Schweitzer Fachinformationen
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Maja wollte gerade mit dem Rucksack über der Schulter auf den Schulhof treten, als jemand nach ihr rief.
»Maja.«
In einiger Entfernung bei den Bäumen standen ein paar Jungs aus der Abschlussklasse und rauchten.
»Ja?«
Gunilla Olsson holte sie keuchend ein. Sie war Majas Klassenmentorin und hatte den Spitznamen Schwitz-Olsson. Sie trug immer verwaschene T-Shirts, und ihre Haltung war ebenso stolz wie die eines Faultiers.
»Gehst du nicht zum Philosophieunterricht?«
Maja zögerte mit der Antwort, weil sie nicht recht wusste, welche Ausrede sie sich dieses Mal einfallen lassen sollte.
Nach dem Mittagessen hatte sie auch Religion, ein weiteres Fach, das die Gottes-Licht-Mitglieder aus Prinzip boykottierten. Sie benötigte also einen Vorwand, der mehrere Stunden abdeckte. »Bauchschmerzen«, erwiderte Maja und krümmte sich. »Ich glaube, ich kriege meine Tage.«
Schwitz-Olsson runzelte die Stirn.
»Das hast du letzte Woche auch gesagt.«
Maja fasste sich an den Bauch, um den Ernst der Lage zu unterstreichen.
»Vielleicht ist es ja eine Magen-Darm-Grippe.«
Schwitz-Olsson trat zwei Schritte zurück, während zwei Mädchen aus der Parallelklasse sich an Maja vorbeidrängten. Sie unterhielten sich über einen Busunfall, der sich am Morgen ereignet hatte.
»Okay«, erwiderte Olsson. »Hoffentlich geht es dir bald wieder besser.«
Maja ließ die Tür los und eilte weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie hatte sich bereits verspätet, und ihre Mutter würde sich gar nicht freuen, wenn sie plötzlich befürchten musste, Maja hätte doch am Religionsunterricht teilgenommen.
Sie überquerte den Schulhof und ging am Parkplatzmäuerchen vorbei. Auf die Ziegel hatte jemand ein umgekehrtes Kreuz gemalt und dieses mit dem Kommentar »Gottes Pimmel« versehen.
Die Jungs aus der Abschlussklasse lachten höhnisch, als Maja ihren Blick von dem Graffiti abwandte. Sie ignorierte sie und blieb plötzlich wie angewurzelt auf dem Parkplatz stehen. Jetzt geschah, was einfach nicht geschehen durfte.
Unsicher machte sie noch ein paar Schritte. Ein Kloß schien sich in ihrem Hals festgesetzt zu haben und hinderte sie am Schlucken.
Er stand vor ihr. Der Mann aus der Kirche. Der, an den sie ständig denken musste. Der Saboteur.
»Maja«, sagte er. »Meine Auserwählte.«
In der Hand hielt er ein Päckchen.
»Hallo«, stammelte sie.
Hastig suchte sie die Umgebung mit dem Blick ab. Niemand durfte sie jetzt sehen, am allerwenigsten ein Gemeindemitglied.
Ein EPA-Traktor fuhr auf der Straße vorbei. Die Scheiben getönt, fast kohlrabenschwarz. Der Auspuff röhrte.
Sonst war niemand zu sehen, nicht mal mehr die Jungs aus der Abschlussklasse.
Der Mann reichte ihr das Paket.
»Das ist für dich«, sagte er. »Damit wir in Kontakt bleiben können.«
Seine grünen Augen leuchteten. Sein lockiges, langes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Überraschend zog er sie an sich, ihr blieb keine Zeit zu protestieren.
Mit dem Finger zeichnete er etwas auf ihren Rücken. Ein X oder ein Kreuz?
Er roch an ihren Haaren.
Eigentlich hätte sie ihn abwehren müssen, stattdessen erlaubte sie ihm, sie weiter an sich zu drücken. Zu guter Letzt schob er sie vorsichtig von sich weg und hob das Päckchen in die Höhe.
Sie nahm es entgegen, schaute sich nochmals um, bevor sie es in ihrem Rucksack verstaute.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte sie.
»Das habe ich doch gesagt. Ich weiß alles über dich, Maja.«
Sein schiefes Lächeln konnte sie nicht deuten. Maja lachte nervös. Röte breitete sich auf ihrem Hals aus.
Hatte sie je zuvor so etwas empfunden?
»Du kannst dein Leben ändern«, sagte er. »Du kannst zu uns kommen, wenn du willst.«
Maja sah ihn einfach nur an. Scharrte mit den Füßen im Sand, den die Schneeschmelze freigegeben hatte, und der Frühling und Sommer verhieß etwas Neues, etwas anderes.
Wie dieser Mann.
Nur verschwommen nahm sie wahr, wie er zurücktrat und sich über den Parkplatz entfernte.
»Bis bald«, rief er ihr über die Schulter zu.
Dann stieg er in ein Auto und fuhr davon.
Maja blieb noch einige Minuten lang stehen und atmete einfach nur. Dann kam die Panik.
Sie war spät dran, und ihre Mutter würde wissen wollen, warum. Wenn ihre Mutter sie erst einmal unter Druck setzte, dann wusste Maja nicht, wie sie sich verhalten würde.
Würde es ihr gelingen zu lügen?
Sie begann zu laufen. Die Bilder vom Gottesdienst flimmerten vor ihrem inneren Auge vorbei. Die Sabotageaktion, die sie hätte verhindern sollen.
Nach einigen Minuten erreichte sie das Grundstück der Lundmarks, zwängte sich durch die Hecke und schlitterte über den braunfleckigen Rasen. Der Alte war nie zu Hause und würde nicht merken, dass sie diese Abkürzung nahm. Er hielt sich meistens in den Bergen auf.
Sie lief langsamer. Wenn sie mit gerötetem Gesicht und außer Atem nach Hause käme, würde ihre Mutter fragen, was los sei.
Niemand durfte erfahren, dass sie ihn getroffen hatte.
Den Saboteur.
Als sie sich auf der anderen Seite der Hecke befand, begann der Hund, im Haus zu bellen. Der Alte war also doch da. Maja zog ihre Kapuze hoch und verschwand im Gebüsch.
Sie schrie auf, als sie sich an einem Ast die Hand aufschürfte. Und wenn ihre Mutter wissen wollte, wo sie diese Verletzung herhatte? Die Schramme war ein Beweis, ließ sich gegen sie verwenden und konnte enthüllen, was sie verschwieg. Dass sie der Fleischeslust verfallen war, sich von weltlichen Dingen hatte verleiten lassen.
Zwei Minuten später stand sie vor der Tür des gelben Holzhauses im Ystarvägen und versuchte, ihr pochendes Herz zu beruhigen.
Sie zog den Ärmel über ihre Hand, um die Schramme zu verbergen, holte tief Luft und öffnete die Haustür. Ihre Arme zitterten. Noch immer hatte sie seinen Geruch in der Nase. Süß und schwer.
»Hallo«, rief sie möglichst gleichmütig. »Entschuldige, dass ich so spät komme.«
Fehler gestand man lieber gleich ein. Die Strafe fiel dann milder aus.
»Ich bin in der Küche«, antwortete ihre Mutter.
Ihr Ton war kühl und verriet Maja, dass sie ihrer Strafe nicht entgehen würde. Sie legte den Rucksack ab und zog den Mantel aus.
»Ich komme, Mutter.«
Einen Augenblick lang erwog Maja, den Rucksack in der Diele zurückzulassen. Aber das Geheimnis, das sich in ihm verbarg, konnte sie nicht unbewacht lassen. Sie klemmte den Rucksack unter den Arm und betrat die Küche. Es roch nach Schmierseife und Spülmittel.
»Hallo«, sagte Maja.
Ihre Mutter stand an der Spüle und drehte sich nicht um. Sie war mit dem Frühjahrsputz beschäftigt. Wie immer mit einer gewissen Besessenheit. Das Haus sei der Spiegel der Seele, pflegte sie zu sagen.
»Setz dich«, sagte ihre Mutter.
Ihr Vater hatte am Wochenende die Winterfenster herausgenommen, und ihre Wangen fühlten sich in der kalten Zugluft erhitzt an.
»Mit wem hast du dich getroffen?«, fragte ihre Mutter.
Maja überlegte, ob sie behaupten sollte, zufällig Tim oder einem anderen Gemeindemitglied begegnet zu sein. Aber wenn ihre Mutter das dann überprüfte?
»Mit niemandem.«
Es ließ sich nie vorhersagen, wie die Befragung ablaufen würde. Manchmal erkundigte sich ihre Mutter einfach nur pflichtschuldig. Hin und wieder verwandelte sie sich aber auch in eine Verhörleiterin mit einem beeinträchtigten Verhältnis zur Verdächtigten.
»Warum kommst du dann so spät?«
Ihre Mutter kannte Majas Stundenplan und wusste, dass ihre Tochter nie den Philosophieunterricht besuchte, da das gegen die Gottes-Licht-Regeln verstieß.
»Ich bin nur stehen geblieben und habe den Kanadagänsen zugesehen.«
Ihre Mutter drehte sich um und nagelte Maja mit ihrem Blick fest.
Maja erwiderte ihn ohne Blinzeln. Ihre Augen fühlten sich trocken an.
»Du interessierst dich neuerdings für Vögel?«
»Eigentlich nicht. Aber wir haben in der Schule über Kanadagänse gesprochen«, antwortete Maja mit möglichst fester Stimme.
Ihre Mutter schien die Antwort zu akzeptieren. Sie wandte sich wieder dem Geschirr zu und fing an, die große versilberte Kuchenplatte abzutrocknen, die sie am Wochenende in der Kirche verwendet hatte.
Maja stand auf, um auf ihr Zimmer zu gehen, und hängte den Rucksack mit dem Geheimnis über die Schulter. Das Päckchen, das ihre Mutter nicht finden durfte.
»Warum warst du so außer Atem?«, fragte ihre Mutter.
Maja hielt inne.
»Als du nach Hause gekommen bist.«
Ihre Mutter stellte die Kuchenplatte mit einem lauten Knall auf die rostfreie Spüle, und Maja zuckte zusammen. Sie zog am Ärmel ihres Pullovers, um die Schramme von Lundmarks Busch zu verdecken.
»Du wirkst nervös. Ist das jetzt auch wirklich die Wahrheit?«
»Ja, Mutter.«
»Für die Oberstufe besteht keine Schulpflicht, Maja, und in der Kirche gibt es genug Arbeit.«
Dieser Gedanke flößte Maja immer am meisten Angst ein. Wenn ihre Eltern, oder noch schlimmer der Pastor, sie zwangen, von der Schule abzugehen, war sie für immer in der Gemeinde gefangen.
Welche Träume blieben ihr dann noch? Die Tage bis zu ihrem 18. Geburtstag zu zählen, erübrigte sich dann.
»Ich glaube, dass ich der Kirche...
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