Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
"Die kranken Zustände sind übrigens dem wahren (dauernd-ewigen) näher, wie die sogenannten gesunden". (Friedrich Hebbel)
Politik und Medien sind sich seltsam einig: Das Corona-Virus infiziert und tötet nicht nur Menschen, sondern auch die Wirtschaft. Was dabei gerne übersehen wird: Viele Unternehmen, für die COVID-19 tödlich ist oder - ohne massive staatliche Beatmung - tödlich gewesen wäre, litten an Vorerkrankungen. Das Virus bedroht vor allem Leib und Leben jener Firmen, die nicht gesund sind.
In der Corona-Krise kombinieren sich mindestens vier Gebresten zu einer neuen, kaum beherrschbaren Krankheit: Gesundheitskrise, Strukturkrise, Konjunkturkrise und Sinnkrise - befeuert durch eine Ölpreiskrise. "Der Film, der vor unser aller Augen abläuft, besteht aus zwei Handlungssträngen. Vordergründig bestimmt die Corona-Krise das Geschehen. Im Hintergrund aber laufen die Prozesse einer globalen Transformation", kommentiert der ehemalige Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart.
Die Konjunktur war schon vorher schwach. Und Branchen wie beispielsweise die Automobil-Industrie, Einzelhandel, Hotellerie, Luftfahrt oder Stahl kämpften mit einem heftigen Strukturwandel. Ex nihilo kam 2019 zudem eine breite Debatte über den "purpose" von Unternehmen auf. Ein Vorstandschef nach dem anderen beeilte sich, medienwirksam ein "mea culpa maxima" zu intonieren und zu beschwören, dass sein Unternehmen künftig an einem höheren Zweck, am "purpose", aus- und aufgerichtet werde. Als Hohepriester des "purpose" inthronisierte sich dann ausgerechnet Larry Fink. Zuvor war der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock eher dafür bekannt gewesen, sich für höhere Rendite denn für höhere Zwecke zu passionieren.
Auf eine sinn-kriselnde, eine an lahmender Konjunktur und erlahmten Strukturen leidende Wirtschaft setzte sich dann der Corona-Virus. Und offenbarte gnadenlos die Schwächen im Immunsystem vieler Unternehmen: fragile mentale Verfassung, höchst anfällige globale Lieferketten, hinfällige IT-Infrastruktur, zu wenig Cash Flow, zu viel Fremdkapital, zu hohe Verwaltungskosten, zu geringe Aufmerksamkeit für das Risikomanagement usw.
Corona ist mithin nicht die Krankheit, sondern eher das Symptom eines sehr viel tiefer liegenden Leidens. "Dies läßt sich offenbar nur so erklären, daß jedes Zeitalter sich seine Krankheiten macht, die ebenso zu seiner Physiognomie gehören wie alles andere, was es hervorbringt: sie sind gerade so gut seine spezifischen Erzeugnisse wie seine Kunst, seine Strategie, seine Religion, seine Physik, seine Wirtschaft, seine Erotik und sämtliche übrigen Lebensäußerungen, sie sind gewissermaßen seine Erfindungen und Entdeckungen auf dem Gebiete des Pathologischen." Dies schreibt der große europäische Denker Egon Friedell in seiner "Kulturgeschichte der Menschheit." Im Jahr 1927 - nicht über Corona, sondern über die Pest als "Geburtsstunde der Neuzeit". Und weiter: "Der 'neue Geist' erzeugte in der europäischen Menschheit eine Art Entwicklungskrankheit, eine allgemeine Psychose, und eine der Formen dieser Erkrankung, und zwar die hervorstechendste, war die schwarze Pest. Woher aber dieser neue Geist kam, warum er gerade jetzt, hier, wie er entstand: das weiß niemand; das wird vom Weltgeist nicht verraten."
Hier soll nicht der - weitgehend untaugliche - Versuch unternommen werden, die Corona-Pandemie mit der schwarzen Pest zu vergleichen. Spannend ist die Frage, ob es auch bei uns diesen "neuen Geist", diese "Entwicklungskrankheit" gibt, die sich - sozusagen auf Gedeih und Verderb - Bahn brechen wollen. Und wenn ja, ob sich diese "Entwicklungskrankheit" schon vor Corona manifestiert hat.
Ich meine ja.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 zeigten sehr deutlich die Vulnerabilität eines formal grenzenlosen Globus und markierten das Ende hürden- und reibungsloser globaler Mobilität. Sie beendeten auch die Phase selbstverständlicher Sicherheit und Unversehrtheit für die westliche Welt. SARS im Jahre 2003 kündigte an, mit welcher Rasanz, Wucht und Reichweite Pandemien das Leben in einer globalisierten Welt paralysieren können. Die Finanzkrise 2008/2009 desavouierte die moralische und handwerkliche Dysfunktionalität der Finanzmärkte. Und das Unglück im japanischen Fukushima und dessen Ausläufer erschütterten den bequemen Irrglauben, dass Energie so einfach und für den Planeten folgenlos aus der Steckdose kommt.
Parallel und teilweise verknüpft entfaltete sich zudem in den letzten 20 Jahren die digitale Revolution, die nach und nach bis dato ertragreiche Geschäftsmodelle auf die Probe stellte: erst das klassische Zeitungs- und Zeitschriftengeschäft, die Musikindustrie, den stationären Handel, dann die Hotellerie, die Automobilindustrie usw.
Die Warnsignale, dass es so dauerhaft nicht weitergehen kann und wird, leuchteten in schrillstem Rot. Gesehen wurden sie von den wenigsten. Insbesondere in den obersten Führungsetagen der Wirtschaft gibt es eine erstaunliche Halsstarrigkeit, die akute Gefährdung oder gar das Ende des eigenen Geschäftsmodells frühzeitig anzuerkennen.
Etwas zynisch könnte man sagen, dass die Wirtschaft und deren Top-Entscheider eigentlich schon seit der Jahrtausendwende an einem Syndrom namens CORONA leiden: continuous reluctance of noting alerts.
Ein guter Indikator für die intellektuelle Verweigerungshaltung vieler Top-Manager ist die Münchner Sicherheitskonferenz. Sie versammelt seit über 50 Jahren jeweils rund um die Faschingstage in München das Who's who der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik. Hier werden heute die Themen diskutiert, die morgen auch für Wirtschaftsführer höchst relevant sind. Bis etwa 2010 verirrten sich allenfalls Rüstungsproduzenten dorthin. Und dem rührigen Vorsitzenden, Botschafter Wolfgang Ischinger, gelang es trotz aller Anstrengungen nicht, namhafte Vorstandschefs und Familienunternehmer zu überzeugen, dass die dort besprochenen Themen auch für die Wirtschaft enorm wichtig sind. Stattdessen erhielt er reihenweise hochnäsige Absagebriefe auf edlem Vorstandsbütten mit dem Tenor: "Wir sind nicht im Verteidigungsgeschäft tätig und haben deswegen kein Interesse."
Erst als Cyberangriffe merkliche Schäden in den Unternehmen anrichteten, machten sich einige Wirtschaftsführer nach München auf. Und wollten sich ex post kundig machen, was man denn hätte dagegen tun müssen. Für in der Zukunft liegende Risiken sind die (fast ausschließlich) Herren in den Chefetagen nach wie vor wenig zugänglich. Ich erinnere mich an den Vortrag von Bill Gates vor etwa 30 Top-Managern im Jahr 2017. Er warnte damals eindringlich vor genau dem, was jetzt eingetreten ist: eine weltweite Pandemie. Und deklinierte die (dramatischen) Folgen, (gigantischen) Kosten und (eilig) notwendigen Präventionsmaßnahmen haarklein durch. Die Ausführungen des Microsoft-Gründers wurden allenfalls mit "freundlichem Desinteresse", um die Formulierung eines ehemaligen Bundespräsidenten zu verwenden, bedacht. Ein paar jener CEO, die sich gern als hartgesottene Führer inszenieren, tuschelten im Anschluss an die Runde sichtlich amüsiert, dass der Auftritt und das Thema des Milliardärs doch etwas "schrullig" und "abseitig" gewesen sei.
Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar 2020 gab es deutliche Warnungen betreffend einer bevorstehenden Pandemie. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, ging in seiner Rede explizit darauf ein: "disease and insecurity are old friends." Und weiter: "epidemics have the potential to cause severe political, economic and social instability and insecurity. Health is therefore not just the health sector's business. It's everbody's business." Er drang damit bei den Top-Entscheidern nicht durch, obschon es in Deutschland bereits erste Corona-Fälle gab.
Einige der Wirtschaftsführer, die sich 2017 über die Rede von Bill Gates amüsierten und die Warnungen des WHO-Generaldirektors 2020 ignorierten, kämpfen übrigens gerade um das Überleben ihrer Firmen. Von der in München zur Schau getragenen Souveränität ist nicht mehr viel übrig.
Die durch Corona entstandene, aber - wie gesagt - nicht durch Corona verursachte "Jahrhundertkrise" hält den Eliten in der Wirtschaft den Spiegel vor. Und man ist geneigt, aus Nikolai Gogols Lustspiel "Der Revisor" zu zitieren: "Schilt nicht den Spiegel, wenn deine Fratze schief ist." Vieles deutet darauf hin, dass es in den Führungsetagen ein "Haltungsproblem" gibt, das am Ende mit ursächlich ist für die Krise, wie wir sie erleben. Die meisten Manager unterliegen nach wie vor dem Irrglauben, dass Sicherheit der Normalzustand und Unsicherheit die Abweichung ist. Und sie wurden sozialisiert, dass im Normalfall mit gutem Management...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.