Schweitzer Fachinformationen
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Er ist schwer, dieser Teil. In den Tagebüchern, die ich als Kind jedes Jahr in den ersten Januartagen neu anfing, scheiterte ich regelmäßig schon an dem Bedürfnis, alle Dramatis personae auf einmal einführen zu wollen.
Meine ältere Schwester Nina konnte das sehr gut. In ihrem Tagebuch von 1958 steht zu lesen: »Ich bin ein 11-jähriges Mädchen und heiße Nina Kosofsky. Ich wiege 34 Kilo und habe dunkle Haare und dunkle Augen. Ich bin
manchmal aufbrausend. Die Schreiberin vergnügt sich mit Lesen, Puppen,
Tanzen, dem Schreiben von Geschichten, Gedichten und Theaterstücken. Wandern finde ich auch gut.
Buttons ist unsere fast 7-jährige Katze. Sie ist sehr fett und alle denken immer, dass sie bald Junge bekommt. (Kann sie aber nicht, da sie sterilisiert ist). Sie ist sehr unfreundlich zu anderen Katzen und Katern. Ihr Fell ist schwarz und grau, mit weißen Streifen, nur der Bauch ist irgendwie orange.
David ist mein 4- und bald 5-jähriger Bruder. Er sieht mir ziemlich ähnlich. David ist sehr süß, wenn er will (und er will fast immer), aber das weiß er auch. Er redet keine Babysprache und lispelt auch nicht, außer dass er manchmal tsch als d ausspricht und th als v.
Mommy.
Meine Mutter heißt Rita Goldstein Kosofsky, ist 36.
Sie sieht mir ebenfalls sehr ähnlich. Mommy ist sehr ausgeglichen. Ganz anders als viele Mütter mag sie (fast) immer neue Ideen und nutzt sie meist auch. Ich liebe sie wirklich sehr.
Daddy. Leon J. Kosofsky, mein Vater, ist 38 Jahre alt. Er ist nicht dick, nur einfach sehr groß. Er ist fast kahl, bis auf ein paar Haare außen um den Kopf herum. Er ist manchmal
aufbrausend, was oft meine Schuld ist, aber meist ist er doch sehr nett
und verständnisvoll. Daddy kann manchmal fast genau wie Yul Brynner aussehen. Ich liebe ihn sehr.
Eve, meine Schwester, ist 8 Jahre alt. Sie hat helle Haare und Sommersprossen. Sie ist wirklich ein >Bücherwurm<. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie so alt wirkt. Eve ist ziemlich mollig (2 Kilo schwerer als ich). Ich kann
mich erinnern, dass sie ausgeglichener war, als sie noch klein war,
obwohl sie noch immer ziemlich locker ist.«
____
Tatsächlich stellt sich recht bald die Aufgabe, den Schauplatz abzustecken. Es bereitet mir kein Vergnügen, eher Angst, in diesem oder welchem Raum auch immer eine Kosofsky-Welt heraufzubeschwören. Aber ich merke, dass die Tatsache, Shannon etwas zu erzählen - eigentlich egal, was - mir eine ganz neue Motivlage bietet, der ich mich schamlos hingebe.
Nein, der schwierigere Teil ist, es jetzt zu erzählen; mich zu entschließen, wie ich die Eingeweide des Labyrinths aufdröseln will, all dessen,
was ich nicht wusste, und wann ich es nicht wusste; wie sich das anfühlt,
Dinge nicht zu wissen; ich meine nicht mal große Dinge, sondern einfach nur ganz normale Sachen.
»Die kanonischen Themengebiete, Liebe und Arbeit, sind eigenartigerweise unproblematisch bei mir. Ich meine, natürlich gibt es Probleme, auch ein paar große, aber es kommt mir nicht vor, als wären das die Bereiche, wo das Problem zu Hause ist. Vorausgesetzt, dass es so etwas wie DAS Problem überhaupt gibt.«
»>Das Problem< .?«
»Oh, ich meine . das ontologische Problem. Was stimmt nicht mit Eve?«
Warum wirkt es so, als würden sie und das Leben einander ablehnen. Denn im Grunde ist
es nicht so, dass die Dinge bei mir nicht laufen. Das tun sie sehr wohl!
In vieler Hinsicht ganz prima. - Das macht mir Angst: dass sich was ändert
(und ändern muss sich für mein Gefühl einiges), denn wäre es dann nicht zum Schlechteren?
Ich nehme an, hier flossen Tränen. Nicht in Strömen, aber ein paar Tropfen sicher: Ich definiere sie verachtungsvoll als Tränen einer Privilegierten.
Es ist beängstigend, so wenig Verbindung zu spüren mit einem Leben, das so voll ist mit dem, wonach sich andere Leute sehnen - zu Recht sehnen, glaube ich: viel Intimität, genug Geld, Frieden und Privacy, intellektuelle Anregung, jede Menge Wertschätzung, Zeit für meine eigene Arbeit, keine Gewalt, beide Eltern am Leben, meistens gute Gesundheit, eine lange, zärtliche Beziehung mit meinem Kerl, Unmengen von wunderbaren Freunden . Es ist nicht so, dass ich all diese Dinge nicht zu schätzen wüsste. Das tue ich wohl: Als Kind habe ich sicher nicht erwartet, irgendwann einmal so vieles davon zu bekommen. Es erscheint mir fast wie ein Wunder, als Frau, dass ich nie vergewaltigt oder misshandelt wurde oder ungewollt schwanger war. Mir ist vollkommen klar, dass die Dinge nicht nur unendlich viel schlimmer sein könnten, sondern dass sie es für viele Leute auch sind. Auch wenn das nicht unbedingt eine erheiternde Feststellung ist!
Aber irgendwie findet das Erfreuliche an diesen Dingen nicht den Weg in mein Inneres. Ich verfolge sie zwar durchaus zielbewusst, aber wenn sie dann da sind, ist es, als ob ich nicht wüsste, wie ich meine Hand ausstrecken und sie zu mir heranziehen soll.
Es gibt ein christliches Lied, dessen Text ich sehr gerne mag,
For the beauty of the earth, For the beauty of the skies, For the love that from our birth Over and around us lies
- vielleicht unsinnigerweise mag, denn was ich daran schätze, ist das Pathos, mit dem die Schönheit und die Liebe beschrieben werden, als seien sie überall in der Welt, nur nicht in uns selbst.
Ich war gewiss ein morbides, sensibles Kind, und der Gedanke,
jung zu sterben, war mir ein guter Freund. Es klingt komisch, aber der
Todesgedanke gab mir ein Gefühl von Sicherheit, Gehaltenwerden.
»Eine weitere Konsequenz davon war vielleicht, dass ich niemals eigene Kinder haben wollte.«
»Haben Sie denn welche?«
»Nein! Ich wollte nie welche. Die Freunde, die mich am längsten kennen, sagen, das sei immer so gewesen. Woran ich mich in dieser Hinsicht vor allem erinnere, ist ein tiefes, grenzenloses Gefühl des Vorwurfs gegenüber meinen Eltern, weil sie mich gezwungen haben, in diese Welt zu kommen. Und, oh, ich erinnere mich, wie ich dachte - wirklich wortwörtlich dachte, da war ich vielleicht acht oder höchstens elf Jahre alt: >Ich könnte es nie ertragen, wenn irgendjemand,
mein eigenes Kind, mit solchen Vorwürfen zu mir kommen würde.<«
Sie redet über ihren Wunsch, zu sterben oder nicht mehr zu sein, veranlasst durch die Entdeckung eines Knotens an ihrem Hals, der sie unverzüglich an Krebs denken ließ. Sie hat es nur ihrem Mann und einem Freund gesagt. Was sie für sich behält, ist ihr innerer Aufruhr angesichts der potenziellen Aussicht auf Krebs und Sterben, den sie pflegt und der zahlreiche Facetten hat. Schuldgefühle wegen »böser« Gedanken, aber auch ein wenig Erleichterung und Angst etc. Was mir auffällt, ist ihre Passivität und ihr Gefühl, durch den Tod gerettet zu werden. Sie ist mit der Rettung im Einklang - vom Tod gepackt und mitgenommen zu werden wie von einem Ritter auf einem weißen Pferd. Sie erwähnt auch Assoziationen mit »Lawrence von Arabien«1 und »Hinter dem Nordwind«2 - was ein Bild ergibt, das einen Grenzverlust und die Verschmelzung mit einer stummen Figur beinhaltet, die aktuell männlich ist, aber vielleicht nicht immer. Es steht im Gegensatz zu der Vorstellung, ihr Selbst in Interaktion mit einem Gegenüber herausbilden zu müssen. Beides wiederum unterscheidet sich vom Bild der warmen, liebenden, fürsorglichen Beziehung mit Freunden - in dem aber auch eine reifere Entwicklung der Rettungsfantasien stecken könnte.
Shannon will wissen, ob ich das Gefühl habe, nicht wirklich zu existieren; oder vielleicht nur so zu tun, als würde ich existieren; oder ob es mir vorkommt, als würde ich mein Leben durch die Augen von jemand anderem betrachten. Aber es ist nicht das, was mir fehlt. Es ist etwas anderes.
Komme ich mir wie eine Betrügerin vor? Nein, nicht wirklich. Oh, und hatte ich jemals Suizidgedanken?
Ich weiß, dass ich niemals versucht habe, mich umzubringen. Daher glaube ich inzwischen auch zu wissen, dass ich es niemals tun würde oder tun könnte. Denn es gab eine ganze Reihe von Jahren - als Teenager und junge Frau -, in denen der Gedanke daran, Stunde um Stunde, ständig bei mir war, und ich mir damit immer wieder einen wohligen Schrecken eingejagt habe. Nein, heute denke ich wirklich nie daran.
Und warum es niemals geschehen ist . Nun, es ist schon...
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