Schweitzer Fachinformationen
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Prolog
Er hatte das Feuer oben auf dem Hügel vor den Höhlen mehrere Nächte hintereinander gesehen. Doch als er an einem Morgen hinaufgestiegen war, um zu erkunden, was dahintersteckte, fand er nur noch Asche. Keine Spur von denjenigen, die das Feuer entzündet hatten. Ihm fiel die alte Sage ein, die davon erzählte, dass diese Höhlenfeuer immer ein Unglück ankündigten. Aber James MacNeill glaubte nicht an Spukgeschichten. Dahinter musste ein Mensch stecken, vielleicht einer der Deserteure, die sich angeblich in den Höhlen versteckt hielten, oder ein Dorfbewohner, der seinen Schabernack mit dem Aberglauben der Bewohner im Tal trieb. Doch seit gestern Abend war kein Feuerschein mehr zu sehen. Darauf hatte James gewartet, denn er wollte ungestört bei den Höhlen sein.
Der Aufstieg in dieser Januarnacht war anstrengender, als er gedacht hatte. Er führte sein Pferd Keeper am Zügel und kämpfte sich den Weg durch das Dickicht und das scharfe Wintergras. Als er endlich vor dem Eingang der Höhle angekommen war, holte er tief Luft. Mit zitternden Händen entzündete er die Fackel, die er vor zwei Tagen hinter einem Stein in der Nähe des Eingangs versteckt hatte. Noch konnte er im fahlen Licht des Halbmondes die Umrisse des Höhleneinganges erkennen. Er band sein Pferd locker an einen Strauch, um möglichst rasch von diesem Ort wieder verschwinden zu können, und tastete sich in das Halbdunkel des schmalen Felsdurchbruchs. Die Fackel warf zuckende Schatten auf die rötlichen Steinwände. Aus dem Inneren wehte ein kühler Luftzug. Es roch nach Stein und Erde und nach irgendetwas, das er nicht einordnen konnte. Moder? Moos? Wasser, das sich in den Felsspalten sammelte? Ihm blieb keine Zeit für Überlegungen. Er musste die in einem tiefen Felsspalt versteckten Bilder bergen, sein Pferd beladen und sich auf den langen Weg aus dieser unwirtlichen Gegend machen, in der er vier Jahre gelebt hatte.
Unten im Tal lag das Schloss, in dem er nach ihrer Flucht aus Schottland mit seiner Frau Alexandra Unterschlupf gefunden hatte. Seit ihrem Tod vor drei Monaten, kurz nach der Geburt ihrer Tochter Elisabeth, hatte sich etwas verändert in der Atmosphäre dort, wobei er schon seit geraumer Zeit ein wachsendes Unbehagen verspürt hatte. Die Mauern des Schlosses waren für ihn immer mehr zum Gefängnis geworden.
Alexandras Vetter Rudolf von Rödelshausen und seine Frau Dorothea verbargen ihre wahren Gefühle für ihn, den schottischen Flüchtling, nicht länger hinter geheuchelter Freundlichkeit. Sie hatten ihn nur bei sich aufgenommen, weil Alexandras Mutter die Schwester von Rudolfs Mutter und damit Rudolfs Tante gewesen war. Aber als er und Alexandra Ende Mai des Jahres 1746 in Schloss Hammelsberg aufgetaucht waren, begleitet von ihren beiden Dienern William und Seamus und der Zofe Beatrice, hatte er von Anfang an gespürt, dass Rudolf sie nur sehr zögernd aufnahm. Vielleicht fürchtete er Spione, die in Hannover melden könnten, dass er einem der Überlebenden der verhängnisvollen Schlacht bei Culloden vom 16. April - und zudem noch einem nahen Verwandten der MacLachlan, die dem siegreichen Herzog von Cumberland ein besonderer Dorn im Auge waren - Asyl gewährte.
James fror plötzlich. Die Luft in der Höhle erschien ihm eisig. Hier hatte er kurz nach seiner Ankunft in Schloss Hammelsberg drei seiner insgesamt sechs aus Schottland geretteten Bilder versteckt, eingewickelt in dickes Sackleinen. Er traute der deutschen Verwandtschaft seiner Frau nicht. Diese Bilder könnten, sollte er je wieder in seine Heimat zurückkehren, die Basis für eine gesicherte Existenz sein, denn sie waren von großem Wert. Die drei anderen Bilder würde er im Schloss zurücklassen. Das war eine mehr als angemessene Bezahlung für das Asyl, das ihm Alexandras Verwandtschaft gewährt hatte.
Er wandte sich zum Eingang der Höhle um. Draußen schien die tiefschwarze Nacht den Atem anzuhalten. Die Mondsichel war von einer Wolke verschluckt worden. Nur der Januarwind strich leise durch die dürren Baumwipfel. Nichts regte sich. Oder doch? War da ein Knacken, ein Wispern?
James lauschte angestrengt in die Stille. Ein leises Schnauben vor dem Höhleneingang, das hohle Brechen eines Astes. Er atmete auf. Das Schnauben stammte von seinem Pferd, das sicherlich gerade auf einen Zweig getreten war.
Er hatte seine Flucht seit dem Tod seiner Frau Mitte Oktober geplant, niemanden in seine Pläne eingeweiht und selbst seinem treuen Diener William nichts verraten. Bei Nacht und Nebel wollte er aufbrechen, doch zuvor den Schatz aus seinem Versteck holen. James hatte die Höhle rein zufällig als ein ideales Versteck entdeckt. Hier, so glaubte er, waren die Gemälde sicher vor der Gier seiner Verwandten. Wie enttäuscht war Rudolf gewesen, als er feststellte, dass James anstelle von Säcken voller Goldmünzen nur einige Bilder in seinem Reisegepäck hatte. Rudolf selbst besaß eine stattliche Sammlung niederländischer und italienischer Maler, doch davon waren die meisten entweder zweitklassige Kopien oder Werke weniger berühmter Künstler. Deshalb hatte er Alexandra gleich nach ihrer Ankunft gefragt, ob es sich denn gelohnt hätte, diese Bilder auf der Flucht mitzunehmen. Und Alexandra, die viel Liebenswürdigkeit, aber keine Menschenkenntnis besaß, hatte sanft gelächelt und geantwortet: »Oh ja! Diese Werke sind wahre Schätze.«
Rudolf und seine Frau Dorothea ahnten nicht, dass James außer den Bildern einen Schatz von ungeheurem Wert, den »Star of Scotland«, bei sich trug. Er war ein Familienerbe der MacNeills, ein Geschenk, das König Karl II., Enkel des ersten Stuartkönigs Jakob, der Urgroßmutter von James mütterlicherseits gemacht hatte. Sicherlich war die schöne junge Frau eine der vielen Geliebten des Königs gewesen, ehe sie einen seiner schottischen Vertrauten heiratete, dem sie acht Kinder schenkte, darunter die spätere Großmutter von James. Der »Star of Scotland« hatte auch die Begehrlichkeit des Herzogs von Cumberland geweckt. Doch als seine Soldaten in die Burg der MacNeill eindrangen, war die Familie verschwunden und der »Star of Scotland« mit ihr.
Als James nun Rudolfs unverhohlen gierigen Blick auf die Bilder gesehen hatte, verbarg er die drei wertvollsten Gemälde tief im Schoß der Höhle. Durch einen schmalen Eingang gelangte man in einen schlauchartigen Gang, der an seinem Ende steil nach unten stürzte. In diesem finsteren Abgrund lagen unzählige Menschenknochen. Die Legenden erzählten, dass die Bärenhöhle einst als Opferhöhle gedient habe.
James' Gedanken wanderten noch einmal zurück in die Vergangenheit. Er hatte gehofft, in diesem deutschen Schloss, das weitab von größeren Straßen lag, ein Refugium für sich und seine Frau zu finden, bis sich die Stürme in seiner Heimat gelegt hatten und der Zorn Georgs II. auf die Schotten verflogen war. James gehörte zu den Anführern des Jakobitenaufstandes gegen den britischen König aus dem Haus Hannover. Die Chance für eine Rückkehr der katholischen Stuarts schien gekommen, als Charles Edward Stuart, genannt »Bonnie Prince Charles«, 1745 mit französischer Unterstützung aufbrach, um zunächst Schottland und danach ganz Großbritannien zu erobern.
Die anfänglichen Siege ließen die Hoffnung aufkeimen, dass Charles Stuart den König aus dem Haus Hannover verdrängen könnte, doch am 16. April 1746 besiegte das englische Heer unter seinen Heerführern George Wade und Wilhelm Augustus Herzog von Cumberland, dem dritten Sohn Georgs II., die Schotten auf dem Moor von Culloden, unweit von Inverness. Nach der Schlacht ging der Herzog, der später unrühmlich als »Butcher Cumberland« in die Annalen eingehen sollte, drakonisch gegen die Clans vor. James MacNeill, der die kurzen heftigen Kämpfe leicht verwundet überlebt hatte, musste als »Rebell« um sein Leben fürchten.
Mit Mühe gelang es ihm nach der Schlacht, seine Burg bei Drumnadrochit am Loch Ness zu erreichen und mit seiner Frau Alexandra, den Dienern William Fraser und Seamus Connor und der Kammerzofe Beatrice den sechsjährigen Sohn Alistair nach Glasgow zu geleiten. Dort übergaben sie den Jungen der Obhut von James' Cousine Claire, verheiratet mit einem Astronomen in königlichen Diensten und insgeheim eine Anhängerin der Stuarts. Claire und Hugh de Abreville hatten keine eigenen Kinder und nahmen den kleinen Alistair liebevoll auf.
In den Jahren seit der Schlacht von Culloden und der Flucht aus Schottland erhielten James MacNeill und seine Frau regelmäßig Nachrichten über das Wohlergehen ihres Sohnes. Jeden Monat ritt William nach Hameln und holte dort in der Poststation die Briefe mit verschlüsselter Anschrift und ebenso verschlüsseltem Absender ab. Alistair ging es laut dieser Briefe von Claire de Abreville gut, seine Zieheltern sorgten sich aufopfernd um ihn. Dennoch nagte der Kummer um den verlorenen Sohn an James und Alexandra.
Als Alexandra dann eines Morgens vor gut einem Jahr verkündete, sie sei schwanger - und dies trotz ihres fortgeschrittenen Alters von Mitte dreißig -, wichen die Schatten der Sehnsucht und des Verlustes für einige selige Momente. Aber dieses Glück währte nicht lange. Alexandras Schwangerschaft verlief ohne Probleme, auch die Geburt der kleinen Elisabeth Ende September mit Hilfe einer robusten Hebamme aus dem nahe liegenden Dorf machte kaum Schwierigkeiten. Doch wenige Tage nach der Geburt des kräftigen Mädchens mit dem rötlichen Haarschopf erkrankte Alexandra, bekam hohes Fieber und starb Mitte Oktober trotz aller Bemühungen eines aus Hameln herbeigerufenen Medicus.
Kurz vor ihrem Tod hielt sie ihre kleine Tochter...
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