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Kill Bill und das zerbrochene Fenster. Der harte Weg zum Debüt in der DEL
Mannheim-Wohlgelegen. Teil des Stadtbezirks Neckarstadt-Ost - und meine neue Heimat nach meinem Auszug von zu Hause. Hier lag das Wohnheim der Jungadler, in einem Trakt eines alten Gebäudes der Arbeiterwohlfahrt: schlicht, spartanisch, schmucklos und rustikal, kein Wohlfühlort. Seit 2017 leben die Talente in einem modernen Sportinternat in Mannheim-Lindenhof, hell und freundlich eingerichtet.
Das Heim war unterteilt in zwei Etagen, die Zuweisung erfolgte je nach Alter. Ich durfte mit einer Ausnahmeregelung im oberen Stockwerk bei den Älteren wohnen, schließlich war ich mit meinem Bruder gemeinsam dort, in einem Zimmer, etwa 5 × 5 Meter groß. Das Badezimmer teilten wir uns mit den Jungs vom Zimmer nebenan, den Schröder-Zwillingen aus Bad Tölz, Markus und Stefan, Jahrgang 1981 wie Dennis. Zwei lustige Typen, mit denen man viel Unfug anstellen konnte. Später spielten beide in der DEL, mal gemeinsam, mal getrennt, in Hamburg, Ingolstadt und Krefeld.
Einen Fernseher hatten wir nicht im Zimmer, an Smartphones mit Onlinenutzung war 1999 noch nicht zu denken, und Internet hatten wir auch nicht. Im Heim gab es einen Gemeinschaftsraum, in dem die älteren Jahrgänge als Platzhirsche das Sagen hatten. Die Jüngeren hatten nichts zu melden, schon gar nicht bei der Auswahl des TV-Programms, und an die Nintendo-Spielkonsole durften sie nur dann, wenn die Großen keine Lust mehr zu zocken hatten.
Der Alltag war recht eintönig. Jeden Morgen, pünktlich um sechs, weckte uns die Heimleitung durch den röhrenden Lautsprecher in unseren Zimmern aus dem Schlaf. Danach folgte das Frühstück, meist gab's eine weiße Semmel mit Nutella. Ein Konzept für gesunde und ausgewogene Ernährung für angehende Profisportler war nicht zu erkennen. In der Regel war das, was uns in der Heimkantine aufgetischt wurde, ekelhaft: ein kalter Leberkäs, ein altes Schnitzel, ziemliche Billigqualität.
Trainiert wurde in der Eissporthalle Herzogenried, manchmal fuhren wir mit dem Kleinbus hin, manchmal gingen wir die zehn Minuten durch den Park zu Fuß. Um zehn Uhr ging es in die Schule. Ich ging auf die Integrierte Gesamtschule (IGMH), in der die Schülerinnen und Schüler erst nach der siebten und nicht wie üblich nach der vierten Klasse auf einen der weiterführenden Zweige verteilt wurden: Gymnasium, Realschule und Werkrealschule. Die IGMH gab es seit Anfang der Siebzigerjahre, eingeführt als Reaktion auf die Statistiken, nach denen in Mannheim nur 40 Prozent aller Grundschüler den Übertritt auf Gymnasium oder Realschule schafften.
Mit der IGMH wollte man den Kindern den Druck nehmen und ihnen die Möglichkeit geben, sich bis zur siebten Klasse drei weitere Jahre gemeinsam zu entwickeln. Daheim in Villingen besuchte ich das Gymnasium am Hoptbühl und fühlte mich dort wohl. Die IGMH war hingegen eine reine Pflichtübung, ich wollte so schnell wie möglich mein Abitur machen. Letztlich aber interessierte mich all das bei Weitem nicht so sehr wie Eishockey. 2001 bezog ich meine erste Wohnung in der Mannheimer Innenstadt, die einst als Planstadt in Häuserblocks, in 144 Quadrate, unterteilt wurde. Ich wohnte in Quadrat A3 an der Bismarckstraße in unmittelbarer Nähe des Schlosses.
Wenn vormittags Training angesagt war, hätte ich jeden Morgen noch die erste Stunde und nach den Einheiten am späten Vormittag den weiteren Unterricht besuchen müssen. Mit der Zeit aber nahm die Motivation für den frühen Kurzbesuch in der Schule zunehmend ab. Wegen einer Schulstunde, das lohnt doch nicht, so mein Gedanke und der von meinem engen Freund Patrick Ehelechner, der damals bei mir ums Eck wohnte und der vor allem in seiner späteren Karriere in Nürnberg und Augsburg als überragender Stammkeeper im Tor stand. So fuhren Patrick und ich meist gegen neun Uhr auf dem Roller direkt zur Trainingshalle. Und wenn wir nach dem Training noch ein Meeting hatten, lohnte sich ein Schulbesuch erst recht nicht mehr. Lieber blieben wir gleich mit unseren Teamkollegen zum Mittagessen.
Während der ersten Saison in der Junioren-Bundesliga kam ich in zwölf Spielen auf fünf Tore und fünf Assists, im zweiten Junioren-Jahr lief ich für die Jungadler in der Premierensaison für die Deutsche Nachwuchsliga (DNL) aufs Eis, die der DEB damals für eine gezielte und strukturierte Ausbildung sowie für die Heranführung an Profibedingungen gegründet hatte. Ich avancierte zum Stammspieler, kam in 35 von 40 Saisonspielen zum Einsatz und als Mittelstürmer auf 17 Tore und 44 Assists. Den Titel in der ersten Spielzeit der DNL verpassten wir jedoch: Mit fünf Punkten Rückstand auf den Garmischer Traditionsklub SC Riessersee kamen wir auf Platz zwei.
Mein erster Trainer damals war Helmut de Raaf, die Torwartlegende aus der Hall of Fame des deutschen Eishockeys, neunmal Meister mit Düsseldorf und Köln. Damals stand er zudem als Aushilfstorhüter bei den Mannheimer Adlern in der DEL an der Bande, durfte hier zwei weitere Meisterschaften feiern. In seiner Haupteigenschaft aber widmete er sich uns Jungadlern, und das mit harter Hand.
Anfangs kam ich mit seiner Art nicht klar. Mit meinem ausgeprägten Selbstbewusstsein fühlte ich mich meinen Teamkollegen überlegen, das war schon in Schwenningen so. Wenn wir in Scheibenbesitz waren, war es für mich selbstverständlich, den Puck hinter unserem eigenen Tor anzunehmen, allein das Spielfeld zu überqueren und erst dann wieder abzugeben. Das war meine Spielweise. Es war vor allem Helmut de Raaf, der mir diese Art des Spiels schnell abgewöhnte. Ich solle mannschaftsdienlicher spielen, sofort den besser postierten Mitspieler suchen, weniger Eigensinn zeigen, das Ego dem Erfolg des Teams unterordnen, lauteten seine Anweisungen. Und wenn ich diese nicht befolge, so sagte mir De Raaf vor einem Testspiel in der Schweiz, dann lasse er mich nicht mehr spielen. Ich hörte nicht auf ihn - und war nach ein paar Wechseln raus für das gesamte Spiel.
Als ich vor meiner Aufnahme bei den Jungadlern ein Formular zu meiner Eignung, meinen Fähigkeiten und meinen Zielen ausfüllen musste, schrieb ich auf die Frage, welche Werte mir im Sport wichtig seien: »Fairness, gute Mannschaftsmoral, gute Leistung«. Ehrlicherweise hätte ich noch ergänzen sollen: Hinter diesen Werten stehe ich ganz und gar, will sie aber einzig und allein als Leadertyp umsetzen, als Motor und als Kopf. Ich will und werde mich nicht unterordnen, nicht als einer von vielen in einer grauen Masse verschwinden. Mein Vorsatz war, eine außerordentliche Leistung abzuliefern. Allerdings nicht, um gefeiert zu werden. Ich wollte das nur für mich, für mein starkes Ego, für mein Alpha-Gehabe.
Nach meinem abrupten Karriereende durch die Doping-Causa im September 2022 hinterfragte ich alles in einem Zustand emotionaler Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wer bin ich, was kann ich, was macht mich aus? Selbstzweifel kamen auf, wie echt und authentisch war ich in den Interviews? Habe ich nur das gesagt, was die Leute hören wollten? Habe ich das behauptet, was ich selbst glaube? Unehrlich gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch nicht ehrlich zu sich selbst zu sein führt im Leben eines Profisportlers dazu, dass du immer weniger du selbst bist. So war es sicher auch bei mir. Wenn du in der Blase Leistungssport steckst, denkst du nur an dein Ego. Du bist genervt, wenn der Trainer einem anderen Spieler den Vorzug und dir weniger Zeit auf dem Eis gibt. Du denkst nicht daran, dass es für die Mannschaft vielleicht die bessere Entscheidung sein könnte. Du bist nur wütend und verärgert. Dann zählst nur du.
Damals sah ich das große Ganze noch nicht, konnte ich nicht, denn ich war zu jung, zu überambitioniert und zu unreflektiert. Wenn ich heute darüber nachdenke, bin ich über die harte Schule bei den Jungadlern mit Helmut de Raaf sehr froh. Damit hat er mich auf das Leben als Eishockeyprofi vorbereitet. Er war nach meinem Auszug von zu Hause wie ein zweiter Vater, die Disziplin und Respekt einforderte und mein Ego stutzte - wenngleich ich mich immer wieder bei dem Gedanken ertappe, ob ich nicht doch erfolgreicher geworden wäre, hätte ich mein Ego tatsächlich mehr in den Vordergrund gestellt und mich weniger untergeordnet. Ein Gedanke, der verdeutlicht, dass ich in diesem Mannschaftssport meist selbst mein größter Gegner war. Bis zum Schluss.
Helmut war auch derjenige, der im Internat darauf achtete, dass wir keinen Unfug anstellten - was ihm nicht immer gelang. Einmal, es war im November 2000, ich war damals 16, zog ich mit einigen Mitspielern trotz des verordneten Zapfenstreichs um 22:30 Uhr noch spät um die Häuser und kam erst gegen 2:30 Uhr nach Hause - was in der Chefetage auf wenig Begeisterung stieß. In einem deutlichen Brief sprach der damalige Vorsitzende der Jungadler, der im Sommer 2023 verstorbene Berthold Wipfler, von einem »erheblichen Verstoß gegen die Hausordnung, der uns grundsätzlich zur außerordentlichen Kündigung des Unterbringungsverhältnisses, der...
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