Schweitzer Fachinformationen
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Der Stoff glitt wie Wasser durch ihre Hände. Zärtlich berührten Vikas Fingerspitzen das blaue Seidentuch, das ihr so kostbar vorkam wie kaum je etwas zuvor.
Sie sah auf und blickte in das strenge Gesicht der Ladenbesitzerin. Mrs. Malloy zog eine Augenbraue hoch, und Vika machte sich daran, das feine Kleidungsstück ordentlich zu falten und ins Regal zurückzulegen. Ein Seufzen entwich ihr, als sie es ein letztes Mal betrachtete. Dann trat sie an den Tresen und stellte den Weidenkorb darauf ab. Ehe sie um das Mehl bitten konnte, wurde die Ladentür geöffnet. Augenblicklich setzte Mrs. Malloy ein Lächeln auf und eilte zu der neuen Kundin, um ihre Hilfe anzubieten. Vika sah zur Seite und bedeutete ihrem Sohn, sich neben sie zu stellen. Stets war sie besorgt, dass Arch etwas hinunterstoßen würde.
Er schmiegte sich an sie und schielte auf die Gläser mit den Bonbons, die genau auf seiner Augenhöhe auf der Ladentheke lockten.
Vika schalt sich in Gedanken dafür, den Jungen nicht daheim gelassen zu haben. Nicht einmal für ein Bonbon hatte sie Geld über.
Dann näherten sich schwere Schritte, und Mr. Malloy stellte sich neben die Kasse. Sein Hemd spannte ein wenig über dem Bauch, und die grauen Haare wirkten zerzaust. »Wie mir scheint, ist meine Frau beschäftigt, das ist ein guter Vorwand, um eine Pause von der Inventur des Lagers zu machen«, sagte er und sah Vika mit einem warmen Ausdruck an. »Was darf ich für Sie tun, Miss Fairbairn?«
Es war Vika ein Rätsel, wie die kratzbürstige Mrs. Malloy, die sie stets als Letzte bediente, zu diesem gutherzigen Mann gekommen war. Mit den straff zu einem Dutt zurückgebundenen Haaren und dem dunklen, beinahe wie ein Trauerkleid wirkenden Gewand machte sie nicht den Eindruck auf Vika, als wäre sie vor Jahrzehnten einmal eine einnehmende junge Frau gewesen, in die sich ein Mann Hals über Kopf hatte vergucken können. Vermutlich hatte es geholfen, dass sie den Laden mit in die Ehe eingebracht hatte, überlegte Vika, ehe sie dem Gemischtwarenhändler ein Lächeln schenkte. »Das Mehl ist mir ausgegangen.« Ob der Mann seine Wahl bereute? Der Laden lief gut, es ließ sich ganz sicher recht sorgenfrei davon leben. Selbst jetzt, da die Zeiten hart waren und die Menschen ihr weniges Geld mehr beisammenhielten. Einige Dinge brauchte man jedoch immer, und was Foxgirth anging, so gab es nur dieses eine Geschäft.
Mr. Malloy streckte den Arm nach einem kleinen Sack im Regal aus und ließ ihn in den Korb plumpsen. »Sonst noch etwas?«
Vika sah einen flüchtigen Moment lang auf das bezaubernde Seidentuch und schüttelte dann den Kopf. »Mehr brauche ich heute nicht.«
»Wie alt bist du jetzt?«, fragte Mr. Malloy und stützte die Ellenbogen auf der Holzplatte auf.
Arch hob eine Hand, zeigte vier Finger, und seine Brust schien anzuschwellen.
»Schau an.« Mr Malloy schmunzelte und öffnete den Deckel eines der Gläser. Geduldig reihte er vier rosa Bonbons auf dem Tresen auf und Arch schien vor Vorfreude zu zerspringen.
Vika sah ihn mahnend an, und ihr Sohn steckte die Hände in die Hosentasche.
»Nächstes Jahr bekommst du schon fünf.« Der Mann schob die Bonbons zu Arch hin.
»Danke sehr«, brachte dieser heraus, ehe er sich schon das erste in den Mund steckte.
»Das ist sehr großzügig, vielen Dank.« Vika zählte die Münzen ab und reichte sie dem Händler. »Einen guten Tag noch, Mr. Malloy.«
»Ihnen ebenso, Miss Fairbairn.«
Vika griff nach dem Korb, während Arch seinen Schatz in den Handflächen verschwinden ließ. »Ihnen auch einen guten Tag, Mrs. Malloy«, rief sie, ehe sie die Tür öffnete, doch die ältere Frau sah sie nur verkniffen an. »Alte Schreckschraube«, murmelte Vika und stieß gegen die Schulter eines Mannes, als sie sich vor dem Laden umwandte.
»Das ist sie ohne Frage«, hörte sie ihn sagen und dann auflachen.
»Lauf rasch heim, ich komme gleich nach«, wies Vika ihren Sohn an. Dann sah sie auf. »Guten Morgen, Willie.«
»Gut, dass wir uns treffen. Ich wollte mit dir reden«, raunte er und zog sie von der Tür weg.
Vika machte einen großen Schritt über eine Pfütze. Wie sie sich freute, dass der Frühling bald beginnen würde. Nach dem Winter glich die unbefestigte Hauptstraße von Foxgirth einer Schlammsuhle, und Vika war es leid, nach jedem Gang zum Laden die Schuhe zu putzen. Doch noch ungelegener als der Matsch kam ihr Willie Glenns Wunsch, mit ihr zu sprechen. »Was ist denn?«, entfuhr es ihr, als er endlich stehen blieb.
»Hast du nachgedacht?«, fragte er ohne Umschweife. Seine hellbraunen Augen ließen nicht von ihr ab, und sie beobachtete, wie er scheinbar reflexhaft den Hemdkragen zurechtrückte. Der offene Mantel, der seine besten Zeiten schon hinter sich hatte, aber stets gepflegt wurde, reichte ihm fast bis zu den Knien, und in der Seitentasche war eine Ausbeulung zu erkennen, in der sie Willies Pfeife vermutete. Seine Hose war sauber und faltenfrei und seine Haare waren ordentlich mit Pomade in Form gebracht. Man konnte Willie Glenn durchaus als angenehme Erscheinung bezeichnen, und doch wollte sie dieses Gespräch vermeiden, das sie schon so oft zuvor geführt hatten.
Vika brachte den Korb vor sich, und Willie rückte ein wenig von ihr ab. »Ich habe dir meine Meinung dazu bereits gesagt, Willie.«
»Und ich habe dir gesagt, dass du es dir gründlich überlegen sollst.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf sie hinab.
Vika wandte den Blick ab.
Arch hüpfte auf der anderen Straßenseite die Stufen zum Pub hinauf und verschwand dann im Innern des großen Hauses.
»Vika!«
»Schon gut.« Eilig drehte sie sich wieder zu ihm um. »Willie, ich habe dir meine Entscheidung schon mehr als einmal mitgeteilt. Und daran wird sich auch nichts ändern.« Alle paar Monate fing der Mann erneut von dieser Sache an. Anfangs hatte es Vika geschmeichelt, doch nun wurde es langsam unangenehm. Willie musste inzwischen an die dreißig Jahre alt sein, und ihr war klar, dass er wohl endlich eine Familie gründen wollte. Sie war immer ehrlich gewesen, wenn es um dieses Thema ging. Vermutlich war es an der Zeit, noch deutlicher zu werden. »Du weißt, dass ich dich schätze, aber das ist zu wenig. Für eine glückliche Ehe braucht es Liebe von beiden Seiten, und das kann ich dir nicht geben.«
Willie schluckte, dann schnellte sein Arm vor, und er deutete auf den Pub. Das Sandsteingebäude thronte zwischen den kleineren, wenig eindrucksvollen Häusern. »Er wird dich niemals heiraten, Vika. Das hätte er längst getan, wenn er es vorhätte.« Seine Stimme bebte.
Vika schnappte nach Luft. Ihre Hände umklammerten den Griff des Korbs, während Willies Gesichtsfarbe einen ungesunden Rotton annahm.
»Der verdammte Mistkerl hätte sich in Flandern erschießen lassen sollen!«, brach es aus ihm heraus.
»Wie kannst du nur!« Vika trat einen Schritt zurück und stieß gegen eine Kiste Äpfel. Strafend schüttelte Mrs. Malloy hinter der breiten Scheibe den Kopf, doch Vika ignorierte sie. »Ich würde dich in hundert Jahren nicht heiraten. Das hat nichts mit ihm zu tun«, zischte sie.
»Er ist ein schlechter Mensch, Vika. Das wissen wir doch beide.« Ihre Worte hatten ihn getroffen, das war kaum zu übersehen.
Vikas Herz raste, und ihr Blick verharrte auf der Pubtür. Starrte sie dorthin, um nicht zu Willie sehen zu müssen, oder weil sie herausfinden wollte, wie viel Wahrheit in seinen verbitterten Worten lag?
»Wer ist ein schlechter Mensch?«, hörte sie eine Frauenstimme herausfordernd fragen. Bonnie, Gott sei Dank. Vikas Blick wurde von dem der jungen Frau aufgefangen. Kaum merklich nickte Bonnie ihr zu, dann stellte sie sich neben Vika und hakte sich bei ihr unter.
»Guten Morgen, Willie. Also, worum geht es hier?«
»Vergiss es«, presste er zwischen den Zähnen hindurch. Seine Abneigung gegen Bonnie war nicht zu übersehen. Und das, obwohl die aufopferungsvolle Krankenschwester doch sonst von jedem im Ort geschätzt wurde. Nur nicht von den Glenns. Daran hatte auch die Tatsache, dass Bonnie im vergangenen Jahr vermutlich das Leben von Willies Schwester Kate gerettet hatte, als diese wie so viele in Foxgirth an der Spanischen Grippe erkrankt war, wenig geändert. Die Glenns und die Dennons, zu denen Bonnie nun einmal gehörte, verband ein glühender Hass, den Vika bis heute nur ansatzweise verstand. Sie kannte die Gerüchte darüber, was Willies Vater angeblich getan hatte, doch ob diese hinter vorgehaltener Hand erzählte Geschichte wirklich stimmte, das konnte Vika nicht beurteilen. Wer wusste schon, was vor einem halben Leben wirklich vorgefallen war? Bonnie jedenfalls hatte nie offen die Abneigung gezeigt, die einige ihrer Geschwister gegenüber den Glenns an den Tag legten, was Vika Respekt abnötigte. Willie hingegen war heute zu weit gegangen. Manche Dinge sprach man nicht aus. Man dachte sie nicht einmal.
Willie wandte sich noch einmal an Vika, die sich zwang, erhobenen Hauptes aus diesem unglückseligen Gespräch herauszugehen, und das Kinn vorreckte. Für einen verschwindend kurzen Moment sahen sie sich an, dann stapfte Willie wie eine Dampflock davon.
»Fehlt nur noch der Rauch, der ihm aus den Ohren steigt«, murmelte Vika und sah ihm über die Schulter nach.
»Wie treffend«, sagte Bonnie lachend.
»Zum Glück bist du gekommen.« Vika lächelte sie dankbar an.
»Du weißt, ich bin...
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