Schweitzer Fachinformationen
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Mit einem ohrenbetäubenden Donnern brach das Gewitter los, als sie vor der neuen Polizeistation in Luzern in den Streifenwagen stiegen. Erst kürzlich war die Station von Meggen hierherverlegt worden, um die Ressourcen besser zu nützen. Die technische Ausstattung in Luzern war deutlich besser.
Der Regen prasselte unerbittlich auf den Asphalt, und die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Sanja setzte sich ans Steuer, befestigte das Blaulicht auf dem Autodach und brauste in Richtung Malters davon.
»Ausgerechnet bei diesem Wetter«, murmelte Sanja und spürte Noras fragenden Blick auf sich.
»Die Leiche wurde an der Kleinen Emme beim Schwellisee- Grillplatz gefunden«, erklärte sie knapp und konzentrierte sich auf das Fahren. Für Sanja war damit alles gesagt. Die Scheiben- wischer kämpften gegen die Regenmassen. Es war schwierig, die Strasse zu erkennen, weshalb Sanja langsamer fuhr.
»Ich kenne die Kleine Emme. Was ist das Problem?«, fragte Nora.
»Kennst du ihre zwei Gesichter?«, erwiderte Sanja, den Blick auf die Strasse gerichtet.
»Zwei Gesichter?«
»Bei Hochwasser wird sie zum reissenden Fluss. Gotthelf hat das beschrieben. Kennst du ihn?«
»Natürlich kenne ich Gotthelf«, sagte Nora knapp.
Sanja strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Vor nicht langer Zeit wurden beim Bad in Wolhusen einfach Autos vom Parkplatz weggeschwemmt. Einfach so. Im Kanton Bern sind die Verwüstungen oft noch schlimmer als bei uns. Deshalb spricht man von zwei Gesichtern.«
In diesem Moment zuckte ein Blitz am Himmel, und der darauffolgende Donnerschlag liess Nora zusammenfahren. Unglaublich. Kaum hatte sie ihre neue Stelle angetreten, war sie bereits mit einem Toten mitten in einem tobenden Gewitter konfrontiert. Das war aufregend, wirklich aufregend. Sie fröstelte und spürte ihre innere Anspannung sowie ein leichtes Zittern, das sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Nora wusste nur zu gut, was das bedeuten konnte. Bevor sie vor einigen Jahren die Diag- nose erhalten hatte, war ihr das öfter passiert. Seither hatte sie die Situation im Griff, aber die Angst vor einem Zusammenbruch auf- grund einer Unterzuckerung war ihr permanenter Begleiter. Heute hatte sie gespritzt, aber viel zu wenig gegessen. Schnell steckte sie sich ein Traubenzuckerbonbon in den Mund, konzentrierte sich auf ihre Atmung und zählte bis zehn, um sich zu beruhigen.
Die gestreiften Absperrbänder flatterten wild im Wind und wiesen den beiden Polizistinnen den Weg. Polizei, Feuerwehr und Ambulanz waren bereits vor Ort, und die Blaulichter wirkten gespenstisch in der Dunkelheit. Sanja schob sich die Kapuze über den Kopf und verbarg die Hände in ihrer Regenjacke, um sich vor den Regengüssen zu schützen. Ihre Stiefel versanken im schlam- migen Boden. Der Wind peitschte, und sie mussten sich mit aller Kraft gegen die Naturgewalt anstemmen. Die plötzlichen Wetter- wechsel hier hatten auch schon für unerwartete Katastrophen gesorgt. Was würde diese Nacht noch bringen?
Erwartungsgemäss war aus der Kleinen Emme ein reissender Fluss geworden und hatte das Ufer überschwemmt. Die Treppen- stufen, die vom Picknickplatz ins Wasser führten, waren über- flutet. Ebenfalls unter Wasser stand der Spazierweg entlang des Ufers. Es herrschte ein Durcheinander von Holz, Ästen, Schmutz und Blättern. Höchst erstaunlich, dass bei diesem Wetter hier eine Leiche entdeckt worden war.
Sanja wandte sich an Nora. »Bist du bereit, den Toten zu untersuchen? Bamert ist schon da.«
Nora nickte und versuchte, ihre innere Anspannung zu ver- bergen. Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sie die kalten, leblosen Züge des Toten betrachtete. Sie schluckte schwer, zwang sich aber, ruhig weiterzuarbeiten. »Natürlich«, antwortete sie selbstbewusster, als sie sich tatsächlich fühlte.
Dr. Hansjörg Bamert, der Gerichtsmediziner, beugte sich über den leblosen Körper, der vor dem Eintreffen der beiden Ermittle- rinnen aus dem Wasser gezogen worden war. Offensichtlich war der Mann tot. Ein Auge starrte leer in den Himmel, das andere war von einer nassen Haarsträhne verdeckt. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig. Sanja ging neben dem Gerichtsmedizi- ner in die Hocke. »Es riecht übel hier«, meinte sie mehr zu sich selbst und rümpfte die Nase. »Nach Tod und Schlamm. Modrig und faulig. Was denkst du? Wie ist er umgekommen?«, fragte sie Bamert nach einer kurzen Begrüssung. Sie kannte seine Einsilbig- keit und verzichtete auf Small Talk. Seine Antwort war ein unver- ständliches Brummen.
»Kannst du den ungefähren Todeszeitpunkt bestimmen?«, versuchte sie es mit einer anderen Frage. An seinem Gesichtsaus- druck konnte sie nicht ablesen, ob er sie gehört hatte. Vielleicht hatte er sie bei diesem Brausen von Wind und Wellen nicht ver- standen.
»Mindestens fünfzehn Stunden oder länger im Wasser.« Offen- sichtlich hatte er sie doch gehört.
Er drehte den Kopf des Toten. »Die Verletzung am Hinter- kopf - könnte von einem Sturz stammen. Aber .« Er hielt inne wie gewohnt. Sanja warf Nora einen wissenden Blick zu. Sie hatte ihrer Kollegin von Bamerts Eigenart erzählt.
Nach einer Weile sprach er weiter. »Ob die Verletzung tödlich war oder ob er ertrunken ist, kann ich dir heute nicht sagen.« Er schüttelte sich wie ein nasser Hund.
»Also keine Fremdeinwirkung«, hakte die Kommissarin nach.
»Auf den ersten Blick nicht. Näheres nach der Obduktion. Ich erwarte dich morgen gegen 14:00 Uhr in der Gerichtsmedizin.«
Mit dem Zeigfinger wies er auf einen Mann, der abseits auf einem Ast sass und in ihre Richtung blickte. »Dort wartet der Mann auf euch, der den Toten gefunden hat. Seinen Namen habe ich vergessen. Schönen Abend noch.« Damit erhob sich der Arzt mühsam, stemmte sich gegen den Wind und ging in Richtung Auto davon. Sanja schüttelte den Kopf. Typisch Bamert. Mit Lebenden konnte er schlecht umgehen. Nur selten äusserte er ein persönliches Wort. Zu Sanjas Überraschung blieb er stehen und blickte nochmals zurück, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Du tropfst«, bemerkte er trocken, bevor er in seinen Wagen stieg. Sanja schmunzelte. Humor hatte sie bei Bamert selten erlebt. Sie tropfte nicht nur, das Wasser lief buchstäblich an ihr hinunter.
Zusammen mit Nora ging sie dem Mann entgegen, der sich in der Zwischenzeit erhoben hatte. »Sanja Reusser, Kriminal- polizei Luzern.« Sanja deutete auf ihre Kollegin. »Das ist Nora Sommer.«
»Arthur Hugentobler. Ich habe die Leiche gefunden und die Rettungskräfte gerufen«, stellte sich der Mann ebenfalls vor.
»Das haben Sie gut gemacht. Wie haben Sie die Leiche gefun- den?«
»Ich kam wie jeden Abend mit meinem Hund hierher. Nor- malerweise spaziere ich am Ufer entlang, aber heute blieb ich in der Nähe des Kiosks stehen und liess den Hund an der langen Leine. Ich wollte nicht, dass er zu nahe an den Fluss geht.« Sanja nickte höflich und wartete ab, was er weiter zu erzählen hatte. Auch Nora nickte zustimmend. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie gefährlich es war, dem Flussufer zu nahe zu kommen.
»Mein Hund zerrte plötzlich wild an der Leine und bellte in Richtung Gebüsch. Als ich nachsah, entdeckte ich den Toten. Er war in den Ästen verfangen und drohte, vom Wasser mitgerissen zu werden. Ein schrecklicher Anblick.«
Sanja nickte. Ja, das konnte sie sich durchaus vorstellen. Auch für sie war der Anblick einer Leiche keine Freude. Daran gewöhn- te man sich nie. Nora sah fix und fertig aus.
»Haben Sie den Mann schon einmal hier in der Umgebung gesehen? Kam er Ihnen bekannt vor?«
»Nein, ich habe ihn mit Bestimmtheit noch nie gesehen«, meinte er und deutete mit dem Finger vage in die Richtung des Toten, der immer noch am Boden in der Nässe lag. »Im Sommer ist dieser Weg beliebt. Vor allem Mütter kommen mit ihren Kin- dern hierher zum Spielplatz, aber bei diesem Wetter wagt sich kaum jemand nach draussen, schon gar nicht an die Kleine Emme. Bei Hochwasser ist es ausgesprochen gefährlich. Heute war keine Menschenseele hier.«
»Haben Sie einen anderen Hund gesehen? Vielleicht war der Mann auch mit seinem Hund unterwegs.«
»Einen Hund? Nein, ausser meinem war kein anderer Hund in der Nähe.«
Nora fragte weiter: »Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt?«
Arthur Hugentobler schüttelte vehement den Kopf. »Nichts.«
Während Nora seinen Namen und die Adresse notierte, ging Sanja zum Chef der Spurensicherung, um ihm Neuigkeiten zu entlocken. Wie nicht anders zu erwarten, verwies Karl Wieser Sanja auf seinen Bericht. Bevor er eine endgültige Aussage treffen konnte, mussten die gesammelten Spuren sorgfältig ausgewertet werden, was einige Zeit beanspruchen würde. Sanja musste sich gedulden, ob sie wollte oder nicht. Karl Wieser, erfahren und schweigsam, arbeitete gewissenhaft. Sein struppiger Schnurrbart verlieh ihm ein markantes Aussehen. Mit seinem grauen Vollbart und den langen grauen Haaren hatte er früher einen eher ver- wahrlosten Eindruck gemacht. Der Schnurrbart und sein Kurz- haarschnitt standen ihm definitiv besser, dachte Sanja. In einem Jahr würde er in den Ruhestand gehen, was sie bedauerte. Sie schätzte die Zusammenarbeit mit ihm sehr, obwohl sie wusste, dass auch er zunächst nicht darüber erfreut gewesen war, dass sie die Leitung der Mordkommission übernahm. Sie war sich jedoch dessen bewusst, dass sich seine anfängliche Skepsis nicht gegen sie als Person richtete. Er hätte sich einfach gewünscht, noch ein wei-...
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