Schweitzer Fachinformationen
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Die Villa am Meer
Heute
Was für ein herrlicher Tag! In der Ferne tauchte Elba auf und verschwand gleich wieder in dem Farbenspiel von Meer und Himmel. Ich schob meine Sonnenbrille auf den Kopf. Lächelnd lehnte ich mich in dem Korbsessel zurück und legte die Füße genüsslich auf die erhöhte Umrandung der hölzernen Terrasse.
Gestern war ich auf meiner etwas umständlichen Heimreise von Kreta nach Deutschland in der Villa Etruria in der Nähe von Grosseto in der Maremma angekommen. Ein stattliches Haus, das mir von meinem alten Freund Harald Frostauer empfohlen worden war, der dort im Jahr zuvor Ferien gemacht hatte. Es gehörte einer alten toskanischen Familie, die es von Juni bis September an Touristen vermietete.
Ich hatte mich für acht Tage angemeldet. Erst für die kommende Woche hatten sich weitere Mieter angesagt. Bis dahin gehörte mir die Villa samt Pool, Garten und Strandhäuschen fast allein.
Versorgt wurde ich liebevoll und aufmerksam von einem älteren Ehepaar aus Sri Lanka, das dieses Anwesen rund ums Jahr betreute. Die jetzige Besitzerin der Villa hieß Signora Mauritia Antonini. Heute sollte ihre Tochter für einige Tage kommen. Alessandra studierte Archäologie in Rom und hatte an einer Ausgrabung in Umbrien teilgenommen.
Die Villa hatte schon bessere Tage gesehen, und die vielen Jagdtrophäen an den Wänden, darunter Köpfe von Gnus und Hirschen, gefielen mir nicht sonderlich. Sie wirkten wie leicht angestaubte Relikte aus alten Zeiten, und Harald Frostauer hatte mir erklärt, dass die meisten davon noch aus den dreißiger Jahren stammten. Doch allein schon der riesige Garten, der bis hinunter zum Strand reichte, und der großzügige Pool waren eine Kompensation für die knarrende Treppe und die Risse in den Wänden. Garten und Pool wurden von Tom, dem freundlichen Mann aus Sri Lanka, sorgsam und mit offensichtlich grünem Daumen betreut.
Am Eingangstor zum Grundstück, gesichert durch eine Kamera, stand noch immer der Name der ursprünglichen Bewohner der Villa Etruria: Di Fillipo. Ich hatte den Namen sofort im Internet aufgerufen. Der Großonkel von Mauritia Antonini, Marco Di Fillipo, hatte sich als Archäologe und Kenner etruskischer Kunst einen Namen gemacht. 1946 tauchten am Strand seine sterblichen Überreste auf. Offensichtlich war er 1943 bei einem nächtlichen Spaziergang am Meer erschlagen worden. Der Gerichtsmediziner in Grosseto stellte am Schädel, der abgetrennt vom übrigen Skelett die drei Jahre im Sand der kleinen Düne überdauert hatte, Hinweise auf eine wahrscheinlich tödliche Verletzung durch einen schweren Gegenstand fest. Marcos Kinder hatten das Anwesen nach dem Tod ihrer Mutter geerbt, starben aber beide kinderlos, und so war das Erbe an Marco Di Fillipos Großnichte Mauritia gefallen. Ihre Mutter Carla war die Tochter von Marcos Bruder Alessandro, einem 1941 verstorbenen Arzt, gewesen.
Ich liebe zwar Familiengeschichten, aber musste das immer so kompliziert sein? Diese vielen Namen und Beziehungen - verwirrend. Letztlich ging mich das alles nichts an, wobei ich den ungelösten Mord an Marco Di Fillipo schon sehr faszinierend fand. Es war mein Schicksal, ständig mit irgendwelchen Verbrechen konfrontiert zu werden.
Als ich genüsslich auf der Veranda am Meer in der mittäglichen Hitze vor mich hindämmerte, gingen meine Gedanken zurück zu den zehn Tagen auf Kreta, die ich ohne meinen Freund Richard verbracht hatte. Er befand sich seit zwei Wochen nach einer komplizierten Knie-Operation in der Reha und sollte frühestens in weiteren zwei Wochen entlassen werden.
Den Urlaub hatten wir gleich nach unserem letzten Abenteuer im Eifelstädtchen Angerrath im Mai gebucht. Doch dann stürzte Richard mit seinem jüngst gekauften E-Bike und brach sich die Kniescheibe. Die Operation in Hannover war problemlos verlaufen, doch nun hatte sein Reha-Aufenthalt verhindert, mich nach Kreta zu begleiten. Also fuhr ich allein, was mir zwar ein schlechtes Gewissen bereitete, doch ich war urlaubsreif und freute mich auf die zehn Tage auf dieser wunderschönen Insel, selbst wenn August nicht der ideale Monat für Mittelmeerreisen ist. Aber ich vertrage Hitze gut, und so hatte ich in meinem Hotel, das in der Nähe von Rethymno lag, mehrere Kreta-Touren gebucht.
Die erste Tour führte unsere kleine Gruppe zu den Klöstern Arkadi und Arsani im Ida-Gebirge. Der zweite Ausflug drei Tage später zur berühmten Samaria-Schlucht an der Südküste. Es war ein sehr heißer Tag, und wir gingen nur wenige Kilometer in die Schlucht hinein. Nach der Rückkehr von diesem Trip war ich völlig erschöpft und setzte mich nach dem Abendessen an den großen Pool der Anlage. Ich liebte diese Abendstimmung mit dem sanften Meeresrauschen und den gedämpften Stimmen aus den Hotelrestaurants. Dazwischen Gläserklirren und Lachen.
In meiner Nähe saßen zwei Engländer, die mir schon mehrmals aufgefallen waren. Sie trugen beide grellbunte Hemden und blieben stets unter sich. Auf unserer ersten Tour zu den Klöstern hatten sie ganz hinten im Bus gesessen und auch in den Gebäuden Abstand gehalten.
»Schade, wenn die Tour nach Phaistos abgesagt werden sollte«, sagte der eine der beiden, ein kleiner Mann mit einem Haarkranz und einer großen Brille. Er musste Ende sechzig sein.
»Ja, das wäre dumm, Eric«, erwiderte der andere, der sicherlich zwanzig Jahre jünger war. »Es müssen fünf Leute sein, damit dieser Ausflug stattfindet. Wir sind erst vier.«
»Dabei zählt die Tour zu den Highlights auf Kreta«, seufzte der angesprochene Eric.
»Die Hitze schreckt vielleicht die Leute hier ab. Die mögen halt lieber faul am Pool liegen. Dabei dauert die Fahrt nach Phaistos nicht einmal zwei Stunden, und wir sind am späten Nachmittag zurück«, sagte sein Freund.
Eigentlich ist es nicht meine Art, mich in die Gespräche Unbekannter einzumischen. Deshalb wandte ich mich sehr vorsichtig an die beiden: »Entschuldigung, ich wollte nicht lauschen, aber ich habe zufällig gehört, was Sie gesagt haben. Falls Sie noch jemanden brauchen, um die erwünschte Mindestzahl für den Ausflug nach Phaistos zusammenzubekommen, wäre ich gerne dabei.«
Eric runzelte die Stirn, sein jüngerer Freund aber lächelte freundlich. »Das ist großartig! Ich heiße übrigens Gary McGuire, und das ist mein Freund Eric Cruise, ehemals Professor für Archäologie an der Universität von Nottingham.« Er streckte mir seine Hand entgegen.
»Anna Bentorp«, stellte ich mich ebenfalls vor, und als ich erwähnte, dass ich Kunsthistorikerin sei, strahlte Gary.
»Welch ein Zufall, ich unterrichte in London am King's College Kunstgeschichte, Spezialgebiet ausgehendes Mittelalter und die Geschichte der Kathedralen von 1200 bis 1500.«
Das war der Beginn einer Freundschaft. Auch Eric taute auf, und wir plauderten bis kurz vor Mitternacht. Im Pool gluckste das Wasser, am Himmel flackerten immer mehr Sterne, eine perfekte Nacht. Gary versprach mir, mich gleich am nächsten Morgen bei der Reiseleiterin anzumelden. Der Aufbruch am Tag darauf war um sieben Uhr morgens angedacht.
»Auf dem Rückweg geht es noch an den Strand von Gazi für eine kurze Erfrischungspause«, verkündete Gary.
Sein Freund nickte und fügte hinzu: »Elounda wäre mir lieber. Aber das liegt viel zu weit ab von unserer Route.«
Gary zwinkerte mir zu. »Eric mag Luxus, und Elounda bietet das mehr als Gazi.«
Wir verabschiedeten uns herzlich. Am nächsten Tag fuhren die beiden nach Knossos. Ich genoss den Tag am Meer.
Es war mir nicht ganz leichtgefallen, am Morgen unseres Ausflugs zum ehemaligen Palast von Phaistos aus dem Bett zu krabbeln. Seit ich auf Kreta war, schlief ich wie ein Stein. Meine Erschöpfung saß tief. Doch dann rappelte ich mich auf, trank hastig im Restaurant zwei Espressi und steckte ein Croissant in meine Badetasche. Der Gedanke, auf der Rückfahrt ins Meer zu tauchen, schien mir reizvoll.
Vor dem Hotel stand ein Minibus. Eine Frau etwa Mitte bis Ende fünfzig begrüßte gerade meine beiden Engländer. »Elena Mandrakis«, stellte sich die Frau vor. Sie hatte sehr freundliche blaue Augen und mit grauen Strähnen durchzogene dunkle Haare. Ich mochte sie auf Anhieb.
Im Bus saß bereits ein jüngerer Mann mit hagerem Gesicht und einem dunklen Dreitagebart, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Der Busfahrer, Dimitri, entpuppte sich bei unserer Reise quer über die Insel als ein sehr umsichtiger Chauffeur. Elena erzählte auf dieser knapp anderthalbstündigen Tour viel über die Geschichte Kretas, zitierte Dichter und Sagen wie die vom bronzenen Riesen Talos, dem Beschützer der Insel, und berichtete schließlich von unserem Ziel, dem Palast von Phaistos, entstanden an der Südküste der Insel um etwa 2000 vor Christus, neben Knossos in der Nähe von Heraklion das zweitgrößte Zentrum aus minoischer Zeit.
»Erdbeben zerstörten den Palast um 1900 vor Christus, der aber wiederaufgebaut wurde. Nach einer weiteren Zerstörung scheiterte der Versuch, den alten Palast wieder zu errichten. Dafür entstand auf einem Nachbarhügel, etwa zwei Kilometer nordwestlich von Phaistos, eine weitere minoische Palastanlage. Man nannte sie in byzantinischer Zeit >Agia Triada<, Heilige Dreifaltigkeit. Ein gepflasterter Pfad verband die beiden Paläste miteinander. Um 1900 nach Christus begannen die Ausgrabungen vor Ort unter der Ägide der beiden italienischen Archäologen Luigi Pernier und Federico Halbherr. Pernier stammte aus Rom, Halbherr aus Rovereto.«
Eric stieß bei der Erwähnung dieser Namen seinen Freund an und flüsterte: »So, jetzt kommt der Höhepunkt!«
Elena hatte diese Bemerkung gehört. Sie lächelte und sagte: »In der Tat, jetzt kommt der Höhepunkt, der Fund des Diskos von Phaistos im...
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