Schweitzer Fachinformationen
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Das Grauen lauert im Vertrauten
Hinterm Haus liegt ein tiefer See, da sitzt sie stundenlang auf dem Grund und hält die Luft an - zurück bei Mann und Kindern wird sie den bohrenden Wunsch nicht los, für immer unter Wasser zu wollen. Ein Junge hat ein Loch in der Kehle und die Stimme verloren - und um die Aufmerksamkeit seines gebrochenen Vaters zu wecken, greift er zu immer abgründigeren Methoden. Eine im Sterben liegende Frau ruft eine Freundin an, mit der sie seit dreißig Jahren nicht gesprochen hat, seit dem tragischen Unfall damals - wer von den beiden trug daran eigentlich die Schuld?
In den gestochen scharfen Horrorgeschichten von Das gute Übel kommen uns die Monster des Alltäglichen so nahe, dass wir ihren Atem im Nacken spüren. Samanta Schweblin ist eine Magierin und schreibt mit einem übernatürlichen Gespür über den Einbruch des Bösen in unsere Welt - und das perfide Gute, das darin aufscheint.
Alle Dutzend Jahre erscheint dieses eine Buch, das ein Loch in den Himmel reißt.
Ich springe vom Ende der Mole aus ins Wasser, sinke hinab und halte mir die Nase zu. Nach dem Eintauchen öffne ich die Augen, gebe mich bewusst dem langsamer werdenden Fall hin, den neuen Farben um mich herum, satter, schillernder. Ich sinke und halte die Luft an.
Vielleicht vergeht eine Minute. Schließlich berühre ich behutsam mit den Füßen den modrigen Grund, wie eine Astronautin, die auf dem Mond landet. Ich nehme die Hand von der Nase und senke die Arme, mein Körper spannt sich an. Eine Kontraktion erfasst meine Lungen, sie verkrampfen sich, ich warte noch ein wenig. Befühle die Steine, die an meiner Taille befestigt sind, der Knoten lässt sich jederzeit lösen. Damit ich es nicht bereue, atme ich ein. Ich fülle meine Brust mit Wasser, und eine neue, harte Kälte legt sich auf meine Rippen. Ich möchte, dass es ohne Schmerz abläuft. Ein paar Blasen entweichen aus Mund und Nase und steigen auf. Ein weiterer Krampf durchzuckt mich, und ich habe Angst vor dem, was jetzt passieren kann. Ich stoße die letzte Luft aus den Lungen. Bin überrascht von dem flüssigen Gefühl, wo vorher Luft war, aber vor allem überrascht mich die Klarheit, die Ruhe. Ich betrachte meine Hände, sie sind größer und weißer als an der Oberfläche, und frage mich, wie lange es dauern wird, bis ich das Bewusstsein verliere. Algen, Plankton, Fischschwärme mit Silberaugen gleiten wie Brillantine an mir vorüber. Mein Körper fühlt sich gelöst an, ich spüre die Strömungen, warm, kalt und wieder warm. In der Ferne trübt sich der Hintergrund. Wie viel Zeit wohl vergangen ist? Drei Minuten, fünf, ich kann es nicht mehr schätzen. Ich war mir sicher, dass es schnell gehen würde.
Ich berühre die Steine, suche den Knoten. Es gibt keine Reue, zu diesem Zeitpunkt ist alles schon passiert. Es ist Neugier. Ich lockere den Strick, und die Steine sinken hinab. Ihr Aufprall verursacht eine Erschütterung an meinen Füßen, die sich langsam vom Boden lösen. Ich verbleibe in der Schwebe, weiß nicht, was ich tun soll. Und dann, genau in diesem Augenblick, erinnere ich, dass ich mich gefragt habe: Und wenn das alles ist? Wenn ich dort hänge und bis in alle Ewigkeit zweifle: die erste reelle Angst an diesem Tag. Nicht vor und nicht zurück zu kommen, nie mehr, in keine Richtung.
Ich rolle mich etwas ein, stemme meine Füße gegen den Boden und stoße mich ab. Was ist schiefgegangen? Ich versuche es zu verstehen. Das Aufsteigen kommt mir anfangs leicht vor, doch nach ein paar Metern hält der Körper inne, fühlt sich wohl im Schweben. Es dauert eine Weile, bis ich oben bin, bis ich schließlich die kristallene Wärme der Oberfläche erreiche. Werde ich wieder atmen können, wenn ich aus dem Wasser steige? Ich frage mich, ob mich jemand sucht, und fürchte einen Skandal. Ich mache ein paar Schwimmzüge, hebe schließlich den Kopf und spüre die erlösende kalte Luft in meinem nassen Gesicht.
Ich gelange zum Steinufer, es ist wie immer leer, strample bis zu der Treppe aus Baumstämmen und steige zur Mole hoch. Ich muss aufstoßen, beuge mich über den Steg und warte darauf, dass ich all das Wasser erbreche, aber nichts passiert. Das heiße Holz saugt die Tropfen, die von meinem Kinn herabfallen, augenblicklich auf. Ich möchte mich aufrichten, aber mein Körper ist schwach und schlaff, ich warte einen Moment und versuche es noch einmal. Die Sonne, die auf der anderen Seite des Gartens die Fenster des Hauses anstrahlt, schmerzt mich in den Augen. Ich wringe meine Haare aus, versuche dasselbe auch mit meinem T-Shirt und den Hosenrändern und gehe dann ans Ende der Mole. Meine Sandalen stehen noch auf der Wiese, genau so, wie ich sie dort abgestellt habe. Ich ziehe sie an und kämpfe mit der Steigung, als ich durch den Garten nach oben gehe.
Ich erinnere mich daran, wie ich nach Hause komme. Ich betrachte mich in der hinteren Glasfront, die nasse Kleidung klebt an meinem Körper, meine Hand greift nach der Terrassentür, sie quietscht, als ich sie aufschiebe, nimmt in ihrem Rahmen die Spiegelung mit, dahinter das Wohnzimmer, der Esszimmertisch mit den Resten vom Frühstück. Ich halte mich am Rahmen fest, und mit einer letzten Anstrengung trete ich über die Schwelle.
Drinnen ist alles ruhig. Die Hortensien, die ich am Morgen abgeschnitten habe, stehen noch immer unberührt in den beiden Blumenvasen in der Küche. Ich entferne die Briefe, die ich neben die Sträuße gelegt habe, den für ihn und den für die Mädchen. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung ist, die Briefe wegzunehmen, bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie, wenn ich sie wegnehme von diesem Tisch, auch wirklich von demselben Tisch wegnehme, auf den ich sie vorher gelegt habe. Nichts ist für mich mehr sicher, weder damals noch jetzt, aber auf der Uhr ist es schon zwanzig nach zwölf, also gehe ich hoch ins Schlafzimmer, packe die Briefe in die Nachttischschublade, ziehe meine nassen Kleider aus und trockene an und gehe wieder hinunter, um das Mittagessen zu kochen.
Sie kommen hupend an, und die Mädchen stürmen wie ein Wirbelwind ins Haus. Sie haben ein Kaninchen in einem Käfig dabei.
»Wir müssen uns bis Donnerstag darum kümmern«, sagt er, »eine Woche pro Familie.«
Ich schlage die Eier. Das Eierschlagen ist übermäßig anstrengend, aber ich zittere und vertraue darauf, dass die Bewegung meinen Zustand verbirgt. Die Mädchen klammern sich an meine Hüften, und ich muss die Schüssel hochheben, damit ich ihre Gesichter sehen kann.
»Es heißt Tonne.«
»Ja! Tonne.«
Die Stimmen hallen in meinem Kopf nach. Die Ältere bohrt ihre Nase in meinen Bauch und atmet heftig ein.
»Du riechst modrig, Mami.«
Die Jüngere macht es ihr nach.
»Ja! Nach schmutzigem Schlamm.«
»Na los«, sage ich, »lasst uns essen.«
Ich erinnere mich an meine Angst, mit dem Schlagen aufzuhören. Aber ich höre auf, und es passiert nichts, niemand schaut mich an. Die Ältere schubst den Käfig an die Wand und lässt das Kaninchen heraus. Ihr Vater schließt schnell die Terrassentür, und als er zurückkommt, ermahnt er uns mit einem dreifachen Klatschen herbei:
»Von jetzt an bleibt alles gut verschlossen«, sagt er.
Ich lasse das fünfte Omelett in der Pfanne und serviere die fertigen. Er weiß, dass das auf dem Herd für ihn bestimmt ist, denn er isst als Einziger zwei. Wir setzen uns an den Tisch, und als die Mädchen ihre ersten Bissen machen und zumindest für ein paar Sekunden still sind, finde ich endlich ein wenig zur Ruhe.
Alles ist gut, sage ich mir, mach dir keine Sorgen.
Ich betrachte das Kaninchen, das ohne größere Vorsicht oder Umschweife das Esszimmer durchquert und zu dem Wasserteller läuft, den sie für Tonne hingestellt haben. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sich außerhalb des Käfigs bewegt, überrascht mich. Wenn er in neuen Gefilden ein geschickter Reisender ist, bin ich die Frau, die stets am selben Ort verhaftet bleibt. Das Kaninchen nähert sich mir und schnuppert an meinen Füßen. Kitzelt mich mit seiner Nase, und sicherheitshalber halte ich mich am Tischrand fest.
»Er heißt Tonne, weil er so dick ist.«
»Das ist nicht wahr.«
»Doch, das hat die Lehrerin gesagt.«
Die Mädchen fechten kurz mit ihren Gabeln und essen dann weiter. Er steht auf, um das letzte Omelett zu holen, und spricht dabei mit jemandem am Telefon.
Alles ist gut, sage ich mir, und dass das Kitzeln so angenehm ist, überrascht mich.
»Freust du dich, Mami?«
Das Besteck in der Luft haltend wartet die Jüngere gespannt auf meine Antwort. Plötzlich springt sie auf und rennt mit erhobenem Besteck um den Tisch herum.
»Tonne! Tonne! Mami freut sich!«
»Aber essen ist schon zu viel verlangt, oder wie?«, sagt er, als er mit seinem zweiten Omelett zurückkommt und feststellt, dass ich mein Essen nicht angerührt habe.
Die Ältere sieht und hört uns zu. Am schlimmsten ist, dass sie solche Dinge von uns lernt.
Das Mittagessen endet, und meine Familie verschwindet nach oben. Ich mag dieses Haus wegen seiner porösen Fähigkeit, uns in seinen Zimmern aufzusaugen. Der Käfig im Wohnzimmer bleibt offen und leer, und der Gedanke, dass die Mädchen mit dem Kaninchen spielen können, wenn ich nicht mehr bin, tröstet mich. Das ist, wie wenn ich die Waschmaschine oder...
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