Schweitzer Fachinformationen
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Mein Glück als Bäcker ist, dass deutsche Auswanderer sich irgendwann nach deutschem Brot sehnen und dass dann irgendjemand ihre Sehnsucht erfüllt und anfängt, Brot zu backen. Meistens sind das nicht die schlechtesten Orte, um dort ein wenig zu verweilen. Man wandert gewöhnlich nicht in die Slums dieser Welt aus. Auch Astrid hatte irgendwann einmal beschlossen, Brot zu backen. Zunächst für einige Freunde und Freunde von Freunden. Vollkornbrot in Kastenform, wie man es aus der Zeit der Reformhäuser der 80er Jahre kannte, als für Gesundheit noch ein gewisser Masochismus erforderlich war und ökologisch noch nicht zum Life-Style-Kult unserer Tage erklärt wurde. Sie verkaufte die Brote unter der Hand und zu einer Zeit, als der spanische Tourismus bei Marbella endete und nur Insider etwas über die Costa de la Luz wussten. Als das Business wuchs, gründete sie eine Bäckerei. Ihre Rezepte entnahm sie ominösen, fundamentalistischen Zeitschriften wie "Schrot und Korn" oder zerfledderten Büchern wie "Die Vollkornfibel", die Weißmehl und Zucker gefährlicher für den Weltfrieden einschätzten als islamische Terroristen. Ihre Panaderia2 Die Vollkornbrezel lag in einer alten Mühle am Rande von Leticía und arbeitete nach dem Motto: "Wenn's auch staubt im Mund, egal, hau doch noch 'ne Schaufel Kleie rein." Für die Einrichtung der Backstube hätte jedes historische Museum Geld gezahlt. Der Ofen feierte locker seinen 50. Geburtstag, die Knetmaschine war nur durch mühevolle Handarbeit mittels eines riesigen Drehrades in Gang zu setzen, und als ich mich weiter umblickte, sah ich, dass sie hier mit Gartenhandschuhen die Bleche aus dem Ofen zogen. Was sie aus dem Ofen zogen, untertraf alle meine Erwartungen. Ich hatte als Bäcker schon einiges in einigen Ländern gesehen und ich hatte meine eigene Vorstellung, wie ein gutes Brot zu sein hatte, Pflastersteine, die man mühelos zum Hausbau verwenden konnte, waren jedoch noch nie mein Ding. Ideologisches Backen nannte ich sowas, denn es schien, dass ihre vielen deutschen Kunden, es gab unter ihnen eine auffällige Häufung an ehemaligen Soziologiestudenten, neben Adorno und Habermas auch noch durch eine Sozialisation im Geschmack verbunden waren. Während ich an einer trockenen Laugenbrezel kaute und das Für und Wider eines Spanienaufenthalts abwägte, verstand ich plötzlich das Paradoxe dieser Emigration. Menschen, die der Biederkeit und dem Stillstand Westdeutschlands entkommen wollten, waren in der Ferne selbst Vorreiter einer Konservation, Bewahrer des Vergangenen. Wie ein Betriebssystem, das keine Updates mehr erhielt, pflegte man hier die alternativen Geschmacksnuancen der 80er Jahre, während in Deutschland inzwischen Bio-Supermärkte aus dem Boden schossen, die die Widersprüche aufhoben und es einem gestatteten, mit einem Porsche Cayenne auf ökologische Einkaufstour zu gehen. Der Preis wurde zum Kriterium der sozialen Abgrenzung. Es ging dabei nicht mehr um eine Lebenseinstellung aus Überzeugung, sondern um soziales Prestige. Der modische Wechsel von Nussallergie zu Zöliakie war dabei ein akzeptiertes Status-Upgrade. Hier lebten hingegen die Ökos de la Guardia Vieja. Alte Schule, 100 Prozent Straight-Edge-Vollkorn ohne Kompromisse, frei nach dem Motto: "Was gut schmeckt, kann unmöglich gesund sein", und vermutlich lagen sie damit der Wahrheit sogar näher als die Menschen, die glauben, Bio-Pizza oder glutenfrei habe grundsätzlich etwas mit Gesundheit zu tun. Es waren Menschen, die noch so etwas wie Charakter besaßen, völlig gleichgültig, ob man ihnen zustimmen mochte oder nicht. Man stieß wenigstens auf eine Meinung und man konnte sich auch sicher sein, man würde morgen wieder auf die gleiche Meinung bei eben dieser Person stoßen. Auch die Grundsätze der Meinungsbildung waren hier, wenn man so will, antik, sie gingen der Internetzeit, in der grundsätzlich jeder alles wusste und man auch zu allem eine Meinung haben musste, voraus. Das bedeutete nicht, dass die Meinungen dadurch automatisch besser waren, man sah nur, wenn man diese ruhende Welt betrachtete, um so deutlicher diese andere virtuelle Welt gespiegelt und sie erschien einem im höchsten Maße hysterisch.
Ich war kein Gesundheitsfanatiker und ließ die Laugenbrezel unauffällig in meiner Tasche verschwinden. Eines der zahlreichen Pferde am Wegesrand würde sich sicher darüber freuen. Ich ahnte, warum der Laden Erfolg hatte. Er hatte sich perfekt auf seine Kundschaft eingestellt, die nichts so sehr misstraute wie dem Perfekten und in dieser Genügsamkeit zufrieden waren. Ich war in den letzten Jahren zu wenigen zufriedenen Menschen begegnet. War ich mal sporadisch in Deutschland, so hatte ich das Gefühl, dass die meisten Menschen dort ohne eine Grundunzufriedenheit gar nicht mehr auskamen, auch banalste Dinge ständig politisierten, kein Gefühl mehr für die tieferen Schönheiten besaßen und sich in ihrem Hass eingerichtet hatten. Das Denken der Alternativlosigkeit hatte sich ausgebreitet wie ein hässlicher Virus, dabei war es manchmal nur ein kleiner Schritt in eine andere Richtung, der eine neue Perspektive einbrachte. Man musste dafür gewiss nicht um die Welt reisen, aber wenn man die Welt bereiste, dann spürte man, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gab. Die feineren Schattierungen fächerten sich mit jeder Reise mehr auf und untergruben den eigenen Wahrheitsanspruch, machten einen sensibler und achtsamer. Den Menschen dieses Landstriches hier lag der Hass fern. Die Autos waren zwar verbeult, die meisten Menschen waren nicht mit materiellem Reichtum gesegnet, aber man spürte diese Zufriedenheit und innere Gelassenheit. Ich vermute, ich spürte diese Zufriedenheit auch deshalb so stark, weil ich die Jahre zuvor in Bukarest in einer Welt gelebt hatte, die dieses Wort nicht kannte. Die Stadt rannte mit ihren Minderwertigkeitskomplexen gegenüber Mitteleuropa ruhelos von einem Hype zum nächsten. Es war eine Welt, die sich völlig dem Materialismus verschrieben hatte. Eine Welt, in der die Vorstellung, etwas könnte auch ohne einen messbaren Wert wertvoll sein, kaum existierte. Alle theoretischen Möglichkeiten und praktischen Unmöglichkeiten der Globalisierung trafen in dieser Metropole aufeinander. Bukarest, das waren Kneipen mit schillernden Bierkarten, die 100 Biere aus aller Welt anpriesen, von denen dann dennoch aus vielerlei Gründen immer nur Heineken und sein lokaler Ableger Ciuc verfügbar waren. Keine Stadt zeigte mir so deutlich wie Bukarest, dass dieses gesamte glitzernde System des Everything goes scheitern musste und ich merkte gerade deshalb, wie ich Astrid und Lutz, Hannes und die anderen Menschen, die diese Seiten mit ihren Charakteren füllen, ihrer Schrullen wegen mochte. Ich mochte sie, weil sie sich in ihrer Art der Perfektion verweigerten und dadurch menschlich blieben. Sie waren in eine andere Zeit hineingeboren, eine Zeit, in der der Aufbruch in die Welt noch Reichtum und Zauber versprach, in der Menschen mit einem VW-Bus nach Indien fuhren, ohne sich groß Gedanken um etwaige Gefahr zu machen und das Fremde nicht mit Angst und Hass belegt wurde. Auch das hatten diese Migranten aus dem Norden irgendwie konserviert oder in sich am Leben gehalten. Das völlige Fehlen von Misstrauen gegenüber der Welt und im Besitz einer gewissen Naivität, die um die Härten wusste, ohne ihnen gänzlich das Feld zu überlassen.
Mein Handy klingelte. Lutz rief an.
"Wie es der Zufall will. Oben in Marbella verkauft eine Bekannte ihren VW Polo Kombi. 120000 Kilometer. Baujahr 1998. Benziner, gut in Schuss. 1000 glatt. Biste dabei?"
Ich überlegte kurz und sagte dann zu. Vollkornbrezel und verstaubte Ideale hin oder her. Es gab im Moment schlechtere Orte auf dieser Welt. Für eine Weile ließ es sich hier ganz gut leben.
"Okay, ich mach das klar und sag dir Bescheid, wo ihr euch treffen könntet. Gudrun verkauft ihre Marmeladen auf den Märkten entlang der Costa del Sol. Das wäre 'ne Möglichkeit oder du fährst hoch nach Marbella. Is' 'ne nette Strecke. Nimm die 340. Für die Autobahn zahlt man ein Vermögen. Ich schick dir ihre Nummer per Whatsapp."
Ich rief Gudrun an und wir vereinbarten, uns am nächsten Tag beim Zoo in Estepona zu treffen. Ich sollte, wenn möglich, kleine Scheine mitbringen, dazu meinen Pass und meine NIE, die spanische Arbeitserlaubnis.
Beim Zoo in Estepona mit kleinen Scheinen um elf Uhr morgens. Das klang, als würde man etwas anderes in Empfang nehmen als einen 98er VW Polo. Marmeladenköchinnen kamen auf seltsame Einfälle.
Der Wagen jedoch war in Ordnung, der Lack hatte durch die spanische Hitze einiges abbekommen, aber das war mir egal. Ich fuhr eine Runde und hörte keine verdächtigen Geräusche. Damit war mein Wissen beim Autokauf auch schon völlig ausgeschöpft. Ich zahlte mit einer Rolle von Zehnern und Zwanzigern. Astrid hatte durch ihre Märkte jede Menge davon, und als ich sie fragte, ob sie mir mal schnell das Geld auslegen konnte, drückte sie mir ohne zu zögern das Bündel in die Hand.
"So viel Kleingeld. Ich wollte doch nur sagen, dass du nicht mit 500-Euro-Scheinen kommst. Die bekomme ich hier nämlich nicht getauscht", meinte Gudrun, die sich mit ihrer Holzkugelkette und ihrem karmesinroten ponchoähnlichen Überhang als eine Marmeladenköchin erwies, die nahe an meinen Vorstellungen war.
500-Euro-Scheine! Hätte ich die so locker in der Portokasse, dann würde ich wohl kaum um einen 98er VW Polo buhlen.
Gudrun schenkte mir noch ein Glas ihrer selbstgemachten Mangomarmelade. Ich dankte ihr und dachte daran, die Karre mal ein wenig die Küste entlangzujagen. Laut ITV-Bericht hatte sie in den letzten Jahren gerade mal 2000 Kilometer pro Jahr...
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