Schweitzer Fachinformationen
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Die schmale, unbefestigte Landstraße schlängelte sich zwischen Weiden und Wiesen hindurch. Ian nahm das Vogelgezwitscher in den Büschen kaum wahr und hielt den Blick auf seine staubigen Schuhe geheftet. Hier und da trat er in ausgetrocknete Kuhlen, die sich bei Regenwetter in Schlammsuhlen verwandelten. Doch heute war das Wetter ebenso lieblich wie an jenem Tag, als er seinen Heimatort verlassen hatte. Fast konnte man meinen, es wäre erst gestern gewesen. In Wahrheit aber hatte sich der Lauf der Welt während seiner Abwesenheit geändert. Ebenso wie er. An den Kerl, der er damals gewesen war, erinnerte er sich nur noch hin und wieder. Womöglich steckte noch ein wenig von dem Burschen in ihm, wenn er tief genug in sich hineinhörte. Jetzt gerade wollte es ihm allerdings nicht gelingen.
Die rechte Hand in der Hosentasche vergraben, drehte er eine Münze zwischen den Fingern. Er fuhr über die Prägung des Metalls und schloss einen Moment lang die Lider. Die Bilder, die sich ausgerechnet jetzt einmal mehr vor seinem inneren Auge auftaten, ließen sich nur schwer unterdrücken.
»Nicht heute«, murmelte er zu sich selbst und blickte starr geradeaus.
Etwas prallte gegen seine Schulter. Ruckartig blieb er stehen und wandte sich um. Rund fünfzehn Schritte entfernt von ihm reckte sich eine junge Frau über eine der Hecken, die hier die Wege säumten. »Ich dachte, du wärst tot!«, schallte ihre Stimme durch die Frühsommerluft.
Ian kniff die Augen zusammen und schaute sie genauer an. »Maisie?« Sie sah anders aus als damals, aber es war auch eine Ewigkeit vergangen. Der rotzfreche Unterton ihrer Stimme jedoch gab ihm den entscheidenden Hinweis. Er unterdrückte ein Grinsen. Knapp neun Jahre war er fort gewesen und der erste Mensch, dem er begegnete, war ausgerechnet Maisie Glenn. »Hast du etwa mit einem Stein nach mir geworfen?«, fragte er.
»Natürlich bin ich es!«, rief sie und lief auf ihrer Seite der Hecke auf ihn zu, bis sie, getrennt durch die Büsche, vor ihm stand. »Und es war nur ein größerer Kiesel«, erklärte sie ganz so, als würde sie öfter mit Steinen nach Menschen werfen und hätte sich gerade durchaus rücksichtsvoll verhalten, indem sie keinen größeren Brocken gewählt hatte. »Sieh an, du bist also doch nicht tot«, stellte sie überrascht fest.
»Wie du siehst, nicht. Hat das etwa jemand behauptet?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Es gab da das ein oder andere Gerücht. Die Leute haben Vermutungen angestellt, als du nach Kriegsende weggeblieben bist. Aber ich schätze, niemand hat es gewagt, deine Familie zu fragen.« Sie lachte ein wenig zu laut. Der Klang erinnerte ihn an einen endlos lang zurückliegenden Sommertag. Er sah das glitzernde Wasser des kleinen Weihers außerhalb von Foxgirth vor sich und ein etwas zu mageres Mädel, das ihn anschrie. Unauffällig betrachtete er Maisie eingehender. Zwar verbarg die Hecke das meiste von ihr, aber mager war sie inzwischen nicht mehr, das stand außer Frage. Doch Maisie war auch erst sechzehn Jahre alt gewesen, als er aufgebrochen war.
Ihre hellbraunen Haare waren zu einem unordentlichen Knoten gebunden, aus dem einige gewellte Strähnen herausgerutscht waren. Scheinbar war Maisie ihr Aussehen noch immer schnuppe. Ihre schlichte Bluse wies mehrere Flecken auf, was ihm verriet, dass sie heute schon fleißig gewesen war. Ob sie wohl inzwischen geheiratet hatte? Allerdings konnte er sich kaum vorstellen, dass irgendein Mann verrückt genug wäre, eine Glenn zu heiraten, noch dazu diese Rotzgöre.
»Hast dich ganz schön verändert, Maisie«, sagte er. »Aber wie ich sehe, bist du leider nicht mehr gewachsen.« Er versuchte gar nicht erst, die Belustigung über seinen Spruch zu verstecken. Tatsächlich schien sie nicht einen Inch gewachsen zu sein und reichte ihm weiterhin kaum bis zu den Schultern. Und da er sie früher nur zu gerne mit ihrer Größe aufgezogen hatte, sah er es als seine Pflicht an, es jetzt erneut zu tun. Vermutlich hatte sie seit seiner Abreise niemand mehr darauf hingewiesen, dass sie zu kurz geraten war, also wurde es höchste Zeit dafür.
Auf der anderen Seite der Hecke streckte Maisie den Rücken durch, was sie jedoch kaum größer machte. »Und du hast noch immer keinen richtigen Bartwuchs, Ian Macay. Sieht aus, als hätten Läuse sich da durchgeknabbert.«
Unbewusst fuhr er sich mit der Hand über die Wangen. Er hatte noch vorgehabt sich zu rasieren, es dann aber doch vergessen. Nun war es zu spät dafür. »Immer noch die Gleiche, was?«, antwortete er und lachte. Dann deutete er mit dem Kopf zur Weide, auf der sie sich befand. »Und was treibst du hier?«
»Schafe zählen.«
»Schafe zählen?« Diese Antwort kam ihm doch reichlich merkwürdig vor.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ist ja auch egal.« Dann musterte sie ihn aus ihren braungrünen Augen. »Deine Familie wird sich freuen, dich zu sehen, nehme ich an.«
»Das hoffe ich jedenfalls.« Er gab sich Mühe, das Zwicken in seinem Magen zu ignorieren. Wenn er ehrlich war, hatte er nicht den blassesten Schimmer, was ihn hier erwartete. Doch er würde einen Teufel tun, dies vor Maisie auszusprechen.
Überrascht sah sie ihn an. »Wissen sie denn gar nicht, dass du kommst?«
Kurz schüttelte er den Kopf.
»Na, das wird dann wohl eine gewaltige Überraschung.« Wieder lachte sie, und der heute ungewöhnlich sanfte Wind trug den Klang davon.
Ian nickte ihr zu. »Also, dann gehe ich mal weiter. Man sieht sich. Oder auch nicht.«
»Letzteres, nehme ich an.« Ein breites Grinsen trat auf ihre Lippen, dann drehte sie sich um und eilte über das dunkelgrüne dicke Gras in Richtung einer Gruppe Schafe davon.
Einen Augenblick lang sah er ihr nach. Ihr knielanger Rock flatterte an ihren Beinen, und der außer Form geratene Haarknoten baumelte bei jedem Schritt wie der Schwanz eines Lammes hin und her. Dann schob er die Hände wieder in die Hosentaschen und lief los. Allmählich begannen die Riemen des Rucksacks auf seinem Schultern zu drücken, und er war schon seit Stunden unterwegs. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel. Vermutlich war es bald vierzehn Uhr, und wenn er nicht so angespannt gewesen wäre, dann hätte er vermutlich längst Hunger bekommen. Doch jetzt gerade war nicht daran zu denken, dass er auch nur einen Bissen hinunterbekam. Noch einmal sah er zurück zu Maisie, die ein ganzes Stück entfernt mit verschränkten Armen dastand und die Schafe betrachtete. »Schafe zählen«, murmelte er und spazierte schmunzelnd weiter.
Nach rund einer Viertelstunde kam Ian an eine Weggabelung und blieb stehen. Er starrte auf das verblichene Holzschild, das nach rechts zeigte. Foxgirth. Die Münze in der Hosentasche rutschte zwischen seinen feuchten Fingern hervor. Er gab sich einen Ruck und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Das Cottage seiner Familie lag ein Stück außerhalb des Ortes. Der Weg führte ihn näher und näher an die Küste heran, und Ian sog die salzgeschwängerte Luft in seine Lungen. Hier und da konnte er einen Blick auf das glitzernde Wasser des Firth of Forth werfen, des Meeresarms, der Schottland an dieser Stelle wie ein Säbel zerteilte. Doch dann wand sich der Weg schon wieder ein Stück ins Landesinnere.
Hufgetrappel war zu hören und das Knirschen von Rädern auf der trockenen Erde. Vor ihm tauchte eine Kutsche auf. Ian trat zur Seite, um sie vorüberzulassen, und fischte erneut nach der Münze in seiner Hosentasche. Ob seine Ma wohl arg sauer auf ihn war? Wenn, dann konnte er es nur zu gut verstehen. Er war ein miserabler Sohn, gestand er sich ein. Das miese Gefühl von Schuld zwickte einmal mehr in seinem Magen.
Ein schrilles Kreischen riss ihn aus seinen Gedanken. Verdutzt starrte er zu der Kutsche hinüber. Das Pferd war nur wenige Fuß von ihm entfernt zum Stehen gekommen und schnaubte unruhig. Die Frau auf dem Kutschbock schob ein Kleinkind von ihrem Schoß, dann kletterte sie hinunter, stürmte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Ian spürte Küsse auf seinem Gesicht und hörte ihr Schluchzen. Als sie ein wenig von ihm abrückte, sah er in grüne Augen, die den seinen zum Verwechseln glichen. »Bonnie«, sagte er tonlos.
Sie wischte sich fahrig die Tränen weg, dann schnellte plötzlich ihre Hand durch die Luft.
Das Brennen auf seiner Wange war noch nicht vergangen, da warf sie sich erneut an ihn, um die Stelle, an der sie ihm eine Backpfeife verpasst hatte, zu küssen. »Neun Jahre, Ian. Neun Jahre!« Ihre Stimme zitterte. Erst als er beide Arme um sie schloss, beruhigte sie sich.
»Ich weiß«, flüsterte er an das Kopftuch, das sie über ihren roten Haaren trug.
»Ich hatte beinahe die Hoffnung aufgegeben, dich noch einmal zu sehen.« Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn eingehend. Endlich lächelte sie ihn an.
»Jetzt bin ich ja hier, Schwesterchen.«
Sie nickte heftig und wischte sich einmal mehr die Feuchtigkeit von den Wangen. Dann deutete sie zur Kutsche. »Das da oben sind deine Neffen, Ian.«
»Du hast Kinder?« Verdutzt sah er zu den beiden kleinen Jungen, die auf den Knien eines kräftig gebauten Mannes hockten. »Connor?«, stieß er hervor. »Connor Fletcher?« Fassungslos sah er in das lachende Gesicht des Mannes.
»Tut verdammt gut dich zu sehen, Kumpel. Ist viel zu lange her«, rief der Mann.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht recht .« Was um Himmels willen tat sein ehemaliger Kamerad aus dem neunten Bataillon hier? Connor war genau wie...
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