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Wie auch viele weitere Ansiedlungen auf dem Gebiet des heutigen Kanada sind Cape Dorset und das umliegende Territorium weder nach den ursprünglichen Bewohnern dieses Gebietes benannt worden noch nach landschaftlichen Gesichtspunkten oder der dortigen Flora und Fauna.
Stattdessen erhielt Cape Dorset seinen Namen nach Edward Sackville, dem Earl of Dorset unter König Karl I. - ein prominentes Hofmitglied, das nie in seinem Leben einen Fuß auf den nordamerikanischen Kontinent gesetzt hat; von der kleinen Insel Dorset Island ganz zu schweigen. In ähnlicher Manier war auch die Halbinsel, der Cape Dorset vorgelagert ist, nach Captain Luke Foxe benannt worden, einer frühen Inkarnation der englischen Seefahrer, die später hierherkamen, um - vergeblich - nach der sagenhaften Nordwestpassage zu suchen. Dass die hier ansässigen Inuit das Gebiet bereits nach dem hier den ganzen Winter über eisfrei bleibenden Meerwasser Sikusiilaq getauft hatten, wurde selbstredend ignoriert.
Hervorstechendes Landschaftsmerkmal von Dorset Island ist als Teil der Kinngait-Kette eine 243 Meter hohe Erhebung. Kinngait bedeutet auf Inuktitut, der Sprache der Inuit, »hohe Berge« (und ist gleichzeitig der indigene Name für Cape Dorset). Die wunderschöne Landschaft ist geprägt von steilen Kuppen; auch findet man hier einige der ältesten Gesteinsformationen der Erde.
Über einen Zeitraum von mehr als 4.500 Jahren haben indigene Nomadenvölker diese Küstenlandschaft durchwandert und dort ihre Lager aufgeschlagen. In den umgebenden Gewässern wimmelte es nur so von Robben und Walen, und an Land konnte man Jagd auf Karibus (Rentiere) und - abhängig von der Jahreszeit - anderes Wild machen. Die ersten Siedler auf Dorset Island haben sich, so vermutet man, zwischen 1300 und 800 v. Chr. in der Gegend um die heutige Stadt Cape Dorset niedergelassen.
Diese Menschen wussten sich den herrschenden Witterungsverhältnissen offenbar gut anzupassen, denn obwohl das Klima bald sehr viel kälter wurde, als es die Menschen der Prä-Dorset-Kultur erlebt hatten, konnten sie ihre Existenz auch weiter sichern. So entwickelten die Bewohner von Dorset Island außergewöhnliches Geschick bei der Jagd auf gefrorenen Eisflächen; außerdem wird angenommen, dass sie zu den ersten Bewohnern der Arktis gehörten, die sich Iglus bauten. Um 800 v. Chr. erwärmte sich das Klima jedoch wieder, und die gewohnte Lebensweise auf Dorset Island wurde durch eine kürzere winterliche Jagdsaison destabilisiert.
Die unmittelbaren Vorfahren der heutigen Inuit, die so genannten Thule-Eskimos, kamen um das Jahr 1000 n. Chr. in die Gegend. Die steinernen Fundamente ihrer Behausungen sind noch heute überall in der Region zu finden. Die Thule-Kultur konzentrierte sich auf die Jagd - in ihrem Fall auf Meeressäugetiere wie Robben, Walrösser und Narwale. Die Jagd auf sie fand mit Hilfe von Harpunen und von aus Tierfellen gebauten Booten statt. Heute wissen wir auch, dass zu jener Zeit bereits von Hunden gezogene Schlitten ein gängiges Fortbewegungsmittel über Land darstellten, was es den Thule-Eskimos ermöglichte, größere Entfernungen als zuvor und in wesentlich kürzerer Zeit zurückzulegen.
Warten auf das Wasserflugzeug, Cape Dorset, ca. 1960 (Rosemary Eaton)
»Ich war immer schon der Überzeugung, dass die Bewohner von Cape Dorset sich durch eine gewisse übermenschliche Größe auszeichnen, dass ihr Leben sozusagen auf einer großen Leinwand verläuft.«
- JOHN HOUSTON
Drei Druckgrafiker vor dem Cape Dorset Craft Centre, ca. 1960 (Rosemary Eaton)
Mitte des 19. Jahrhunderts stellten sich erste Besucher in Form von Walfängern und Missionaren in der Region ein, und 1913 eröffnete die Hudson's Bay Company in Cape Dorset eine Außenstelle. Schon bald begann sich um die Handelsniederlassung herum, ein kleines Dorf zu bilden, was zu einer Zufuhr von Gütern und der Einführung neuer Technologien aus dem Süden des Landes führte.
Um die Mitte des 20. Jahrhunderts dann begann eine Zeit einschneidender Veränderungen für die kleinen Ansiedlungen von Jägern in und um Cape Dorset - wie auch für die gesamte arktische Region an sich. Ein zunehmender Rückgang der Karibupopulation verschlimmerte die schon immer herrschende Nahrungsknappheit, während gleichzeitig die Bürokraten der kanadischen Bundesregierung im weit entfernten Ottawa es sich einfallen ließen, immer mehr Inuit-Familien zu »ermuntern«, sich permanent in Cape Dorset niederzulassen. Als zwischen den späten dreißiger und den frühen fünfziger Jahren die Bevölkerung tatsächlich anwuchs, wurden eine Schule gebaut und diverse kirchliche Institutionen eingerichtet. Wie wir später noch sehen werden, hat sich Peter Pitseolak, der bedeutendste Fotojournalist unter den Inuit, als Zeitzeuge jener Umwälzungen inspirieren lassen, sie im Bild festzuhalten.
Die Fotos in diesem Kapitel zeigen die Menschen von Cape Dorset in Zeiten des Wandels. Sie sind das Werk von Rosemary Eaton (geb. Gilliat, 1919-2004) die um 1959/60 einen längeren Zeitraum innerhalb der indigenen Gemeinschaft von Cape Dorset verbrachte. Ihr Aufenthalt fiel zeitlich mit dem Aufblühen der dortigen Künstlerszene, der Einrichtung des Kulturzentrums West Baffin Eskimo Co-operative und der Eröffnung der ersten Druckerei (1958) zusammen. Cape Dorset verwandelte sich von einem unbedeutenden Regierungsaußenposten irgendwo an der Küste in die Geburtsstätte des globalen Phänomens der Kunst der Inuit und einer Generation der indigenen Gemeinschaft entstammender Kulturschaffender, die sich einen legendären Ruf erwerben sollten, indem sie lernten, ihr Handwerk mit neuen Materialien auszuüben. Diese Zeit und die sie prägenden Menschen hat Rosemary Eaton mit ihrem einfühlsamen Blick durch die Kameralinse für alle Zeiten festgehalten.
Vor der West Baffin Eskimo Co-operative, 1961 (Ryan Terrence)
Alma Houston und Andrew Kingwatsiak, Cape Dorset, 1960 (Rosemary Eaton)
ALS DER KÜNSTLER UND SCHRIFTSTELLER JAMES HOUSTON (1921-2005) nach Cape Dorset kam und hier im Herbst 1957 dem ortsansässigen Künstler Kananginak Pootoogook (1935-2010) begegnete, hatte wohl keiner der beiden Männer ahnen können, was einmal daraus werden würde - und schon gar nicht, was dies für die internationale Popularität der Künstlergemeinde von Cape Dorset bedeuten würde. Houston, der in den späten vierziger und den fünfziger Jahren als Verwaltungsangestellter arbeitete, wurde als Regierungsbeauftragter mit der Förderung der Verbreitung der Werke indigener Künstler aus der Region betraut.
Im Zuge meiner Arbeit an diesem Kapitel habe ich mich mit James Houstons Sohn John unterhalten. John war zum Zeitpunkt von Rosemary Eatons Besuch bei den Inuit noch ein Knabe; er wuchs in Cape Dorset auf und verbrachte sein späteres Leben damit, Inuit-Künstler bei ihrer Arbeit zu fotografieren, Artikel über sie zu verfassen und ihre Werke zu propagieren. Während seiner Jugend erlernte er von älteren Gemeindemitgliedern und mit Hilfe von Künstlern wie Pootoogook, Andrew Kingwatsiak und Kenojuak Ashevak (1927-2013) Inuktitut, die Sprache der Inuit. Auf seine Kindheit angesprochen, erklärte John, sich an eine junge Fotografin namens Rosemary zu erinnern, die »immer im Ort herumgehangen« habe.
Das Foto zeigt die inzwischen leider verstorbene Alma Houston (1926-1997) mit Andrew Kingwatsiak. Kingwatsiak war der Vater von Iyola Kingwatsiak (1933-2000), einem der ersten Druckgrafiker in Cape Dorset und ein äußerst talentierter Steinmetz, der sich auch als Bildhauer einen Namen gemacht hat. Entstanden ist das Bild 1960 in Cape Dorset, und Alma Houston und ihr damaliger Mann, James Houston, hatten gerade entscheidend dazu beigetragen, auf der benachbarten Baffininsel die West Baffin Eskimo Co-operative ins Leben zu rufen - die Geburtsstätte dessen, was heute als zeitgenössische Inuit-Kunst international Anerkennung findet. Alma und Kingwatsiak verband schon bald eine herzliche Freundschaft, was sich auch in ihrer Körpersprache deutlich bemerkbar macht. Rosemary Eaton hat einen Moment der Zuneigung, des Respekts und der gegenseitigen Bewunderung eingefangen.
Vielleicht ist es aber auch der Augenblick eines liebevollen Abschieds, denn Alma Houston wird schon bald für ein Jahr nach England zurückkehren und danach in Ottawa ein neues Leben beginnen. Von Almas Sohn John wissen wir, dass seine Mutter große Stücke auf Kingwatsiak hielt und in ihm einen Weisen sah - heute würden wir wohl von einem väterlichen Freund reden. Zu diesem Zeitpunkt seines Lebens war Kingwatsiak bereits körperlich beeinträchtigt und benötigte zum Gehen einen Stock. Während der langen Wintermonate konnte er sich mit einem kleinen, von einem einzigen, aber dafür großen und kräftigen Hund gezogenen Schlitten fortbewegen. »Während wir darüber sprechen, sehe ich sie noch richtig vor mir, wie sie im Ort unterwegs sind«, erzählte John. »Er wurde also von diesem großen, treuen Hund gezogen, aber seinen Gehstock behielt er immer in der Hand, und so fuhr er dann bei uns zu Hause vor. Meine Mutter hatte ein Arrangement mit ihm getroffen, so dass ich jeden Tag, wenn ich von der Schule nach Hause kam, dort auf Kingwatsiak traf, der gerade hineingebeten wurde.«
Die jungen Inuit-Frauen, die im Haus der Houstons angestellt waren, halfen Kingwatsiak die Stufen hinauf und dann in das Kinderzimmer, wo er sich in...
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