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Der Blues des Johnny Tristano
Im Laufe der 70er Jahre wandte sich Jörg Fauser verstärkt dem Verfassen von Kurzgeschichten zu. Das ist naheliegend, gilt die Short Story doch als paradigmatische amerikanische Erzählform des 20. Jahrhunderts. Dies hat sowohl ästhetische als auch ökonomische Gründe, die sich beide auf die Situation in der BRD der 70er Jahre übertragen lassen - oder eben auch gerade nicht, je nach Sichtweise.
Da in den USA der Zeitschriftenmarkt im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts eine zunehmend große Rolle für die Verbreitung von Literatur spielte, kam der Gattung der Kurzgeschichte eine wachsende Bedeutung zu. Diese konnte man aufgrund ihrer Kürze in einer Zeitschrift gänzlich abdrucken, und Autoren hatten so die Möglichkeit, sich einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Leser kamen dann, je nach Publikation, aus einer bestimmten, möglicherweise gezielt anvisierten gesellschaftlichen Gruppe. Brachte man mehrere Erzählungen regelmäßig unter - und zwar vor allem in Publikumszeitschriften -, war ein gewisses Auskommen gesichert. Während der Roman also eher ein einsamer Kampf im privaten Raum darstellt, geht man mit der Kurzgeschichte an die Öffentlichkeit.
Dafür, und nun kommen wir zu den ästhetischen Bedingungen, muss sie aber auch bestimmte Kriterien erfüllen, um das Publikum bei der Stange zu halten. Im Allgemeinen besagt die Short-Story-Theorie, die von keinem geringeren als Edgar Allan Poe geprägt wurde: Ein einzelner Plot, keine Nebenhandlungen, nur Hauptcharaktere, Einheit von Ort und Zeit, und vor allem so kurz, dass sie in nur einer Lesesitzung bewältigt werden kann. Die Raffinesse liegt im Andeuten einer größeren, bedeutsameren Handlung als derjenigen, die sich vor den Augen des Lesers entfaltet. Hier prägte Ernest Hemingway seine »Eisberg-Theorie«, nach der eben 6/7 der Geschichte zwischen den Zeilen stattfindet. Dazu kommt eine wachsende Affinität zum abrupten Anfang und dem offenen Ende, das mehr Fragen hinterlässt, als es beantwortet.
Dass Jörg Fauser viele seiner eigenen Storys in den 70ern in Männermagazinen wie Playboy und lui veröffentlicht hat, steht somit durchaus in einer gewissen amerikanischen Tradition; nicht zuletzt, weil es in den USA gerade Männermagazine wie eben Playboy und Penthouse waren, die sich in den 60er und 70er Jahren verstärkt den großen Namen der Literatur, aber auch der Kulturkritik zugewandt haben. Ein großer Running Gag im akademischen Betrieb ist bis heute, dass Leslie Fiedlers bahnbrechender Aufsatz Cross the Border - Close the Gap, der wohl bedeutendste Text zum Verhältnis von Literatur und populärer Kultur, Ende der 60er Jahre seine Printpremiere im amerikanischen Playboy hatte, bevor er seinen Siegeszug in der akademischen Welt antreten konnte.46
So ist die verstärkte Präsenz Fausers im Männermagazinmarkt für ihn sowohl finanzielles Polster als auch Antrieb, eine ganze Reihe von Kurzgeschichten zu verfassen, die selbstredend auch in Literaturzeitschriften gedruckt und später anthologisiert werden.
Trotzdem passt natürlich der harte, schonungslos realistische Tonfall seiner Figuren zum publizistischen Umfeld, und vielleicht entfaltet sich hier auch eine gewisse Wechselwirkung - die an dieser Stelle jedoch nicht näher untersucht werden soll. Wichtiger ist, dass Ende der 70er Jahre, quasi als Essenz dieser äußerst produktiven Schreibphase als Lyriker und Kurzgeschichtenerzähler, die Erzählung Alles wird gut erscheint.
In Rebell im Cola-Hinterland bezeichnen Matthias Penzel und Ambros Waibel Fausers 1979 im Verlag Rogner & Bernhard erschienene Erzählung (oder sollte man sie aufgrund ihres Umfangs und ihrer Struktur nicht doch lieber als >Novelle< bezeichnen?) Alles wird gut als »Scharnier zwischen seiner frühen, >expressionistischen< und seiner reifen Prosa, beginnend mit dem Schneemann«47. Es sei ein »Münchenbuch«, gar »Fausers Geschenk an München«48, das er schon bald nach Erscheinen Richtung Berlin verlassen sollte, wo er einen Job als Redakteur bei tip antreten würde. Es sei dabei, so seine Biografen, in »einer Art trunkenem Bewusstseinsstrom«49 geschrieben worden, anders als seine straff organisierten Romane, die später, in den 1980er Jahren, erscheinen würden. Wenn dies so war: Vielleicht liegt genau darin der besondere Reiz der (zunächst als Einzelveröffentlichung erschienenen) Novelle, die somit die literarische Ästhetik des von ihm verehrten Jack Kerouac von den amerikanischen Highways direkt in die Münchner Innenstadt transportiert.
Andere, unter ihnen der Fauser verehrende, ebenfalls in München literarisch sozialisierte Schriftsteller Helmut Krausser, halten diesen Text, mit einigem Recht, für Fausers besten. Zum einen vereint Alles wird gut eine Vielzahl seiner Einflüsse, die er über die 60er und 70er Jahre angesammelt hat, und steht unverkennbar im Zeichen seiner sich langsam herausschälenden literarischen Ästhetik. Zum anderen ist die rund 150 Seiten lange Erzählung aber auch ein Märchen, das in der sprichwörtlichen Gosse spielt; gleichzeitig aber auch ein Schlüsseltext über Fausers Münchner Zeit, mit nur unwesentlich verschleierten Figuren, der ein wiederkehrendes Thema seines 70er-Jahre-Werks umkreist: Die Suche nach der wahren Liebe an den mutmaßlich falschen Orten.
Ein Zelebrieren des Mythischen
Somit ist Alles wird gut also deutlich mehr als ein Scharnier, es ist das pulsierende Zentrum von Fausers literarischem Schaffen, vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil der Text so gänzlich anders ist, als das, was man sonst von ihm kennt, obwohl seine wiederkehrenden Themen fast alle vorhanden sind. In diesem Text scheint zum einen der Einfluss von Hans Fallada deutlich durch, zum anderen hat er ihn auch als eine Art Stilübung verfasst, wie er im legendär gewordenen Interview mit dem Literaturstudenten Ralf Firle erzählt und in dem er berichtet:
Das Buch hat einen ganz konkreten Anlaß. Ich habe damals in München viel mit Österreichern verkehrt, z.B. Eisendle, Rosei. Leute, die ich persönlich sehr mochte, aber deren Schreibe mir wenig gab. Und die sprachen immer wieder vom Konversationsroman. Eisendle schrieb damals einen Billard-Roman, wo die Figuren nur Billard spielen und reden. Ich sagte mir, das werde ich aufgreifen und etwas völlig anderes machen . Zwar auch, wo Leute nur reden, aber wo natürlich in der Rede wesentlich mehr passiert als bei den Österreichern. Das war der Auslöser. Und dann habe ich damals in bestimmten Gegenden verkehrt, die alle im Buch erwähnt werden. Das Buch ist da live rausgezogen. Natürlich redet da kein Mensch so, aber die Dinge, die da passieren oder auch am Rande passiert sind, auf die trifft man in München jeden Tag in dem Viertel. Der Anlaß war, ich wollte denen beweisen, wie man es wirklich macht.50
Fauser schließt diese Ausführung mit einer interessanten Bemerkung hinsichtlich des Alleinstellungsmerkmals dieses Textes in seinem Werkskontext: »Habe ich bewiesen, fertig, vergessen.«51
Für die Werkausgabe des Alexander Verlags schrieb Helmut Krausser 2005 eine Einleitung zu Alles wird gut, in der er zunächst von der einzigen Begegnung erzählt, die er als junger Fan mit Fauser hatte, ein Hin und Her von wissenden Blicken in einer Imbissbude, ein Gespräch wird von der Schüchternheit des jungen Krausser verhindert. Interessant hierbei ist vor allem, wie Krausser mit seinem durchgelesenen, zerknitterten Exemplar von Alles wird gut bei einer Fauser-Lesung auftaucht, erfüllt mit schlechtem Gewissen, weil er nicht eigens bei der Lesung ein Buch gekauft hat. Doch Fauser adelt den jungen Fan aufgrund des augenfällig zerlesenen Buches mit zustimmenden Blicken.
Der Einfluss, den die Erzählung auf die frühen Romane Kraussers hat, ist, liest man die Bände seiner sogenannten Hagen-Trinker-Trilogie - vor allem den dritten Teil, Fette Welt -, kaum von der Hand zu weisen, wie der Autor selbst in besagtem Vorwort eingesteht: »Im Grunde sind meine eigenen Romane Fette Welt und Schweine und Elefanten nur späte Fortschreibungen jenes Themas gewesen, das Fauser mir vorgab.«52
Fasziniert zeigte sich seinerzeit der junge Krausser von einer »pelzig-betäubt-betrunkene(n) Prosa wie übernächtigtes Fleisch«. Eine Prosa, welche »die Ekstase der Melancholie und wiedergefundenen Verlorenheit« enthält, die hereinstürzend und risikoreich war, was man ihr natürlich, so Krausser, durchaus zum Vorwurf machen konnte, und die sich deutlich von den späteren »lakonisch-souveränen...
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