Das Schwert des Michael
(Teil 2)
von Thilo Schwichtenberg
Nicole stand in Flammen! Merlins Stern hatte sich mit ihr zum Flammenschwert vereinigt und zehrte sie nun langsam, aber sicher aus.
Zamorra musste das echte Flammenschwert finden!
Doch das war nur eines der Probleme. Denn zwei der größten Streiter des Lichts wurden gegeneinander ausgespielt!
Entweder Merlins Stern gab seine ganze Macht in Michaels Flammenschwert - oder der Erzengel erhielt sein Schwert nicht zurück und Zamorra behielt das Amulett.
Frankreich. Château Montagne
»Puh.« Taran in der Gestalt von Butler Thomas kehrte in sein Zimmer zurück.
Er lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, schaute auf den richtigen Thomas, der erwartungsvoll und ohne Erstaunen das plötzlich aufgetauchte Spiegelbild betrachtete.
»So geht das nicht weiter!« Die Gestalt des stehenden Butlers schien sich für einen Moment zu verflüssigen, dann stand plötzlich ein silberhäutiger, unbekleideter junger Mann an dieser Stelle. »Das aber alles so verzwickt sein muss!«
Taran stieß sich mit dem Rücken von der Tür ab. »Ich musste der alten Claire zur Hand gehen! Ich bin doch kein Altenpfleger!« Gut, dass er vorher Thomas' Erinnerungen angezapft hatte. Wenn es Taran recht betrachtete, hatte er noch nie körperlich gearbeitet. Alles war ihm schwergefallen! »Ich musste doch glattweg den Müll trennen! Kannst du dir das vorstellen? Das ist voll eklig. Kein Wunder, dass das die alte Schachtel nicht selber machen will.« Taran verzog das Gesicht. »Das ist so eine profane Arbeit. Dass du das jeden Tag machen kannst, freiwillig noch dazu.« Er schüttelte ungläubig den Kopf.
Der richtige Thomas lag auf dem Bett und lächelte seinen neuen Gefährten nur an. Er wirkte trotz dieser Ungeheuerlichkeit teilnahmslos. Taran hatte ihm zuvor seinen freien Willen genommen, hatte ihn auf dem Bett »abgelegt«, wie er Kyra im Nachbarzimmer »abgestellt« hatte.
Auch sie hatte sich letztendlich gegen ihn gestellt.
»Das alles beginnt mir langsam über den Kopf zu wachsen«, murmelte das Amulettwesen verbittert. Lügen erforderten immer weitere Lügen. Es wurden immer mehr, die immer schwieriger zu handeln waren.
Taran setzte sich neben Thomas auf das Bett und seufzte.
Wie hatte das alles nur so weit kommen können?
Im Safe. Im Safe hatte alles begonnen! Und im Amulett, Tarans Heimat.
Plötzlich war da diese übermächtige Präsenz gewesen. Diese unbekannte, gewaltige und unberechenbare Entität, vor der Taran schon seit einigen Monaten Angst hatte.
Im letzten Moment hatte er fliehen können. Unbemerkt.
Taran ergriff Thomas' rechte Hand und drückte sie fest.
Konnte er jemals wieder in sein Amulett, in seine Heimat, zurückkehren?
Nein, wenn er ehrlich zu sich war. Denn das Amulett würde dank Zamorra bald nicht mehr existieren.
Sicher, Nicoles Leben stand auf dem Spiel.
Aber was war mit seinem Leben? Interessierte das niemanden?
Und ja, er war ein ängstliches Wesen, hatte früh gelernt, was es bedeutete, immer einer tödlichen Bedrohung ausgesetzt zu sein und ihr permanent auszuweichen zu müssen. Shirona war stark gewesen. Fast zu stark.
Mittlerweile existierte sie nicht mehr. Aber diese allgegenwärtige Bedrohung, die prägte ihn natürlich. Das galt auch für ein magisches Bewusstsein, dass sich einen realen Körper erschaffen hatte.
Diese Welt war nichts für ihn. Taran liebte es sicher und gemütlich. Das alles hielt das Amulett für ihn bereit. Nun ja, Zamorra und Nicole, die nervten von Zeit zu Zeit, scherten sich einen Dreck um seine Privatsphäre, quasselten einfach drauflos, als wenn er mit Wikipedia verheiratet wäre. Aber auch das hatte er mit durchaus zynischen Gegenkommentaren bisher ganz gut gemeistert,
Doch kaum war er wieder auf der Welt, ging alles schief.
Er sah auf Thomas, ließ sich von ihm umarmen.
Ja, er mochte den Butler. Und doch, wisperte ein Stimmchen in ihm, manipulierst du ihn nach Strich und Faden.
Taran ignorierte es.
Aber das Stimmchen konnte nicht manipuliert oder gar abgeschaltet werden.
Sollte Thomas jemals wieder einen freien Willen besitzen, was glaubst du: Würde er dir verzeihen? Würde er dein Handeln verstehen oder sogar gutheißen?
Taran drückte Thomas noch fester.
Du kennst die Antwort sehr genau. Dann mach mal ruhig weiter mit deinen Manipulationen.
Italien. Palazzo Eternale.
Mysati seufzte laut und deutlich.
War ja keiner da, der es hören konnte.
Okay, das war so nicht richtig.
Vor ihr lag Nicole Duval - in Flammen!
Zamorras Lebensgefährtin lag auf dem Bett.
Auf dem unbekleideten, makellosen Körper, loderten die Flammen. Nicht hoch, sodass Nicole darunter noch zu erkennen war.
Wenn nicht bald etwas passierte, wenn wirklich keine Hilfe nahen würde, dann würde Nicole zwar nicht verbrennen, jedoch langsam aber sicher ausgezehrt werden.
Denn was loderte, benötigte Energie.
Die kleine Frau mit den türkisfarbenen Haaren ballte die Fäuste. Was für ein fieses Ultimatum - ohne jemals gestellt oder ausgesprochen worden zu sein!
Mysati gehörte zur Kindergeneration der Herrscher. Zur alleingelassenen und über die Äonen degenerierten Kindergeneration. Jedes dieser uralten Kinder hatte sich seine eigene Welt aufgebaut, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun gehabt hatte. Aber woher sollten sie es auch wissen? Sie lebten wohlbehütet und abgeschirmt unter der Kuppel und brieten im eigenen Saft, während sich die Eltern im Kampf um die Angst längst aufgerieben hatten.
So hatte auch sie sich ihre eigene Welt aufgebaut. Sie hatte Ted beherrschen wollen, hatte ihn von seinem geistigen Leiden zwar geheilt, aber gleichzeitig auch an sich gebunden, damit sie aus ihrem Gefängnis unter der Kuppel endlich herauskam.
Sie hatte nur eines nicht bedacht: Sie hatte sich in diesen großen Jungen namens Ted... verliebt und war schlussendlich mit ihm auf die Erde gezogen.
Man konnte sich also ändern.
Ted Ewigk, der Geisterreporter, und sie, die Giftmischerin, lebten nun ihr eigenes Leben. Aus der Hassliebe war Liebe geworden, durchzogen von der einen oder anderen Stichelei. Und manchmal mussten sie sich sogar für eine Weile aus dem Weg gehen.
Aber im Großen und Ganzen harmonierten sie, ergänzten sich, fast so, wie es Zamorra und Nicole taten.
Ted hatte Mysati sogar von Carlotta erzählt, seiner großen Liebe.
Mittlerweile wusste er, das Carlotta unheilbar krank gewesen war und deswegen, ohne ihm Bescheid zu geben, verschwunden war. Sie wollte ihm ihren Anblick ersparen. Zamorra und Nicole hatten sie auf einer der Welten angetroffen. Sie hatten ihr Sterben begleitet. Ted wusste das alles mittlerweile. Er hatte Ruhe gefunden, hatte Ruhe finden müssen. Er war ein Langlebiger, ein Unsterblicher. Er trug Zeus' Gene in sich und das Lebenswasser.
Mysati war ebenfalls eine Langlebige. Wie lange ihre Beziehung jedoch halten würde?
Gedankenverloren zuckte Mysati mit der Schulter. Sie entkorkte eine Flasche Elixier und beträufelte damit Nicoles Körper. Die Flüssigkeit brachte Linderung, hielt den Zerfall minimal auf.
Besser minimal als gar nicht! Mehr konnte Mysati im Moment nicht für Nicole tun. Mehr wollte sie auch nicht tun. Es war ein Ultimatum. Denn, wenn sie es schaffte, Nicole aus der misslichen Lage zu befreien, wer wusste schon, welche Mächte sie dann auf den Plan rief? Und Zamorra und Ted waren unterwegs. Sie musste ganz einfach den beiden Jungs vertrauen.
Mysati seufzte abermals und setzte sich zu Nicole.
Die Zeit des Wartens begann...
Wales. Caermardhin
Da waren sie also wieder, dachte Zamorra.
Wann würden sie einfach mal so nach Caermardhin kommen?
Er lachte innerlich auf. Wohl gar nicht.
Sara Moon, die Herrin von Merlins Burg, hatte Ted Ewigk und Professor Zamorra dank des zeitlosen Sprungs übergangslos von Italien nach Wales mitgenommen.
Wieder einmal befanden sie sich mitten in einem Abenteuer, auf das Zamorra liebend gern verzichtet hätte.
Er und Nicole waren von Ted und Mysati in den Palazzo Eternale eingeladen worden und hatten dort Silvester zusammen gefeiert.
In der Neujahrsnacht war es dann passiert. Merlins Stern hatte sich vom Château aus direkt auf Nicoles Brust gelegt und damit das Flammenschwert ausgelöst, ohne, dass es zu einem Angriff der Finstermächte gekommen war.
Das Flammenschwert, die mächtigste Waffe gegen die Angriffe aus der magischen Welt ...
Sara hatte die beiden Freunde in eine Art Wohnzimmer geführt, obwohl das auch nicht der richtige Begriff war, wie Zamorra fand. Sara Moon liebte es sachlich, praktisch und ohne Schnörkel.
Ganz im Gegensatz zu ihrem Vater. Doch Caermardhin war seine Burg gewesen, und so musste sie sich wohl oder übel mit manchem Zierrat arrangieren.
Das Wohnzimmer war also ein recht spartanischer Ort mit gediegenen Wänden.
Man konnte es regelrecht fühlen,...