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"Johanna, jetzt warte doch mal!", sagte Julia Müller zu ihrer Tochter. Ihre Stimme klang genervt. Sie wandte den Blick zurück zu Johannas Lehrerin und versuchte zu lächeln.
"Entschuldigen Sie bitte!"
Frau Schmitt hob die Augenbrauen und sah auf ihre Schülerin. Doch Johanna dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben und den beiden Erwachsenen noch länger zuzuhören. Mit einem Affenzahn stürmte sie aus dem Klassenraum der 4b. Das war ja wohl die Höhe! Nie im Leben würde sie zu dieser Psycho-Tante gehen. Da konnte Mama sich auf den Kopf stellen und ihre Klassenlehrerin Frau Schmitt gleich mit!
"Johanna?", rief Laura hinter ihr her, die draußen auf dem Flur auf sie gewartet hatte. Als keine Antwort kam, sprang sie auf und folgte ihrer besten Freundin, die gerade wie eine Rakete an ihr vorbeigeschossen war. Sie hatte Mühe, Schritt zu halten, denn Johanna war die Beste im Sport. Das galt für das Schwimmen genauso wie für das Laufen.
"Was ist denn los?", keuchte sie nach Atem ringend.
"Was los ist?"
Johanna blieb ohne Vorwarnung mitten auf dem Schulhof stehen, sodass Laura fast in sie hineingerannt wäre.
"Mama spinnt! Das ist los. Sie will mich zu so einer Psycho-Tante schleppen, wegen meiner Leseprobleme", beschwerte sie sich und zog die Silbe "Lese" in die Länge und in die Höhe. "Schön, dass ich das auch noch erfahre."
Laura schnappte nach Luft und machte einen Schritt rückwärts.
"Sie hätte mir wenigstens zuerst Bescheid sagen können."
"Oh! Und wann sollst du dahin?", fragte Laura und beugte den Oberkörper vor. Sie stützte sich mit den Händen auf ihren Oberschenkeln ab, um besser atmen zu können.
"Gar nicht gehe ich dahin!"
Johanna nahm wieder Fahrt auf und bog um die Ecke. Mama und die Lehrerin konnten sie jetzt nicht mehr sehen.
"Oh!", machte Laura noch einmal.
Sie verdrehte die Augen, setzte sich aber auch in Bewegung. Laura Simons wusste, dass ihre Freundin nicht gern über das Lesen sprach. Doch sie wusste auch, dass alle aus der Klasse es viel besser konnten als Johanna, und das tat ihr leid. Während sie versuchte, zu Johanna aufzuschließen, sagte sie deshalb vorsichtig:
"Wenn aber doch Frau Schmitt das auch gut findet . Vielleicht kann die Psycho-Tante dir ja helfen."
"Bist du jetzt auch noch gegen mich?", brauste Johanna auf. "Na klar, du findest Lesen ja so toll. Dauernd redest du von deinen Büchern. Ich mag es eben nicht. Basta!", schimpfte sie. "Was kann ich dafür, dass sich die Buchstaben in meinem Kopf von selbst umdrehen und durcheinandergeraten? Könnt ihr mich nicht einfach mal in Ruhe lassen? Ich dachte, du wärst meine Freundin!"
"Bin ich auch, deshalb muss ich aber nicht immer deiner Meinung sein", sagte Laura.
Aber Johanna hörte gar nicht zu. Sie blieb erneut stehen und verschränkte jetzt die Arme vor der Brust. Ihre braunen Augen wurden noch dunkler.
"Du kannst alleine nach Hause gehen."
"Mensch, Johanna, sei doch nicht gleich beleidigt!"
Laura seufzte leise und ging langsam ein Stück weiter. Dann hielt sie wieder an und drehte sich um. Doch sie wartete vergeblich. Johanna stand unbeweglich wie eine Säule in der Gegend herum. Sie starrte in die Wolken, als seien sie nicht dunkelgrau, sondern aus purem Gold.
"Nun komm schon! Was ist jetzt? Ich muss gleich zum Geigenunterricht", drängelte Laura.
"Dann geh doch endlich! Sonst erwischt dich das Gewitter noch", rief Johanna.
Ihre rechte Hand deutete auf die dunklen Wolken, die rasch am Himmel vorbeizogen. Es war windig geworden, und die Sonne verschwand gerade hinter einer dicken Wolkenwand.
"Mama hat gesagt, es gewittert heute, wenn sie arbeiten ist", fügte sie hinzu, und es klang wie eine Drohung.
Laura blickte ruckartig nach oben. Sorgenfalten erschienen auf ihrer Stirn. Sie fürchtete sich vor Gewittern, und ihre Freundin wusste das ganz genau. Bis gerade eben hatte sie aber gar nicht bemerkt, dass sich das Wetter veränderte. Sie schüttelte sich.
"Okay. Dann gehe ich eben alleine weiter. Ich finde trotzdem, du solltest es versuchen", sagte Laura noch. Dann eilte sie schnell davon.
"Hör endlich auf!", schrie Johanna hinter ihr her und kickte einen Stein zur Seite. Aber das half auch nicht. Nicht gegen das komische Gefühl in ihrem Inneren. Da drin braute sich auch gerade etwas zusammen, genauso wie am Himmel. Dieses blöde Etwas saß im Hals fest und machte sich so unverschämt breit, dass es schon auf den Magen drückte. Der Wind war heftiger und kälter geworden. Er zerrte jetzt an den Büschen und Bäumen und wehte unter Johannas langen Rock.
"Mist, ich hätte doch eine Hose anziehen sollen!", ärgerte sie sich laut und versuchte mit beiden Händen, den fliegenden Stoff runter auf ihre Beine zu drücken.
Heute Morgen war sie noch so stolz auf ihren ersten selbst genähten Rock gewesen. Mama hatte ihr dabei geholfen. Aber im Moment war es ihr ziemlich egal, dass sie genauso geschickte Hände wie ihre Mutter hatte. Musste Papa mir ausgerechnet seine Probleme mit den Buchstaben vererben?, dachte sie wütend.
Laura war mittlerweile nicht mehr zu sehen, und Mama würde von der Schule direkt ins Krankenhaus zur Spätschicht fahren. Also ging Johanna allein weiter, bis ihr Elternhaus in Sicht kam. Eigentlich ist das nicht der richtige Ausdruck, denn das Haus war kaum zu sehen. Dicht wuchernde Hecken, breite Sträucher und ein riesiger Lindenbaum versperrten den Blick darauf. Johanna seufzte. Mama hatte einfach keine Zeit mehr für den großen Garten. Früher hatten ihre Eltern fast jeden Samstag an den Pflanzen herumgeschnitten und Unkraut gejätet. Wie Papa es schon mit Opa gemacht hatte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Abends wurde dann gegrillt. So war es auch am Tag vor Papas Unfall gewesen.
Johanna fröstelte und schob wie so oft die Gedanken an früher beiseite. Sie zog den Haustürschlüssel, der ihr an einem Band um den Hals hing, mit einer Hand unter dem T-Shirt hervor. Mit der anderen öffnete sie das quietschende Gartentor. Gerade zuckte der erste grelle Blitz über den Himmel, und leise zählte das Mädchen die Sekunden bis zum Donner, so wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte. Schon bei 12 krachte es heftig. Sie teilte die Zahl im Kopf durch drei. Das Gewitter war also nur etwa vier Kilometer entfernt. Rechnen konnte sie immerhin. Die ersten Tropfen fielen auf die Blätter der Sommerlinde, aber noch blieb Johanna unter dem dunkelgrünen Laubdach trocken. Das Frühjahr war ungewöhnlich warm, und so waren die Äste schon ganz schwer von dem Gewicht der blassgelben Blütenbäumchen. Sogar die Blätter schienen dieser üppigen Pracht Platz zu machen und zusammenzurücken. Sie hatten sich so dicht übereinandergelegt, dass es von Weitem aussah, als trüge der Baum einen grünen Schuppenpanzer, und nichts und niemand könnte ihm etwas anhaben.
Jetzt hob Johanna den Blick und sah von unten hoch in das duftende Blütenmeer. Sonst wimmelte es hier immer von Hummeln und Bienen. Doch die Insekten hatten einen sechsten Sinn und waren längst vor dem Regen geflüchtet. Ein heftiger Windstoß ließ die Blüten wippen. Ein paar besonders vorwitzige segelten herab und landeten auf Johannas Stirn. Ganz in Gedanken wischte sie sie weg und leckte sich die klebrigen Finger ab. Mhm, süß .
Sie liebte den Baum! Niemand wusste wirklich genau, wie alt er war und wer ihn eigentlich gepflanzt hatte. Er hatte bereits da gestanden, als Opa damals das Grundstück gekauft hatte. Selbst in seiner Erinnerung war die Linde schon immer riesengroß gewesen. Man brauchte zwei Erwachsene und ein Kind, um ihren Stamm zu umfassen. Unverdrossen lieferte sie neue Blätter und Blüten, auch wenn ihr Stamm längst vom Alter gespalten war. Der Baum hatte überlebt, trotz dieser klaffenden Wunde im Herzen. Obwohl Bäume im Gegensatz zu Menschen streng genommen gar kein Herz haben. Doch diesmal lehnte Johanna sich nicht zur Begrüßung an den mächtigen, rauen Stamm. Heute konnte nicht einmal die trotzige Linde sie trösten. Sie wollte einfach nur weiter. Um nach vorn zur Tür zu kommen, durchquerte sie schnell den Garten und ging längs am Gebäude entlang. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss und betrat das Haus. Im Flur roch es nach Sauerkraut und Kartoffelbrei. Auch das noch! Mama weiß doch genau, dass ich kein Sauerkraut mag!
Meistens waren ihre Mutter und sie ein gutes Team, aber sie zur Psycho-Tante zu schleppen, das ging Johanna einfach zu weit! Ihr Mund...
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