Zwischen den Sperrgebieten
Inhaltsverzeichnis Heulend streicht der Nordwest um die roten Sandsteinfelsen Helgolands, schmettert die zu schweren Brechern aufgewühlte See gegen die Molen, jagt sie an den Wänden hoch, daß sie gischtend über die Quadern hinweglecken, um dann krachend zusammenzubrechen. Um den Leuchtturm wirbelt er, jauchzt in den Drähten der Funkenstation und rüttelt an den schiefergedeckten Häuschen, deren Bewohner seit Jahren schon drüben auf dem Festlande weilen. Selten nur tönt der hallende Schritt eines Menschen durch die schmalen Gäßchen. Den Kragen hochgeschlagen, das Sturmband unter dem Kinn, kämpft er gegen den Sturm an, der an jeder Ecke neu gegen ihn heranspringt.
Im Schutz der Molen läuft »U95« aus. Kaum steckt es die Nase am Molenkopf vorbei, als es auch schon von der See gefaßt wird. Ein wildes Stampfen und Schlingern beginnt, als wollten die anlaufenden Brecher dem Boote das Auslaufen verwehren. Mit Kurs Südwest zu West quält es sich vorwärts. Der Sturm reißt den weißen Ölqualm in Fetzen aus dem Schornstein. Ein Zittern geht jedesmal beim Einsetzen durch das Fahrzeug, es dröhnt und klingt in das Stampfen und Knattern der Motoren, daß jeder Befehl gebrüllt werden muß, soll er verstanden werden.
Nach Stunden erst flaut der Sturm ab, die See aber läuft noch tiefaufgewühlt heran. Eine weite und gefährliche Fahrt steht »U95« bevor. Durch den Kanal, die Biscaya, durch die Straße von Gibraltar soll das Boot nach der Adria fahren, um von dort aus im Mittelmeer Handelskrieg zu führen. Voll aufreibender Fährnisse jeder Art ist der Weg. Minen, Netze, U-Boot-Jäger und Untiefen lauern an vielen Stellen. Den schwierigsten Teil bringen schon die Tage, wo es gilt, durch den Kanal in Sicht der französischen und englischen Küste durchzubrechen. Stunden stehen bevor, in denen jeder Einzelne alles hergeben muß, was überhaupt nur ein Mensch - und was noch mehr ist, ein U-Boots-Mann zu leisten vermag. Es heißt vorläufig mit den Kräften haushalten. Der Kommandant beschließt daher, die Nacht auf dem ruhigen Grunde zuzubringen. Eine Stelle, an der die Seekarte weißen Sand verzeichnet, wird aufgesucht. Das Geknatter der Motoren verstummt, immer weiter läuft der Zeiger des Tiefenmanometers, dann ein leichtes, kaum fühlbares Aufstoßen, und »U95« ruht still in dreißig Meter Tiefe auf dem Grunde der Nordsee. Bald liegt alles bis auf die Wachen in Maschinenraum und Zentrale in tiefem Schlaf.
Eben dämmert im Osten der Tag, als das Boot seine Fahrt auf den Eingang des Kanals zu aufnimmt. Der Seegang hat bedeutend nachgelassen; einzelne leichte Spritzer jagen noch über Vor- und Achterschiff, aber auch sie werden, je weiter der Tag vorschreitet, seltener. Das Wetter ist klar und sichtig; Nordhinder Feuerschiff wird in weitem Abstand passiert, kein Fahrzeug angetroffen. Hier beginnt die Gefahrzone, die die schärfsten Ansprüche an die Aufmerksamkeit der an Deck befindlichen Mannschaften stellt. Alles steht klar auf Stationen. Das ungeheuere englische Minenfeld liegt voraus. Leicht kann der Sturm einzelne Minen losgerissen haben, die durch die Strömung ostwärts abtreiben. Unentwegt starren die Leute auf die einzelnen ihnen zugewiesenen Abschnitte, ob nicht zwischen den kleinen Wellen die schwarze oder vom Seetang grünlich gefärbte Rundung heranschwimmt.
Das Minenfeld! Nochmals wird der Schiffsort festgestellt, auf der Karte genau der Kurs abgesetzt, dann geht es getaucht weiter. Stundenlang. Nach einer Weile kommt die Meldung aus dem Vorschiff, daß an Steuerbordseite ein Gegenstand entlangschrammt. In der tiefen Stille, die im Innern herrscht, kommt ein deutliches Kratzen und Scheuern näher heran. Jetzt ist es an der Zentrale, um sich Sekunden darauf nach achtern zu verlieren. Ein Minenhaltetau. Na, alle Minen scheinen ja noch nicht losgerissen zu sein.
Mehrere Stunden noch, bis zum Einbruch der Dunkelheit, dauert die Fahrt, dann taucht »U95« vorsichtig auf. Weit und breit ist die See frei, kein Sperrbewachungsfahrzeug ist zu sehen. Denen ist der Mut zum Verharren wohl durch die von der flandrischen Küste vorstoßenden deutschen Seestreitkräfte, die ihre Erkundungsfahrten durch die Downs bis nach der Themsemündung und weiter noch bis Lowestoft ausdehnen, längst vergangen.
Kein Lichtstrahl schimmert von der in Friedenszeiten so reich befeuerten Küste Kents auf See. Auch die Feuerschiffe, die wegen der zahlreichen, der Themse vorgelagerten Sände sonst ein unumgängliches Hilfsmittel für das Einsteuern in den Strom waren, sind eingezogen. Wie eine dunkle Straße, deren Ende sich unabsehbar anscheinend in der Nacht verliert, liegt voraus der Kanal; nur einzelne Sternbilder zeigen den Weg. Einsam und ruhig zieht »U95« die gefährliche Straße hinein. Kein Auge schließt sich während der Stunden des Durchbruchs durch die engste Stelle. Mit scharfen Nachtgläsern bewaffnet, suchen die Leute das Dunkel zu durchdringen, ob nicht irgendwo der weiße Kamm der Bugwelle eines herannahenden Feindes auftaucht.
An Backbord voraus scheint ein Gewitter zu stehen. Greller Lichtschein flammt auf, der sekundenlang die tiefdunkle Nacht hell erleuchtet. Dumpfes Murren, wie ferner Donner kommt heran. Unablässig, wie wenn ein schwerbeladener Wagen über schlechtes Pflaster hinwegrollt, klingt es nach. Dann, plötzlich steigt am nachtschwarzen Himmel ein Stern hoch, neigt sich, um mit weitausstrahlendem Schimmer wieder zur Erde zu sinken. Ein zweiter, ein dritter folgt ihm - die flandrische Front. Deutlicher hebt sich auch jetzt aus dem fernen Grollen der dumpfe Ton schwerer Geschütze ab, die selbst um diese vorgerückte Stunde nicht schweigen. Der Kampf hier kennt keine Nachtruhe.
Zwei Stunden noch, dann liegt die Front wieder in tiefem Dunkel achteraus. Eine Weile begleitet das ferne Murren und Grollen die Fahrt, bis überall tiefe Stille sich breitet, die nur von dem eintönigen Rauschen des Kielwassers und dem Hämmern der Motoren unterbrochen wird.
Die englische Küste steht in tiefstem Dunkel. Ab und zu nur leuchtet der grelle Lichtstrahl eines Scheinwerfers, der sekundenlang über die See geistert, auf, um jäh mit einem Schlage wieder zu verschwinden. Die Franzosen scheinen dagegen vor einem Angriff von See oder von Luft aus bedeutend weniger Furcht zu haben. Rötlicher Dunst verrät deutlich, wo sich größere menschliche Ansiedlungen befinden. Ein Kinderspiel wäre es, hier heranzulaufen und einige Granaten als Gruß des deutschen U-Bootes abzugeben. Doch andere Aufgaben harren seiner.
»Voraus ein Schiff!« brüllt der Posten des Verdecks zum Turm hinauf, wo im gleichen Augenblick auch schon ein stilliegender schwarzer Gegenstand gesichtet wird. Ein Bewachungsfahrzeug! Hart Steuerbord wird das Ruder herumgewirbelt, alles ist klar zum Tauchen, jeden Augenblick kann die Mannschaft in das Innere springen und die Luks hinter sich schließen. Der Gegner merkt nichts, scheint sanft zu dösen.
Eine halbe Stunde später kommt eine Begegnung, die freilich bedeutend unangenehmer werden kann. Aus dem Dunkel der Nacht huscht plötzlich ein Schatten heran... keine zweihundert Meter ab.... »Schnelltauchen!« Dumpf schlagen die Luks zu.... Sekunden später schließt sich das Wasser über dem Turm, eben als drüben ein greller Feuerschein aufflammt.... Fünf Meter Wasser stehen über dem Boot, als das brausende Schlagen von Schiffsschrauben, die sich in rasender Eile nähern, heranklingt. Sekunden nur, dann steht der Zerstörer über dem Boot.... Der Herzschlag scheint den Leuten im Innern zu stocken... wenn nur diesmal noch alles klargeht... um den Bruchteil einer Sekunde nur kann es sich handeln... er ist vorbei. Ein trockenes Knacken, ein zweites schwächeres gleich darauf.... Wasserbomben. Für diesmal zu spät.
Zwei Stunden fährt »U95« getaucht westwärts weiter, als das Boot ganz unvermittelt vorn hochgerissen wird. Gleichzeitig kommt aus dem Vorderschiff die Meldung, daß deutliches Scharren und Scheuern an der Außenhaut zu vernehmen ist. U-Bootnetz! Einen Augenblick stockt der elektrische Antrieb. »Äußerste Kraft zurück!«... Das Scheuern hält an - anscheinend hat das Bugruder sich im Netz verfangen und wird festgehalten.... »Äußerste Kraft voraus!«... Einige Sekunden macht das Boot Fahrt, dann ein kurzer Ruck... die Stahltaue des Netzes scharren weiter nach dem Turm zu... wieder ist die Fahrt aus dem Schiff.
Die Stimmung ist zwar nicht besonders rosig, aber keineswegs gedrückt. Nicht zum erstenmal macht der Kommandant mit einem englischen Unterwasserzaun Bekanntschaft. Die Hauptsache ist, daß die Maschinen intakt und das Boot heil geblieben ist.
»Alle Tanks fluten!« Der Zeiger des Tiefenmanometers schnellt um fünfzehn Meter vor. »Dreimal äußerste Kraft voraus!« Jetzt heißt es, biegen oder brechen. Ein leichtes Zittern... einige kurze scharfe Rucke, dann schießt »U95« mit voller Geschwindigkeit voraus. Einzelne Tampen des zerrissenen Netzes schlagen noch an das Achterschiff, dann ist das Hindernis durchbrochen.
Der Steuermann, der eben zu seiner großen Beruhigung festgestellt hat, daß der Kreiselkompaß seine ungeheuere Geschwindigkeit noch immer ohne Störung beibehalten hat, wischt sich den Schweiß von der feuchten Stirn und meint dann aufatmend zum leitenden Ingenieur, der neben ihm in der Zentrale steht: »Nu fehlt heute nacht bloß noch 'ne U-Bootsfalle, dann haben wir aber auch den ganzen englischen Abwehrzadder erlebt!«
Die Nacht scheint aber den Ahnungen des Steuermanns nicht Recht geben zu wollen. Es ereignet sich nichts weiter. Noch funkeln die Sterne am Himmel, als »U95« auftaucht. An Steuerbord schimmert das Feuer von Beachy Head minutenlang herüber, erlischt für eine Weile, um abermals aufzublitzen. Es kann sich nur um ein Signal für ein Schiff handeln,...