Schweitzer Fachinformationen
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Die vorliegende Arbeit stellt erstmals die typologisierte Literatursprache der in der Forschung bisher wenig beachteten adulescentes in einem diachronen und gattungsübergreifenden Überblick dar. Zunächst werden die Grundlagen altersbezogener Ethopoiie sowie der Jugendsprachdiskurs in den normativen rhetorischen Texten bei Cicero und Quintilian herausgearbeitet und rekonstruiert, stets in Auseinandersetzung mit den soziokulturellen und historischen Hintergründen. Einzelfallstudien zu Plautus, Terenz, Catull und Petron überprüfen und ergänzen die stilistischen Charakteristika anhand detaillierter Sprachstilanalysen. Dabei zeigt sich, dass der spezifische Sprachstil der jungen Männer, der sermo iuvenilis, sich stets durch verschiedenste Formen sprachlichen Extremverhaltens auszeichnet, die in Gegensatz zu den virtutes dicendi, den Normen guten und korrekten Stils stehen. In Auseinandersetzung mit neusprachlichen Jugendsprachtheorien wird der sermo iuvenilis daher konsequent als Diskurstradition beschrieben. Die Arbeit leistet damit einen Beitrag zum vertieften Verständnis für Figurenkonzeptionen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Rolle und der damit verbundenen Wahrnehmung eines Figurentyps.
Felix Seibert, Eberhard Karls Universität Tübingen.
Rom. 208 v. Chr. Ein Besucher erreicht verspätet das aus Holzplanken gezimmerte Theater, das anlässlich der aktuellen Festtage errichtet wurde. Gegeben wird die neueste Komödie eines aufstrebenden Palliatendichters, der dem römischen Publikum in der wechselhaften Zeit des zweiten Punischen Krieges dringend notwendige Zerstreuung bietet. Der Besucher hat keinerlei Informationen über die konkrete Handlung des Bühnenstücks. Ungeschickterweise hat er den Prolog verpasst, sodass er nun eigenständig in den Handlungsverlauf hineinfinden muss. Kaum hat er in der hintersten Reihe noch einen Platz mit schlechter Sicht ergattert, betritt ein Schauspieler die Bühne für die folgende Monodie:
Credo ego Amorem primum apud homines carnificinam commentum.
hanc ego de me coniecturam domi facio, ni foris quaeram,
qui omnes homines supero [atque] antideo cruciabilitatibus animi
205
iactor [crucior] agitor stimulor, versor
in amoris rota, miser exanimor,
feror differor distrahor diripior,
ita nubilam mentem animi habeo.
209/210
ubi sum, ibi non sum; ubi non sum, ibist animus: ita mi omnia sunt ingenia.
211/212
quod lubet, non lubet iam id continuo,
ita me Amor lassum animi ludificat
214/215
fugat agit, appetit raptat, retinet,
lactat largitur: quod dat non
217
dat, deludit:
217a
modo quod suasit, <id> dissuadet;
quod dissuasit, id ostentat.
219/220
maritumis moribus mecum experitur; ita meum frangit amantem animum;
221/222
neque nisi quia miser non eo pessum,
mihi ulla abest perdito permities. (Plaut. Cist. 203?-?224)
Ich glaube, dass Amor als erster die Folter unter den Menschen erdacht hat. Darauf schließe ich zuhause von mir selbst aus, draußen muss ich nicht danach suchen; alle Menschen übertreffe und überbiete ich an Todesqualen im Herzen! Ich werde umhergeschleudert, gekreuzigt, gehetzt, gestachelt, auf dem Rad der Liebe gedreht, ich Elender, entseelt, fortgerissen, auseinandergerissen, zerrissen, zerfetzt; so finster ist meine Gefühlslage. Wo ich bin, bin ich nicht; wo ich nicht bin, ist mein Herz; so ist meine Stimmung. Was ich will, will ich gleich darauf nicht mehr; so treibt Amor sein Spiel mit meinem erschöpften Geist. Er jagt mich, treibt mich, greift nach mir, reißt mich fort, hält mich zurück, lockt mich, beschenkt mich: Was er gibt, gibt er nicht, er täuscht mich: Was er eben erst geraten hat, davon rät er ab; wovon er abgeraten hat, das stellt er in Aussicht. Er misst sich mit mir nach Art der See; so bricht er mir das verliebte Herz. Abgesehen davon, dass ich Elender nicht zugrunde gehe, fehlt mir kein Unglück zum Untergang!1
Obwohl in den ersten Minuten dieses atemlosen Monologs keinerlei handlungserklärender Inhalt vermittelt wird, ist dem Besucher bereits nach wenigen Versen klar, dass hier der adulescens amator seinen ersten Auftritt gestaltet.2 Als der Schauspieler am Ende seiner monodischen Darbietung endlich den Grund seiner Klage nennt - sein Vater habe ihn sechs Tage lang von seiner Geliebten ferngehalten (225?-?228) - und wenig später schließlich noch der Sklave der Figur auftritt und sie gemeinsam die Situation erklären, sieht sich der Besucher in seiner Vermutung vollends bestätigt.
Der Sprecher der vorliegenden Szene ist der adulescens Alcesimarchus, der jugendliche Protagonist aus Plautus' Cistellaria,3 der in unverwechselbarer Art die typische Liebesklage junger Männer vorträgt. Da zu Plautus' Lebzeiten die Schauspieler womöglich noch keine Masken, sondern lediglich Perücken trugen, könnte es für den im vorliegenden Gedankenexperiment intendierten fiktiven Theaterbesucher schwierig gewesen sein, auf den ersten Blick festzustellen, welche Figur gerade auf der Bühne agiert.4 Erste Anknüpfungspunkte müssen somit Inhalt und Diktion sein. Doch was genau ist das Unverwechselbare der Passage? Wieso könnte man die Textstelle ziemlich eindeutig einer adulescens-Figur zuordnen, selbst wenn - in Weiterführung des obigen Gedankenexperiments - sie als alleinstehendes, unkommentiertes Fragment überliefert wäre? Welche charakteristischen Eigenschaften aus dem Zusammenspiel von Form und Inhalt machen deutlich, dass der Sprecher gerade kein Sklave, keine junge Frau in der Tradition Sapphos oder gar ein alter Mann ist, sondern ein adulescens?
In inhaltlicher Hinsicht ist das untrügliche Indiz dafür sicherlich der thematische Schwerpunkt der Rede, die sich einzig um die Qualen der Liebe dreht. So weit wäre der Text jedoch auch im Mund eines senex amator denkbar. Eindeutig jugendlich konnotiert wird die Monodie erst durch die vollkommen übertriebene Diktion des Sprechers, der zum Zweck der Betonung seines hochemotionalen Zustands auf schier endlose Reihen effektheischender Mittel zurückgreift. In der vorliegenden Passage am auffälligsten sind sicherlich die beiden katalogartigen, pleonastischen Aufzählungen von Verben (206?-?209, 216?-?217), die das grausame Handeln Amors am bemitleidenswerten Alcesimarchus beschreiben, wobei besonders bemerkenswert ist, wie er sich im ersten Katalog nachdrücklich den passiven Part zuschreibt.5 Hinzu kommt die grundsätzliche Hyperbolik der Darstellung, die exemplarisch an Vers 205 deutlich wird, wo sie durch das paratragisch anmutende Hapax cruciabilitatibus zusätzliche Steigerung erfährt.6
Inhaltlich gestaltet sich die Passage überaus redundant. Nachdem in einem ersten Abschnitt ausführlich die Liebesfolter Amors geschildert wurde (206?-?210), schließt sich ein längerer Abschnitt an, in dem das Spiel Amors mit dem Verliebten thematisiert wird, das zu geistiger Verwirrung führt. In einem dramatischen Bild wird die Wirkung Amors auf den Verliebten schließlich mit einem Schiffbruch verglichen.7 Eine zwingende Logik in der Gedankenführung sucht man dabei vergeblich.8 Vielmehr reflektiert das wilde Hin und Her der Rede die mangelnde Selbstbeherrschung des jungen Mannes, die Resultat seines emotionalen Ausnahmezustands von Verliebtheit ist. Im Kontext der vorausgehenden Komödienhandlung mit dem lebhaften Austausch der Hetären zu Beginn sowie den beiden prologartigen und inhaltlich dichten Monologen der lena und des Gottes Auxilium erscheint die Monodie daher wie eine retardierende Digression über die Macht der Liebe, die wiederholt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wird, ohne dass dabei die Handlung vorangebracht würde. Diese wird erst nach über 20 Versen wieder aufgegriffen, wenn Alcesimarchus auf den Ärger über seinen Vater zu sprechen kommt. Während über ihn bereits zuvor im Stück gesprochen wurde (87?-?101), wobei er als tatkräftiger, integrer junger Mann erscheint, der eigenständig um die Liebe Seleniums wirbt, präsentiert er sich bei seinem Auftritt kläglich und hilflos.9 Die vorausgehende Klage in ihrer charakteristischen Verbindung von Form und Inhalt dient folglich primär der sprachlichen Gestaltung der Figur des Alcesimarchus bei dessen erstem direkten Kontakt mit dem Publikum, indem...
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