Schweitzer Fachinformationen
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Katharina Seiser
"Du wirst noch alt wie ein indisches Krokodil!", pflegt mein Mann zu mir zu sagen, natürlich auf Wienerisch. Meistens dann, wenn ich voller Wonne am zweiten Aufguss eines frisch geöffneten japanischen Senchas nippe, darin Wassermelone oder Maronen schmecke, hoffentlich genug frischen Gerbstoff, ein bisschen Süße und Umami. Das ist mein guter Morgen seit über 30 Jahren. Oder wenn ich voller Begeisterung eine Walnusshälfte nach der anderen knabbere, weil ich endlich wieder einmal welche erwischt habe, die frisch sind und wirklich gut schmecken. Was andere in ihren Kleiderschränken haben, gibt es bei uns in Speisekammer und Küche: Vielfalt.
Seit ich denken kann, denke ich ans Essen. Ich esse nur, was mir schmeckt, habe noch nie eine Diät gemacht und finde sowohl das Zählen von Kalorien als auch Ernährungsempfehlungen von isolierten Nährstoffen im Gramm- oder gar Mikrogramm-Bereich befremdlich. Dagegen ist mir Abwechslung enorm wichtig: Frische, Düfte, Geschmäcker, Konsistenzen. Und ich mochte noch nie zweimal hintereinander das Gleiche essen. Meine seit der Kindheit überproportional ausgeprägte Freude am Essen hat sicher damit zu tun, dass ich zuerst in der Drogerie und Kräuterhandlung, später im Bioladen und Reformhaus meiner Mama aufgewachsen bin, immer umgeben von Hunderten natürlichen Lebensmitteln in all ihrer Vielfalt. Übers Essen schreiben, reden und lehren wurde folgerichtig zu meinem Beruf. 20 Kochbücher sind so entstanden. Was sie alle eint, ob vegan, vegetarisch oder mit Fisch und Fleisch, ist die Überzeugung, dass gutes Essen beste, frische Zutaten braucht, idealerweise aus Bio-Landwirtschaft, sicher nicht solche aus industrieller Fertigung. Und dass gutes Essen eine riesige geschmackliche Bandbreite hat.
Da ich jeden Tag ein paar Tassen sehr guten Sencha trinke, sind bis dato weit über 5.000 l Grüntee durch mich hindurchgeflossen - und haben dabei auch etwas bewirkt. Ich trinke ihn aber nicht deshalb, sondern weil ich beinahe süchtig nach seinem Geschmack bin. So wie nach knackigem Salat, süßsauren Tarocco-Blutorangen, knusprigem Brot, französischem Estragon, reifen German-Gold-Tomaten, perfekt gegarten Käferbohnen, saftigen Topaz-Äpfeln, sizilianischem Olivenöl, salzigem Stangensellerie, hellem Miso, gebratenen Austernpilzen oder kräftigem Rotweinessig.
Wir treffen jeden Tag mindestens zwei Mal, die meisten von uns drei Mal Ess-Entscheidungen. Macht 700 bis 1.000 jedes Jahr und Zehntausende solcher Entscheidungen in unserem Leben. Ich sehe das nicht als ärgerliches Dilemma, sondern jedes einzelne Mal als enorme Chance. Aber ich sehe auch, dass vielen Menschen der Kompass für diese Entscheidungen abhandengekommen ist - oder sie nie einen solchen mitbekommen haben. Die Intuition, das Bauchgefühl, welche Wahl klug und welche eher selbstzerstörerisch ist. Kein Wunder, wir lernen ja nichts übers Essen und seine Folgen in der Schule, sind vielleicht mit rigorosen Essensregeln oder einseitiger Ernährung aufgewachsen und werden zusätzlich verunsichert durch überhöhte Superfoods und Wunderdiäten, die eines fehlen lassen: wissenschaftliche Evidenz.
Ich bin ein optimistischer, aber auch skeptischer Mensch. Das kann in meinem Beruf nicht schaden, weil das Wissen, das ich mit meinem Publikum - Ihnen! - teile, Hand und Fuß haben muss.
In den letzten Jahren habe ich mich immer wieder gefragt, welches Argument oder welche Idee helfen könnte, viel mehr Menschen einen entspannteren, lustvolleren Zugang zum Essen zu ermöglichen. Mir bereitet es Unbehagen, dass ich voller Leidenschaft vom Essen rede, schreibe und lebe, während Viele sich die Freude am Essen verbieten, überhaupt nie erleben durften oder fast jeden Tag das Gleiche essen. Mir ist Askese fremd, dafür bin ich nicht auf der Welt. Ich will alles schmecken und riechen und fühlen, was es frisch und sorgfältig zubereitet zu kosten gibt. Eine kleine Schlagseite habe ich schon: Ich liebe Kuchen, frisches, warmes Weißbrot und richtig gute Croissants. Auf Reisen fahren wir oft morgens quer durch die Stadt, um die besten zu finden. Zuhause haben wir dazu ein Dutzend verschiedene selbst gemachte Marmeladen im Kühlschrank.
Ich wusste also, dass trotz unserer sehr pflanzenorientierten Küche - wir haben seit bald eineinhalb Jahrzehnten einen wöchentlichen Ernteanteil von einer Solidarischen Landwirtschaft -, besten Zutaten und viel Wissen dazu bei mir noch Luft nach oben beim Thema gesunde Ernährung war.
Befassen wollte ich mich damit nicht wirklich, weil mir jedweder Verzicht fremd ist und ich mit dem Konzept "Verbot" nichts anfangen kann.
Ich finde ein Nicht-Auskosten der kulinarischen Vielfalt, wenn wir sie so leicht zugänglich haben, beinahe ignorant. Zugleich fiel mir auf, dass die Forschung über Ernährung interdisziplinärer wurde, für mein Gefühl umsichtiger - und immer öfter kam der Darm vor. Oder besser das Mikrobiom, die Wohngemeinschaft in ihm. Vor ein paar Jahren las ich ein Buch der Wissenschaftlerin Sarah Schwitalla darüber. Ihre Conclusio war: Frag dich jeden Abend, ob du von den fünf wichtigsten Pflanzengruppen gegessen hast: Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkorn, Nüsse und Samen (die Idee finden Sie auch in unserer Pflanzen-Checkliste ab S. 31).
Im März 2024 sah ich dann einen Tweet der Technischen Universität Graz: 30 bis 40 unterschiedliche Pflanzen sollten wir pro Woche essen, das wäre ideal für ein diverses Mikrobiom. Now we're talking! Ich fragte dort nach und fing schon mal an zu zählen. Ich liebe Listen - und war mir sicher, dass es für meinen Mann und mich kein Problem sein würde, diese Anzahl zu erreichen. Und so war es auch. Aber der Gedanke, dass dieses Ziel von vielen Menschen nicht so einfach erreicht wird, ließ mich nicht mehr los. Inzwischen schrieb mir die für den Grazer Tweet verantwortliche Professorin, Gabriele Berg, persönlich zurück und meinte, die 30 Pflanzen wären nur ein Orientierungswert, je mehr, desto besser. Ich begann, weiter zu recherchieren, kam auf den britischen Epidemiologen und Arzt Tim Spector, der wesentlich am "American Gut Project" beteiligt war (mehr dazu auf S. 34). Dort fand man eine Korrelation: Je vielfältiger ein Darm-Mikrobiom, desto gesünder ist es und desto gesünder ist der Mensch, der dieses Mikrobiom beherbergt.
Wie aber wird ein Mikrobiom divers? Durch eine Ernährungsweise, die auf sehr vielen verschiedenen Pflanzen mit hohem Anteil an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen basiert.
Das sind die Lieblingsspeisen des Mikrobioms - der Viecherln (österreichisch-liebevolle Bezeichnung für sehr kleine Tiere) in unserem Darm, wie ich sie bald nannte. Bekommen sie genug davon, produzieren sie für uns lebensnotwendige Stoffe in ausreichender Menge und Zusammensetzung. Wir können Krankheiten abwehren, klar denken, sind leistungsfähig, bei guter Laune und bleiben gesund. Und hier kommt das große "Aber": Bei unserer üblichen westlichen Ernährung bekommen sie davon viel (!) zu wenig. Unser Mikrobiom verarmt und wird dysbiotisch (das Gleichgewicht kippt). Das wiederum führt zu einem Teufelskreis, denn unser Darm-Mikrobiom bestimmt mit, worauf wir Appetit haben.
Ist unsere Darm-WG zu wenig vielfältig oder wird von Krawallmachern dominiert, ordert sie Junkfood, Softdrinks, Alkohol und zockt bis in die Nacht. Sind hingegen die pflanzenliebenden Viecherln in der Darm-Mehrheit, wollen wir plötzlich unbedingt Radicchio, geröstete Haselnüsse und süße Himbeeren, duftigen Dill und schwarze Belugalinsen. Wir freuen uns aufs Bett, schlafen gut, sind ausgeglichen und haben, logisch, eine gute Verdauung. Weil im Darm auch 70 Prozent unseres Immunsystems und das enterische Nervensystem (unser zweites Gehirn) sitzen und Letzteres auf direktem Draht via Vagusnerv mit unserem Gehirn kommuniziert, wird quasi alles auch vom Mikrobiom mitbestimmt.
Jetzt war ich komplett angefixt. Ich las und lese Bücher von Mikrobiom- und Darmforscher*innen, wissenschaftliche Studien (soweit sie mir als Nicht-Naturwissenschaftlerin zugänglich sind) und erzähle allen davon. Und egal, mit wem ich bisher sprach: Alle wollten sofort wissen, wie viele Pflanzen sie pro Woche aßen und wie sie den Anteil erhöhen könnten. Ich erstellte eine erste Checkliste. Es wurde eine Challenge daraus, Fragen tauchten auf, die Leute hatten plötzlich Spaß an ihrer Ernährung, Lust aufs Ausprobieren für sie neuer Pflanzen und waren supermotiviert. Auch mein Verlag meinte nach wenigen Wochen: Wir müssen ein Buch dazu machen! Das ist doch genau das, was du in deinen Büchern immer schon propagiert hast: vielfältig essen, frische Zutaten, überwiegend pflanzlich, selbst zubereitet, jeden Tag anders. Ich zögerte, weil ich keine Wissenschaftlerin bin. Aber dann hatte ich eine Idee:...
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