem Hof. Sie waren wohl alle schon vorausgefahren, um das Brautpaar vor der Kirche im wenige Kilometer entfernten Hainau zu empfangen. Um den sechsjährigen Georg, die vierjährige Olga und Klein-Waldemar kümmerten sich liebe Frauen aus der Gemeinde.
Vor dem Haus wartete Hans, der Sohn des Schuhmachers Hirsekern - gelegentlich half er mit seiner Frau Lenchen schon einmal in der Schullandwirtschaft, besonders wenn Not am Mann war -, mit der Kutsche, einem kleinen Einspänner, mit dem schon viele Brautpaare von Nedbarewka nach Hainau zur Kirche gefahren waren, um dort in Anwesenheit der Gemeinde den Bund fürs Leben zu schließen und sich den Segen Gottes zusprechen zu lassen.
Hans hatte die Kutsche geputzt und mit frischem Grün geschmückt und dazu eine saubere Decke auf den Sitz gelegt. Das Pferd - es hieß bei den Leuten auf dem Schulhügel nur »Brauner« - hatte er frisch gestriegelt und in seine Mähne eine leuchtende Schleife gebunden. Er selbst hatte seinen besten Anzug aus dem Schrank genommen und sich dem Ereignis gemäß gekleidet.
Karl half seiner Elsa auf die Kutsche hinauf. Das war nicht schwer. Da musste kein Rüschenrock gerafft und gehalten und hineingezwängt werden. Die junge Braut, eher klein und etwas rundlich, trug nur ein schlichtes Kleid in hellen Farben und einen dazu passenden Hut. Auf ein aufwendiges Hochzeitskleid hatte sie bewusst verzichtet. Und neben Karl in seinem dunklen Dienstanzug sah sie auch so hübsch und adrett aus. Den Umhang, den sie über dem Arm trug, brauchte sie jetzt nicht umzulegen. In der Sonne war es noch warm genug.
»Wir sind soweit, Hans. Du kannst fahren«, gab der Bräutigam dem Freund der Familie auf dem Bock das Zeichen. Still und in sich gekehrt saßen die Brautleute auf ihrem Gefährt, das gemächlich vom Hof und die Allee hinunter rollte. Fest hielten sie sich bei den Händen.
Das war schon ein denkwürdiger Tag heute ...
In den letzten Jahren war es Karl Beer häufig selbst gewesen, der mit Genehmigung der Kirche gewissermaßen als Pastor des Dorfes Trauungen durchgeführt hatte, wenn der Weg nach Hainau nicht möglich war oder wenn Pastor Uhler nicht herüberkommen konnte, um die Amtshandlung im Schulhaus vorzunehmen.
Für heute hatte Karl Beer natürlich seinen Freund und »Amtsbruder« im Nachbarort gebeten, den Dienst zu übernehmen. Gerne hatte der zugesagt, einen würdigen Gottesdienst vorzubereiten, hatte er doch schon viele Jahre Anteil genommen am Geschick der Beerschen Familie, die zuletzt durch die Tuberkulose der Hausfrau und Mutter großes Leid erfahren hatte.
Freilich hatte Elsa seit der Erkrankung und noch mehr seit dem Tod ihrer Schwester mit allen Kräften versucht zu arbeiten, zu ordnen, zu pflegen und zu versorgen. Sie war aber doch nur die Haushaltshilfe gewesen und die Tante der Kinder.
Das sollte sich heute ändern. Heute sollte mit der Heirat von Karl und Elsa ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Der Vater würde wieder eine Frau und eine Mutter für seine drei Kinder bekommen. Wen die fast dreißig Jahre Altersunterschied störten, den sollten sie stören. Wenn nur die beiden sich selbst in ihrer Entscheidung einig waren. Sie hatten sich lange geprüft und auch vor Gott gefragt, ob das der richtige Weg für sie sei. Sie waren sich schließlich darin einig, dass Gott ihre Entscheidung bestätigte und mit ihnen war.
So heiter und fröhlich, wie dieser Oktobertag sich zeigte, so heiter und fröhlich wünschten sich die beiden ihre gemeinsame Zukunft.
Der Einstieg in die neue Zeit sah auch schon recht gut aus. Da war dieser strahlende Herbstsonntag. Und da war diese herrliche Kulisse, die die beiden vorfanden, als sie mit Hans und der Kutsche in die Dorfstraße Richtung Hainau einbogen. Viele Dorfbewohner warteten dort mit ihren Fuhrwerken, die sie zu Personenfahrzeugen umgerüstet hatten, um ihren Lehrer und seine junge Braut zum Traugottesdienst zu begleiten. Sie waren also noch gar nicht vorausgefahren. Und auf dem ersten Wagen befanden sich auch die drei Kleinen. Sie mussten doch auch dabei sein an diesem denkwürdigen Tag ihrer Eltern.
Georg und Olga wären wohl am liebsten in die Kutsche umgestiegen, und die Frauen hatten Mühe, sie zu beruhigen und auf später zu vertrösten. Klein-Waldemar, erst wenig älter als ein Jahr, wusste natürlich noch gar nicht, was hier heute geschah.
So bewegte sich also eine fröhliche Karawane von Nedbarewka nach Hainau, um dort einen ernsten und doch auch fröhlichen Traugottesdienst mit einer großen Gemeinde in der gut gefüllten Kirche zu feiern.
Drei Stunden später bewegte sich eine ebenso fröhliche Karawane wieder zurück ins Dorf. Die Menschen waren noch beeindruckt von Pastor Uhlers Predigt über die beiden Worte aus Josua 1, Vers 5 und 6: »Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt!« und aus dem ersten Petrusbrief, Kapitel 5, Vers 7: »Alle eure Sorge werfet auf IHN, denn ER sorget für euch!« In den Ohren hatten sie wohl auch noch den mächtigen Gesang vom Ende des Gottesdienstes: »Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke ...«
Jetzt auf der Heimfahrt saßen Georg und Olga zwischen ihrem Vater und ihrer neuen Mutter, und Elsa hielt den Jüngsten auf ihrem Schoß, wie im vergangenen Jahr so häufig. Nur dass die Familie jetzt wieder eine richtige Familie war.
Am Fuße der Allee, die hinauf auf den Schulhügel führte, hielt Hans die Kutsche an. Die vielen Wagen der Dörfler fuhren an den Brautleuten vorüber, in aufrichtiger Mitfreude noch einmal winkend und gratulierend und Glück und Segen wünschend.
Nachdem das letzte Fahrzeug vorbeigefahren war, lenkte Hans Hirsekern die Kutsche in die Allee hinein und fuhr unter den nur noch spärlich belaubten Pappeln hinauf auf den Schulhügel und damit die »junge« Familie auf dem hinteren Sitz gewissermaßen hinein in eine neue Zeit ...
Ob diese Zeit einen so strahlenden Verlauf nehmen würde, wie es dieser herrliche Tag zu verheißen schien? Wie auch immer, Karl Beer und die junge Elsa, nun seine Ehefrau, wussten sich mit den Kindern und ihrer gemeinsamen Zukunft in Gottes Händen geborgen und gut aufgehoben. Gott würde bei ihnen sein, und er würde für sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.