Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein tief mit Wolken verhangener Tag, als ich, im August 1992, mit dem alten, bis an die Fensterscheiben hinauf mit Ruß und Öl verschmierten Dieseltriebwagen, der damals zwischen Norwich und Lowestoft verkehrte, an die Küste hinunterfuhr. Meine wenigen Mitreisenden saßen im Halbdunkel auf den abgewetzten lilafarbenen Sitzpolstern, alle in Fahrtrichtung, möglichst weit voneinander entfernt und so stumm, als hätten sie noch niemals in ihrem Leben ein Wort über die Lippen gebracht. Die meiste Zeit rollte der unsicher auf den Schienen schwankende Wagen im Leerlauf dahin, denn es geht dem Meer zu fast immer leicht bergab. Nur zwischendurch, wenn mit einem das ganze Gehäuse erschütternden Schlag das Triebwerk in Gang gesetzt wurde, war eine Weile das Mahlen der Zahnräder zu hören, ehe wir unter gleichmäßigem Pochen weiterrollten wie zuvor, an Hinterhöfen und Schrebergartenkolonien und Schutthalden und Lagerplätzen vorbei in das vor der östlichen Vorstadt sich ausdehnende Marschland hinaus. Über Brundall, Brundall Gardens, Buckenham und Cantley, wo eine Zuckerrübenraffinerie mit qualmendem Schornstein am Ende einer Stichstraße in einem grünen Feld liegt wie ein Dampfer an einer Mole, folgt die Strecke dem Lauf des Yare-Flusses, bis sie in Reedham das Wasser überquert und in einem weiten Bogen hineinführt in eine südostwärts bis an das Ufer des Meers sich erstreckende Ebene. Nichts ist hier zu sehen als ab und zu ein einsames Flurwächterhaus, als Gras und wogendes Schilf, ein paar niedergesunkene Weidenbäume und zerfallende, wie Mahnmale einer zugrundegegangenen Zivilisation sich ausnehmende Ziegelkegel, die Überreste der ungezählten Windpumpen
und Windmühlen, deren weiße Segel sich gedreht haben über den Marschwiesen von Halvergate und überall hinter der Küste, bis sie, in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg, eine um die andere stillgelegt wurden. Wir können uns kaum mehr denken, so sagte mir einer, dessen Kindheit zurückreichte in die Windmühlenzeit, daß einst in der Landschaft eine jede Windmühle gewesen ist wie ein Glanzlicht in einem gemalten Auge. Als diese Glanzlichter verblaßten, verblaßte mit ihnen gewissermaßen die gesamte Umgegend. Manchmal meine ich, wenn ich hinschaue, es sei alles schon tot. - Nach Reedham hielten wir in Haddiscoe und Herringfleet, zwei zerstreuten Ansiedlungen, von denen kaum etwas zu sehen war. An der nächsten, zu dem Landschloß von Somerleyton gehörenden Station stieg ich aus. Der Triebwagen ruckte gleich wieder an und verschwand, eine schwarze Rauchfahne hinter sich herziehend, in der leicht geschwungenen Kurve ein Stück weit voraus. Einen Bahnhof gab es hier nicht, nur einen offenen Unterstand. Ich ging den leeren Perron entlang, auf der linken Seite die scheinbar unendliche Weite des Marschlands, auf der rechten, hinter einer niedrigen Ziegelmauer, das Gebüsch und die Bäume des Parks. Nirgends ein Mensch, den man nach dem Weg hätte fragen können. Früher, dachte ich mir, als ich den Rucksack umhängte und auf dem Holzsteig über die Geleise schritt, wird das anders gewesen sein, denn gewiß langte früher fast alles, was man in einem Haus wie Somerleyton brauchte zur Vervollständigung des Besitzes und was man von auswärts anschaffen mußte zur Aufrechterhaltung der ja niemals gänzlich gesicherten Stellung, in den Güterwaggons der olivgrün lackierten Dampfbahn hier an dieser Station an - Ausstattungsgegenstände jeder Art, das neue Piano, Vorhänge und Portieren, die italienischen Kacheln und die Armaturen für die Badezimmer, die Dampfkessel und Rohrleitungen für die Gewächshäuser, die Lieferungen der Handelsgärtnereien, kistenweise Rheinwein und Bordeaux, Rasenmähmaschinen und große Schachteln mit fischbeinverstrebten Miedern und Krinolinen aus London. Und jetzt nichts mehr und niemand, kein Bahnhofsvorstand mit glänzender Uniformmütze, keine Bediensteten, keine Kutscher, keine geladenen Gäste, keine Jagdgesellschaften, weder Herren in unverwüstlichem Tweed noch Damen in eleganten Reisekostümen. Eine Schrecksekunde, denke ich oft, und ein ganzes Zeitalter ist vorbei. Heute wird Somerleyton wie die meisten bedeutenden Häuser des Landadels während der Sommermonate dem zahlenden Publikum zugänglich gemacht. Aber diese Leute kommen nicht mit dem Dieseltriebwagen, sondern sie fahren beim Hauptportal herein im eigenen Automobil. Der gesamte Besucherbetrieb ist, naturgemäß, auf sie abgestellt. Wer dennoch an der Bahnstation eintrifft wie ich, der muß, wenn er nicht zunächst die halbe Domäne umrunden will, gleich einem Strauchdieb über die Mauer klettern und sich durch das Dickicht kämpfen, ehe er den Park erreicht. Es berührte mich wie eine seltsame Lektion aus der Entwicklungsgeschichte, die ja gelegentlich ihre zurückliegenden Stadien mit einer gewissen Selbstironie rekapituliert, daß ich, sowie ich aus den Bäumen hervortrat, ein Miniaturbähnchen durch die Felder dahindampfen sah, in welchem eine Anzahl von Menschen hockte, die mich erinnerten an verkleidete Hunde oder Seehunde im Zirkus. Zuvorderst aber auf dem kleinen Zug saß, mit umgehängter Billettasche als Schaffner, Lokomotivführer und Chef der dressierten Tiere in einem, der jetzige Lord Somerleyton, Her Majesty's, The Queen's Master of the Horse.
Die Herrschaft Somerleyton, die sich während des hohen Mittelalters im Besitz der FitzOsberts und Jernegans befand, ist im Verlauf der Jahrhunderte durch eine Reihe, sei es durch Heirat, sei es durch Blut miteinander verbundener Familien gegangen. Von den Jernegans kam sie auf die Wentworths, von den Wentworths auf die Garneys, von den Garneys auf die Allens und von den Allens auf die Anguishes, deren Linie 1843 erlosch. Im selben Jahr noch veräußerte Lord Sydney Godolphin Osborne, ein entfernter Verwandter des ausgestorbenen Geschlechts, der sein Erbe nicht antreten wollte, die gesamte Liegenschaft an einen Sir Morton Peto. Peto, der aus den niedrigsten Verhältnissen stammte und sich vom Handlanger und Maurergehilfen hatte emporarbeiten müssen, war, als er Somerleyton erwarb, gerade dreißig, zählte jedoch bereits zu den bedeutendsten Unternehmern und Spekulanten seiner Zeit. Bei der Planung und Durchführung prestigeträchtiger Projekte in London, zu denen unter anderem die Anlage des Hungerford Market, der Bau des Reform-Clubs, der Nelson-Säule und mehrerer Westend-Theater gehörten, wurden von ihm in jeder Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Darüber hinaus hatte er es durch Finanzbeteiligungen bei der Ausweitung des Eisenbahnwesens in Kanada, Australien, Afrika, Argentinien, Rußland und Norwegen in kürzester Frist zu einem wahrhaft riesigen Vermögen gebracht, so daß er nun auf dem Punkt stand, wo er seinen Aufstieg in die obersten Gesellschaftsklassen krönen mußte durch die Errichtung einer an Komfort und Extravaganz alles bisher Dagewesene in den Schatten stellenden Residenz auf dem Land. Tatsächlich vollendete Morton Peto sein Traumwerk, einen Prinzenpalast im sogenannten anglo-italienischen Stil mit kompletter Innenausstattung, auf dem Platz des abgerissenen alten Herrenhauses innerhalb weniger Jahre. 1852 schon finden sich in der Illustrated London News und in anderen tonangebenden Magazinen die überschwenglichsten Berichte von dem neuerstandenen Somerleyton, dessen besonderer Ruhm anscheinend darin bestand, daß sich die Übergänge zwischen Interieur und Außenwelt so gut wie unmerklich vollzogen. Die Besucher vermochten kaum zu sagen, wo das Naturgegebene aufhörte und das Kunsthandwerk anfing. Salons wechselten ab mit Wintergärten, luftige Foyers mit Veranden. Es gab Korridore, die in einer Farngrotte mit immerzu plätschernden Brunnen zusammentrafen, überlaubte Gartengänge, die sich kreuzten unter der Kuppel einer phantastischen Moschee. Versenkbare Fenster öffneten den Raum nach draußen, während inwendig auf den Spiegelwänden die Landschaft erschien. Palmenhäuser und Orangerien, der einem grünsamtenen Tuch gleichende Rasen, die Bespannung der Billardtische, die Bouquets in den Morgen- und Ruhezimmern und in den Majolikavasen auf der Terrasse, die Paradiesvögel und Goldfasane auf den Seidentapeten, die Stieglitze in den Volieren und die Nachtigallen im Garten, die Teppicharabesken und die von Buchsbaumhecken eingefaßten Blumenparterres, all das changierte in einer Weise, daß die Illusion einer vollkommenen Harmonie hervorgerufen wurde zwischen natürlichem Wachstum und Fabrikation. Am wunderbarsten, heißt es in einer der zeitgenössischen Beschreibungen, sei Somerleyton in einer Sommernacht, wenn die...
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