Schweitzer Fachinformationen
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Es ist einfach zu heiß. Luise hat sich zu ihrer gewohnten Mittagsruhe zurückgezogen, doch obgleich die Fensterläden des Schlafzimmers geschlossen sind, dringt die Hitze in den Raum hinein und lässt sie nicht schlafen. Es ist ärgerlich, denn sie hat auch in den vergangenen Nächten kaum ein Auge zugetan, was dazu führt, dass sie tagsüber müde ist und ihre Gedanken nicht beisammen hat.
»Traude! Traaauude!«
Ach, dieses Mädchen! So hässlich sie ist, so ungeschickt und langsam ist sie auch. Wo steckt sie denn wieder? Wie lange soll sie noch warten? Jetzt dringt auch noch Kindergeschrei über den Flur ins Eheschlafzimmer - das ist ihre Tochter Elisabeth, die vermutlich aus dem Mittagsschlaf erwacht ist und energisch ihren Brei verlangt.
»Minna! Bring das Kind zum Schweigen! Meine Nerven halten diesen Lärm nicht aus!«
Die Zimmertür öffnet sich, und Traudes hagere Figur ist im Dämmerlicht des Flurs zu erkennen. Wie sie es zustande bringt, nahezu unhörbar durch das alte Haus zu schleichen, wird Luise wohl immer ein Rätsel bleiben.
»Haben Sie ein wenig schlafen können, gnädige Frau?«, fragt sie in süßlichem Ton. »Ach, diese Hitze! Unten am Küchenherd glaubt man, bei lebendigem Leibe zu verglühen .«
Natürlich weiß sie ganz genau, dass Luise kein Auge hat schließen können, aber sie fragt trotzdem auf diese scheinheilige Weise. Jetzt macht sie sich mit der Krinoline zu schaffen, die Luise samt dem Überrock abgelegt hat, bevor sie sich zu Bett legte.
»Nicht diesen Rock! Das dunkelblaue Kleid mit den Brüsseler Spitzen«, befiehlt Luise missgelaunt. »Ich gehe aus.«
»Ach Gott - wo habe ich nur meinen Verstand gelassen?«, seufzt Traude. »Die Hitze, gnädige Frau, die Hitze. Natürlich - heute veranstaltet Frau von Kleiwitz ja wieder ihren >Salon<, wie konnte ich das vergessen .«
»Schwatz nicht herum. Geh hinüber und hol das Kleid. Und ein frisches Leibhemd brauche ich auch. Dann machst du mir das Haar und ziehst mir die Strümpfe an .«
Luise ist völlig durchgeschwitzt. Der Gedanke, die baumwollenen Strümpfe anziehen und die geschwollenen Füße in die engen Schuhe zwängen zu müssen, ist niederschmetternd. Doch um nichts in der Welt wollte sie Augustes »Salon« verpassen. Nicht etwa, weil sie an den dargebotenen »Perlen« aus Musik und Literatur interessiert wäre - dieses Zeug muss man leider über sich ergehen lassen. Aber bei Auguste von Kleiwitz findet sich stets eine Reihe wichtiger Danziger Persönlichkeiten ein, und darum ist es aus gesellschaftlichen Gründen nötig, dort zu erscheinen. Schließlich ist sie die Ehefrau des Theodor Berend, der eines der ältesten und angesehensten Handelshäuser der Stadt besitzt.
O ja - sie ist bestrebt, ihrem Gatten eine würdige Ehefrau zu sein. Noch im Winter hat sie mehrere Einladungen gegeben, die allesamt sehr zufriedenstellend verlaufen sind. Die Damen haben ihren guten Geschmack und die köstlichen Speisen gelobt, die Herren fühlten sich bei Wein und Likören zu angeregten Gesprächen bemüßigt. Sogar Theodor, der sonst in Gesellschaft eher steif und befangen wirkt, hat sich eifrig mit seinen Gästen unterhalten und vermutlich auch das eine oder andere Geschäft in die Wege geleitet. Aber natürlich hat vor allem der Schwager Ernst zu der angenehmen Stimmung ihrer Einladungen beigetragen, denn sein heiteres Wesen überträgt sich auf seine Umgebung. Es ist schade, dass er so gar keine Freude an Handel und Geschäften hat und seine reiche Begabung mit dem Schreiben irgendwelcher Geschichten oder Gedichtlein verschwendet. Worin ihn zu Theodors Ärger besonders seine Schwester Johanna unterstützt. Aber Johanna hat ja noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, dem Berendschen Handelshaus zu schaden.
»Doch nicht so fest!«, schimpft sie Traude, die ihr die Krinoline über das eng geschnürte Mieder bindet.
»Verzeihung, gnädige Frau . Nein, so eine zarte Taille ist in der ganzen Stadt nicht zu finden . Sie haben eine Figur wie ein junges Mädchen, gnädige Frau .«
»Red keinen Unsinn, Traude!«
»Bei meiner Ehre, gnädige Frau: Es ist so, ich kann es nicht leugnen.«
Luise weiß zwar, dass Traude eine perfide Schmeichlerin ist, doch sie lässt es sich heute nicht ungern gefallen. Ja, auf ihre Figur ist sie stolz, sie war immer zierlich und hat die Danziger Frauen, die eher eine Neigung zur Fettleibigkeit haben, darum verachtet. Auch wenn sie nun schon auf die vierzig zugeht, so erscheint sie doch durch ihre schlanke Taille sehr viel jünger, vor allem seitdem sie ihrem blonden Haar mit etwas Farbe nachhilft.
»Bring mir die braunen Schuhe. Und dann sag der Köchin, ich nehme noch einen Kaffee bevor ich das Haus verlasse. Das Abendessen nur für den Hausherrn -mein Schwager wird mich zum Salon begleiten .«
»Sehr wohl, gnädige Frau . Ihr Ehemann ließ bereits ausrichten, dass er heute auswärts zu Abend essen wird .«
»Umso besser . Dann muss er nicht ohne Gesellschaft speisen.«
Während sie sich mit den engen Schuhen abmüht, beißt sie sich ärgerlich auf die Lippen. Natürlich weiß auch das Personal, dass der Hausherr gelegentlich eine gewisse »Dame« in einer der Altstadtgassen besucht und auch von ihr bewirtet wird. Eigentlich hatte Luise erwartet, dass Theodor nach der unseligen Geschichte mit Danuta, dem ehemaligen Hausmädchen, erst einmal genug hätte von außerehelichen Aktivitäten, aber da hat sie sich wohl geirrt. Was für eine entsetzliche Schmach, dass er Danuta und ihren Sohn Christian, den gemeinsamen Bastard, den er so liebt, in einer eigenen Wohnung untergebracht hat. Nun, zum Glück hat sich das von selbst erledigt, weil Danuta sich davongemacht hat.
Luise seufzt leise auf. Solche Dinge sind meist ein offenes Geheimnis, das die Ehefrau zu dulden hat, alles andere zöge nur einen Skandal nach sich, der ihr selbst am meisten schaden würde. So hat auch sie die bittere Pille geschluckt und die Abwesenheit ihres Ehemannes an manchen Abenden ohne Kommentar ertragen. Soll er zu dieser Frau gehen, wenn es ihn dazu drängt - es kümmert sie nur noch wenig. Soll er das Eheschlafzimmer meiden und getrennt von ihr schlafen - sie hat sich damit abgefunden. Sie braucht ihm keinen Sohn mehr zu gebären, sie haben eine gemeinsame Tochter, die eines Tages das Handelshaus und den gesamten Besitz der Berend erben wird.
Jawohl! Ihre Tochter Elisabeth ist die alleinige Erbin des Berendschen Handelshauses. Welch ein Triumph! Danuta ist fort, sie hat Danzig vor einem halben Jahr verlassen und ihr uneheliches Balg mitgenommen. Der kleine Bastard, an dem Theodor mit einer wahren Affenliebe hing, ist aus dem Weg. Niemand weiß, wo er und seine Mutter sich aufhalten, es gibt sogar Gerüchte, Danuta habe sich mit Oskar Possert, einem ehemaligen Angestellten des Hauses Berend, zusammengetan und sei mit ihm und dem Kind nach Amerika ausgewandert. Wenn es nur so wäre! Wenn sie doch alle drei auf der Überfahrt Schiffbruch erlitten und jämmerlich ertrunken wären!
Aber auch so ist Luise sicher, dass sie Danuta und den verhassten Christian niemals wiedersehen wird. Warum? Sie betet jeden Sonntag in der Marienkirche zu Gott, er möge ihre Ehe erhalten und stärken und ihren Ehemann vor Sünde bewahren. Auch hat sie der Kirche eine beträchtliche Spende zukommen lassen. Gott der Herr kennt die Sünder und Ehebrecher, er belohnt die Gerechten und schützt die Schwachen, und darum wird er ihre Gebete erhören.
Kritisch schaut sie in den Spiegel, der über dem Waschtisch mit der Marmorplatte hängt. Da die Fensterläden wegen der Hitze geschlossen sind und nur wenig Licht durch die Spalten in den Raum dringt, erscheint ihr Gesicht beinahe faltenlos. Allerdings auch sehr bleich. Sie nimmt die Schmuckkassette aus dem Schrank, steckt Ringe und die Perlenbrosche an. Die silbernen Ohrgehänge wird sie sich sparen, sie sind unbequem, und außerdem hat sie Sorge, eines der wertvollen, von der Schwiegermutter geerbten Schmuckstücke zu verlieren.
Es bleibt noch ein wenig Zeit, bevor sie sich gemeinsam mit dem Schwager auf den Weg machen muss, daher tritt sie in den Flur, um hinunter ins Wohnzimmer zu gehen und dort ihren Kaffee zu trinken. In diesem Moment öffnet sich jedoch die Tür des Kinderzimmers, und ein blondlockiges Engelein im weiten Hemd wackelt auf festen Beinchen über die Schwelle. Beim Anblick der dunkel gekleideten Frau bleibt Elisabeth zögernd stehen und steckt den Daumen in den Mund. Dann entschließt sie sich ganz plötzlich, mit fröhlichem Lachen auf Luise zuzulaufen.
»Minna . Minna Brei holt .«, brabbelt sie und greift mit beiden Händchen in Luises Rock, um sich dort festzuhalten.
»Willst du das wohl lassen!«, ruft Luise erschrocken. »Minna! Nimm das Kind, rasch! Sie ruiniert mir das Kleid. O Gott, sie hat klebrige Finger .«
Die junge Angestellte stürzt hastig herbei und will die Kleine auf den Arm nehmen, doch Elisabeth ist nicht bereit, den schönen, glänzenden Stoff loszulassen, und klammert sich daran fest.
»Lass los, du kleiner Teufel!«, kreischt Luise und schlägt auf das Kind ein. »Willst du wohl gehorchen?«
Ihre Schläge zeigen nur wenig Wirkung, und als Minna der Kleinen den Stoff mit Gewalt aus den Fingern reißt, fängt Elisabeth zornig an zu weinen. Gott - wie laut dieses Kind schreien kann! Man wird es bis zum Langen Markt hin hören.
»Es tut mir schrecklich leid«, stammelt die entsetzte Minna, die das strampelnde Kind zu bändigen versucht....
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