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Ich stand vor der Jägerstraße 5. Herr Owen hatte mir ohne Weiteres zu verstehen gegeben, dass er über keinen Zweitschlüssel der Wohnung verfügte. Die Wohnung hatte Eve bereits von Amerika aus gemietet. Ihr alter Herr hatte trotz des horrenden Preises tapfer die Zähne zusammengebissen, um seiner Tochter nicht den Promotionsaufenthalt in dem Land zu verderben, in dem er vor Jahrzehnten seinen Militärdienst geleistet hatte. Inzwischen hatte der Wind sich abgeschwächt. Nur hin und wieder fiel ein vereinzelter Tropfen vom Himmel, und die Sonne schaute immer häufiger zwischen den am Firmament umherflatternden Wolken heraus.
Das Haus gehörte definitiv nicht zu den exklusivsten in der Gegend, sah aber immer noch nobel genug aus, um für ein unteres sechsstelliges Jahreseinkommen zu teuer zu sein. Die Nachbarhäuser waren teilweise neuer und die Fassaden richtig schön herausgeputzt. Ich tippte, dass dort die Versicherungs-?, Bank- und Managertypen wohnten, für die es zu einer Villa in Grunewald oder Dahlem noch nicht ganz reichte. Vielleicht mochten auch ein paar der Bewohner das Berliner Innenstadtflair und setzten deshalb einen Haufen auf eine Villa im Grünen. Hätte ich genauso gemacht, aber mein Geld hätte weder hier noch dort für eine Besenkammer gereicht.
Für eine Doktorandenbude war das Haus in etwa so nobel wie die Örtlichkeiten des Vatikans für einen Bettelmönch. Und hinzu kam das Einmaleins der Immobilienbranche: Lage, Lage, Lage. Gendarmenmarkt, Brandenburger Tor, Regierungsviertel und nicht zuletzt die Humboldt-Universität in Laufweite, solange man nicht unter Gehbehinderungen litt. Viel besser ging es nicht.
Aus dem Bauch heraus hätte ich gesagt, dass Eves Wohnhaus der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entstammte. Das weiß gestrichene Gebäude mit grauer Grundierung zwischen Keller und Erdgeschoss hatte drei Stockwerke und Dachgeschosse. Zwischen den Stockwerken befand sich aufwendige Stuckarbeit.
Nach Owens Angaben hatte seine Tochter im zweiten Stock gewohnt. Ich seufzte und malte mir aus, was ich mit reichen Eltern alles hätte studieren, erforschen und für die Welt hätte tun können. Doch dann fiel mir wieder ein, dass das Hauptproblem nicht nur das fehlende Geld gewesen war, denn genügend Studierende sorgten ja selbst für ihren Lebensunterhalt. Vielmehr ging es um mein Interesse an dem, was ich das wahre Leben nannte. Das Leben, das sich tagtäglich auf den Straßen abspielte. In den Niederungen und an den Rändern der Gesellschaft. Vielleicht war ich gerade deshalb Privatermittler geworden, um im Dreck anderer Leute herumzuschnüffeln oder aber anderen zu helfen, den Unrat im eigenen Haus zu beseitigen.
Ich überquerte die Straße und wurde auf einem Pop-up-Fahrradweg beinahe von einem Lieferando-Fahrrad über den Haufen gefahren. Der Lieferant hatte extra noch heftiger in die Pedale getreten, als er sah, dass ich seinen Weg kreuzen würde. Das war ich von Berlin gewöhnt. Hier gab es alles: militante Autofahrer, militante Radfahrer und sogar militante Fußgänger. Preußens Prägung ließ grüßen.
»Hey, pass doch auf, Vollpfosten!«, rief der junge Mann mir lautstark zu, als er aber beinahe schon um die nächste Ecke gebogen war. »Hast keene Oogen im Kopp, du Depp?«, schickte er noch einen weiteren freundlichen Gruß hinterher, während mein Mittelfinger ihm eifrig hinterherwinkte.
Eine weitere Erwiderung sparte ich mir - das Verhalten gehörte einfach zum Großstadtkiez dazu. Als ich die Klingelschilder inspizierte, fand ich schnell E. Owen. Wie vorhergesagt zweiter Stock. Ich musterte kurz die Eingangstüre und schwankte noch zwischen Dietrich-Set und der Paketdienst-Nummer. Doch die Entscheidung wurde mir abgenommen, denn eine Dame um die siebzig öffnete die Türe. Sie war in einen viel zu warmen Pelzmantel gekleidet und wollte ihre Louis-Vuitton-Tasche und ihren kleinen Hund spazieren führen, der mich argwöhnisch ansah, sodass ich um die Gesundheit meiner Fußknöchel fürchtete. Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen.
»Danke schön«, sagte ich so höflich wie möglich und schenkte ihr ein Lächeln, das wie die aufgehende Sonne wirken sollte.
»Zum wem wolln Se denn, junger Mann?«, fragte das Berliner Urgestein, als ich bereits die weiß glitzernde Treppe erreicht hatte.
»Eve Owen erwartet mich.«
»Die kleine Ami-Hure hatts aba dringend nötig«, hörte ich noch.
Die Aussage irritierte mich, hatte doch ihr Vater ein ganz anderes Bild von ihr vermittelt. Vielleicht war Berlin ja der Ort für sie, an dem sie sich von allem alten Ballast freischwimmen konnte. Im zweiten Stock angekommen, hielt ich kurz inne und lauschte. Aus keiner der beiden Wohnungen war ein Geräusch zu hören. Ich atmete auf und klebte kurzerhand meinen Kaugummi über den Türspion der gegenüberliegenden Wohnung. Danach inspizierte ich in aller Schnelle Türe und Schloss. Alles 08/15. Ich drückte prophylaktisch gegen die Tür, die aber erwartungsgemäß keinen Millimeter nachgab. Dann zückte ich meine Payback-Karte, die ich ohnehin nie nutzte, außer in Ausnahmefällen zum Harken von Lines, und probierte es damit.
Zu meiner großen Überraschung gab die Tür nach wenigen gut geübten Handbewegungen nach. Eve war entweder zu Hause oder hatte beim Verlassen der Wohnung nicht abgeschlossen. Wie immer, wenn ich ungebeten fremdes Territorium betrat, machte sich mein Herz durch besonders laute Schläge bemerkbar. Ich ging einen Schritt in den Flur hinein und zog die Wohnungstür leise hinter mir ins Schloss.
»Hallo?«, fragte ich zaghaft.
Es herrschte Stille. Zum Glück hatte ich meinen Revolver griffbereit. Es war eine gefährliche Welt, und Berlin war einer der Nabel der Welt. Noch Fragen?
Schnell checkte ich oberflächlich die zwei Zimmer, die Küche und das Bad. Niemand war zu sehen.
Als Erstes nahm ich Eves Schlafzimmer unter die Lupe. Auf dem Schreibtisch lagen dicke Bücher. Hegel, Schelling, Fichte und Kant - alle im Original. Schwere Kost, befand ich. Dann einige Lexika über Philosophen, Technikphilosophie, die meines Erachtens nicht wirklich dazu passte, und dickleibige Monografien über die philosophischen Grundlagen des Deutschen Idealismus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand dieses Thema freiwillig bearbeitete, und wusste kaum noch den Titel ihrer Dissertation, den ihr Vater mir genannt hatte.
Ein US-amerikanischer gelber Notizblock lag aufgeklappt da, wobei mindestens fünfzig handbeschriebene Seiten nach hinten gebogen waren und circa dreißig Seiten noch auf Erkenntnisergüsse warteten. An Ernsthaftigkeit mangelte es Eve offenbar nicht, aber mich irritierte, dass ich keinen Laptop auf dem Schreibtisch oder anderswo finden konnte. Innerlich wettete ich einen Hunni, dass sie einen Mac hatte, wobei das christlich-republikanische Elternhaus dem eindeutig zu widersprechen schien und eher einen HP oder Dell nahelegte. Die Durchsuchung der unverschlossenen Schubladen brachte keine Ergebnisse von besonderem Interesse.
Das Zimmer war weder exklusiv noch billig eingerichtet. Die Möbel stammten nicht aus dem großen schwedischen Möbelhaus, waren aber auch keine Maßanfertigungen. Die Größe des Betts war eine gelungene Mischung zwischen Ein- und Zweipersonenbett. Auf dem Nachtischschränkchen standen ein elektronischer Wecker und ein weißes Glas, das zu einem Drittel mit Kondomen in bunten Farben gefüllt war. Während ich mich noch fragte, ob sie es dezenter fand, das Glas nur zu einem Drittel zu füllen, und mit wem sie gegebenenfalls die anderen zwei Drittel verbraucht hatte, fiel mein Blick auf die Wand. Dort hing ein künstlerisch anspruchsvolles Foto der Skyline von Seoul in einem hochwertigen Rahmen.
Am Kleiderschrank hing ein Post-It-Zettel mit dem aus der Mode gekommenen Aufdruck »Gib AIDS keine Chance« sowie einer Telefonnummer und dem handschriftlichen Vermerk »Call«, der zweimal unterstrichen war. Das passte nicht zum Kondomglas. Der Kleiderschrank offerierte Einblicke in das Konsumverhalten der blonden Eve. Die Kleidung war weder exklusiv noch überteuert, aber wies einen guten Geschmack auf. Eve schien einen zeitlosen Stil zu bevorzugen.
Ich nahm das Foto aus meiner Lederjacke, das mir Owen gegeben hatte. Auf ihm stand die blonde Eve in einem unschuldig-weißen Kleid. Ihre blonden, ein wenig gelockten Haare gingen ihr bis über die Schulter. Die blauen Augen lagen eine Spur zu nahe beisammen, und die Nase war eine winzige Spur zu groß. Vielleicht war der Mund das Schönste an ihrem Gesicht. Sie hatte rote und volle Lippen, die Vorfreude aufkommen ließen. Ansonsten war sie vermutlich zwischen 1,70 und 1,80 Meter groß, recht schlank und besaß einen normalen Vorbau, also weder Mäusefüße noch Monstertitten.
Ich konnte nicht gerade behaupten, dass ihr Anblick mir augenblicklich einen Steifen bescherte, aber nach ein paar Bieren hätte ich sie sicherlich nicht von der Bettkante gestoßen. Der besonders sittsame Eindruck auf dem Foto war sicherlich den Umständen geschuldet, denn dem hinter ihr stehenden Buffet nach zu urteilen war es auf einem Familienfest aufgenommen worden. Vielleicht strahlte sie im Alltag jede Menge sexuelle Energie aus, während sie auf dem Foto...
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